Читать книгу Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht - Gabriele Bergfelder-Boos - Страница 9
2.1.1 Die Ausgangssituation und ihre Folgen für das Forschungsprojekt
ОглавлениеAm Anfang des Forschungsprojekts standen, wie bereits ausgeführt, zum einen die Begegnung mit der Erzählerin Marie-Célie Agnant, zum anderen meine Tätigkeit als Leiterin und Dozentin von zwei aufeinander folgenden berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengängen Französisch für Lehrkräfte der Berliner Schule von 2004-2007 und 2005- 2008. Diese Situation bot die Chance eines direkten Zugangs zum Forschungsfeld Schule, denn die Weiterbildungsstudierenden waren während ihres Studiums weiterhin als Lehrkräfte tätig. Der Französischunterricht ihrer Lerngruppen bot sich den Weiterbildungsstudierenden als Experimentierfeld für Erzählprojekte an, für mich als Beobachterin der Erzählprojekte konnte er zum Forschungsfeld meiner Studie werden.
Die Weiterbildungssituation bot weitere Vorteile. Sie eröffnete Möglichkeiten, Forschung und Lehrkräftebildung sowie Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen. Diese Verbindung konnte über das Erzählen als Gegenstand fachwissenschaftlicher Forschung und als Gegenstand und Kompetenzziel des Fremdsprachenunterrichts hergestellt werden – ganz im Sinne einer Transformation fachwissenschaftlicher Inhalte in fachdidaktische und unterrichtspraktische Fragestellungen, wie sie Steinbrügge als Aufgabe universitärer fachdidaktischer Lehre einfordert: als einen „Versuch, die Wissensbestände der Disziplin für die Schule nicht didaktisch zu reduzieren, sondern zu transformieren“ (Steinbrügge 2008: 17). Dies kann realisiert werden anhand von „Inhalten, die sich an schulische Lernziele und zu vermittelnde Kompetenzen anbinden lassen“ (Steinbrügge 2008: 18). Auf diesem Wege konnten die Studierenden einerseits am Forschungsprozess der Forscherin partizipieren und andererseits forschendes Lernen praktisch erproben.
Diese für beide Seiten profitable Situation birgt jedoch auch Gefahren für den Forschungskontext in sich. In actu kann sich eine Vermischung der Arbeitsgebiete, der Verantwortlichkeiten und der Interessen der am Forschungsprozess Beteiligten ergeben. Diese Situation zu meistern wird sich mir als forschungsethische und -methodische Aufgabe stellen. Die von mir zur Lösung des Problems eingesetzten Strategien werde ich im Zusammenhang mit den Erläuterungen zum Weiterbildungs- und Forschungskontext (Kap. 2.2 und Kap. 8.1) vorstellen.
Die Weiterbildungssituation trug einen weiteren problematischen Aspekt in sich. Ich musste mich sofort entscheiden und mit der Projektplanung beginnen, denn die Weiterbildungsstudiengänge waren zeitlich begrenzt. Ich entschloss mich, den ersten Weiterbildungskurs (2004-2007) für ein Pilotprojekt zu nutzen. Die Rahmenbedingungen dieses ersten Studiengangs erwiesen sich jedoch nicht als durchweg projektförderlich. Das Fehlen eines unterrichtspraktischen und fachdidaktischen Lernbereichs in der Studienordnung und die hohe Arbeitsbelastung der studierenden Lehrkräfte brachten es mit sich, dass ein kontinuierliches, verlässliches und motiviertes Arbeiten nur teilweise zu realisieren war. Diese und andere Voraussetzungen, u.a. meine zum damaligen Zeitpunkt noch nicht weit entwickelten Vorstellungen von einem systematischen Umgang mit empirischen Daten, waren verantwortlich dafür, dass ich aus dem Pilotprojekt zwar Ideen zur Ausarbeitung einer Studie entwickeln und die ‚Stolpersteine‘ des partizipatorischen Ansatzes absehen konnte, aber nicht genügend Möglichkeiten zur Erprobung der Datenerhebung und -auswertung hatte. Die Lehrkräfte setzten sich intensiv mit dem narrativen Ansatz der Fachdidaktik und der Erzählpädagogik, insbesondere mit den Videoaufnahmen der von Marie-Célie Agnant gehaltenen Erzählstunden und der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie auseinander. Sie waren jedoch lediglich bereit, Unterrichtsstunden zu entwerfen und zu diskutieren, nicht aber sie durchzuführen. Auch wollten sie keine Videoaufnahmen ihres eigenen Erzählens zulassen. Aus dem Pilotprojekt ergab sich als erste Konsequenz eine Veränderung des Studienplans (Kap. 8.1.1) und des von mir verantworteten Lernbereichs, was ein höheres Maß an Verbindlichkeit erbrachte. Als zweite Konsequenz für den Forschungskontext wurden bereits im Vorfeld Verantwortlichkeiten geklärt und Verabredungen getroffen (Kap. 8.1.2).
Die Entscheidung für das Projekt war getroffen. Einen weiteren, wesentlichen Faktor hatte ich jedoch übersehen. Ich hatte keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Datenerhebung. Die Erzählprojekte waren zu Beginn des Studiengangs im Kontext der vorgesehenen Lehrveranstaltungen durchzuführen. Es blieb keine Zeit für meine eigene intensive Auseinandersetzung mit den neueren, von mir zur Lektüre vorgesehenen wissenschaftlichen Ansätzen. Bei Durchsicht des Materials wurde mir klar, dass ich den performativen Aspekt der in den Erzählprojekten vorgeführten narrativen Aktivitäten nicht ohne eingehendes Studium des Performativen, seiner Theorie und seiner Analyseinstrumente analysieren konnte. Weitere Theoriearbeit war notwendig. Aus den genannten Gründen ergibt sich als dritte Konsequenz der Ausgangslage ein spiralförmiger Verlauf des Forschungsprozesses, in dem Phasen der Feldbeobachtung, der Datenerhebung, der Theoriebildung und der Datenauswertung aufeinander folgen und sich auseinander ergeben. Auf dieselbe Weise veränderten sich Zielsetzungen und Gesamtkonzeption der Studie. Deren endgültige Fassung wird im Folgenden dargestellt.