Читать книгу Ein Traummann zum Dessert - Gabriele Ketterl - Страница 9
5.
ОглавлениеDie Bäckerei erwies sich als ein Stück antikes Venedig. Dunkles Holz, blitzende Glasfronten, Kuchenplatten aus buntem Muranoglas, eine gigantische, fauchende Kaffeemaschine wie aus einem alten Cinecittà-Film und Auslagen, in denen alle Köstlichkeiten der italienischen Backkunst in gläsernen Schalen auf sie warteten. Sophia lief umgehend das Wasser im Munde zusammen und es fiel ihr nicht leicht, sich zu entscheiden. Letztendlich nahm sie zwei köstlich aussehende Schokocroissants und ein duftendes, mit Olivenöl gebackenes Brot. Sie hatte es eilig, zurück zum Haus zu kommen, bereitete sich zügig eine Kanne Kaffee, erhitzte Milch und mixte sich einen leckeren Milchkaffee. Sie setzte sich mit ihrer Beute in das Gärtchen hinter dem Haus und biss seufzend in das knusprige Gebäck. Die Croissants enttäuschten sie nicht und für einen winzigen Augenblick vergaß sie ihre diversen Problemchen. Nun ja, aber eben nur für einen Augenblick.
Stummstellen allein nutzte eben nichts, wenn man das Handy in der Tasche vibrieren spürte. Ihr Pflichtbewusstsein oder aber ihre Neugierde, irgendetwas war größer als der Wunsch nach Ruhe. Sie fischte das Telefon heraus und warf einen Blick auf das Display. Verflixt, ihre Mutter. Egal, besser jetzt, als es hinauszuschieben.
„Mama, was kann ich für dich tun?“ Sophia schlug sich mit der flachen Hand vor den Kopf. Was für eine selten dämliche Begrüßung.
Ihrer Mutter schien das nicht aufzufallen, sie war es gewohnt, dass man ihren Wünschen entgegenkam. „Sophia, was soll das? Dir ist bewusst, dass uns Stefan im Stundenrhythmus anruft? Er macht sich unbeschreibliche Sorgen um dich. Du erklärst mir dein kindisches Verhalten bitte jetzt sofort, hörst du mich?“
Sophia musste zweimal tief durchatmen, ehe sie zu einer vernünftigen, nicht allzu unbedachten Antwort fähig war. „Ich höre dich sehr wohl. Worum ich dich bitten möchte, liebe Mama, ist ein etwas weniger autoritärer Ton. Denn du darfst davon ausgehen, dass ich gute Gründe für mein, wie du es nennst, kindisches Verhalten habe.“ In zusammengefasster Form berichtete sie ihrer Mutter von den Ereignissen in Berlin und endete mit Stefans filmreifer Nachtschicht.
„Ich weiß nicht, was du hast. Mein Gott, Sophia, so etwas kann vorkommen. Stefan ist überlastet und arbeitet immer am Limit. Das musst du doch auch erkennen. Himmel, Sophia, nun stell dich doch wegen eines kleinen Seitensprunges nicht so an. Gewiss bereut er das schon. Man wirft doch wegen solch einer Lappalie nicht eine jahrelange Beziehung weg. Noch dazu eine, die auch noch auf eurem gemeinsamen beruflichen Erfolg basiert.“
Da war es wieder, das Gefühl, das ihre Mutter ihr jedes Mal vermittelte, wenn sie es wagte, eine eigene Entscheidung zu treffen: eine überkandidelte Versagerin zu sein. So nicht, nicht mehr.
„Sag mal, Mama, geht’s noch? Ich erzähle dir, dass der Mann, den ich heiraten wollte, mich betrügt und das, wie ich aus sicherer Quelle weiß, nicht zum ersten Mal … und du hast nichts Besseres dazu zu sagen als dass ich mich nicht so anstellen soll? Mein Gott, du bist meine Mutter! Du solltest auf meiner Seite stehen!“
„Wer behauptet denn, dass ich das nicht täte? Ab und an scheint mir, dass du eine sehr geschönte Sichtweise auf die reale Welt pflegst, Sophia. Ja, denkst du denn, dass ich noch nie damit konfrontiert worden bin? Dein Vater ist auch nicht immer der treue, liebevolle Ehemann, der mich und meine politische Laufbahn in jeder Beziehung unterstützt. So stellt er sich in der Gesellschaft gerne dar und genießt den Status, den wir uns, wohlgemerkt gemeinsam, aufgebaut haben. Aber dass er seine, wie soll ich sagen, Gespielinnen hat, das weiß ich seit langer Zeit.“
Ihr fiel um ein Haar die Tasse aus der Hand. „Und das lässt du dir bieten?“
Die Antwort überraschte sie schon kaum mehr. „Natürlich. Denkst du, ich riskiere einen Skandal und ruiniere mir meine Laufbahn in der Politik? Niemals! Und du wirst das gefälligst auch nicht tun. Ruf Stefan an und bügle das aus. Ihr habt einen gemeinsamen Ruf zu verlieren und ihr habt – selbst, wenn ich deine Berufswahl noch immer nicht so ganz verstehe – mittlerweile doch einen Namen, der für Qualität und Erfolg steht. Zum Donnerwetter nochmal, reiß dich zusammen.“
Sophia war schlicht fassungslos. „Ich soll mich zusammenreißen? Und was bitte soll ich ausbügeln? Sag mal, wo bin ich denn hier? Hast du eigentlich schon einmal etwas von Selbstwertgefühl gehört? Wann deines dir abhandengekommen ist, weiß ich nicht, es ist mir auch egal. Meines hat sich jedenfalls lautstark zu Wort gemeldet. Dieser notgeile Lügner hat versprochen, mich zu heiraten, und stattdessen vögelt er sich durch seine Agentur? Ich werde den Teufel tun und mich zusammenreißen. Ich bin stinkwütend und jetzt, wo ich gerade intensiv darüber nachdenke, glaube ich, dass ich das Leben, das du mir gerade beschrieben hast, auf gar keinen Fall leben möchte. Mag komisch klingen, Mama, aber dank deiner Ratschläge weiß ich nun zumindest, wie ich es sicherlich nicht machen werde.“ Zwar hörte sie, dass ihre Mutter zu einer wahrscheinlich heftigen Antwort ansetzte, aber sie kam ihr zuvor. „Und ehe du nun einen stundenlangen Monolog über meine Naivität und Dummheit hältst, leg ich auf. Ganz ehrlich, Mama, ich werde demnächst dreißig Jahre alt und habe es nicht mehr nötig, mir diesen Mist anzuhören.“ Sehr gezielt und bewusst drückte sie die Taste und beendete das Telefonat.
Unfassbar! Und so etwas nannte sich Familie?
Wenn sie wütend war, half meist gutes Essen. So war es auch heute. Das zweite, zuckersüße Croissant war eine Wohltat für ihre angeknackste Psyche. Geld, Karriere und Ansehen: Das waren die Dinge, die das Leben ihrer Eltern, vor allem ihrer Mutter, bestimmten. Schon öfter war ihr der Gedanke durch den Kopf gegangen, wie deren Beziehung das aushielt. Nun wusste Sophia: Sie tat es nicht. Mutter badete in politischem Erfolg und der Anerkennung der Parteifreunde, Vater genoss seinen Status im Vorstand seines Unternehmens – und ging offenbar fröhlich fremd. Es schüttelte sie, wenn sie daran dachte, welch perfektes Lügenkonstrukt die beiden der Welt präsentierten. Nein, darauf hatte sie ganz einfach keine Lust. Basta!
Grübelnd tapste sie zurück in die Küche und spülte ihr Geschirr ab. Ein Blick aus dem Küchenfenster genügte, um ihre Abenteuerlust zu wecken. Immerhin wartete da draußen nicht das verregnete Berlin, sondern Venedig. Außerdem musste sie ganz dringend das Bild ihres außerehelich aktiven Vaters wieder aus dem Kopf bekommen. Ein wenig Lippenstift, eine Jeans, eine schöne leichte Bluse, ihr Fotoapparat und dann nichts wie raus. Ihr Pflichtbewusstsein reichte so eben noch für zwei Telefonate. Zumindest Thilo und den Chef der Agentur musste sie wohl doch noch rasch auf den aktuellen Stand bringen. Thilo war begeistert, als sie ihn anrief.
„Stefan hat sich in seinem Zimmer verbarrikadiert und versucht krampfhaft, dem Chef aus dem Weg zu gehen. Ich denke, inzwischen ist ihm klar, dass er den Auftrag nicht halten kann. Das wird hart werden.“ Der schadenfrohe Unterton in Thilos Stimme entging ihr keineswegs.
„Kann es sein, dass du dich ein klein wenig darüber freust?“
Thilos Antwort kam nur wenig verzögert. „Ganz ehrlich? Ja! Stefans Überheblichkeit, auch den Kollegen gegenüber, war in der letzten Zeit nicht immer leicht zu ertragen. Du weißt, ich wünsche niemandem etwas Böses, dazu kennst du mich gut genug. Das, was Stefan seit geraumer Zeit abzieht, war nicht mehr schön. Vor allem aber, da so gut wie alle hier wussten, dass er den wirklich großen Erfolg dir zu verdanken hatte. Vertrau mir, ich bin nicht der Einzige, der hier gerade so ein wenig frohlockt.“
„Du willst mir damit schonend beibringen, dass du auch nicht der Einzige warst, der von Stefans, wie soll ich es sagen, Nebentätigkeit wusste?“
Thilo druckste herum, ehe er endlich antwortete. „Leider. Das ist hier ein offenes Geheimnis. Du kennst die Branche und ihre Leute, Sophia. Stefans Aktionen haben ihm bei einigen Kollegen sogar Anerkennung gebracht. Was für ein toller Hecht, der traut sich was. Ich möchte bemerken, dass ich das anders sehe.“
Sie seufzte laut und vernehmlich. „Super! Ich Trottel! Alle wissen Bescheid und ich bin das unwissende Dummchen.“
„Eben nicht mehr. Jetzt kommt die Retourkutsche für ihn und die Leute mit einem letzten Hauch Charakter, vor allem die, die unter seiner Arroganz zu leiden hatten, freuen sich darüber. Zugegeben, ich wahrscheinlich am meisten.“
Nun musste sie doch lächeln. „Dann wird es dich besonders freuen zu hören, dass mein nächstes Telefonat mit dem Chef sein wird. Ich habe beschlossen, so fair zu sein, ihm meine Abwesenheit auf unbestimmte Zeit auch persönlich anzukündigen. Du kannst mir dann bei Gelegenheit erzählen, was danach passiert. Neugierig bin ich ja nun schon.“
Thilo versprach, sie auf dem Laufenden zu halten und so tippte Sophia als nächstes die Durchwahl des Agenturinhabers ein. Es wurde ein höfliches Gespräch auf Augenhöhe. Gewiss war er nicht begeistert, doch da sie sehr ehrlich zu ihm war und noch dazu Freiberuflerin, hatte er wenig, was er hätte auffahren können, um sie umzustimmen. Er bat lediglich darum, es sich noch einmal zu überlegen. Seine Handhabe war gering, da selbst unter dem aktuellen Auftrag nur Stefans Name stand. Man trennte sich freundlich und mit der Zusicherung, dass ihr ob ihrer hervorragenden Leistung die Tore der Agentur stets offen stünden, sollte sie sich umentscheiden. Nach diesem Telefonat war Sophia sehr erleichtert. Es lag nicht in ihrem Naturell, andere ohne Vorwarnung auflaufen zu lassen. Halt, sie revidierte diesen Gedanken umgehend; alle bis auf einen.
Die Luft war warm und weich, in einigen der schmalen Gassen lag der Duft von Blumen in der Luft. An den Kanälen dominierte der Geruch von leicht modrigem Wasser, aber das gehörte hier dazu.
Sophia ließ sich treiben folgte einfach ihrer Nase und ihrem Bauchgefühl. Sie landete auf dem belebten Campo Santa Margherita und schlenderte von dort über den wesentlich ruhigeren Campo San Barnaba in Richtung Universitätsviertel. In einer schmalen Gasse entdeckte Sophia das bezaubernde „Al Profeta“, ein uriges Restaurant mit zahlreichen, bunt gedeckten Tischen in einem gemütlichen, typisch venezianischen Hinterhof. Sie bestellte sich einen leckeren Vorspeisenteller und einen Espresso, und nachdem sowohl ihr Magen als auch ihre Füße wieder bei Laune waren, trat sie den Rückweg an. Allerdings gönnte sie sich dieses Mal den „Bus“ und ließ sich mit dem Boot bis nach San Lorenzo fahren. Der Trubel auf den großen Kanälen war enorm und sie beglückwünschte sich im Stillen, in einer solch abgelegenen Gasse zu wohnen.
Der Supermarkt lag quasi auf dem Weg und so kaufte sie diverse Leckereien für das Abendessen ein. Zusammen mit der restlichen Lasagne würde das für ein üppiges Essen ausreichen. Schnaufend schleppte sie ihre Tüten zur Corte Nuova und schloss erleichtert die Haustür auf. Venedig war wunderbar, aber diese Touristenmassen musste man häppchenweise genießen.
Sophia kam nicht umhin, einen Blick auf ihr Handy zu werfen. Vier Nachrichten von Stefan. Na super. Eigentlich verspürte sie wenig Lust auf erneute Beschimpfungen oder wahlweise Bettelarien, aber letztendlich überwog die Neugierde.
„Was sind denn das für neue Alleingänge? Wie kannst du so eigenmächtig die Chefetage in Aufruhr versetzen, ehe wir ein vernünftiges Gespräch geführt haben? Nun ruf mich sofort zurück!“
Sonst noch Wünsche? Kopfschüttelnd rief sie die nächste Nachricht auf.
„In einer Stunde sind die Kunden hier! Weißt du, wie ich jetzt dastehe? Dir muss doch bewusst sein, dass das zu unser aller Nachteil ist. Zum letzten Mal: Melde dich! Noch ist nicht alles verloren!“
„Für dich möglicherweise schon.“ Mit einem tiefen Seufzer öffnete sie Nachricht Nummer 3.
„Venedig? Sag einmal, bist du komplett übergeschnappt? Deine Mutter sieht das im Übrigen so wie ich. Du musst den Verstand verloren haben. Wenn du schon komplett verrücktspielst, wirst du dich freuen zu hören, dass der aktuelle Auftrag an die Konkurrenz vergeben wurde. Mach weiter so, zerstöre alles, was ich mir aufgebaut habe! Wie soll das bei unserem Top-Kunden werden?“
„Du dir aufgebaut? Möchte mal wissen, wer hier gebaut hat.“ Ziemlich angesäuert klickte sie Stefans letzte Nachricht an. Es war so klar, dass ihre Mutter ihm sofort gesteckt hatte, wo sie war. Die Frau war einfach unmöglich.
„Gut, da du nicht auf vernünftige Argumente eingehst, muss ich leider zu anderen Mitteln greifen. Wenn du dich nicht bis morgen Mittag bei mir meldest, werde ich unsere Kooperation auflösen. Das Team Weißenfels-Hauser wird es dann ab sofort nicht mehr geben. Alleine bin ich besser, freier in meiner Kreativität und unabhängig von deinen Launen mit guten Chancen auf den nächsten Auftrag. Letzte Möglichkeit, ansonsten wirst du die Konsequenzen tragen müssen.“
Beinahe wären ihr ob soviel Unverfrorenheit die Tränen gekommen. Ihre Launen? Was bildete sich dieser selbstherrliche Mensch eigentlich ein? Mit Worten jonglieren, das mochte er wirklich gut können, aber Ideen bildlich und ansprechend umsetzen, darin war er, mit Verlaub, eine Niete. Ehe sie in Trübsal verfallen konnte, fiepte ihr Handy und die nächste Nachricht von Thilo traf ein.
„Du hast etwas verpasst! Etwa eine Stunde hat Stefan versucht, die Kunden zu überzeugen, dass er es noch hinbekommt. Kurzfassung: Er hat es nicht geschafft. Mir tut es für die Agentur zwar leid, sein übersteigertes Ego aber brauchte wohl diesen Tritt in den Hintern. Ich darf den Kunden zitieren: Ohne Frau Weißenfels, ihre einzigartigen Ideen sowie ihre unvergleichlichen Bilder sehen wir keinen Sinn in einer weiteren Zusammenarbeit.
Aber sei auf der Hut, denn wenn ich das richtig mitbekommen habe, telefoniert er andauernd mit deiner Mutter. Das Duo Infernale. Sie hat ihm leider auch verraten, wo du dich aufhältst. Dumm auf der einen Seite, gut auf der anderen. Jetzt kann er dich nicht mehr als vermisst melden. Mach’s gut, Sophia.“
Freunde wie Thilo zu haben war unbezahlbar.
Wesentlich entspannter machte sie sich in der Küche daran, ein schönes Essen für Saskia, Maurizio und sich zu zaubern. Es war kurz vor sechs und die beiden Freunde würden sicherlich jeden Augenblick nach Hause kommen.