Читать книгу Wenn die Träume laufen lernen 1: IBIZA - Gabriele Ketterl - Страница 13
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Ich erwachte davon, dass jemand in der Küche mit Geschirr klapperte. Ein Blick auf meinen riesigen rosa Wecker zeigte, dass es kurz nach neun war. Silvies Bett war leer und das war gut so, denn wie immer, wenn ich mit der Frühschicht dran war, übernahm sie um acht Uhr meine Aerobic-Stunde. Obwohl es für Urlaub recht früh war – die Stunden, die jeden Dienstag und Donnerstag stattfanden, waren stets sehr gut besucht. Es bedurfte immer ein wenig Einfühlungsvermögen, um herauszufinden, wie die anwesenden Damen und seltenen Herren sich schlagen würden. Dementsprechend passten wir unser Programm an die Gäste an. Im Moment waren viele ausgesprochen sportliche Italiener im Club, mit denen es richtig Freude machte und die auch die passende Laune mitbrachten. Silvie würde ihren Spaß haben und abgesehen davon jeden Moment zurückkommen. Ich schälte mich aus dem Bett, streckte mich genüsslich und tapste ins Wohnzimmer. Als Carlos mich entdeckte, stellte er sofort eine zweite Tasse auf den Tresen, der unsere Küche vom Wohnzimmer trennte, und sah mich erwartungsvoll an. Ich schnupperte an meinem Shirt und rümpfte die Nase.
»Ich werfe mich schnell unter die Dusche. Ich transpiriere ein wenig.«
Carlos schüttelte tadelnd den Kopf. »Dann aber schnell. Wenn Silvie kommt, will sie duschen, das weißt du.«
»Jupp, bin schon weg.« Eilig griff ich meinen Bikini und ein knalloranges Minikleid und verzog ich mich ins Bad. Wir hatten den Nachmittag zur freien Verfügung, daher verzichtete ich aufs Haarewaschen, weil wir sicherlich alle am Strand landen würden. Eine knappe Viertelstunde später kam ich wieder vorzeigbar ins Wohnzimmer zurück.
Silvie nippte bereits an einem Kaffee und sah sehr zufrieden aus. Ihre blonden, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare waren am Ansatz schweißnass und auch ihr Clubshirt musste dringend in die Wäsche.
»Guten Morgen. Danke, dass du immer so leise bist. Ich hab dich wieder einmal nicht gehört.«
»Das liegt an meiner elfengleichen Erscheinung und meinem schwebenden Gang.« Ich zog eine dezent-spöttische Grimasse. Bei einer Größe von 1,77 Metern und meiner Vorliebe für Cowboystiefel durfte es gerne ein wenig Ironie sein.
Silvie trank mit stoischer Gelassenheit ihren Kaffee aus und lächelte mich an. »Ja, unter anderem darum behalte ich dich auch weiterhin. Seit Jaime dich in mein Zimmer gestellt hat, gab es keine Reklamationsgründe und die Umtauschfrist ist sowieso abgelaufen. Ich habe auch gar keine Lust, dich in absehbarer Zeit wieder los zu werden.« Sie schulterte ihre Klamotten. »Leute, wir sehen uns um elf. Ich gehe und verwandle mich wieder in ein menschliches Wesen.« Huldvoll winkend entschwand sie im Badezimmer.
Ich blickte stirnrunzelnd in die Tasse, die Carlos mir wortlos entgegen schob. »Keine Ahnung wie es dir geht, aber ich hab tatsächlich Hunger, ich geh rüber. Kommst du mit? Dürfte sowieso ruhig sein. Immerhin fehlen zweiundvierzig Leute.«
Carlos fuhr sich mit allen zehn Fingern durch seine frisch gewaschenen Haare. »Ich weiß nicht so recht. Hannah reist doch morgen ab. Vielleicht sollte ich mich noch ein wenig um sie kümmern.«
Ich musterte ihn mit tadelndem Blick. »Schäm dich. Wie bekommst du das eigentlich immer wieder hin? Ich meine, zwei auf einmal und keine merkt etwas von der anderen?«
Er stellte sein Geschirr im Spülbecken ab, umrundete mit einer geschmeidigen Bewegung die Theke, umarmte mich von hinten und flüsterte mir ins Ohr: »Übung, jahrelange Übung.« Dann angelte er sich sein Jeanshemd vom Haken, streifte es sich im Gehen über und verließ mit einem »Wir sehen uns in einer Stunde« die Wohnung.
Ich blieb kopfschüttelnd zurück. Kerle!
Schnell brüllte ich ins Bad, dass ich im Restaurant sei, um zu frühstücken. In der Hoffnung, dass Silvie es gehört hatte, machte ich mich auf den Weg.
Dadurch, dass es zwei Restaurants und eine Bodega für die Snacks zwischendurch gab, war es im Costa Azul nie so überlaufen wie in den großen Hotelkästen. Das Restaurant, in dem das Frühstück serviert wurde, war hell, freundlich in Blau und Weiß gestrichen, mit weißen Holzmöbeln, dazu immer frische Blumen und azurblaue Tischdecken. Die beiden langen Buffets waren reichlich bestückt und das Essen sehr lecker. Kaffee holte man sich an drei großen Warmhaltegefäßen, es gab Säfte, Milch, heiße Schokolade, Obst, Käse, Wurst, Eier – einfach alles, was ein gutes Frühstück ausmachte. Beschwerden kamen selten. Wenn, dann von einer bestimmten Generation Deutscher oder aber – und das war lustig – von Italienern. Wer einmal die »Üppigkeit« eines italienischen Frühstücks genießen durfte, wäre höchst erstaunt, dass man sich hier über Qualität und Menge ereiferte. Nun ja, Clubchef Leon ertrug es mit Gelassenheit und einem immer freundlichen Lächeln. Was blieb ihm schon anderes übrig.
Der Bereich für uns Clubangestellte war mit einer weiß getünchten Mauer aus Ziegeln vom allgemeinen Bereich abgetrennt. In den regelmäßigen Aussparungen brannten abends stilvolle Windlichter.
Ich absolvierte meine morgendliche Begrüßungsrunde bei Gästen, die ich kannte, und verzog mich dann hinter die Mauer in unseren Bereich. Dort traf ich auf Sebastian, unseren zweiten Poolguard, was bedeutete, dass Oliver, unser charmanter Franzose, bereits in seinem Minizelt am Pool saß und darauf achtete, dass nichts passierte. Fernando und José mussten am Strand um Punkt neun die grüne Fahne hissen und darauf achten, dass keine Gäste ertranken.
Auch Lise, unsere quirlige Quotenholländerin, war schon wieder auf dem Sprung. »Cara, du muuusst diese Pfannkuchen probieren. Sie sind köööstlich.«
Diese Holländer und ihre Leidenschaft für Pfannkuchen! Ich lächelte und nickte pflichtschuldig. »Danke für den Tipp, Lise, wird gemacht.«
Während sie schnellen Schrittes entschwand, trollte ich mich zum Büffet, von wo Oberkellner Juan und unser deutscher Koch Richard mir erwartungsvoll entgegenblickten.
»Guten Morgen, Cara, auch schon aus den Federn?« Richard, die Arme über dem ansehnlichen Bauch verschränkt, lachte mir fröhlich entgegen.
Ich seufzte mitleiderregend. »Wer, glaubst du, hat heute, mitten in der Nacht, die Passagiere für den Brit-Bomber verabschiedet? Das war ja wohl meine Wenigkeit, also darf ich mir ein Spätfrühstück gönnen.«
Richard schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Heiliger Strohsack, stimmt ja, da war was. Und ich Depp wunder mich, dass so wenig los ist.« Sein Blick wanderte nachdenklich über die noch immer gut gefüllten Büffets. »Na dann, Cara, ist fast alles für dich. Lang tüchtig zu.«
Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen. »Danke, Richard, wenn’s nach dir ginge, würde ich sowieso schon mit Rollen schneller vorankommen als mit Laufen.« Ich holte mir einen Teller, häufte Rührei samt geschnittenen Tomaten darauf, fischte mir mehrere Scheiben Speck aus der riesigen Pfanne und schaffte es gerade noch, eines der knusprigen Brötchen daneben unterzubringen. Mit Teller und einem Glas Orangensaft ging ich vorsichtig zurück zu meinem Platz. Als Kellnerin wäre ich denkbar ungeeignet.
Roberta gesellte sich zu uns und stocherte in den Resten ihres Frühstücks herum. So in Gedanken versunken kannte ich sie sonst kaum. Ich steckte mir eine Gabel mit Rührei in den Mund und wartete, ob sie von sich aus erzählen würde. Es dauerte eine Weile, ehe sie sich ein Herz fasste. »Cara, was würdest du tun, wenn du einen richtig bösen Verdacht hast, dir aber nicht sicher bist?«
Ich schluckte, spülte mit Orangensaft nach und sah sie fragend an. »Was genau meinst du mit Verdacht?«
Sie wand sich und suchte sichtlich nach den richtigen Worten. Ehe sie fortfuhr, blickte sie sich um, doch außer Sebastian war niemand in der Nähe. »Also, letzte Woche kam doch das Pärchen mit der kleinen Tochter aus Manchester an. Du weißt schon, die Neonlady, an der alles knallgelb, knallgrün oder knallpink ist.«
»Ja, und was ist mit denen?«
Sie zuckte mit hilflosem Blick die Schultern. »Sie sind einfach strange. Die Kleine ist immer komplett bekleidet. Selbst im Pool hat sie ein langärmliges Shirt und eine lange Stretchhose an. Hast du mal bemerkt, wie dünn das Kind ist? Oder wie sie bei jedem Wort ihres Vaters sofort zusammenzuckt?«
»Nun ja«, mischte Sebastian sich ein, »in England gibt es nicht so viel Sonne. Vielleicht wollen sie den Zwerg einfach nur schützen. Und dass Kinder in dem Alter auch mal dünner sind, weil sie herumtoben wie verrückt, soll schon vorkommen. Wie alt ist das Mädel denn?«
Roberta dachte angestrengt nach. »Wenn ich mich recht entsinne, dann ist es vier. Ich glaube, dass die Eltern von ihrer Tochter genervt sind. Aber jedes Mal, wenn ich meine Runde mache, um Kinder für Spiele am Strand oder zum Backen in der kleinen Küche einzusammeln, darf sie nicht mitmachen. Also bei allem, wofür sie aus dem Blickfeld der Eltern verschwinden müsste.«
»Vielleicht sind sie einfach übervorsichtig? Ich meine, besonders sympathisch sind die zwei wahrlich nicht, aber wir müssen aufpassen, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen.« Ich überlegte angestrengt. »Was steht heute bei dir auf dem Plan?«
»Heute nichts mehr, aber morgen T-Shirts gestalten mit Stiften und Pailletten und so weiter. Danach gibt’s Eis für alle.«
»Ist das unten im überdachten Poolbereich? Dann versuch dir die Kleine morgen zu schnappen und sieh sie dir, wenn möglich, genauer an. Aber unauffällig! Wenn du dann einen konkreten Verdacht hast, geh zu Leon oder Carlos. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.«
»Ja, du hast recht. Ich halte einfach die Augen und Ohren offen.« Roberta warf einen Blick auf die Uhr, die direkt hinter mir hing. »Halb elf schon. Ich geh dann mal. Wir sehen uns beim Meeting.«
Sebastian und ich blieben zurück und ich aß erst einmal in Ruhe mein Frühstück. Allerdings gingen mir Robertas Worte nicht aus dem Kopf. Die Italienerin liebte Kinder über alles und hatte einen hervorragenden Riecher in Punkto Problemfälle. Damit waren wir leider öfter konfrontiert, als uns lieb war. Ob das nun sturzbetrunkene Eltern waren, die ihre Kinder irgendwo vergaßen, oder die übervorsichtigen, die ihren Kleinen alles verboten. Dann gab es noch die, bei denen man das Gefühl hatte, dass ihre Kinder eigentlich nur ein Ärgernis darstellten. Auf lange Sicht war das wohl das größte Übel. Ich konnte nur hoffen, dass Roberta sich irrte und mit dem Wicht alles in Ordnung war.
Sebastian textete mich noch eine ganze Weile mit seinen privaten Problemen zu, die bei ihm allerdings überschaubar waren angesichts der Tatsache, dass er bei Marie in festen Händen war. So beschränkte es sich auf den Umstand, dass Marie unbedingt auf die Nachbarinsel Mallorca wechseln wollte, da sie befürchtete, dass er hier, auf der Partyinsel, bei den vielen hübschen Mädchen doch irgendwann schwach werden könnte.
Er lehnte sich mit verständnislosem Blick zurück und breitete die Arme aus. »Mal im Ernst, Cara, sieh mich doch an. Welches von den Mädels da draußen ist denn schon auf mich scharf, wenn so jemand wie Carlos, Fernando, Andy oder Oliver hier herumhängt?«
»Hm.« Es war nicht leicht, die richtigen Worte zu finden. Sebastian war einer der liebsten Menschen, die ich kannte. Als Mann aber eben durchschnittlich. Nicht schön, aber auch nicht hässlich. Sein kurz geschnittenes, braunes Haar, das er in Rockermanier nach oben frisierte, lichtete sich schon an manchen Stellen, und wo die anderen ihre Muskeln spielen ließen, war er mit einem durchschnittlichen Körper mit winzigem Bauchansatz gesegnet.
»Sebastian, nun hör aber auf. Du bist ein ganz normaler Mann, du bist ein toller Schwimmer, du hast einen ausgesprochen feinen Humor, du kannst echt super singen und überhaupt. Stell dein Licht nicht dauernd so unter den Scheffel.« Ich trank meinen Saft aus und stand auf.
Sebastian tat es mir gleich, blickte schmunzelnd zu mir auf und meinte ironisch: »Und ich habe ein paar Jahre zu früh mit dem Wachsen aufgehört.«
Ich klopfte ihm nur tröstend auf den Rücken und wir machten uns gemeinsam auf den Weg zu unserem Teammeeting.
Da Leon bei diesen Meetings anwesend war, gaben sich wirklich alle Angestellten Mühe, pünktlich zu sein – alle bis auf Carlos. Drei Minuten nach elf wurde die Tür aufgerissen und unser Schwerenöter stürzte heftig atmend in den Raum.
»Es tut mir leid, ich bin aufgehalten worden, war leider wichtig.«
Ich verschränkte die Arme und lehnte mich genüsslich zurück, während ich ihn nicht aus den Augen ließ. »Du Ärmster, nie lassen sie dir auch nur eine freie Minute. Immer hängen alle an dir …«, ich legte eine Kunstpause ein, »… mit ihren zahllosen Problemen.«
Nachdem aus Silvies Richtung ein unterdrücktes Röcheln kam, warf Carlos mir einen warnenden Blick zu, dem ich problemlos und mit ernster Miene standhielt. »Dann komm, sobald du wieder bei Atem bist, könnten wir loslegen.« Ich zauberte ein verständnisvoll-gönnerhaftes Lächeln auf meine Lippen.
Au weia, das war sein »Na warte«-Blick. Ich sollte heute den Rest des Tages auf der Hut sein.
Immerhin legte er nun tatsächlich los. »Nun denn, heute Abend gegen zehn Uhr kommen die neuen Gäste aus England. Aktuell wissen wir, dass wohl alle, die angekündigt sind, auch kommen. Wir ziehen von acht bis halb zehn die Karaoke-Show durch. Danach begrüßen bitte Silvie, Cara, José und Andy die Neuankömmlinge.«
Ich biss mir auf die Zunge. Da war sie schon, meine Retourkutsche. Nun ja, wahrscheinlich hatte ich sie mir redlich verdient.
Carlos fuhr unbeirrt, und ohne mich eines Blickes zu würdigen, fort. »Morgen, Freitag, sammelt ihr bitte die Anmeldungen für die Fahrt zum Hippie-Markt in Ibiza-Stadt ein. Ich will sie bis spätestens fünf Uhr vorliegen haben, damit ich sagen kann, ob am Samstag ein oder zwei Busse nötig sind. Dazu will ich bitte morgen im Laufe des Vormittages, die Liste der Kandidatinnen für die Miss-Costa-Azul-Wahl morgen Abend haben. Lise und Silvie schnappen sich schnellstmöglich die Mädels und bereiten sie auf das vor, was am Abend passieren wird. Ihr wisst, es darf keine Show der Peinlichkeiten werden. Das überlassen wir anderen Clubs. Die Mädels sollen Spaß haben und sich gut fühlen. Königinnen für eine Nacht!«
Nun kam er doch, der schnelle Seitenblick in meine Richtung. Ich verweigerte das Lächeln. Schließlich musste ich pflichtschuldig schmollen.
»Generalprobe für die Show am Samstag ist um drei Uhr nachmittags. Roberta und Lise, ihr lasst die Gäste wissen, dass sie ihre Knirpse in eurer Obhut lassen dürfen. Bestandteile werden sein: Footloose, A Chorus Line, Grease und die Rocky Horror Picture Show. » Nach jedem Programmpunkt warf Carlos einen Blick zu Leon, der immer automatisch nickte. Ein leicht diabolisches Lächeln erschien auf Carlos‹ Lippen, als er fortfuhr. »Und ab Sonntag habt ihr alle drei Tage bezahlten Urlaub.«
»Hey! Habe ich etwas verpasst?« Leons Kopf ruckte blitzschnell hoch.
»Nein.« Carlos grinste ihn entwaffnend an. »Ich wollte nur testen, ob du noch zuhörst.«
»Also, dann noch mal zu Sonntag. Bis auf die Rettungsschwimmer habt ihr alle bis um sieben Uhr frei und danach helfen bitte alle beim Aufbau für unsere Flamenco Show. Die Truppe der Tänzer kommt um halb neun und braucht keine Vorbereitung. Noch Fragen? Abendessen für euch gibt es nachher, okay?«
Er warf einen Blick in die Runde. »Dass der Montag, bis auf Badminton und Gymnastik am Vormittag, komplett frei ist, muss ich wahrscheinlich nicht erwähnen.«
»Bis auf die Rettungsschwimmer! Den Spruch kenn ich.«
Carlos grinste entschuldigend in Sebastians Richtung. »Du sagst es, bis auf die Rettungsschwimmer.«
»Abgesehen davon ist für Mittwochabend wieder die Tour durch die Cafés und Bodegas in Ibiza Stadt angesagt. Bitte, vergesst mir ja nicht bei den Anmeldungen zu erwähnen, dass der Bus um sieben hier losfährt und um Punkt Mitternacht zurück ist. Wer in einen Club möchte, soll uns das sagen. Wir gehen nicht mit in Clubs. Jedes Mal der gleiche Mist. Wir reservieren unten am Strand in der Beach Bar und von dort aus geht es nach Sonnenuntergang quer durch die Kneipen der Altstadt. Keine Diskotheken, es sei denn einer von euch legt gesteigerten Wert darauf.«
Einhelliges Kopfschütteln antwortete ihm. Es war nicht amüsant, Gäste zu betreuen, die irgendwann so sternhagelvoll waren, dass sie ihre Namen in die weiße Kiesauffahrt eines Nobelclubs pinkelten. Nach Mitternacht war keiner von uns mehr bereit, irgendwo hinzugehen. Das hatte die Erfahrung uns gelehrt.
Carlos war offensichtlich zufrieden. »Sehr schön, das wäre geklärt. Dieses Mal begleiten Cara, Roberta, Fernando und ich die Gäste. Cara und Roberta in den Bussen, Fernando und ich im Jeep hinterher. Wir parken auf dem Parkplatz am Hafen – dahin könnt ihr eventuelle Totalausfälle eskortieren, die wir den Busfahrern nicht mehr zumuten können.« Sein Blick wanderte zu Roberta und mir. »Besoffene Kerle ab einem gewissen Level sofort zu uns.«
Wir nickten gehorsam. Im vergangenen Jahr, als wir unseren ersten Sommer als Team auf Ibiza verbrachten, hatte ein total betrunkener Engländer versucht, sich an mir zu vergreifen. Carlos warnte ihn – vor Zeugen – zwei Mal. Als er dann noch immer probierte, seine Hände unter mein Shirt zu schieben und mich zu küssen, dauerte es keine zwei Minuten und er verbrachte den Rest seines Aufenthaltes im Krankenhaus. Bis dahin war mir nicht bewusst gewesen, dass Carlos tatsächlich ausrasten konnte.
Dios mío, und wie er das konnte!
»Gut, das war’s dann für jetzt. Noch Fragen?«
Leon erhob sich. »Weil ich den Großteil von euch gerade hier habe, möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich für den exzellenten Job bedanken, den ihr alle macht. Ich bin der Meinung, dass ihr das beste Team seid, das ich je hatte. Das muss auch mal gesagt werden. Und aus diesem Grund stelle ich am Sonntag ab Mittag die Jeeps zur Verfügung. Wer also Lust hat und die Nase voll davon, andauernd nur hier herumzuhängen, der darf sich an diesem Tag gerne einmal in die Berge oder sonst wohin aufmachen.«
Carlos unterhielt sich noch mit Clive und Leon, als ich mich zur Tür hinausstahl. Schnellen Schrittes ging ich zu unserer Wohnung, holte mein Badehandtuch, schlüpfte in meine Flip-Flops, packte mein Strandzeug in meine riesige Basttasche, setzte mir die Sonnenbrille auf die Nase und machte mich auf den Weg zum Strand.
Besonders weit kam ich nicht. Was machte Lupe denn um diese Zeit noch im Restaurant? Die Frau sollte seit mindestens einer Stunde zuhause sein. Ich bog scharf links ab, umrundete den Pool und tippte ihr auf die Schulter. »Lupe, was ist los? Hast du vergessen, dass du um zehn Feierabend hast?«
Sie klatschte seufzend den Lappen, mit dem sie die Tischplatten abwischte, vor sich auf den Tisch. »Wie könnte ich das vergessen, ich bin zum Umfallen müde. Aber letzte Nacht ist Juanna auf einer zerlaufenen Eiswaffel ausgerutscht und liegt jetzt mit einer dicken Beule und einer Gehirnerschütterung im Bett, die Maschine für die Tellerwäsche ist ausgefallen und unser Helfer, dessen Namen ich nicht aussprechen kann, hat sich die Hand verbrüht. Selbst Juan ist drin und spült ab, in einer halben Stunde gibt’s die Mittagssnacks und die Tapas. Was soll ich denn tun?«
Ich sah nachdenklich an meinem hübschen Strandkleidchen hinab. »Hm, du packst jetzt zusammen und gehst nach Hause. Ich helfe drinnen mit und Juan soll die Tische weiter vorbereiten. Du gehst schlafen, sofort.«
Lupe sah mich ungläubig an. »Das tust du? Wirklich?«
Ich nickte, ehe ich mich doch noch anders entscheiden konnte. »Das tu ich und jetzt, hasta la vista, mi amiga.«
»Carlos hat eben doch recht, du bist ein Engel.«
»Nicht übertreiben.« Ich ließ mich von Lupe kurz drücken, griff nach dem Lappen und strebte auf den Eingang zu.
»Cara, was ist los? Braucht ihr Hilfe?«
Andy! Der kam mir gerade recht. Ich drehte mich um und zog ein trauriges Gesicht. »Ja, eklatanter Personalmangel. Sie brauchen jemanden, der beim Spülen hilft. Juan kann sich nicht vierteilen.«
Andy runzelte nur kurz die Stirn, dann zog er sein schönes Shirt über den Kopf, lächelte mich aufmunternd an und trabte mit einem »Na, dann wollen wir mal« ins Restaurant. Der Kerl war einfach nur zum Knutschen.
Fünf Minuten später standen Andy und ich in einem äußerst fragwürdigen Outfit an der großen Spüle in der Küche und reinigten im Akkord Teller und Tassen. Er in seinen Badeshorts, ich im Bikini, beide mit hochgezurrten Haaren, mit Gummihandschuhen bewaffnet und zum Schutz vor heißen Wasserspritzern mit bodenlangen Gummischürzen ausgestattet – hinten offen, wohlgemerkt. Wir boten ein wahrhaft göttliches Bild. Meine Drohung, dass niemand mehr seines Lebens froh würde, sollte ich auch nur einen Fotoapparat erahnen, schien zu fruchten. Welch Wunder, alle waren einfach nur dankbar für unsere spontane Hilfe.
Kurz vor halb zwei Uhr waren wir fertig. Schweißüberströmt zupften wir uns die müffelnden Gummihandschuhe von den Händen und ließen uns von Richard die Schürzen abnehmen. Der musterte uns voller Respekt. »Mensch, Leute, das war echt prima von euch. Ihr wisst, dass ihr das nicht hättet tun müssen?«
Andy hieb ihm freundlich auf die Schulter. »Wissen wir, ist schon okay.«
Da wir beide jetzt nur noch an den Strand wollten, lehnten wir ein »Süppchen« dankend ab und trollten uns, nachdem wir unsere Haare entknotet hatten, nach draußen. Nach der eher dunklen Küche blendete die Sonne und wir ernteten ob unseres Erscheinungsbildes einige seltsame Blicke. Das war uns egal, allerdings bemerkte ich, dass wir grauenvoll stanken. Daher stellten wir uns erst einmal ein paar Minuten unter die Duschen am Pool. Danach fühlte zumindest ich mich wieder besser, schlüpfte, nass wie ich war, in mein enges Kleidchen, beugte mich nach vorne und schüttelte meine langen Haare aus. Als ich Andy leise lachen hörte, wandte ich mich ein wenig verwirrt um. Er stand direkt neben mir und trocknete sich notdürftig ab.
»Was ist, warum lachst du?«
Er grinste mich verschwörerisch an. »Schau dir mal ganz unauffällig die Kerle hier an. Wenn die jetzt dürften, wie sie wollten … das wäre lustig. Aber wenn ich mir ihre Frauen betrachte, dann können sie das allesamt getrost vergessen.«
Ich verstand wieder einmal gar nichts, warf aber dann doch einen raschen Blick in die Runde. Tatsächlich, die Herren der Schöpfung – und zwar wirklich fast alle – starrten mich mit großen, sehnsüchtigen Augen an. Wenn hingegen die Blicke ihrer Angetrauten hätten töten können, wäre es mir wohl übel ergangen.
Schmunzelnd wandte ich mich ab. »Meine Hände riechen noch immer nach verschwitztem Gummihandschuh und ich hab zerzauste Haare. Ekeln die sich denn vor gar nichts?«
Andy seufzte laut. »Mädel, dir ist nicht zu helfen. Die sehen das, was alle außer dir sehen: eine sehr hübsche Blondine und das wunderbarste Lächeln der Welt. Cara, manchmal bist du in der Richtung echt ein bisschen schwer von Begriff, oder?«
Ich spürte, wie ich wieder einmal rot wurde. »Du übertreibst, Andy.«
»Tu ich nicht, und jetzt hauen wir ab, ehe du doch noch von einer der Kampfgattinnen hier gesteinigt wirst.«
Ich schnappte mir meine Badetasche und trabte neben ihm her in Richtung Strand. Wir traten durch das Tor und hielten auf die Strandbar zu, neben der wir unseren Stammplatz hatten. Ich sah José, der auf seinem Turm mit dem Fernglas die Wasseroberfläche absuchte. Keine Spur von Fernando, dafür saßen Silvie und Roberta unter einem der Schirme, genossen die Mittagspause und ließen sich einen alkoholfreien Cocktail schmecken.
»Andy, schau doch, Silvie ist da.«
»Cara!«
»Ja?«
»Halt die Klappe.«
»Mach ich, aber du solltest sie endlich mal aufbekommen.«
»Cara!!«
»Schon gut, ich bin ja still.« Lachend, die Flip-Flops in Händen, die Badetasche über der Schulter, steuerte ich auf die beiden Mädels zu, Andy im Schlepptau. Hinter der Bar entdeckte ich die wilde, rotblonde Mähne unseres Surferprofis Neill und die immer ernsten Züge von Barchef Jorge. Ich ließ meine Schuhe neben dem Tisch der Mädels fallen und wollte soeben meine Tasche abstellen, als aus dem Nichts Fernando auf mich zustürzte.
An seinem Gesichtsausdruck sah ich sofort, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
»Cara, mi amor, wo bleibst du denn? Ich warte schon seit einer Stunde auf dich.« Fernando hatte mich erreicht und ich fragte mich noch, wie ich reagieren sollte, als ich sein bittendes Flüstern hörte. »Cara, por dios, bitte spiel jetzt mit, sonst lande ich heute noch im Krankenhaus. Bitte!«
Es klang so flehentlich, dass ich automatisch reagierte. Ich schlang meine Arme um seinen Hals. »Was ist denn los?«
»Wirf mal einen Blick über meine Schulter, zum anderen Ende des Tresens. Unauffällig bitte, wenn’s geht.«
Ich schlang meine Arme etwas fester um seinen Hals, küsste ihn spielerisch auf sein Ohrläppchen und spähte dabei über seine Schulter, was ob seiner Größe nicht leicht war. Aha, daher wehte der Wind. Auf einem Barhocker saß mit Leichenbittermiene die Engländerin mit den langen, schwarz gefärbten Haaren, auf die Carlos heute Morgen angespielt hatte. Direkt neben ihr der stiernackige Freund, mit deutlicher Mordlust im Blick. Ich ahnte, was passiert sein musste und wusste sofort, wovon Carlos geredet hatte. Der Knabe erinnerte mich spontan an Davey Boy Smith, »The British Bulldog«, leider ohne auch nur einen Hauch des Charismas zu verströmen, das den Profiwrestler umgab. Fernando war groß, kräftig und schnell, aber sollte dieser glatzköpfige Muskelberg ausrasten, dann wäre unser Canario wohl verloren.
»Du steckst bis zu den Ohren in der Scheiße, mein Lieber.«
»Danke, dass du mich daran erinnerst, hätte ich beinahe vergessen.« Er küsste mich auf die Nasenspitze. »Bitte, Cara, tu doch nur für ein paar Minuten so, als ob du ohne mich nicht leben könntest.«
Ich lächelte versonnen vor mich hin, senkte den Blick, um dann mit gekonntem Augenaufschlag wieder aufzusehen.
»Por supuesto, mi amor. Aber natürlich! » Ich schmiegte mich grinsend an ihn und spielte mit seinen Haaren, während er hingebungsvoll meinen Rücken streichelte.
Plötzlich kicherte er leise vor sich hin. »Cara, sei mir nicht böse, aber wo bitteschön kommst du gerade her? Deine Hände riechen nach …ich weiß nicht so genau.« Er nahm meine Hand und schnupperte daran. »Hm, sexy, rieche ich da einen Hauch des unwiderstehlichen Duftes von nassen Gummihandschuhen in Kombination mit Eau de Cuisine?«
Neben uns vernahm ich ein ersticktes Geräusch. Roberta quollen bei dem Versuch, das Lachen zu unterdrücken, fast die Augen aus dem Kopf.
Na warte!
Ich kuschelte mich noch fester an ihn. »Mi vida, ich weiß ja nicht, wie es dir geht. Aber besser ein dezentes Eau de Spülmittel als dieser nicht ganz so dezente Hauch von Angstschweiß, der hier in der Luft liegt, nicht wahr?«
»Corazon, glaubst du, du kannst mich ärgern?«
»Ich kann dich so sehr ärgern, mi amor, dass dir die Luft wegbleibt. Der Vorteil für dich: Du musst mich dann nicht mehr riechen.«
Ein noch nie gehörtes, seltsames quiekendes Geräusch erklang ganz in der Nähe – so, als hätte man einer Katze auf den Schwanz getreten. Ich dachte zuerst, ich hätte mich verhört. Es dauerte eine Weile, ehe ich begriff, dass es von der Theke kam, wo Neill verzweifelt versuchte, einen Lachkrampf in den Griff zu bekommen, und notgedrungen in die Eiswürfeltruhe quietschte.
Ich blickte schmachtend zu Nando auf, erkannte allerdings im selben Augenblick, dass »The Bulldog« noch keinesfalls überzeugt war. Er rückte bedrohlich näher. Ich hing doch so sehr an Fernandos Gesicht, dass ich seine Umgestaltung gerne verhindern wollte. Ich grub meine Hände in sein Haar, zog ihn zu mir und flüsterte. »Achtung, Gefahr droht. Wir müssen überzeugender sein.«
Überzeugend sein konnte ich, wenn ich es wollte.
Während Fernando seine Arme fester um mich schlang, zog ich seinen Kopf zu mir, sah ihm kurz in die Augen, lächelte ihn herausfordernd an und dann küsste ich ihn. Ich fühlte, wie er sich kurz anspannte, dann aber sofort und mit Feuereifer mitspielte. Und, hey, der Bengel konnte echt gut küssen. Sein Griff um meinen Körper wurde noch fester.
Ich löste sanft meine Lippen von seinen und sah ihm in die Augen. Er atmete schnell und zog mich noch enger an sich. Dumm war er ja nicht, daher war es nur folgerichtig für ihn, das Ganze nun auch auszukosten. Dieses Mal küsste er mich, lange und leidenschaftlich. Als er seine Lippen von meinen löste, war mir klar, dass er mich vorerst gar nicht loslassen konnte.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass ich nicht rasch ins Wasser hüpfen darf, mi amor?« Mein Augenaufschlag war hollywoodreif.
»Wage es nicht, jetzt abzuhauen, du kleines Biest.«
»Ich halt das nicht mehr aus.« Silvies Stimme klang schrecklich gepresst.
Den Erstickungstod meiner Freunde billigend in Kauf nehmend, drückte ich Fernando in den letzten leeren Stuhl und setzte mich blitzschnell auf seinen Schoss. Gefahr gebannt. Ich lächelte ihn verträumt an, beugte mich vor und biss ihm sanft in die Lippe. »The Bulldog« stand mit diversen Fragezeichen im Gesicht am Tresen, wirkte alles andere als intelligent und schien einigermaßen überzeugt, dass ich zu Fernando gehörte und dieser mich anbetete.
Ich gab ihm einen letzten Stupser in die richtige Richtung, indem ich liebevoll Nandos Gesicht streichelte und ihn ein letztes Mal hingebungsvoll küsste. Dass seine Arme noch immer fest wie Schraubstöcke um mich geschlungen waren, schrieb ich seinem Allgemeinzustand zu und duldete es wohlwollend. Ich merkte sehr wohl, dass es noch immer nicht angeraten war, aufzustehen. Das, was ich da deutlich spürte, hatte höchst interessante Ausmaße.
Neben uns stakste Wonderwoman mit angesäuerter Miene vorüber, auf dem Fuße gefolgt von ihrem Lover. Das wäre geregelt. Ich wartete, bis sie im Inneren der Anlage verschwunden waren, dann beugte ich mich ein wenig zurück. »Corazon, hatte Carlos dich nicht gewarnt? Wie konnte es bitte so weit kommen?«
Der ganze Mann war die pure Unschuld. »Ich habe nichts getan, ehrlich! Sie hing andauernd an unserem Turm herum und als ich runter ans Wasser ging, musste sie ausgerechnet genau da baden gehen und zog vor mir eine Show ab, die sich gewaschen hatte. Dann ist sie mit wackelndem Hintern an mir vorbeigegangen, mir mit dem Finger über die Brust gefahren und hat erst in dem Augenblick gesehen, dass ihr Kerl schon an der Bar stand. Dann haben sie sich lauthals gestritten und als er sich in meine Richtung aufgemacht hat, hat sie ihn zuerst festgehalten und dann hab ich dich entdeckt. Corazon, ich verdanke dir mein Leben.«
»Ja, da liegst du wahrscheinlich gar nicht so falsch.« Ich lächelte ihn freundschaftlich an. »Kann ich dann wieder aufstehen oder ist es noch zu peinlich?«
Ein spitzbübisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Och, bleib doch noch ein wenig. Daran könnte ich mich echt gewöhnen.«
»Aber ich nicht.«
Oha, die Stimme klang verdammt angesäuert, wobei sich mir der Grund nicht erschloss. Ich blickte hoch in Carlos‹ verärgertes Gesicht. »Carlos, alles ist okay. Er hätte ansonsten die Prügel seines Lebens bezogen, wirklich. Was ist denn los mit dir?«
Er schüttelte nur unwillig den Kopf. »Jetzt nicht.« An Fernando gewandt, grummelte er noch immer ziemlich genervt. »Du hast doch hier einen Job, oder täusche ich mich?«
Au weia. Ich wuschelte Fernando noch einmal durch die Haare. Plötzlich fiel mir etwas ein und ich ließ meinen Blick über den Strand schweifen. Unfreiwillig musste ich lachen. »Fernando, dir ist schon klar, dass diese Touristenfuhre für dich verloren ist, oder?« Ich reckte mein Kinn nach vorne und deutete auf die zahlreichen Mädchen, die uns mit teils enttäuschten, teils traurigen und teils wütenden Blicken musterten.