Читать книгу DU lässt mich nicht im Regen stehen - Gabriele Kox - Страница 12

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„Mach dich nett zurecht“, hörte ich meine Freundin von unten rufen. „Wir gehen aus!“ Mir war nicht wohl dabei, dass vielleicht mit mir in das Nachtpalais wollte, denn es war nach langjähriger Freundschaft kein Geheimnis, dass Alina in puncto Männer nicht besonders wählerisch war, und genau dort war nicht gerade die Crème de la Crème anzutreffen.

„Wo willst du denn hin?“ fragte ich unsicher.

„Nicht in das Nachtpalais!“ verblüffte sie mich. „Eigentlich möchte ich viel lieber zu Hause bleiben.“

„Keine Chance! Und schon gar nicht heute“, erwiderte sie.

Geplant war ein Besuch in der Düsseldorfer Altstadt, der längsten Theke der Welt.

Für gewöhnlich wäre ich nach den stressigen Wochen nirgendwo hingegangen, doch Alina hatte unbedingt mit mir den gewonnenen Arbeitsgerichtsprozess feiern wollen, und am Ende hatte ich mich dann doch breitschlagen lassen.

Bereits eine gute Stunde später betrachtete ich mich zufrieden im Spiegel, fand das Ergebnis meiner Bemühungen passabel und war abmarschbereit.

In diesem Moment ahnte ich allerdings nicht, dass dieser Abend mein zukünftiges Leben schlagartig verändern würde.

Es war ein trüber Novemberabend, wie ich ihn überhaupt nicht mochte. Der Himmel war grau, der Schnee bedeckte die Straßen und knirschte unter den Sohlen unserer Stiefel. Die dünnen Absätze von Alinas Schuhen waren mörderisch hoch. Keineswegs war sie mit ihren Bleistiftabsätzen passend gekleidet, um damit durch den Schnee zu tapsen, und sie stieß mehr als einen Fluch unterwegs aus. Die Luft draußen war kälter, als ich erwartet hatte, so dass ich froh über meine dicke Jacke und den warmen Schal war, den ich mir fest um den Hals gewickelt hatte.

Die eisige Kälte ließ die meisten Menschen in ihren warmen Häusern verweilen. Die Straßen und Gassen waren wie leergefegt. Außer einem Hund, der ohne Herrchen den Gehweg entlang trottete und uns gefährlich anknurrte, begegneten wir keiner Menschenseele. Viel lieber hätte ich einen gemütlichen Abend zu Hause am warmen Kaminfeuer verbracht, doch Alinas Überredungskünste, sich mal wieder unter das Volk zu mischen, waren erfolgreich.

Wir hatten uns für die kurze Strecke in die Düsseldorfer Innenstadt ein Taxi gegönnt. Obwohl die Fahrt eine Ewigkeit dauerte, und der anschließende fünfminütige Fußweg vom Taxistand bis zu unserer Lieblingskneipe mich vor Kälte zittern ließ, hob sich augenblicklich meine Stimmung, als ich die angenehme Wärme verspürte, die mir beim Eintreten in das Lokal entgegen strömte.

Unsere Lieblingskneipe war kurioserweise an diesem Freitagabend fast ausschließlich von Männern besucht, die mit gaffenden Blicken, ganz besonders Alina aufmerksam hinterher schauten, die mit dem Geklapper ihrer Absätze ungewollt die Aufmerksamkeit auf sich zog. Die besten Tische, rings um die Tanzfläche, waren leider schon besetzt. Die Barhocker hingegen an der Theke und die Stehtische waren frei. Mir war es lieb, dass das Lokal so schlecht besucht war, denn so brauchten wir nicht den Abend wie Ölsardinen in der Büchse zu verbringen und uns der Gefahr aussetzen, ständig angerempelt zu werden. Wir hielten zunächst Ausschau nach einer passenden Sitzgelegenheit und hatten uns leider für den einzigen freien Tisch in der hintersten Ecke entscheiden müssen, den niemand aus gutem Grund wollte. Der intensive Geruch nach Desinfektionsmittel, der aus den Toiletten kam, war sehr unangenehm, benebelte die Sinne und konnte arge Kopfschmerzen und Übelkeit hervorrufen. Alina überließ mir netterweise einen Platz mit Blick auf die Tür. Kaum saßen wir, versuchte ein Typ, Alina anzumachen. Sie beschimpfte ihn so sehr, dass er auf der Stelle kehrtmachte und erschrocken das Weite suchte. Als die Bedienung auf unseren Tisch zusteuerte, war das Tablett voll mit diversen Getränken. Nach Bier oder alkoholfreien Getränken stand uns nicht der Sinn, also entschieden wir uns für den süffigen trockenen Rotwein.

Die Geräuschkulisse war gedämpft, sodass wir unser eigenes Wort gut verstehen konnten. Schon wenige Schlucke vom Wein hatten gereicht, mich beschwipst zu machen.

Alina und ich plauderten angeregt über Gott und die Welt. Keine Gespräche über die Arbeit; so war es zuvor ausgemacht. Als Alina sich jedoch nicht an unsere Abmachung hielt, und sie mich in Einzelheiten über ihre Neukundenwerbungen und über das Gelingen ihrer eventuellen erfolgreichen Abschlüsse zu textete, hörte ich nur noch mit halbem Ohr zu und saß ihr teilnahmslos gegenüber. Ich ließ meine Blicke unbemerkt durch das Lokal schweifen. Dabei war mir ein besonders attraktiver Mann aufgefallen. Ich ertappte mich dabei, dass ich diesen gutaussehenden, hochgewachsenen Burschen genauer in Augenschein nahm.

Ups ... was für eine imposante Erscheinung. Was für ein Mann. Ein Kerl wie ein Baum. Groß, kräftig, breitschultrig. Nicht übel, dachte ich. Und diese Schultern – Wahnsinn!

Ich konnte ihn nicht ansehen, ohne dass mein Herz aus dem Takt geriet, denn es klopfte stärker und schneller als sonst. Mir fielen mit einem Mal Sachen ein, die ich bisher erfolgreich verdrängt und lange nicht an die Oberfläche gelassen hatte. Der Typ ist echt heiß. Er hatte graumeliertes Haar, trug ein schwarzes, langärmeliges Oberteil mit aufgekrempelten Ärmeln und eine auffallend pompöse Uhr am Handgelenk. Sein schwarzes Shirt betonte seine stahlblauen Augen und … er lächelte mich mit strahlend weißen Zähnen an. Sein Poloshirt war so eng, dass sich die Formen seiner durchtrainierten Brust abzeichneten. Die Knopfreihe seines Shirts war offen, und in Gedanken berührte ich sanft seine Haut darunter. Die innere Erregung verunsicherte mich und ließ mich verlegen werden, da er der Grund war, dass meine Phantasie gerade mit mir durchging. Der Fremde ging schnurstracks zur Theke, stand zunächst verloren abseits, bestellte sich etwas zu trinken und setzte sich auf einen der freien Barhocker mit Blick in unsere Richtung.

Dann die gereizte Stimme von der Seite. Ich fühlte mich wie vom Blitz getroffen und ertappt, als meine Freundin mein Interesse bemerkte und mich mit ihrem leeren Geschwätz aus meiner Träumerei riss und mich auf den Fremden an der Theke ansprach.

„Der ist spitz wie Nachbars Lumpi.“

„Sind sie das nicht alle?“, entgegnete ich.

„Er weiß ganz genau, dass er gut aussieht und Erfolg bei Frauen hat. Was glaubst du, warum ist ein so attraktiver Mann solo unterwegs?“, fragte sie mit bissiger Stimme.

„Ist ja gut. Ich hatte eh nicht vor, mich ihm an den Hals zu werfen!“, gab ich patzig zurück. „Außerdem müsste dann jeder Mann, der ohne Begleitung hier ist, andere Absichten haben. Ist doch absurd!“

Schon ein paar Minuten später bewegte sich die

Kellnerin mit einer Flasche Rotwein an unseren Tisch.

„Der Herr an der Bar lässt grüßen.“

„Siehst du! Er weiß ganz genau, wie es geht“, sagte Alina triumphierend.

Ich wurde unsicher, als er uns eindringlich musterte. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, als er von seinem Barhocker rutschte und sich langsam auf uns zubewegte. Und dann … für einen kurzen Moment hatte ich den Eindruck, er hätte meiner Freundin zugezwinkert, so als würden sie sich nicht zum ersten Mal sehen. Alina begrüßte ihn mit einem netten Hallo, so, wie man halt einen alten Bekannten begrüßt und bot ihm einen Platz an unserem Tisch an, indem sie einladend auf den freien Stuhl zeigte.

Eine seltsame Unruhe machte sich in mir breit, als er prompt ihrer Geste nachkam und sich zu uns setzte. Am liebsten hätte ich mich weit weg gewünscht.

Seine Stimme klang vorwitzig, als er den Kopf zu mir drehte und sich vorstellte:

„Hi, ich bin Chris.“

„Ähm, Emma ... und das ist meine Freundin Alina.“ Ich musste mich zwingen, nicht in seinen unwiderstehlichen stahlblauen Augen zu versinken. Mein Herz schlug schneller. Mir wurde warm, auf eine andere Art, als ich es gewohnt war.

„Hallo, Emmi“, säuselte er meinen Namen und schenkte meiner Freundin keine Beachtung. „Nein, nicht Emmi, mein Name ist Emma.“

Verdutzt schaute ich erst ihn und dann meine Freundin an. In ihrem Gesicht sah ich zwar ein süffisantes Lächeln, aber ihre Augen blickten düster. Sie wirkte beleidigt, als ihr bewusst wurde, dass nicht sie der Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit war, denn normalerweise war sie es gewohnt, dass die Augen der Männer während der Unterhaltung zwischen ihrem Gesicht und ihren Brüsten hin und her wanderten, doch er ignorierte sie ganz und gar. Frustriert, so, als könne sie nicht glauben, dass sie gerade eine Niederlage einstecken musste, ging sie unter dem Vorwand, Wein zu besorgen, an die Theke. Total verblüfft sah ich ihr hinterher, als sie jedoch Richtung Garderobe ging und den Ausgang ansteuerte. Sie hatte tatsächlich diese Gelegenheit genutzt, um sich wortlos aus dem Staub zu machen und ließ mich mit diesem Fremden einfach allein zurück.

Chris setzte noch einen obendrauf, als er sagte:

„Deine Freundin ist aber eine blöde Kuh.“

In all den Jahren, war es noch niemals vorgekommen, dass Alina so übertrieben reagiert und mich im Stich gelassen hatte.

Nachdem Alina weg war, hatte ich mit Chris keinen Tanz ausgelassen. Der Schweiß auf meiner Haut vermischte sich mit seinem Schweiß. Ich genoss die Wärme, die von ihm ausging, seine starken Arme um meinen Körper.

Meine Kehle war wie ausgetrocknet, meine Bluse durchgeschwitzt und sie klebte an meinem Oberkörper. Nach den ausgelassenen Tänzen machten wir eine Pause und ließen uns auf unsere Stühle sinken.

„Ich besorge uns etwas zu trinken“, entschärfte er die angespannte Situation.

Als er sich erhob und in Richtung Theke ging, um Getränke zu besorgen, schaute ich ihm nach und prägte mir jede seiner Bewegungen ein. Unwissentlich zog er mich total in seinen Bann. Nach einer Weile kam er mit einer Flasche und zwei Gläsern in der Hand zurück.

„Oh, Veuve Clicquot! Wahrscheinlich zum absoluten Wucherpreis, oder?“

„Nein, durchaus bezahlbar“, antwortete er knapp. Richtige Wahl, aber falscher Ort für ein romantisches Treffen zu zweit und für unerlaubte Aktivitäten, dachte ich abenteuerlustig und spürte, wie bei dem Gedanken, mich mit ihm einzulassen, eine leichte Schamröte mein Gesicht umgab. Der Verschluss wollte nicht so recht den Flaschenhals verlassen, denn es dauerte unendlich, bis er die beiden Gläser gefüllt hatte. Als er mir das Glas reichte, berührten sich unsere Finger, und mich durchzuckte es wie ein Stromschlag. Genau in diesem Augenblick wünschte ich mir körperlichen Kontakt, um zu wissen, wie es sich mit ihm anfühlt.

„Alles gut?“, fragte er sanft.

Ich nickte.

„Auf uns Emmi. Und auf einen schönen Abend.“

Ich musste mich zwingen, den Blick von ihm abzuwenden, damit er mein Gefühlschaos nicht spürt.

„Emmi? Willst du nicht mit mir anstoßen?“ Als ich mich wieder im Griff hatte und zu ihm aufblicken konnte, erhob ich mein Glas.

„Auf uns Chris. Auf einen wunderschönen Abend“, wiederholte ich seine Worte.

Normalerweise mochte ich Männer wie Chris nicht, die sich so cool verhielten, toll aussahen, charmant und vermutlich auch noch wohlhabend waren. Diese Sorte Männer hatte mich nie gereizt, doch er war anders. Obwohl ich mich nicht für das teure Gesöff begeistern konnte, war ich umso mehr von seiner Großzügigkeit beeindruckt. Er schien nicht der kleine Mann von der Straße zu sein. Da er sich vom Durchschnitt auffällig abhob, ordnete ich ihn in die Rubrik „feiner Pinkel“ ein, obwohl er in keiner Weise aufgeblasen und arrogant wirkte, sondern sich mir gegenüber eher sympathisch und zuvorkommend verhielt. Genauso war es mit dem markanten schweren Duft seines Parfüms, das in die gehobene Gesellschaft gepasst hatte, denn ich hatte niemals zuvor etwas Besseres gerochen. Meine Gedanken schweiften ab und ich erinnerte mich kurz an Alina, die sich wie von der Tarantel gestochen aus dem Staub gemacht hatte und hoffte insgeheim, dass ihre schlechte Laune nicht länger anhalten würde.

Bei dem Gedanken an meine Freundin sank meine Hochstimmung sofort auf den Gefrierpunkt. „Wie spät ist es?“, fragte ich hektisch nach der Uhrzeit.

„Kurz nach Mitternacht.“ Ruckartig stand ich auf.

„Schon so spät? Ich muss los! Sehen wir uns wieder?“, fragte ich ängstlich, da ich fürchtete, ihn nie wiederzusehen.

Christian Crook, so hatte er sich vorgestellt, bemerkte meine Panik. Ohne zu zögern reichte er mir die Hand. Errötend legte ich meine in seine, drückte sie ganz kurz und stellte dabei freudig fest, dass er keinen Ring trug.

Jetzt streckte er seine Hände nach mir aus und umarmte sanft meinen durchgeschwitzten Körper. Ich spürte seine Fingerspitzen auf meiner feuchten Haut und ließ es geschehen, als er kurz meinen Rücken streichelte.

Christian und ich tauschten an diesem Abend nicht nur unsere Telefonnummern aus, sondern auch den ersten näheren Kontakt, denn er drückte mir zärtlich einen Kuss auf meinen Mund. Die Berührung ließ eine intensive Wärme von den Fußspitzen bis zu den Haarwurzeln in mir hochsteigen, und entgegen meiner brodelnden Gefühle riss ich mich schweren Herzens von ihm los. Glücklicherweise wohnte Christian quasi um die Ecke, sodass wir noch ein Stück des Weges gemeinsam im Taxi verbringen konnten. „Wir sehen uns wieder“, versprach er verliebt. Bei diesen Worten wurde mir unsagbar warm ums Herz.

Er stieg noch kurz mit aus, lief um das Taxi herum und machte mir die Tür auf. Beim Aussteigen reichte er mir seine Hand, stand ganz dicht vor mir, grub seine Hände tief in die Tasche seiner Jacke. Er gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, eigentlich war es nur ein Hauch einer Berührung. Beim Abschied bemerkte ich, wie er mir etwas in meine Jackentasche gesteckt hatte.

Sofort, nachdem sich unsere Wege getrennt hatten, wählte ich eigens für Christians Anrufe bestimmt, einen Klingelton aus: Nena - Liebe ist (Liebe will nicht, Liebe kämpft nicht, Liebe wird nicht, Liebe ist. Liebe sucht nicht, Liebe fragt nicht, Liebe ist, so wie du bist …), damit ich seine Anrufe von den anderen blitzschnell unterscheiden konnte, falls er sich tatsächlich melden würde. Ich dachte noch lange über die Unterhaltung mit Christian nach. Es war verdammt lange her, dass ein Mann mir Komplimente gemacht hatte. War das Liebe auf den ersten Blick? Ganz genauso musste es sich anfühlen. Bereits von der ersten Sekunde an hatte ich es an dem Kribbeln in meinem Bauch gespürt. Es fühlte sich wunderbar an, wenn auch mein Herz so schnell raste, dass ich Angst hatte, das Gleichgewicht zu verlieren.

Genauso hatte es angefangen, in meiner Lieblingskneipe in der Düsseldorfer Altstadt.

DU lässt mich nicht im Regen stehen

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