Читать книгу Ein Traummann zum Dessert - Gabriele Ketterl - Страница 8
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ОглавлениеDas Nächste, an das sie sich später erinnerte, war, dass sie den dicken Tontopf mit der ausladenden Basilikumpflanze anhob, den Schlüssel hervorfischte und mit etwas Mühe die schwere, hölzerne Eingangstür aufschloss. Sophia zerrte Koffer und Tasche in den Flur und schloss hinter sich ab. Es war warm im Haus und es duftete ein wenig nach Essen. Sie tastete nach dem Lichtschalter und knipste das Licht im Flur an. Es war genau so, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte. Der schmale Gang, von dem aus Türen in die angrenzenden Zimmer abgingen, war vollgestellt mit Regalen, kleinen Schränken und allem möglichen Dekokram, den Saskia schon immer geliebt hatte. Die Freundin verstand es, aus einem nichtssagenden Raum eine stilvolle Oase zu zaubern. Kein Wunder, dass sie sich schon immer gut verstanden hatten.
Die Wände waren in warmem Ockergelb gestrichen und mit in Schwammtechnik getupften, kleinen Kunstwerken versehen. Ganz besonders faszinierte Sophia eine herrliche venezianische Maske über der Küchentür.
Küche! Das war ihr Stichwort. Ihr Magen knurrte wie verrückt und sie hoffte inständig, dass Saskia und Maurizio etwas im Kühlschrank hatten – egal was, Hauptsache essbar. Als sie das Deckenlicht in der Küche einschaltete, musste sie lächeln. Nicht nur, dass die Küche einer der faszinierendsten Räume überhaupt war, auf dem massiven Küchentisch aus dunklem Holz ihr direkt gegenüber stand eine große Auflaufform, mit Alufolie abgedeckt, daneben eine Flasche Rotwein, eine Flasche Wasser, Teller, Besteck, Serviette und die italienische Gebrauchsanweisung für die Mikrowelle.
Sie hätte es wissen müssen, dass Italiener immer befürchteten, ihre Gäste könnten verhungern. Sophia atmete tief ein, erahnte das köstliche Aroma von Rosmarin sowie einen Hauch Knoblauch und zupfte vorsichtig die Folie von der Form. Eine ganze Lasagne! Sie war im Himmel gelandet. Eilig schaufelte sie sich eine gehörige Portion des duftenden Nudelgerichts auf den Teller, schaltete die Mikrowelle an und wandte sich wieder dem Tisch zu. An die Rotweinflasche gelehnt fand sie Saskias Brief.
Willkommen in Venedig! Wenn du das hier liest, hast du es ganz offensichtlich geschafft, heil anzukommen. Du glaubst nicht, wie sehr ich mich auf dich freue. Zuerst aber isst du bitte diese kleine Lasagne, trinkst den Wein aus, spülst mit einem Schluck Wasser nach, duscht solange du magst und legst dich dann in unser hochherrschaftliches Gästezimmer, von dem ich hoffe, es einigermaßen wohnlich hergerichtet zu haben. Falls du mehr Hunger hast, im Kühlschrank sind noch Schokoladenkuchen und dein geliebter Vanillejoghurt. Wir werden voraussichtlich morgen am späteren Nachmittag eintrudeln. Bitte fühl dich in der Zwischenzeit einfach wie zuhause. Frische Brötchen für das Frühstück bekommst du gleich um die Ecke, über den kleinen Kanal, dann links in die Gasse. Bester Bäcker von Welt, falls du weißt, was ich meine. Unsere edle und vollautomatische Kaffeemaschine steht wie immer auf dem Herd, du kennst dich damit ja schon aus. Jetzt kommst du erst einmal auch geistig an, relaxt und vergisst diesen notgeilen Dünnbrettbohrer in Berlin. Du bist jetzt bei uns und in Bella Italia.
Ich hab dich schrecklich lieb!!
Saskia
Sophia wischte sich die Tränen aus den Augen. Ja, das war typisch ihre Freundin. Abgesehen davon, dass der Hungertod in weite Ferne gerückt war, fühlte sie sich hier sofort willkommen. Behutsam faltete sie den Brief wieder zusammen und erlöste ihre Lasagne aus der fiependen Mikrowelle.
Nur noch schnell in das bezaubernde, in venezianischem Rot und Gold gemalerte Badezimmer zum Hände waschen und dann nichts wie ab an den Esstisch. Die Lasagne schmeckte göttlich, der Rotwein war leicht und vollmundig – nicht das staubtrockene, teure Zeug, das Stefan bevorzugte, sondern die blumige Variante, Mädelszeugs eben.
Nach noch einer nicht zu kleinen Portion Lasagne goss sie sich ein zweites Glas Rotwein ein, ignorierte ihre Müdigkeit und raffte sich dazu auf, sich noch ein paar Minuten vors Haus zu setzen und die venezianische Nacht zu genießen. Um diese Zeit war auf dem kleinen Kanal vor der Häuserzeile so gut wie kein Boot mehr unterwegs, Fußgänger verirrten sich selten in diese schmale Gasse.
Direkt neben der Tür stand eine kleine, von Saskia liebevoll in Rot und Gelb gestrichene Holzbank, auf der sich Sophia mit dem Weinglas in der Hand niederließ. Es war mucksmäuschenstill, nur das Wasser des Kanals gluckerte leise vor sich hin und Möwen zogen ab und an laut kreischend in der Ferne über den Himmel. Müde lehnte Sophia ihren Kopf an die nun kühle Mauer. Was für ein Tag! Aber zugegeben, sie freute sich über ihre gelungene Flucht aus Berlin. Noch mehr aber freute sie sich darüber, hier zu sein. Genüsslich leerte sie ihr Glas, ging nach einem letzten Blick auf den im Mondlicht glitzernden Kanal zurück ins Haus und schloss sorgfältig ab.
Ihr schweres Gepäck in das Gästezimmer im ersten Stock zu schleppen war eine ziemliche Herausforderung, da die enge Treppe sich als nicht unbedingt schrankkofferkompatibel erwies. Aber mit etwas gutem Willen gelang es ihr und so landete sie beinahe unbeschadet in Saskias und Maurizios hübschem Gästezimmer. Es war klein, blitzsauber und so wie es aussah erst vor Kurzem neu eingerichtet worden. Lächelnd strich Sophia über das eiserne Gestell des weißen Ikea-Prinzessinnen-Bettes, das Saskia mit einem handgenähten Baldachin in ein echtes Kunstwerk verwandelt hatte. Der knarrende, dunkle Holzboden war mit sehr lustigen, bunten Flickenteppichen ausgelegt, die Wände in zartem Gelb gestrichen und mit einer dunkelroten Bordüre aus ineinandergreifenden Wellen geschmückt, die sich durch das ganze Zimmer zog. Dazu ein nicht allzu großer, sichtlich alter und liebevoll restaurierter Kleiderschrank, zwei Rattan-Regale, ein winziger, runder Tisch mit einem uralten Bistrostuhl, beides, ebenso wie der liebevoll auf antik getrimmte Schrank, in mattem Weiß gestrichen. Auf dem Tisch stand ein großes, rotes Windlicht mit einer dicken, weißen Kerze. Saskia wusste von ihrer Vorliebe für Kerzenlicht. Sophia schaffte es gerade noch, die wichtigsten Dinge aus dem Koffer zu angeln, zu duschen und sich die Zähne zu putzen. Alles andere musste warten. Bereits im Halbschlaf krabbelte sie in ihr kuschliges Bett und schlief in dem Augenblick ein, in dem ihr Kopf das Kissen berührte.
Die Welt warf Schatten, oh, die Sonne schien. Augenblick, wo war sie hier? Es dauerte eine ganze Weile, ehe Sophia begriff, dass sie nicht mehr in Berlin in ihrem edel-ausgeflippten 200-Quadratmeter-Domizil weilte, sondern mitten in Venedig. Eine durchaus akzeptable Alternative, wenn man bedachte, dass Stefan in weiter Ferne war. Ein ausgesprochen beruhigender Gedanke. Darüber nachzudenken, wohin sie ihn im Augenblick wünschte, würde ihr den Start in den Tag vermiesen, also ließ sie es einfach bleiben und streckte sich lieber noch einmal genüsslich.
Ein Blick auf die Uhr über der Zimmertür zeigte ihr, dass es bereits kurz vor elf am Vormittag war. Schien ganz so, als wäre der Schlaf dringend notwendig gewesen. Sie kletterte aus dem Bett, schlüpfte in ihre bequeme, blaue Yoga-Hose und ein weißes Shirt, fuhr sich ordnungshalber mit einer Bürste durch die langen Haare und öffnete leise die Tür. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass sie alleine hier war. Daher die Ruhe! Außerdem ging das Fenster ihres Zimmers zum ruhigen Innenhof hinaus, was erklärte, warum sie so lange hatte schlafen können.
Auf nackten Füßen tapste Sophia die Treppe hinunter. Jetzt, im hellen Tageslicht, wirkte das Haus noch gemütlicher und freundlicher als am Vorabend. Die schönen Landschaftsbilder in bunten Rahmen an den in warmen Farben gestrichenen Wänden, die Möbel, gewiss alt, aber von Saskia und Maurizio liebevoll wieder aufpoliert, und die leise knarzende Holztreppe bildeten ein urig-einladendes Ganzes. Es fiel nicht schwer, sich hier zuhause zu fühlen.
In der Küche widmete sie sich schmunzelnd der „vollautomatischen Kaffeemaschine“: einer der von den Italienern seit Urzeiten zum Kochen von Espresso genutzten, eisernen Kannen, die man noch händisch auf- und wieder zuschrauben musste, nachdem man sie mit Kaffeepulver und Wasser gefüllt hatte. Immerhin produzierten sie den besten Kaffee der Welt. Während der Espresso vor sich hin blubberte, erwärmte Sophia auf dem Gasherd Milch für ein großes Glas Latte macchiato. Den köstlichen Kaffee in den Händen, suchte sie sich ihren Weg in den kleinen Garten, sofern man den winzigen Innenhof so nennen wollte. Er war mit diversen Tontöpfen bestückt, in denen bunte Blumen sowie Rosmarin und Oregano wucherten, verfügte über eine eiserne, schwarze Zweisitzer-Bank und einen kleinen, mit einem bunten Mosaik ausgelegten Bistrotisch. Italien pur, Sophia liebte es. Das Nachbarhaus, samt Grünstreifen, dessen Front der schmalen Straße auf der anderen Seite zugewandt war, schloss direkt an den Garten an. Berührungsängste durfte man hier nicht haben, was ihr auch umgehend vor Augen geführt wurde.
„Guten Morgen, Signora. Sind Saskia und Maurizio schon wieder zurück?“ Die kleine, rundliche Nachbarin stand, angetan mit einer knallbunten Küchenschürze, mit gerunzelter Stirn in ihrem Kräutergärtchen.
„Auch Ihnen einen guten Morgen. Nein, sie kommen erst am Nachmittag wieder. Ich bin Sophia, Saskias beste Freundin.“
Die Stirnfalten verschwanden wie von Zauberhand und wurden durch ein freundliches Lächeln ersetzt. „Stimmt, das hat Saskia ja erzählt. Ich bin ab und an schon etwas vergesslich. Herzlich willkommen, Signora Sophia.“
Sophia stellte ihr Glas auf dem Tisch ab und strahlte die Nachbarin an. „Vielen Dank, und ich bin einfach nur Sophia, bitte.“
Das Lächeln auf der Gegenseite vertiefte sich noch um einige Nuancen. „Freut mich, ich bin Carla. Und jetzt störe ich Sie nicht länger, sonst wird der Kaffee kalt. Einen schönen Tag, bis später.“
Weg war sie. Hier achtete man offenbar darauf, wer sich in den Nachbargärten herumtrieb. Vollkommen in Ordnung! Genussvoll schlürfte sie ihren Muntermacher und hielt mit geschlossenen Augen die Nase in die Sonne. Erst nach einer ganzen Weile kam es ihr in den Sinn, dass sie einen Blick auf ihr stumm gestelltes Handy werfen könnte. Zwar nicht überdurchschnittlich motiviert, aber pflichtbewusst trabte sie in ihr Zimmer und holte es.
Ups, dreizehn Nachrichten. Davon alleine sieben von Stefan, zwei von Thilo, eine von ihrer Mutter und der Rest Meldungen aus dem Büro. Es schien, als hätte Stefan einige Menschen aufgescheucht. Seufzend las sie die ersten Nachrichten ihres treulosen, verlassenen Ex-Lebensgefährten, eine Formulierung, die ihr übrigens sehr gefiel. Weniger gefielen ihr seine Nachrichten.
„Wo steckst du? Ich mache mir Sorgen. Sophia, lass uns reden. Bitte melde dich.“
Nachricht Nummer zwei war dann eher die Businessvariante.
„Sophia, bitte lass unsere privaten Differenzen außen vor. Wir haben eine Präsentation, die pünktlich beim Kunden sein muss. Ich appelliere an deine Professionalität. Bitte melde dich asap.“
„Du kannst mich mal asap, du weißt schon was“, fauchte sie das unschuldige Handy an.
Nachricht Nummer drei war eher eine Mischversion.
„Sophia, so geht das nicht. Bitte melde dich umgehend bei mir. Ich komme kaum zum Arbeiten, so sehr sorge ich mich. Sobald du das hörst, melde dich.“
Sie trank einen großen Schluck Kaffee und zog dem Handy eine angesäuerte Grimasse. „Sophia, so geht das nicht … O Mann, du hast ja keine Ahnung, was alles geht, pass bloß auf.“
Die nächste Nachricht war höchst interessant.
„Sophia, Liebling, das alles ist ein schreckliches Missverständnis. Bitte melde dich und lass uns darüber reden. Ich kann dir alles erklären.“
„Missverständnis? Mann, du hast Nerven. Willst du mir erzählen, du arbeitest nebenher als Schreibtischunterlagentester, oder wie?“ Kopfschüttelnd drückte sie die Nachricht weg.
Nachricht Nummer fünf war laut Anzeige um 04:43 abgeschickt worden. Hatte sie da etwa jemanden um den Schlaf gebracht?
„Sophia, ich warne dich. Wenn du dich weiterhin so verhältst, werde ich wohl nicht umhinkommen, dich als vermisst zu melden. Möchtest du das tatsächlich? Ruf mich an oder schreib, auf jeden Fall melde dich. Wir haben beide unsere Verpflichtungen, also benimm dich bitte wie eine Erwachsene.“
„Du kannst mich warnen, so viel du willst. Ich glaub, ich spinne.“ Der letzte Schluck ihres Kaffees spülte einen Teil ihres aufkeimenden Ärgers hinunter.
Ah ja, er wurde ungehalten. So deutete sie seine nächste Nachricht.
„Was du hier abziehst, ist eine unangebrachte und deiner vollkommen unwürdigen Inszenierung. Du hattest jetzt deine Genugtuung, ich habe sogar bei deinen Eltern angerufen, die sich nun auch die größten Sorgen um dich machen. Du kannst nicht einfach abtauchen. Heute um Punkt 18 Uhr stehen unsere Kunden auf der Matte. Bitte bedenke, dass du nicht nur mich, sondern auch deinen Ruf schädigst.“
Die nächste SMS war von Thilo und ein paar Minuten nach neun verschickt worden. Kurz, informativ und durchaus amüsant.
„Ich darf vermelden, dass hier jemand ziemlich am Rad dreht. Hoffentlich bist du heil wo auch immer angekommen und es geht dir gut. Ich mache mich auf die Suche nach Beruhigungstropfen, denn Mr. Ultracool steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Sein Chef fragte gerade nach dem Stand der Präsentation. Dazu muss ich wohl kaum etwas erklären. Beobachtungsposten over and out.“
Lachend rief sie die SMS ihrer Mutter auf, die man wohl unter „politisch korrekt“ ablegen konnte.
„Hallo Sophia. Stefan teilte uns heute mit, dass du, wohl aufgrund eines dummen Missverständnisses, kommentarlos verschwunden bist. Bitte denk daran, dass du kein pubertierender Teenager mehr bist und sieh zu, dieses Problem so rasch wie möglich zu lösen. Von meiner erwachsenen Tochter darf ich wohl ein wenig Kompromissbereitschaft erwarten. Ich setze voraus, dass es dir gut geht.“
„Warmherzig und verständnisvoll wie eh und je.“ Obwohl sie die Reaktion ihrer Mutter ärgerte, tippte sie eine kurze Antwort in das Handy.
„Missverständnis ist geringfügig untertrieben. Stefan betrügt mich seit geraumer Zeit und mein Selbstwertgefühl braucht dringend eine Aufwertung. Es geht mir gut und ich melde mich bei Gelegenheit. Ich setze voraus, dass du das akzeptierst.“
Stefans sechste SMS kurz vor zehn Uhr war kurz und bündig. „Ich gebe dir noch eine Stunde, dann melde ich dich als vermisst. Glaubst du, ich lasse mich von dir unter Druck setzen?“
Thilo bewies um 10:44 Uhr erneut Humor.
„Aktualisierung von der Agenturfront: Stefans Telefonat mit der Polizei mitbekommen. Kann dich erst in 24 Stunden als vermisst melden. Status daher: not amused at all. Halte dich auf dem Laufenden.“
Wesentlich weniger Humor hingegen sprach aus Stefans letzter Nachricht.
„Wenn dieser Auftrag nur wegen deiner unbegründeten Eifersucht nicht an uns vergeben wird, werde ich dich persönlich dafür verantwortlich machen. Ich bitte dich ein letztes Mal, dich endlich bei mir zu melden. Dann werde ich von weiteren Schritten absehen. Versteh doch bitte, dass ich wissen muss, was los ist.“
Stirnrunzelnd löschte sie alle Meldungen und schrieb eine WhatsApp an die Sekretärin des Chefs der Ideenjäger, in der sie ihr erklärte, dass sie aufgrund familiärer Probleme eine Weile nicht in Berlin sei und daher in der nächsten Zeit keine Aufträge annehmen könnte. Da ihr die Chefetage der Agentur nichts getan hatte und auch für Stefans Benehmen nichts konnte, fand sie es nur fair, sich zumindest hier ordentlich abzumelden, selbst als Freelancer hatte man in dieser Richtung Pflichten. Sicherheitshalber schaltete sie das Telefon wieder auf stumm und ging zurück in die Küche, um ihr Glas und das Geschirr vom Vorabend in die Spülmaschine zu stellen. Nach einer ausgiebigen Dusche und genussvoller Körperpflege fühlte sie sich wie neugeboren. Allerdings meldete sich ihr Magen und gleich nach dem Kaffee schon wieder und Lasagne war zum Frühstück nicht das Wahre. Also zog Sophia ein bequemes, weißes Sommerkleid über, schlüpfte in ihre braunen Schnürsandalen, griff sich ihre Geldbörse und den Hausschlüssel und machte sich auf dem Weg zu dem von Saskia angepriesenen Bäcker.
Draußen herrschte jetzt, mitten am Tag, reges Treiben. Auf dem Kanal fuhren neben Wassertaxis auch kleinere Transportboote sowie eine einsame Gondel. Hier an den kleinen Kanälen blieben sie von großen Kähnen wie den Kreuzfahrtschiffen zum Glück verschont. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, es war angenehm warm, aber nicht so heiß und stickig wie in der Großstadt. Zwar müffelte das Wasser des Kanals ein wenig, doch das hakte Sophia unter venezianischem Flair ab.
Auf der schönen Brücke über dem Kanal blieb sie kurz stehen und genoss den Blick. Venedig war einfach eine herrliche Stadt. Sie liebte die alten Gemäuer mit den bezaubernden Balkonen. Selbst die zwischen den Häusern aufgehängte Wäsche empfand sie als herrlich romantisch. Alles gehörte zusammen und verlieh der Stadt dieses ganz spezielle Etwas. Beschwingt bog sie um die nächste Ecke und traf auf einen ziemlich großen, harten Widerstand.
„Sophia, suchen Sie etwa mich? Ahnte ich es doch, eine halbe Stunde auf meinem Boot und Sie können nicht mehr ohne mich und meinen unvergleichlichen Charme, stimmt’s?“
Sie mochte es nicht besonders, sprachlos zu sein, dieser Kerl aber brachte das mühelos zustande. Allerdings war das freche Grinsen tatsächlich verflixt sympathisch. Es dauerte gefühlte Stunden, ehe sie die Antwort parat hatte. „Sagen Sie mir bitte, was Sie gefrühstückt haben?“
„Öhm, und warum das?“
„Weil ich das unbedingt auch haben muss. Wenn es mein Ego so steigert wie das Ihre, dann finde ich das gar nicht übel.“ Sophia stemmte mit ernster Miene die Hände in die Seite.
Romanos Gesichtszüge entglitten kurzfristig. „Starken Kaffee und eine Zigarette.“
„Einen Versuch war es wert. Und nun, gerade aufgestanden? Auf dem Weg zu Ihrem Boot?“ Warum stand sie weiter hier und redete mit ihm? Sie musste nicht allzu lange überlegen: weil er wirklich interessant war.
Sein Lächeln vertiefte sich erneut um ein paar Nuancen. „Nichts da. Ich bin seit halb vier auf den Beinen und komme von meinem Hauptjob. Aber der zweite Teil stimmt. Jetzt bin ich wirklich unterwegs zum Boot. Mittags kommen die ersten Gäste. Und darum muss ich Sie nun auch leider verlassen. Aber ich bin mir sicher, wir sehen uns bald wieder. Ciao, Bellissima.“ Weg war er.
Kopfschüttelnd sah sie ihm eine Weile nach, wie er, die Hände tief in den Taschen seiner schwarzen Jeans vergraben, durch die enge Gasse lief. Sophia konnte nicht genau sagen warum, aber Romano war einer der Menschen, die man nicht mehr so leicht aus dem Kopf bekam. Allerdings hatte sie derzeit ganz andere Probleme als hübsche Venezianer.