Читать книгу Wintergrauen - Gabriele Seewald - Страница 4

2. Julius

Оглавление

„Mord an Düsseldorfer Fabrikant. Der Multimillionär Thomas Jake Hamilton wurde heute nachmittag vor seiner Villa von einem Unbekannten erschossen.“Die sonore Stimme des Nachrichtensprechers drang durch das gemütliche Wohnzimmer bis in die offene Küche. Privatdetektiv Julius Norden deckte gerade den Esstisch, aber als die News an sein Ohr drangen, hielt er inne und sah seine Freundin Miriam Marschalla erstaunt an. Die opulente Bratenplatte in ihren Händen schwankte. „Julius, das ist ja entsetzlich!“ Miriam stellte die Platte auf den Esstisch, als wäre sie schwer wie ein Sack Steine. Im gleichen Moment klingelte es an der Tür. Columbo, der schwarze Labrador, sprang von der wallnussbraunen Wildledercouch und stürmte schwanzwedelnd in den Flur. Julius rannte seinem Hund hinterher und drückte auf die Sprechanlage. “N’Abend!“, knirschte es daraus. Die Stimme war unverkennbar. „Ich hab’s befürchtet“, murmelte Julius. „Wo Mord ist, ist er nicht weit.“ Kurz darauf hastete Hauptkommissar Dieter Schwenk herein und warf seine Jacke an einen Garderobenhaken. Columbo begrüßte ihn jaulend. Miriam jagte den Labrador zurück ins Wohnzimmer. Aber der Hund entwischte ihr und kroch unter den Esstisch. Schwenk schnupperte in Richtung Küche. „Riecht aber gut. Wie Düsseldorfer Senfrostbraten.“ Miriam strich sich ihre schulterlangen dunkelbraunen Locken zurück. „Wir wollten gerade essen.“ Julius grinste sarkastisch. „Welch ein Zufall. Gibt es einen Grund für deinen späten Besuch, Dieter? Oder willst du dir bei deiner Verwandtschaft nur den Bauch vollschlagen?“ Hauptkommissar Dieter Schwenk setzte einen düsteren Blick auf. „Ich kam heute nicht mal dazu, was zu essen. Dieser Mord lässt mir kaum Zeit für ein dröges Brötchen zwischendurch. Und da ich bei euch was überprüfen muss ...“ Julius tat verwundert. „Überprüfen? In meiner Wohnung?“ Miriam schüttelte den Kopf. „Hol deinem Cousin einen Teller für sein Abendessen. Er sieht ja ganz ausgehungert aus.“ Dieter Schwenk nahm ächzend Platz. Julius stellte ein neues Gedeck auf den Esstisch, ließ ein dünnes Scheibchen Fleisch auf Schwenks Teller gleiten und träufelte ein Kleckschen Soße darauf. „Na, nicht so geizig.“ Schwenk häufte Kartoffeln dazu und schaufelte sich noch zwei Scheiben Fleisch auf seinen Teller. Julius und Miriam aßen schweigend und abwartend. „Mhhhmm“, schmatzte Schwenk und ließ das letzte Stückchen des zarten Bratens auf seiner Zunge zergehen. Miriam ließ ein kleines Stück Fleisch unter den Esstisch gleiten, Columbo schnappte danach. Julius schüttelte seinen dunklen Lockenkopf. „Mirie, du machst meine mühselige Hundeerziehung zunichte.“ Schwenk lachte abfällig. „Columbo wird nie ein richtiger Polizeihund. Viel zu verwöhnt.“ Dann wandte er sich an Miriam. „Ausgezeichnet, dein Senfrostbraten.“ „Merkst du was, Julius?“, sagte Miriam. „Dein Cousin will uns bestechen.“ Schwenk nahm einen Schluck Sprudelwasser. „Gibt’s auch Nachtisch?“ Julius holte eine kleine runde Schokoladentorte aus dem Kühlschrank und stellte sie vor Schwenks Nase. „Süßes gibt es aber erst, wenn du ausgepackt hast.“ Schwenk schielte auf den Kuchen. „Es wird morgen in den Gazetten mit den fetten Buchstaben stehen. Wahrscheinlich kurbelt es den Verkauf auf dem Weihnachtsmarkt noch an. Neugierige werden sich um den Stand der Witwe scharen und ihr die edlen Handwerksprodukte aus den Händen reißen. Ihr Mann wurde heute Nachmittag erschossen.“ Miriam wickelte eine dunkelbraune Locke um ihren Finger. „Habt ihr schon einen Verdacht auf den Mörder?“ „Es war der Weihnachtsmann!“, entfuhr es Schwenk. Miriam und Julius kreuzten bedenklich ihre Blicke. Schwenk winkte ab. „Nachbarn haben beobachtet, dass ein Weihnachtsmann bei dem Opfer klingelte. Der Fabrikant öffnete, dann sackte er zusammen. Der Notarzt konnte nichts mehr tun, zwei gezielte Schüsse ins Herz, aus nächster Nähe.“ „Und der Weihnachtsmann?“, fragte Miriam. „Ist auf einem Fahrrad davon geradelt. Die Nachbarn, ein älteres Ehepaar, haben den Mord nicht mitgekriegt. Sie sahen nur das zusammen gesunkene Opfer und dachten, der Fabrikant habe einen Herzanfall. Deshalb eilten sie rüber um zu helfen. Der Weihnachtsmann geriet aus ihrem Blickfeld. Sie hatten genug damit zu tun, sich um den blutenden T.J. Hamilton zu kümmern, und den Notarzt anzurufen.“ „Wir haben es gerade in den Nachrichten gehört“, murmelte Julius. „Bist du deshalb hier?“ Hauptkommissar Dieter Schwenk nickte. Miriam schüttelte den Kopf. „Wir haben Schweigepflicht, was die Klienten unserer Detektei betrifft.“ „Ihr seid entbunden!“, sagte Schwenk. „Leonore Hamilton, jetzt Witwe, brach nach unserer Nachricht auf dem Weihnachtsmarkt zusammen. Erst nach der Beruhigungsspritze hat sie sich vollkommen aufgelöst über alles ausgelassen, was in den letzten Monaten auffällig war. Sie will nichts mehr, als den Mörder ihres Mannes. Angeblich!“ „Du traust ihr nicht?“, fragte Julius. Schwenk seufzte. „Mein Beruf bringt eine gesunde Skepsis mit sich. Zudem gibt es ein Zeitfenster, Leonore war wie üblich zwei Stunden nicht auf ihrem Marktstand. In dieser Zeit bringt sie die eingenommenen Gelder zur Bank und gönnt sich ein Mittagessen. Wir überprüfen das. Es ist ausgerechnet die Zeit gewesen, in der Hamilton erschossen wurde.“ „Und jetzt willst du alles über unseren Hamilton-Auftrag wissen!“, stellte Julius fest. Schwenk zerteilte mit einer Gabel sein Stück Torte. „Vor allen Dingen, wie ihr die beteiligten Personen einschätzt.“ Julius seufzte. „Das ist eine lange Geschichte.“ „Solange wird der Kuchen wohl reichen“, konterte Schwenk. Julius resümierte. „Es war im Sommer. T.J. Hamilton vermutete Werksspionage in seiner Firma. Wir fanden den Täter. Es war einer seiner Mitarbeiter, ein gewisser Gerd Hubbel. Die Hamilton-Werke kündigten ihm. Hubbel wohnt jetzt in Hamburg.“ Schwenk nickte. „Leonore Hamilton hat uns unter Tränen davon berichtet. Sie vermutet er hat es getan, oder einen Killer geschickt. Gerd Hubbel kommt zur Vernehmung nach Düsseldorf. Aber mich interessiert die Familie Hamilton. Ihr Werdegang, die Familienmitglieder, ich will mir ein Bild von ihnen machen.“ Julius grübelte. „Thomas Jake Hamilton ist das Kind eines amerikanischen Studenten und einer deutschen Mutter. Nach seinem Studium zogen sie in die USA. Aber nach der Scheidung nahm seine Mutter T.J. mit nach Nürnberg. Später studierte Hamilton BWL und lernte Leonore kennen. Die junge Witwe hatte ihren Mann durch einen Unfall verloren. Da Leonore ihren kleinen Sohn George ernähren musste, arbeitete sie im Handwerksbetrieb ihres Vaters mit. Sie stellten Holzarbeiten her und Weihnachtsartikel. Hamilton heiratete Leonore und adoptierte ihren Sohn George. Sie bekamen eine Tochter, Henrieke. Hamilton baute den Handwerksbetrieb seines Schwiegervaters mit geschickter Spürnase über die Jahrzehnte aus. Seine Kontakte in die USA nutzte er.“ Dieter Schwenk stülpte die Lippen vor. „Das haben wir auch schon herausgefunden. Hamiltons Eltern leben nicht mehr. Und er hatte keine Geschwister. Also erbt keiner in den USA was.“ Julius runzelte die Brauen. „Auch die Schwiegereltern gibt es nicht mehr. Sie wohnten früher im Gästehaus neben der Villa. Leonore ist Einzelkind, das Erbe bleibt bei den Hamiltons.“ „Das Anwesen ist riesig“, sagte Schwenk. „Die Rosados, das Gärtnerehepaar, kümmert sich um alles. Aber die sind seit einer Woche bei ihrer Tochter in der Toskana in Urlaub.“ Julius lehnte sich skeptisch zurück. „Rosalie und Paolo haben bestimmt keinen Grund, ihrem Arbeitgeber zu grollen.“ Schwenk wiegte den Kopf. „Also fangen wir bei der Witwe und ihren beiden Kindern an.“ Miriam übernahm. „George und Henrieke, von allen Rieke genannt. George studierte BWL, um später in den Betrieb seines Vaters einzusteigen. Seine Schwester ist aufmüpfiger, sie studierte in Sydney und im Moment in Buenos Aires. Rieke interessiert sich nicht für die Hamilton-Werke. Sie hängt in Ökokreisen rum und treibt sich mehr in der Welt herum als an ihrem Studienplatz. Das wusste ihr Vater aber nicht, George hat es uns verraten. Meist hatten wir mit ihm zu tun und seinem Vater. Hamilton Senior war ein typischer Selfmade Man. Er strahlte Autorität aus. Alles musste nach seiner Nase gehen. Leonore lernten wir auch kennen. Rieke bekamen wir nie zu Gesicht, da sie im Ausland ist. Wir agierten in der Firma und in der Villa, da hatte Hamilton sein privates Büro. Also die Villa, die ist geil, aber du warst ja selber drin.“ „Die Firma ist liquide?“, fragte Schwenk plötzlich. Julius runzelte die Brauen. „Millionenumsätze. Sie haben sich in all den Jahrzehnten ein Vermögen erwirtschaftet. Wurde was gestohlen?“ Schwenk schüttelte den Kopf. „Der Mörder war direkt nach den Schüssen weg. Aber Leonore Hamilton kontrolliert alles durch, auch den Tresor, ihre Pelzmäntel im Kleiderschrank und ihre Schmuckschatullen. George, ihr Sohn, ist noch in Nürnberg.“ Miriam erinnerte sich. „In der Düsseldorfer Fabrikation werden die Prototypen entwickelt und hergestellt. Von dort aus gehen die Aufträge in die anderen Werke, auch nach Asien. Dort werden sie zu Billigpreisen gefertigt. Der weltweite Absatz ist unglaublich. Bei den Bilanzen schlackern einem die Ohren.“ „Haben die Hamiltons da die Weihnachtsmärkte nötig?“, fragte Schwenk. Miriam lächelte nachsichtig. „Abgesehen von einer gewissen Sentimentalität geht es auf den Märkten um das direkte Schwätzchen mit den Kunden, um ihre Interessen zu erfahren, neue Trends aufzuspüren und bei der Konkurrenz zu spionieren. Man darf die Einnahmen dort nicht unterschätzen. Für jeden Marktstand sind Unmengen an Waren nötig.“ Julius klopfte mit den Fingern auf den Tisch. „Dieter, was ist mit der Tatwaffe?“ Schwenk verzog die Lippen. „Eine Beretta! Wir schätzen, illegal besorgt.“ Columbo schob seinen Kopf auf Julius rechtes Knie und schielte zum Schokoladenkuchen. Julius kraulte sein weiches Fell. „Und die Tatwaffe ist ebenso verschwunden wie der Mörder?“ „Ja, vom Täter weit und breit keine Spur. Er hat sich bestimmt irgendwo schnell umgezogen, hinter Büschen, in einer Mauernische, weiß der Geier wo, und dann sein Fahrrad in ein Auto umgeladen. Da es heute nur geplästert hat, sind seine Spuren schnell verwischt, auch wenn sich unsere Spurensucher den Arsch aufreißen.“ Miriam seufzte. „Kalendarisch ist erst zwei Tage vor Weihnachten Winteranfang, in knapp zwei Wochen. Aber an der Kälte merkt man, der Winter graut schon. Und wenn es jetzt noch schneit, könnt ihr am Tatort Schnee schaufeln.“ „Verdammt!“ Schwenk lud sich ein zweites Stück Torte auf den Teller. „Und ich komme wieder nicht zum Essen.“ „White Christmas!“, sagte Miriam und patschte ihm einen dicken Löffel Sahne auf seine Torte.

Wintergrauen

Подняться наверх