Читать книгу Ein Traummann zum Dessert - Gabriele Ketterl - Страница 6
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ОглавлениеTatsächlich, man mochte es kaum glauben, saß sie eine knappe halbe Stunde später auf ihrem Fensterplatz in der Maschine zum Flughafen Marco Polo in Venedig. Zu ihrem Leidwesen entpuppte sich der erhoffte knackige Italiener neben ihr als gestresste Mutter zweier Kinder, was sie dazu veranlasste, sich mit entschuldigendem Lächeln die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren zu stopfen. Diskussionen über Kindererziehung standen gerade nicht auf ihrer Wunschliste.
Ach ja, ihre Wunschliste. Lang war sie gewesen, und das schon während sie noch in München Grafik und Design studiert hatte. Damals siegte stets ihr Optimismus und so gelang es ihr tatsächlich, nach dem erfolgreichen Studium den Ausbildungsplatz bei Mick Forman zu ergattern. Eineinhalb Jahre unter der Fuchtel des Altmeisters der Fotografie vermittelten ihr Einblicke in eine Welt voller Techniken, Tricks und Kniffe, die sie selbst kaum hätte erlernen können und wenn, dann nur in jahrelanger Arbeit. Schon während der Ausbildung war sie Stefan über den Weg gelaufen, der beruflich in München war. Sich Hals über Kopf in den ebenso attraktiven wie eloquenten Mann zu verlieben war so einfach gewesen. Stefan mit seinen blonden Wuschelhaaren, den blauen und – zumindest damals – unternehmungslustig blitzenden Augen und dem durchtrainierten Körper war aber auch ein Hingucker. Von da an ging es stetig bergauf, vor allem beruflich. Eigentlich war sie immer der Meinung gewesen, dass das auch im privaten Bereich so war. Seit vergangener Nacht musste sie hier wohl geringfügig umdenken.
Die Maschine hob ab und flog eine letzte Runde über Berlin. Sophia erhaschte einen Blick auf den belebten Kudamm und den Grunewald. Wann sie wohl dort wieder ihre Joggingrunden drehen würde? Am Morgen war sie extra früh aufgestanden, um nicht in der Wohnung zu sein, wenn Stefan losmusste. Heute war Lagebesprechung in der Agentur, das hieß, Punkt neun Uhr mussten alle anwesend sein. Gute Ausgangsposition für ihr Vorhaben!
Schon letzte Nacht war alles, von dem sie auch nur annähernd glaubte, Verwendung dafür zu haben, in ihrem riesigen Rollkoffer gelandet. Normalerweise packte sie sehr ordentlich, aber dafür hatten gestern einfach Zeit und Nerven gefehlt. Wie hätte sie ihre Aktion auch erklären sollen, falls Signore Casanova doch vor Mitternacht nach Hause gekommen wäre? So waren der fertig gepackte Koffer im Keller und die Reisetasche unter ihrem Bett, als Stefan nach ein Uhr in der Nacht in die Wohnung geschlichen kam. Sich schlafend zu stellen war ihr ungeheuer schwergefallen. Eigentlich wäre sie ihm liebend gerne an die Gurgel gesprungen, das wäre jedoch ihren schönen Plänen gewiss abträglich gewesen.
Um kein Risiko einzugehen, war sie schon vor sieben Uhr zu ihrer Joggingrunde aufgebrochen. Es wurde eine ausnehmend lange Runde, denn irgendwie musste sie die eineinhalb Stunden, bis er auch sicher die Wohnung verlassen haben würde, ja totschlagen.
Es gelang gut, vor allem, da sie ihrem Ärger, ihrem Frust und der noch immer latent vorhandenen Mordlust so ein wenig davonlaufen konnte.
Als sie schweißgebadet und atemlos, aber mit wesentlich besserer Laune zurückkam, war Stefan erwartungsgemäß bereits weg. Noch vor zwei Jahren hätte er ihr wenigstens eine Nachricht hinterlassen, ein paar nette, liebe Worte – jetzt machte er nicht einmal mehr Kaffee. Nach einer ausgiebigen Dusche hatte sie fertig gepackt und wollte sich dann – pflichtbewusst wie immer – an die für den Folgetag fällige Präsentationsmappe setzen. Gerade noch rechtzeitig kam ihr in den Sinn, dass das eindeutig zu viel des Guten wäre, daher verwandte sie ihre Kreativität stattdessen auf ein besonderes Kunstwerk. Mit einer Riesentasse heißer Schokolade – ein wenig Nervennahrung musste erlaubt sein – setzte sie sich an den Küchentisch und zeichnete ein sehr lebendig gestaltetes Bild der Szene von letzter Nacht. Talent hatte sie schon immer und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch wurde es gleich noch einmal besser. Sie verwendete wirklich viel Liebe aufs Detail, so fehlte auch der rote Slip nicht und selbst Stefans leicht verkniffenes Gesicht gelang ausnehmend gut. Nach etwa einer Stunde war sie sehr zufrieden mit dem Ergebnis gewesen. Sogar die Mühe, einen passenden Rahmen für das Kunstwerk zu finden, hatte sie sich noch gemacht. So stand nun diese ausnehmend gut gelungene Malerei neben der unvollendeten Mappe auf dem Tisch in der Küche. Es gelang ihr auch noch, ihren Verlobungsring sehr dekorativ in diesem anmutigen Ensemble zu drapieren.
Schade eigentlich, dass sie Stefans Gesicht nicht würde sehen können, wenn nicht nur die Mappe unfertig herumläge, sondern auch sie selbst nicht aufzufinden sein würde. Einmal ganz zu schweigen von der wirklich plastischen Darstellung seiner nächtlichen Überstunden.
Um den schönen Ring tat es ihr ein wenig leid. Um ihn zu bekommen, hatte sie einiges auf sich genommen. Doch daran wollte Sophia gerade nicht denken, der Heiratsantrag war ein Kapitel, das sie ungern auch noch aufschlagen wollte.
Dankbar nahm sie das kalte Tonic entgegen, das die Stewardess ihr reichte. Drei Euro fünfzig waren für grob vier Schlucke Tonic zwar glatter Wucher, doch die latenten Kopfschmerzen wurden langsam störend und Tonic half ihr meistens. Neugierig blickte sie aus dem Fenster und stellte fest, dass sie bereits die Alpen überquerten. Gut, dass Venedig nicht am anderen Ende der Welt lag, ein langer Flug wäre sicher das Letzte, das sie heute noch durchgestanden hätte.
Während die Dame neben ihr wort- und gestenreich ihre Kinder für die Landung fixierte, genoss Sophia den Blick auf die sanften Hügel Venetiens. Sie liebte diese Gegend schon immer und der Vorteil von München, der Stadt, in der sie studiert hatte war seine Lage als nördlichste Stadt Italiens. Von Berlin, ihrer neuen Heimat, aus fuhr man leider nicht mal eben an den Gardasee zum Frühstücken.
Es war bereits dunkel, als sie landeten, und ein Blick auf ihr Handy zeigte an, dass es bereits halb elf war. Satte zwei Stunden zu spät, doch was sollte es? Saskia und Maurizio waren in Bologna und so musste niemand auf sie warten. Die zwei Stunden machten nun auch nichts mehr aus.
Dass sie damit gründlich falsch lag, dämmerte ihr spätestens, als sie am Hafen aus dem Zubringerbus stieg. Nicht nur, dass sie erst einmal einen Schalter für die Fähre zum Markusplatz suchen musste, da der am Bahnhof bereits geschlossen hatte, nein, auch die dort ausgehängten Pläne sahen wenig ermutigend aus. Ihnen zufolge ging die letzte Fähre um 23:40 Uhr. Das war übel, da es bereits 23:45 Uhr war.
Dem Herrn hinter der Glasscheibe mangelte es um diese Uhrzeit sichtlich an Motivation.
Obwohl sie umgehend ihr recht passables Italienisch wiederbelebte, zuckte der nur traurig die Schultern.
„Es tut mir wirklich leid, Signora, aber für heute geht keine Fähre mehr. Also keine offizielle.“
„Und was heißt das, keine offizielle?“
Sein Ton wurde noch einmal einen Hauch entschuldigender. „Wenn Sie Glück haben, finden Sie noch ein Privatboot, das zurückfährt. Ansonsten müssen Sie leider bis fünf Uhr warten.“
Die Aussicht, fünf Stunden in dem gigantischen, menschenleeren Gebäude zu verharren, behagte ihr überhaupt nicht. Bis auf ein paar Straßenreiniger und Angestellte der Tronchettos, der großen Fährschiffe, war niemand zu sehen. Prima, das war ja ein ermutigender Neustart.
Hoffnungsfroh wandte sie sich an den Mann, der bereits seine Dienstjacke auszog und damit eindeutig zu erkennen gab, dass er nun endlich verschwinden wollte. „Und was ist mit Taxis?“
Sein Blick war eine Mischung aus Mitleid und Ungeduld. „Signora, Venedig? Auf ein Wassertaxi warten Sie um diese Zeit hier drüben Stunden.“
„O ja, stimmt, da war doch was.“ Resigniert schulterte sie ihre Reisetasche und angelte nach dem Griff ihres Rollkoffers.
Das Mitleid schien dann doch zu überwiegen. „Wirklich, Signora, sehen Sie zu, dass Sie nach draußen kommen. Um diese Zeit sind oft noch Privatboote am hinteren Teil der Pier. Einfach geradeaus und dann immer links am Wasser entlang.“
Sophia nickte dankbar. „Gut, vielen Dank, dann versuche ich es.“
Angesichts ihres derzeitigen Karmas machte sie sich zwar keine übersteigerten Hoffnungen, aber einen Versuch war es allemal wert.
Wenn schon etwas schiefging, dann aber bitte gründlich. Die Räder ihres Koffers und das Pflaster hier am Hafen waren nicht wirklich kompatibel und so zerrte sie das schwere Teil zuckelnd und ruckelnd über den mit Steinen unterschiedlichster Größe gepflasterten Weg.
Verflucht noch eins! Eigentlich wollte sie nicht nach Venedig laufen, wie lang war denn diese Pier? Sie hob den Blick und erkannte zu ihrem Leidwesen: sehr lang! Zu allem Übel waren die Boote, die tatsächlich noch hier lagen, fest vertäut und verlassen. An dieser Pier wartete ganz sicher niemand mehr auf mögliche Passagiere. Mittlerweile klebte ihr, trotz der vom Wasser kommenden kühlen Brise, ihre Bluse klatschnass am Rücken. Schnaufend hielt sie an und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, was angesichts dieser Anstrengungen leichter gesagt als getan war.
Sophia beschloss, dass sie auch diesen Tag getrost in der Pfeife rauchen konnte. Sie ließ den Koffer los und strich sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht.