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ОглавлениеIch wache auf mit dem Gefühl, dass ich etwas gehört habe. Ich lausche. Es ist still. Durch das Dreieck der Giebelöffnung sehe ich ein paar Sterne.
Da – leise Stimmen.
Plötzlich bin ich hellwach. Sind das etwa die Elfen?
Ich spähe zwischen zwei Balken hinaus. Fackeln brennen, eine vor dem Haus und eine am Brunnen. Neben dem Brunnen sehe ich ein Pferd und daneben den Medicus im Gespräch mit einem Ritter. Der trägt eine silbern glänzende Rüstung und ein riesiges Schwert. Seinen Helm hat er sich unter den Arm geklemmt. Wie er den Kopf reckt, richtig hochmütig!
„... Erkundigungen eingezogen“, sagt der Medicus. „Es soll sich um einen sehr starken Krieger handeln sowie um einen Jäger und einen Gaukler.“
Der andere lacht verächtlich: „Und das sollen die Helden der Königin sein, die mir gefährlich werden könnten?! Ein Gaukler! Ist Ihm entfallen, dass Er selbst mir vor Jahren versicherte, die Herrschaft meines Geschlechtes werde kein Ende haben, solange nicht der Tag zur Nacht werde?“
„So sah ich es im Wasserspiegel. Dennoch, mein Herzog, seid gewarnt!“
Ich glaube, ich falle tot um! Der Mann, der da mit dem Medicus auf dem Hof steht, ist der Herzog, der Herzog persönlich! Und der Medicus kennt ihn gut und verrät ihm das von den drei Helden, was er von den Frauen gehört hat!
Warum hat er mich so angelogen und behauptet, er würde den Herzog nicht kennen und müsste erst um eine Audienz bei ihm bitten? Und was soll das mit dem Wasserspiegel, was kann man da schon sehen?
Nun gehen die beiden im Hof auf und ab, ich kann nicht mehr hören, was sie reden, die Rüstung des Herzogs klirrt bei jedem Schritt, nur ein Wort kann ich verstehen: Aribor.
Der Herzog bleibt stehen, und ich höre den Medicus sagen: „Warum musstet Ihr auch den weißen Hirsch jagen und ...“
„Seiner Vorwürfe habe ich genug!“, fährt ihn der Herzog an. „Weiß Er nicht, zu wem Er spricht?! Erstatte Er mir Bericht von dem Knaben! Oder besteht die Möglichkeit, dass dieser uns belauscht?“
Der Medicus schnaubt verächtlich. „Für wen haltet Ihr mich! Der Knabe hört uns nicht. Ich mischte ihm in Erwartung Euerer Hoheit einen Schlaftrunk ins Bier und überzeugte mich vor Euerer Ankunft, dass der Krug geleert ist!“
Beinahe hätte ich aufgeschrien. Ich presse beide Hände vor den Mund. Das war es also, ich habe doch geahnt, dass mit dem Bier etwas nicht stimmt!
„Ist Er gewiss, dass dieser Knabe derjenige ist, auf den das Volk der Königin seine Hoffnung setzt?“, fragt der Herzog. „Denn wenn Er mich täuscht –“
„Zweifelt Ihr an Euerem eigenen Magier?“, fällt ihm der Medicus ins Wort und seine Stimme klingt auf einmal scharf und zornig. „Oder wagt Ihr mir zu drohen?“
Magier? Soll das etwa bedeuten, dass der Medicus selber der Magier ist? Das darf doch nicht wahr sein, ich muss mich getäuscht haben! Aber wie er mit dem Herzog umspringt! Er putzt ihn richtig runter: „Habt Ihr vergessen, wem Ihr Euere Macht verdankt?! Wer dafür sorgt, dass die schwarzen Krieger Euch willfährig sind?! Wer Euch die Geheimnisse der Leute zuträgt, die sie keinem anderen offenbaren würden als dem Arzt ihres Vertrauens?! Lasst Euch gesagt sein, ich bedarf Euerer nicht! Meine Dienste werden anderen Ortes geschätzt.“ Damit dreht er dem Herzog den Rücken und geht einfach weg, auf meinen Speicher zu.
Wenn er jetzt reinkommt, wenn er sieht, dass ich nicht schlafe! Ich muss mich hinlegen, die Augen zumachen, aber ich kann mich nicht rühren, ich kann nicht –
Der Herzog geht dem Medicus nach, legt ihm seine Hand in dem silbernen Panzerhandschuh auf die Schulter. „Es stand nicht in meiner Absicht, Ihn zu kränken, Meister“, versichert der Herzog. „Lasse Er sich versöhnen! Ich hege nicht den mindesten Zweifel an den Fähigkeiten meines großen Magiers.“
Der Medicus bleibt stehen und wendet sich wieder dem Herzog zu, nicht weiter als zwei, drei Meter von mir entfernt.
Ich presse die Faust vor den Mund, schlage meine Zähne hinein. Keinen Laut darf ich von mir geben, nicht den allerkleinsten!
„Das will ich meinen! Seid versichert, ich habe die Machenschaften des Elfen durchschaut“, sagt der Medicus, und nun klingt seine Stimme wieder beherrscht. „Ich sah die Ankunft dieses Knaben vorher. Doch Aribor ist sehr geschickt. Ein würdiger Gegner, fürwahr! Er trübte mein magisches Auge durch Nebel, sodass ich nicht sehen konnte, wie der Junge hier eintraf, und er führte ihn durch seine tierischen Begleiter geradewegs zu der Höhle der Knaben. Aber ich erkannte seine Absicht noch zur rechten Zeit, brachte den Knaben in meine Gewalt und setzte Aribor mit einem Kampfzauber außer Gefecht. Der Knabe vertraut mir blind. Und es besteht kein Zweifel: Er ist es, den Aribor herbeiwünschte, damit die Prophezeiung sich erfülle. Bedenkt, wenn er zu den Zwillingen vordränge! Wenn Euere schwarzen Krieger gar ...“
„Das muss Er mir nicht erklären! Wo ist der Knabe? Ich werde ihn auf der Stelle töten!“
Mich – töten?!
Ich habe das Gefühl, der Boden beginnt zu schwanken. Ich halte mich an der Wand fest. Mein Herz tobt so, dass ich glaube, es zerreißt mich. Dennoch höre ich jedes Wort, das da draußen gesprochen wird, höre es viel lauter als normal und wie in Zeitlupe.
„Wie Ihr wollt“, sagt der Medicus ungerührt. „Allerdings gäbe es auch die Möglichkeit, ihn am Leben zu lassen und für unsere Zwecke nutzbar zu machen, sodass er für das Volk der Königin zur letzten Fessel der Unterdrückung wird.“
„Er meint, ich soll ihm die gleiche Behandlung zukommen lassen wie den anderen Knaben?“, fragt der Herzog.
„So viel Zeit bleibt nicht. Aber mir sind Mittel und Wege bekannt ...“ Der Medicus lacht. Es ist ein schreckliches Lachen.
Und plötzlich wird es in mir ganz kalt. Als wär es gar nicht mehr ich, der hier steht und das alles hört. Als wär ich weit weg. Oder aus Stein.
„Daran zweifele ich nicht!“, erwidert der Herzog. „Aber welchen Plan verfolgt Er damit?“
„Wenn wir ihn zu Euerer willenlosen Puppe gemacht haben, schicken wir ihn in den Wald zurück. Zweifellos werden die Elfen ihn finden. Wenn Aribor ihn dann zur Königin geleitet – Die Königin wird ihm vertrauen und ihm die Losung offenbaren. Und das Volk wird ihm gläubig folgen. Er und die Zwillinge: zwei gewaltige Trümpfe in unserer Hand! Hinfort wird das Volk sich drängen, Euch seine Ergebenheit zu Füßen zu legen. So, mein Herzog, wird die Macht Eueres Geschlechtes nie ein Ende haben, bis der schwarze Mond die Sonne frisst.“
„Ich weiß Seine Pläne immer zu würdigen, Meister“, erwidert der Herzog. „Lasse Er weiter hören!“
„Gewiss, Hoheit. Doch es ist die Mitte der Nacht, und somit Zeit für das Orakel. Ihr hattet mir ausrichten lassen, dass Ihr heute Nacht meiner Dienste bedürft?“
„In der Tat! Er muss wissen, meine Wiedervermählung steht bevor.“
Der Medicus erwidert schroff: „So habt Ihr meinen Rat missachtet und Euch doch die schöne Eiline gefügig gemacht? Dieses Kind? Was bemüht Ihr meine Künste, wenn Ihr meinen Warnungen kein Gehör schenkt?!“
„Das lasse Er meine Sorge sein! Von Ihm begehre ich nicht mehr zu erfahren als die günstigste Stunde für die Zeugung eines Sohnes.“
„Nun denn, so sei es! Doch klagt mich dereinst nicht an, ich hätte Euch von dieser Hochzeit nicht abgeraten, für die ich nichts als Dunkelheit sah! Folgt mir in den Brunnen!“
Der Medicus dreht sich zum Brunnen um, murmelt etwas und macht mit seinem Stock ein Zeichen in die Luft. Da teilt sich die Mauer, die den Brunnenrand bildet, und eine Wendeltreppe wird sichtbar, die nach unten führt. Der Medicus und der Herzog gehen die Stufen hinunter. Dann schließt die Mauer sich wieder.
Ich bin immer noch aus Stein. Stehe da. Fühle nichts. Denke nichts. Eine Ewigkeit lang.
Aber dann, plötzlich, überstürzen sich meine Gedanken: Der Medicus ist der Magier – irgendwas geht hier vor, wobei ich eine Rolle spiele – sie bringen mich um oder sie machen etwas ganz Furchtbares mit mir – deshalb hat er mich eingesperrt – ich muss fliehen – was hat der Herzog gemeint mit der gleichen Behandlung und der Medicus mit seinen Mitteln und Wegen – wenn sie aus dem Brunnen zurückkommen, darf ich nicht mehr hier sein – aber wie – ich kann hier nicht raus, die Tür ist zu – warum hilft mir bloß keiner –
Ich renne in dem Speicher hin und her, stoße an Truhen, falle über einen Korb, raffe mich wieder auf, rüttle an der Tür, aber die ist zu, ich brauche ein Werkzeug, gibt es hier etwas, womit ich die Tür aufbrechen kann, aber es ist so finster, ich kann nichts sehen, kann nichts finden ...
Mein Gott, hilf mir doch!
Ich schau nach oben zu den Sternen durch das Dreieck im Giebel.
Die Giebelöffnung! Sie ist groß genug, dass ich hindurchkriechen kann!
Normalerweise würde ich mich nie trauen, da hinaufzuklettern, aber jetzt …
Ich kralle die Finger in die Spalten zwischen die Balken, dann die Zehen. Zieh mich ein Stück hinauf. Steige weiter.
Ich erreiche den Giebel, schiebe mich durch die Öffnung, drehe mich um, klettere außen wieder hinunter, springe das letzte Stück.
Lieber Gott, ich danke dir.