Читать книгу Der schwarze Mond - Gabriele Beyerlein - Страница 4
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Оглавление„Willst du wirklich deine Lego-Eisenbahn auf dem Flohmarkt verkaufen?“, hat Mama gefragt und mich zweifelnd angesehen.
„Was soll ich denn machen, wenn mein Zimmer in diesem blöden Haus hier zu klein ist, um Eisenbahn zu spielen!“, habe ich geantwortet und meine Loks und Waggons in die Kiste gepackt.
„Hör mal, Jens, lass uns darüber nochmal reden“, hat sie gesagt, aber ich hab meine Kiste genommen und bin damit zu meinem Fahrrad gegangen. Damit meine Eltern wenigstens einmal merken, was sie mir angetan haben.
Doch wie meine Züge da jetzt so vor mir auf der Decke mitten auf dem Rathausplatz stehen, auf dem der Flohmarkt stattfindet, merke ich, dass ich es nicht kann: sie verkaufen. Ein Mädchen bleibt vor meiner Decke stehen und fragt, was eine Lok kostet. Schnell nenne ich einen Preis, der höher als eine neue Lok ist, und sie tippt sich an die Stirn und geht weiter zu dem dürren weißhaarigen Mann neben mir. Rollenspiel-Sachen bietet der an: Kettenhemden wie von Ritterrüstungen aus dem Mittelalter, Schwerter und Dolche, die echt aussehen, aber nur aus Kunststoff oder so was sind, und merkwürdige Hüte und Umhänge, wie ich sie von Flo kenne, Peters großem Bruder.
Flo ist bei einer Gruppe, die Live-Rollenspiele macht, richtig echte Abenteuer in Kostümen mit Kämpfen und allem. Aber manchmal spielen sie auch Rollenspiel-Abenteuer aus einem Heft, nur in der Phantasie und mit Würfeln. Am Anfang der Ferien, als seine Freunde alle verreist waren, hat er uns die Regeln beigebracht, wie man das macht. Er war der Meister, der die Aufgabe stellt und aus dem Heft die Geschichte kennt und die Personen spielt, denen die Helden im Abenteuer begegnen. Wir haben uns aussuchen können, was für Typen wir sein wollten, und haben nach den Regeln und mit Würfeln unsere Charaktere erstellt, das heißt festgelegt, wie wir so sind und was wir können und was nicht. Ich war ein Streuner in zerlumpten Kleidern und konnte klauen, ohne dass es jemand gemerkt hat, und mit dem Dolch kämpfen oder von hinten einem eins überbraten und ganz klasse die Leute reinlegen mit den tollsten Taschenspielertricks und kannte keine Skrupel. Ein ziemlich fieser Charakter, aber es war lustig, ihn zu spielen und zu tun, als wäre man so.Wir haben uns gegenseitig erzählt, was wir machen, und versucht, unsere Aufgabe gemeinsam zu lösen. In einem Land, in dem es so ähnlich zuging wie im Mittelalter – nur irgendwie magischer, mit Elfen, Zwergen und Zauber und so –, mussten wir den Stein der Weisen finden und eine Stadt befreien, und ob wir beim Kämpfen gewonnen haben, hing von unseren Stärkepunkten und unserer Geschicklichkeit ab und von unserem Glück beim Würfeln. Aber als wir mittendrin waren und es so richtig Spaß gemacht hat, bin ich weggezogen.
Drei Jungen bleiben bei dem alten Mann vor dem Stand stehen und scheinen ganz begeistert zu sein. Einer von ihnen ist der Blonde mit der Narbe, die beiden anderen habe ich mit ihm im Schwimmbad gesehen, nur der vierte fehlt. „Cool!“, sagt der Blonde mit der Narbe. Er nimmt ein Schwert, fuchtelt damit in der Luft herum und tut so, als wollte er seinem rothaarigen Freund den Kopf abschlagen. „Krass! Genau das, was ich brauche!“
„Heh, eine echte Gauklermütze für mich!“, sagt der dritte und zieht sich ein buntes Ding mit mehreren Zipfeln und Schellen über den Kopf.
Der Rothaarige mit den vielen Sommersprossen greift nach einem Bogen und Pfeilen mit Saugnäpfen statt Pfeilspitzen: „Und das wäre das Richtige für mich! Was kostet das?“
„Das Schwert ist für 40 Mark zu erstehen, Pfeile und Bogen für 50 Mark, die Mütze für 20“, erklärt der Alte.
„Schade, das können wir uns nicht leisten!“, seufzt der Blonde und reibt seine Narbe zwischen Zeige- und Mittelfinger, das scheint so eine Angewohnheit von ihm zu sein. Die anderen nicken und wiederholen: „Schade!“
Der Alte beobachtet die drei ziemlich scharf, wie sie mit den Sachen herummachen. Dann scheint er zu überlegen. Er kratzt sich am Ohr. Merkwürdige Ohren hat der, irgendwie so spitz. „Ihr seid begierig, die Dinge zu erstehen?“, fragt er.
Sie nicken und sagen, dass sie Rollenspieler sind.
„Rollenspieler?“, wiederholt der Mann, als hätte er das Wort noch nie gehört.
„Klar“, sagen alle wie aus einem Mund und nicken wieder. Und der mit der Narbe stellt vor: „Ich bin ein Krieger und der da ist ein Gaukler und der ist ein Jäger. Wir haben auch einen Magier in unserer Gruppe, aber bei unserem jetzigen Abenteuer macht er den Meister, der nicht mitspielt, sondern alles anleitet, und heute ist er nicht da, weil er im Euro-Disney-Land in Paris ist.“
„Der Ärmste“, kommentiert der mit der Gauklermütze und grinst.
„Bisher haben wir nur nach Heften und mit Würfel gespielt, doch wir würden auch gerne Kostüme und Waffen haben, die zu unseren Rollen passen. Aber bei den Preisen ...“
Der Alte schaut sie noch einmal so seltsam an. „Aufgemerkt! Ich gebe euch die Gegenstände wohlfeil für den halben Preis! Und die Kugel hier überlasse ich euch für eueren Magier. Als magische Kugel!“ Damit hält er ihnen eine Glaskugel hin.
Der hat vielleicht eine komische Art zu reden!
„Krass!“, sagen die Jungen und „Stark!“ und „Danke!“
Ich hätte ja alles für möglich gehalten, aber nicht, dass der Alte so nett ist und ihnen sogar noch etwas schenkt.
Ein Krieger, ein Jäger und ein Gaukler. Vielleicht könnten sie noch einen Streuner brauchen in ihrer Gruppe?
Der Alte drückt den Jungen die Sachen in die Hand und als sie fragen, was man mit einer magischen Kugel macht, lächelt er ganz merkwürdig und erklärt: „Begebt euch an einen verborgenen, geheimen Ort, dort reibt die Kugel und dreht sie dreimal“ Die Jungen tun so, als wäre es ihnen ganz ernst damit. Dann zahlen sie und gehen zu ihren Fahrrädern.
Der alte Mann schaut ihnen lange nach, mit so einem merkwürdigen Lächeln um den Mund. Dann sieht er mich an. Er hat sehr helle, durchdringende Augen. Und einen Blick ...
Plötzlich kriege ich eine Gänsehaut. Und schaudere zusammen. Ich glaube, es war doch kein guter Kauf, den die Jungen gemacht haben.
„Was kostet denn deine Lego-Eisenbahn?“, fragt mich eine Frau. An ihrer Hand zappelt ein kleiner Junge herum.
„Die ist schon verkauft“, antworte ich, lege die Sachen schnell in meinen Karton zurück, raffe die Decke zusammen und renne zu meinem Fahrrad. Die Jungen radeln eben um die Ecke des Platzes davon. Ich zurre die Kiste auf dem Gepäckträger fest und fahre auch los. Ich trete fest in die Pedale. Tatsächlich, da vorn sind sie. Sie fahren immer geradeaus, am Schwimmbad und unseren Reihenhäusern vorbei und dann den Weg in den Wald.
Ein paar Minuten fahren sie durch den Wald, ich mit großem Abstand hinterher. Sie halten bei einer alten runden Mauer etwas abseits vom Weg an und verstecken ihre Fahrräder so im Gebüsch, dass man absolut nichts von ihnen sehen kann. Dann verschwinden sie hinter der Mauer. Das Schwert, die Mütze, Pfeil und Bogen und die Kugel haben sie mitgenommen.
Ich steige vom Fahrrad und warte. Ich kenn die Stelle dort vorn. Ein bisschen unheimlich ist sie: ein alter Brunnen, in den man auf einer Steintreppe wie in einen dunklen Turm hinabsteigen kann, und unten ist eine kleine Quelle, aus der aber fast kein Wasser kommt.
Soll ich zu ihnen hingehen und ihnen sagen, dass ich gern mitspielen würde? Aber sie sind längst mitten in einem Abenteuer. Und sie sind untereinander alle befreundet und warten nicht gerade auf mich. Und wollen nicht entdeckt werden, sonst hätten sie ja ihre Räder nicht so gut versteckt. Da kann ich doch nicht einfach in den Brunnen runtersteigen und sagen: Hallo, ich komm grad so zufällig hier vorbei und zufällig möchte ich gern mitspielen ...
Ich drehe mein Rad wieder um und fahre heim.
Die Lego-Eisenbahn verstecke ich in der Garage. Damit ich meinen Eltern sagen kann, ich hätte sie wirklich verkauft. Damit sie ein schlechtes Gewissen kriegen wegen dem Zimmer und dem Umzug. Endlich einmal.