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3. George

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George Hamilton hatte die Nachricht vom Tod seines Vaters erst am Abend erhalten. Seine Mutter hatte wie unter Drogen gesprochen. „Ich will nicht, dass du dich in Gefahr begibst. Ich verbiete dir, bei diesem fürchterlichen Regen und mitten in der Nacht über die Autobahnen zu rasen.“ „Aber du kannst jetzt nicht alleine in unserer Villa bleiben, dort wo alles passiert ist!“, hatte George geantwortet. „Und die Rosados sind in Urlaub.“ „Keine Sorge!“, hatte Leonore erwidert. „Unsere Villa ist voll mit Kripobeamten. Ich bin sehr gut beschützt. Sie haben mich schon verhört, wegen dem Alibi und so. Aber Doktor Schatz ist gekommen, er hat ihnen weitere Befragungen verboten und mir starke Schlaftabletten mitgebracht. Vor morgen Mittag bin ich nicht ansprechbar. Wenn du in der Frühe losfährst, reicht es.“ Danach hatte George eine Mail mit den Neuigkeiten an seine Schwester nach Argentinien geschickt, sie solle sich in den nächsten Flieger werfen. Er war nicht sicher, ob die Mail Rieke erreicht hatte, es kam keine Antwort. Ansonsten gab es nichts zu tun. George saß wie auf glühenden Kohlen. Draußen prasselte der Regen wie im Trommelwirbel gegen die Fenster. Endlich, es war schon weit nach Mitternacht, hörte er den Schlüssel im Schloss. Er hastete zur Tür. Liane schälte sich aus ihrem dicken Lammfellmantel und zog sich die bunte Wollmütze vom Kopf. Ihr langes brünettes Haar glitt über ihre Schultern. Sie strahlte George an, aber als sie sein ernstes Gesicht sah, verfinsterte sich ihre Miene. „Bei dem Wetter hättest du in Paris bleiben sollen“, sagte George. „Die schleschte Wetter begann erst in Metz, isch wollte schnell zu dir zurück.“ Er nahm sie in die Arme und sog ihr Parfüm ein, eine Mischung aus Jasmin und Orange. „Es ist etwas Schreckliches passiert.“ George holte tief Luft und berichtete von dem Mord an seinem Vater. Liane riss fassungslos die Augen auf. „Und sie haben diese Täter noch nischt? Wer kann getan haben?“ George zuckte mit den Achseln. „Ein Raubüberfall? Morgen werde ich in Düsseldorf mehr erfahren.“ „Dann du musst jetzt in die Bett.“ George nickte und fügte sich ihren Anordnungen. Sie gingen nach oben zu den Schlafräumen. Seit Jahrzehnten gehörte die Wohnung in Nürnberg den Hamiltons. Das war praktisch, wenn sie regelmäßig die Produktion im Nürnberger Werk überprüften und gerade jetzt, um die Weihnachtsmärkte zu bestücken. George konnte sich kaum noch an die alten 70er Jahre-Tapeten erinnern, zwischen denen seine Großmutter gelebt hatte. Die Gemäuer sahen zahlreiche Renovierungen. Im letzten Jahr hatten sie den Dachboden dazu gekauft. George setzte seine Ideen um, eine Modernisierung über zwei Etagen, mit offener Küche, zwei stylischen Wohninseln und einem großen Büroraum für ihn und seinen Vater. Die neuen drei Schlafzimmer lagen nun auf dem Dachboden. George hatte gegen seinen Vater aufbegehren müssen, der mit Sentimentalität an den alten Räumen seiner längst verstorbenen Mutter hing. Der Senior sträubte sich gegen die massiven Veränderungen, Wände einreissen, neue Böden, aber George setzte sich durch. Wäre es Henriekes Idee gewesen, der Alte hätte seinem Liebling zur Belohnung einen Sportwagen geschenkt. George seufzte, und er musste um jedes bisschen Anerkennung kämpfen. Er verbesserte sich in Gedanken, ... hatte kämpfen müssen. Das war nun für immer vorbei. Er ließ sich auf das weiche Kissen fallen und bemerkte die Bleischwere in seinen Gliedern. Vielleicht hatten ihn die letzten Tage mit den Weihnachtsmärkten so erschöpft und Lianes Anwesenheit, die sie weiß Gott nicht mit philosophischen Gesprächen vergeudeten. Er fühlte ihren nackten Körper neben sich. Er wollte noch etwas mit ihr besprechen, aber ihm fielen direkt die Augen zu.

Er schlief wie ein Stein und wachte erst am Morgen auf. Er richtete sich benommen im Bett auf und betrachtete Lianes nackte Schultern, ihre helle Haut und ihre brünetten Locken, die sich wie Jugendstilornamente um ihr ovales Gesicht schmiegten. Als er sie vor einem halben Jahr kennen lernte, gab sie sich wie eine Mimose. Er hatte schwer und viele Wochen baggern müssen, damit sie ihn erhörte. Aber gerade das hatte ihn gereizt, sie zu erobern.

Er blickte durch die halb geöffneten Vorhänge. Hinter der gläsernen Scheibe quälte sich eine fahle Sonne durch den diesigen Morgen, aber der starke Regen hatte endlich nachgelassen. Es nieselte nur noch leicht. George griff nach seinen Boxershorts. Liane räkelte sich schlaftrunken.

George hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. „Liebling. Ich muss jetzt los, meine Mutter braucht mich. Ich melde mich, wenn ich die wichtigsten Dinge erledigt habe.“

Liane küsste ihn auf die Lippen. „Vergiss misch bis dahin nischt, Chéri.“

„Wie könnte ich dich je vergessen. Du bist das Beste, was mir in der letzten Zeit passiert ist.“

„Soll isch disch nach Düsseldorf begleiten, zu deine Maman?“

„Oh nein, Liane. Im Moment geht dort sicher alles drunter und drüber. Ich muss erst die Lage sondieren. Später vielleicht.“

„Ja“, hauchte sie.

George hatte ihr erst nach und nach mehr von seiner Familie erzählt. Liane schien zwar neugierig auf seine Verwandten, aber sie hatten beschlossen, ihre Verbindung noch eine gewisse Zeit vor ihnen geheim zu halten, sie vertrösteten sich auf den geeigneten Moment. Doch für eine Gegenleistung würde George diese Abmachung brechen. Aber er musste seine Worte unverfänglich wählen. George verschwand im Bad.

Danach wählte er aus dem Schrank einen konservativen, anthrazitfarbenen Anzug aus. Das machte einen guten Eindruck bei Behörden. Er band sich eine dunkle Krawatte um und schlüpfte in die Anzugjacke. Er blickte aus dem Dachfenster auf die regennassen Straßen Nürnbergs. Am Himmel hingen dunkle schwere Wolken. Es sah nicht nach weiterem Regen aus, eher nach Schnee. Er musste sich beeilen, wenn er nicht über eisglatte Autobahnen rasen wollte.

Liane war gerade aufgestanden und machte an der Wand wie jeden Morgen ihre Ballettübungen, sie spreizte die langen Beine zu einer Raute und streckte dann ein Bein hoch bis zu ihrem ausgestreckten Arm. Sie trug nur einen weißen Spitzenslip und ein Satinhemdchen.

George lächelte ihr zu und griff nach seinem Aktenkoffer. Etwas musste er noch loswerden. Oder eher prüfen, an ihr.

„Ich muss losfahren. Meine Schwester Henrieke würde jetzt an die Seite meiner Mutter gehören, aber die treibt sich noch in der Weltgeschichte herum. Ich hoffe, Rieke trudelt bald zuhause ein. Mutter geht es sehr schlecht, die Beerdigung ist zu regeln und weitere Angelegenheiten.“

Liane runzelte besorgt die Stirn. „Es tut mir so leid wegen deine Papa.“

„Ein Kommissar will mich sprechen, sicher wegen des Alibis.“

„Oh?“, machte Liane verdutzt. „Es war doch gestern an die Nachmittag, als deine arme Vater ...“ Sie stoppte abrupt und senkte den Kopf.

George raufte sich seine akkurate Frisur. „Ja verdammt! Ich wollte gestern zwar kurz ins Werk fahren, bin aber über den Bilanzen plötzlich für einige Stunden eingenickt. Da siehst du, wie mich unsere gemeinsamen wundervollen Nächte erschöpft haben. Nachher war es zu spät, um ins Werk zu fahren. Und dann rief meine Mutter an. Sie hat mich aus dem Schlaf geklingelt. Nachher verdächtigt mich die Kripo noch!“

Liane war schnell bei ihm und fuhr ihm durch sein dichtes dunkles Haar. „Oh, meine arme Chéri, es ist so schrecklisch. Wenn isch dir kann helfen, isch tue alles für disch.“

„Wenn du gestern nur bei mir gewesen wärst, als Zeugin.“

„Aber niemand weiß, dass isch war in Paris zu die fünfte Jahrestag von meine Maman, an ihre Grab.“

„Ich hätte dich ja gerne begleitet, aber die Arbeit ...“

„Schon gut, George. In die Trauer isch war lieber allein.“

„Und du hast niemanden in Paris getroffen?“

„Isch wollte zu die alte Nachbarin, aber ihre Klingelschild ist ausgetauscht. Isch bald finde ihre neue Adresse heraus.“

George nickte geflissentlich. „Dann könntest du gestern ja genauso gut hier bei mir gewesen sein.“

„Ja!“, sagte Liane plötzlich vehement. „Isch war gestern bei dir in Nürnberg, nischt in Paris. Ruf misch an, wenn du misch brauchst.“

George schob ihr einen Spaghettiträger von den Schultern und küsste ihren Brustansatz. „Wenn das Schlimmste hinter uns ist, und die Weihnachtsgeschäfte erledigt sind, dann fahren wir in Urlaub. Nur du und ich. Wie wäre es mit den Bahamas?“

Liane lächelte. „Wohin du willst. Mit dir, isch schlafen in ein Höhle.“

Er küsste sie zum letzten Mal. „Ich liebe deinen süßen Akzent.“

in seinem silbernen BMW warf George einen Blick in den Rückspiegel. Ein verschlagen grinsendes Gesicht blickte ihm entgegen. Er musste Liane schmoren lassen, bevor er sie nach Düsseldorf bat. Sie würde kommen und ihm jeden Wunsch erfüllen. Mit ihrer Hilfe konnte ihm die Kripo nichts anhaben.

Wintergrauen

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