Читать книгу Sag der Straße der Sünde auf Wiedersehen! 3 mitreißende Romane - G. S. Friebel - Страница 8

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Als die Dirnen außer Hör- und Sichtweite des Geschäftes waren, mussten sie sich erst einmal alles von der Seele lachen. Carola liefen die Tränen über das Gesicht. Mancher Passant blieb verblüfft stehen und blickte die drei erstaunt an.

»Das war ein grandioser Spaß«, keuchte Muttchen. »Herrje, wenn ich an das Gesicht der blöden Kuh denke, o du liebe Güte, ich könnte mich wirklich totlachen.«

»Und ihr wolltet nicht mitgehen«, sagte Tiger-Lilly und lachte auch herzlich auf.

»Wenn das die ganze Anpassung ist, dann komm ich jeden Tag mit«, kicherte Muttchen.

»Nee«, sagte die Bohnenstange, »dann ist unser Geld futsch, das kann ich mir nicht jeden Tag leisten.«

»Haste natürlich recht, aber hübsch war es doch. Und ich hatte vorher so einen Bammel.«

»Hab’ ich euch nicht gesagt, man muss nur auftreten können«, sagte Lilly. »Wir dürfen uns nicht ins Bockshorn jagen lassen, nicht an die Wand drücken, immer forsch, nur dann kommen wir zu was.«

»Und was steht jetzt auf dem Plan?«, wollte Gerda wissen. »Jetzt, wo ich so fein bin, will ich noch nicht in den Puff zurück.«

»Nee«, sagte auch Carola. »Also ehrlich, ich komm mir jetzt wie eine Anziehpuppe vor. Nachts zieh ich mich nicht so oft an und aus, wie das dort im Geschäft der Fall war.«

»Ich bin fix und fertig«, sagte Linda, »und die Füße tun mir verteufelt weh. Halt, wir müssen uns ja noch Schuhe kaufen«, fiel ihr auf einmal ein.

»Na, dann mal los.«

Im Schuhgeschäft war es leider nicht so lustig, aber sie hatten auch ihren Spaß, besonders Muttchen. Als nämlich der Chef höchstpersönlich durch den Laden spazierte und zufällig in Muttchens Richtung sah, hätte ihn fast der Schlag getroffen. Er war einer ihrer vielen Stammkunden. Muttchen tat selbstverständlich, als kenne sie ihn überhaupt nicht. Gerda und Linda plinkerten sich lustig zu und wussten Bescheid. Es war nichts Neues, dass man seine Kunden wiedertraf, und zwar an Orten, wo es ihnen verdammt peinlich war. Aber sie waren so diskret wie eine Schweizer Bank.

»Ich bin am Verhungern«, japste Carola. »Wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme, falle ich tot um.«

Sie standen gerade vor einem Café. Obgleich Lilly meinte, ein paar Pfunde weniger würden sie direkt schick erscheinen lassen, wollte sie nichts davon wissen.

»In diesem Kostüm seh ich schon dünn genug aus. Nee, nee, ich fall schon direkt vom Fleisch, man sieht nur noch Haut und Knochen. Seit fünf Stunden hab’ ich nichts mehr gegessen.«

Das holte sie dann alles im Café nach. Sie wollte schier in Fröhlichkeit ausbrechen, aber Tiger-Lilly mahnte sie immer wieder, nicht aus der Rolle zu fallen.

»Was denn, hier auch?«

»Überall«, sagte sie bestimmt. »Sobald wir unser Viertel verlassen, sind wir auf Bildungsreise.«

»Ach du lieber Himmel! Nachher sind wir auch so zickig wie die da im Geschäft, und dann verduften unsere Kunden«, sagte Gerda.

»Wir wollen doch abhauen, oder?«

»Ja.« Es kam aber ein wenig kleinlaut über Muttchens Lippen.

Nachdem sie sich also im Café gestärkt hatten, unternahmen sie auch noch einen Stadtbummel, kamen dabei am Theater vorbei, liefen erschrocken weiter. Lilly aber sagte ihnen unmissverständlich: »Sobald etwas Lustiges kommt, geht ihr mit.« Im Augenblick spielten sie eine Oper, und das wollte sie dann doch nicht riskieren. Muttchen würde bestimmt einschlafen und zu schnarchen anfangen.

Der Abend senkte sich über die Stadt. Die eigentlichen Geschäftsstraßen wurden immer leerer. Und bald lagen sie wie ausgestorben da. Hier wohnte man nicht mehr, sondern über den Geschäften waren nur Büros und Versicherungen.

»Suchen wir noch ein Lokal auf und essen zu Abend, und dann dampfen wir wieder ab.«

»Fein, dann kann ich noch ein paar Kunden bedienen«, sagte,die Bohnenstange. »Jetzt fällt mir nämlich ein, dass ich für heute welche bestellt habe.«

Mit den Tischsitten war selbst Tiger-Lilly nicht so gut vertraut, und da sie sich nicht vor den andern blamieren wollte, suchte sie ein einfaches, aber gutbürgerliches Lokal auf. Es nannte sich »Zum Auerhahn«. Es war rustikal eingerichtet, mit vielen kleinen gemütlichen Nischen.

Für gewöhnlich suchten sie nur Eckkneipen auf oder Bars, und dort ging es nicht so zu wie hier. Zuerst fühlten sie sich ein wenig befangen. Aber sie hatten an diesem Tag schon so vieles gemeistert, so würden sie das auch noch schaffen. Und wenn es ums Essen ging, dann war Muttchen nicht mehr zu bremsen. Wie ein Frachtschiff bahnte sie sich einen Weg und fand auch auf Anhieb eine Nische, die noch frei war.

»Kommt hierher, hier ist Platz für uns alle.«

Ihre Stimme schallte durch das Lokal, und erstaunt drehte man sich nach ihr um, als man aber eine so elegante und teuer gekleidete Dame entdeckte, sagte man nichts mehr, sondern hielt das für eine Marotte. Kleider machen eben Leute.

Sie erregten in der Tat einiges Aufsehen, besonders Tiger-Lilly, denn sie sah einfach hinreißend und schick aus. Wie die Tochter der Dicken. Und bestimmt waren sie begütert. Der Stoff von erlesener Qualität, das sah man sogar hier im dämmrigen Licht sofort.

Gegenüber ihrer Nische war eine andere, dort saßen zwei junge Männer, einer blond und der andere dunkel. Sie blickten ununterbrochen zu ihnen herüber. Lilly war es ja eigentlich gewöhnt, angestarrt zu werden. Aber hier war ihr das doch ein wenig peinlich. Und sie wollten doch kein Aufsehen erregen.

»Muttchen, sollen wir nicht lieber nach Hause gehen? «

Muttchen aber hatte gutes Essen gewittert, und nur ein Erdbeben hätte sie jetzt noch aus dem Lokal bringen können.

»Du bleibst hübsch hier, min Deern. Nun hab’ ich alles getan, was du wolltest, jetzt musst du tun, was ich will.«

»Ich habe auch Hunger«, sagte Gerda.

So musste sie sich also fügen. Unter ihren langen, aber echten Wimpern schielte sie hin und wieder zum Nachbartisch hinüber. Die beiden Männer blickten sie noch immer bewundernd an.

»Mir ist richtig mulmig«, brummte sie zu Muttchen hinüber.

»Was ist denn los?«, wollte diese wissen und tauchte hinter der großen Speisekarte hervor.

»Dort drüben die Männer starren mich so an. «

Sie prustete und steckte schnell ihren Kopf wieder weg. »Mann, und ich dachte schon, es sei was Schlimmes passiert. Bist es doch gewöhnt, oder?«

Von ihr hatte sie also keine Hilfe zu erwarten. Lilly fühlte sich richtig unbehaglich. Aber dann sagte sie sich: Also, die können mich mal, ich kann hier sitzen, solange es mir passt. Denn sie war der Ansicht, dass man sich wiedererkannt hatte. Wie viele Männer waren Nacht für Nacht im Hof, die sie nicht bediente, die sie aber sahen und somit wussten, was sie von Beruf war.

Lange saß sie wie auf heißen Kohlen, aber als sich nichts tat, da wurde sie auch ruhiger. Die Männer erhielten ihr Essen und mussten sich jetzt darum kümmern. Muttchen hatte gründlich gewählt, und das für sie alle. Zu trinken bekamen sie Bier. Und es schmeckte ihnen wirklich. So ein kühles und frisches Bier hatten sie schon eine Ewigkeit nicht mehr bekommen. Ewald, der Wirt an der Ecke, sollte mal hierher gehen und sich ein Bier bestellen, dann würde er ihnen nicht mehr so eine Brühe vorsetzen.

Noch einmal unterhielten sie sich über den Einkauf und wurden dabei recht fröhlich. Und das Bier, weil es eben so gut schmeckte, wurde fleißig konsumiert. Der Kellner konnte es gar nicht so schnell anschleppen, wie sie danach verlangten.

Gesättigt lehnte sich Carola zurück. Sie hatte einen seligen Ausdruck auf den Zügen.

»Ich hab’s«, sagte sie ganz plötzlich.

»Was denn?«, wollten die beiden wissen.

»Wir machen ein Speiselokal auf.«

»Dann bist du unser bester Kunde, und wir verdienen nichts«, sagte Linda.

»Aber hübsch wäre es doch, oder?«

»Wir könnten ja ein Heim für kranke Dirnen aufmachen«, wisperte Gerda und kicherte.

Linda blickte schnell zur Seite. Nein, man hatte nichts gehört.

»Bist du verrückt, hier darüber zu sprechen«, zischte sie zurück.

»Die Idee ist eigentlich nicht schlecht«, brummte Muttchen. »Nicht gerade für kranke, aber für geschaffte. Wenn wir Urlaub machen wollen, ist das immer so eine Sache. Man getraut sich ja nirgends hin. Und wenn wir jetzt wirklich irgendwo so ein Haus aufmachen, natürlich müssen sie ordentlich blechen, was meinst du, welchen Zulauf wir dann haben!«

Es war wirklich so. Linda dachte nach, aber sie hatte schon so viel Bier getrunken, dass sie keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Muttchen wedelte mit dem Arm herum und war auch nicht mehr ganz nüchtern, und dann passierte es. Das Bierglas, das vor ihr stand, kippte um, und der ganze Inhalt ergoss sich über das blütenweiße Tischtuch. Die drei Dirnen waren für einen Augenblick wie erstarrt. Sie konnten gar nichts anderes tun, als auf die Lache zu blicken.

Da war auch schon der junge Mann von der gegenüberliegenden Nische aufgesprungen. Er hob mit der einen Hand das Tischtuch hoch, so dass nichts herunterlaufen konnte. Mit der anderen Hand tupfte er seine Serviette in die Bierlache und saugte sie auf. Zugleich rief er nach dem Kellner.

»Meine Damen, das haben wir gleich. Das Unglück ist schnell beseitigt«, sprach er auf die drei ein.

Da kam auch schon der Kellner mit einem frischen Tischtuch, und ehe sich Linda, Gerda und Carola versahen, war der Schaden schon wieder behoben. Dank der schnellen Hilfe von nebenan war auch Carolas Kostüm gerettet worden.

Tiger-Lilly fing sich als erste und brachte ein hilfloses Lächeln zustande. »Das ist wirklich nett von Ihnen«, stotterte sie verlegen.

»Aber bitte sehr, das habe ich doch gern getan«, sagte der junge Mann.

Lilly aber starrte ihn nur weiterhin an, und weil sie nichts sagte, ihn auch nicht aufforderte, an ihrem Tisch Platz zu nehmen, so musste er sich wieder entfernen, obgleich er den ganzen Abend darüber nachgegrübelt hatte, wie er mit diesem entzückenden Mädchen in Kontakt treten könnte, ohne aufdringlich zu wirken. Das Malheur hatte er buchstäblich kommen sehen, weil er sie ständig im Blickwinkel gehabt hatte, und darum hatte er so schnell schalten können.

Als er an seinem Platz zurückkam, sagte sein Freund neckend: »Bist du abgeblitzt? «

Er brummte sich etwas in den Bart. Der Freund konnte nichts verstehen.

Lilly war noch immer ganz verdattert.

Sie hätte dem jungen Mann noch gern richtig gedankt, aber sie wusste einfach nicht, dass er so handeln musste. Von den Anstandsregeln wusste sie bitter wenig. Jetzt spürte sie instinktiv, dass sie etwas falsch gemacht hatte. Und sie wollte sich als Lehrmeisterin ausgeben. Hinzu kam noch, dass sie sich völlig hilflos fühlte, weil es das erste Mal war, dass sich ein Mann ihr gegenüber höflich, gesittet und nett benahm. Das warf sie einfach um. Bis jetzt kannte sie nur die Kunden. Entweder waren sie zu zutraulich oder auch schnoddrig und hochnäsig oder wahnsinnig schüchtern, die knechtete sie dann auch gründlich.

Linda war in keinem sehr gutem Milieu aufgewachsen. Der Vater trank, und die Mutter war eine Schlampe. Es war nie genug Geld vorhanden gewesen. Sie war zwar eine der Besten in der Schule gewesen, und dank der netten Lehrerin hatte sie dann auch eine Anstellung in einem Büro erhalten. Aber da war sie schon überall angeeckt, und man hatte sie ständig gehänselt und ausgelacht, statt ihr zu sagen, wie man es eben richtig macht. Und dieses Auslachen hatte sie dann so verbittert werden lassen. Damals, als ganz junges Ding, hatte sie sich leidenschaftlich geschworen: Eines Tages bin ich reich, und dann lacht keiner mehr über mich. Eines Tages komme ich überall hin.

So hatte sie die Stelle einfach aufgegeben und war dann durch Zufall mit ein paar Dirnen zusammengekommen. Da hatte sie gewusst, nur hier konnte man schnell reich werden, und das aber auch nur, wenn man zäh war und einen festen Willen hatte. So war sie ins Silo gekommen und hatte die andern beiden kennengelernt. Um ihre Eltern hatte sie sich nie mehr gekümmert, die Eltern auch nicht um sie. Sie hing wie eine Klette an Carola und Gerda, diese spürten es nur nicht. Linda wusste ganz genau, wenn man sie verstieß, würde sie den Boden unter den Füßen verlieren.

Als das Bierglas umgekippt war, war sie tödlich erschrocken gewesen. Sie hatte wahnsinnige Angst gehabt, man würde sie hinauswerfen, so wie man es immer mit Nutten machte, wenn man sie erkannte. Der Tag war so erfreulich verlaufen, und jetzt der tiefe Fall!

Die Bohnenstange und Muttchen hatten sich längst beruhigt. Tiger-Lilly wurde von Muttchen angestoßen.

»Dein Held und Anbeter verlässt das Lokal«, wisperte sie ihr zu.

Sie hob ruckartig den Kopf.

Der dunkelhaarige Mann blickte zu ihr herüber. Er hatte so traurige Augen, und sie spürte, dass er ihr etwas sagen wollte, aber er tat es natürlich nicht, und so lächelten sie sich nur an. Dann war er auch schon an ihrem Tisch vorbei und zur Tür hinaus.

»Das war mal ein Kavalier«, sagte Muttchen.

Lilly blickte die leere Nische an und hatte ein ganz komisches Gefühl. Da er jetzt nicht mehr da war, hatte sie auch keine Lust mehr, und wenn sie noch länger blieben, würde Muttchen noch mehr trinken, und wenn sie betrunken war, würde sie anfangen, anrüchige Lieder zu singen.

»Kommt, gehen wir nach Hause«, sagte sie.

»Och, jetzt, wo es so schön geworden ist«, maulte Gerda.

»Ihr könnt ja noch bleiben, aber ich habe es satt.«

Dann zahlten sie, nahmen ihre vielen Schuhpakete auf und stiefelten los. Draußen war es mittlerweile ganz dunkel geworden. Die Hoffnung, das sie den jungen Mann noch draußen treffen würde, erfüllte sich nicht. Ziemlich schweigend saß sie dann im Taxi. Bis zu einer bestimmten Straße ließen sie sich bringen, gingen jedoch das letzte Stück Wegs zu Fuß. Sie wollten eben nicht als Dirnen erkannt werden.

Auf der Straße war schon hektischer Betrieb. Muttchen und Gerda waren so in Fahrt, dass sie gleich anfangen wollten.

»Kommst du auch runter, Tiger-Lilly?«

Für einen Augenblick zögerte sie. Sie fühlte sich erbärmlich, aber wenn man sie gefragt hätte, wovon das käme, hätte sie auch keine Antwort geben können. Allein oben im Zimmer würde sie bestimmt einen Moralischen bekommen und Tabletten nehmen.

»Ich zieh mich nur um, und dann komm ich ’runter«, sagte sie und schlüpfte zur Tür hinaus.

»Die hat doch was«, brummte Carola zu Gerda. »Merkst du das nicht? Oder bin ich schon besoffen? «

»Anders ist sie, das hab’ ich auch bemerkt. Haben wir sie vielleicht geärgert?«

»Quatsch doch keine Opern«, meinte Muttchen. »Mann, hab’ ich gut gegessen, also der Vorschlag von Lilly war wirklich prima. Das müssen wir unbedingt wiederholen.«

»Als nächstes kommt das Theater dran«, kicherte Gerda.

»Kann man da fein essen?«, fragte die dicke Dirne.

»Bist du bekloppt, das ist doch kein Lokal, da kannste in der Pause vielleicht ein bisschen trinken, ich weiß das von früher. Aber meistens musste aufs Klo, und wenn du das geschafft hast, dann klingelt es schon wieder, und du musst auf deinen Platz zurück.«

»Wenn das so ist, dann nehm ich mir ein Stullenpaket mit«, sagte Carola resolut.

»Du blöde Tüte, die skalpieren dich schon, wenn du nur mit einem Bonbonpapier raschelst.«

Sie sprachen noch ein wenig miteinander, und dann ging jede auf ihr Zimmer.

Sag der Straße der Sünde auf Wiedersehen! 3 mitreißende Romane

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