Читать книгу Yoga rette sich wer kann - Gaby Beiersmann - Страница 4
PROLOG Ideen-Geburt
ОглавлениеSelbst und ständig – das scheint eine der eher unerwünschten Seiten der Selbstständigkeit zu sein. Und während Mann sich auf den einen Job konzentriert, heißt es für Frau, gleich mehrere Feuer gleichzeitig am Brennen zu halten. Job, Kinder, Haushalt, Mann, Hobbys – für Maggie und Luna kein Problem. Meistens jedenfalls. Alles eine Frage der Sichtweise und der Motivation. In beidem sind sie richtig gut. Meistens jedenfalls. Denn auch Powerfrauen sind irgendwann einmal ausgepowert. Was nicht heißt, dass damit auch die Kreativität zur Neige geht. Denn auf ihre guten Ideen ist, gerade wenn's drauf ankommt, immer Verlass. Maggie träumt schon lange von einer Auszeit. Nur für sich. Ohne Mann. Ohne Kinder und den Rest der Familie. Ohne Hund. Ohne Pferd. Ohne Job. Ohne Haushalt.
"Ha!", denkt sie eines Morgens. "Ich bin zwar ausgepowert –aber nicht mehr lange!" Kurz entschlossen ruft sie ihre beste Freundin Luna an und fällt direkt mit der Tür ins Haus: „Hi Luna! Sag' mal, hast du nicht Lust, mit mir eine Woche Yoga-Urlaub zu machen?“ Luna braucht nur drei Sekunden, um „Ja“ zu antworten, denn auch sie hatte sich in den letzten Monaten durch nicht enden wollende Schreibjobs von ihrem Home-Office aus beinahe unmerklich in eine gefährliche Burn-Out-Zone gebracht. Außerdem brauchte sie von ihrem Mann, der zum Ausgleich von Arbeit immer noch mehr Arbeit auf sich nahm, eine Pause, ebenso wie von ihrer ungeduldigen Cocker-Spaniel-Dame L'Aura, die in den letzten Einheiten mit der Hundetrainerin zwar für ein großes Loch in ihrem Geldbeutel gesorgt hatte, aber nach wie vor am liebsten nicht auf ihr Frauchen hört und diese stattdessen mit großer Leidenschaft an ihre Haustier-Belastbarkeitsgrenze bringt.
„Ich dachte an September. Da kann ich mir am besten eine Woche frei nehmen.“ Bei Luna passt September auch bestens. Nur: „Wohin wollen wir denn fahren?“ „Wie wär's mit Mallorca?“ Damit war die Idee geboren. Eine Woche Yoga auf der Insel im September. Genial. Tolle Aussichten, um selbst und ständig hoch motiviert zu sein. Luna weiß, wie man Vorfreude so richtig zelebriert und googelt sich, kaum dass das Telefonat mit Maggie beendet ist, durchs Netz. Yoga, Mallorca. Die Suchmaschine spuckt eine Menge aus. Aber Luna ist wählerisch. Wenn schon, dann soll auch alles perfekt sein.
Ihr letzter Yogakurs liegt Jahre zurück und bestand aus einer einzigen Horrorstunde, in der blutige Anfänger in hals- besser gesagt armbrecherischen Übungen wie dem Adler und dem Kuhgesicht Erleuchtung finden sollten. Auch Maggie hatte eine ähnliche Erfahrung vor Jahren in einem 5-Sterne Luxus-Ressort auf Lanzarote gemacht, wo eine entrückte Yogalehrerin der Marke 'asketisch ernährter und durchtrainierter Typ' jeden Morgen aus den Bergen hinunter in die Touristenwelt hinabgestiegen war, um mit diesen den fortgeschrittenen Sonnengruß zu zelebrieren.
Dieses Mal soll es daher yogatechnisch deutlich relaxter zugehen. Und Mallorca reizt Luna auch nicht so wirklich. Bei ihrem letzten Mallorca-Trip hatte es eine Woche lang geregnet und es war so kalt gewesen, dass sie eine hartnäckige Bronchitis mit nach Hause gebracht hatte. Also noch einmal neu suchen. Yoga und Insel. Aha! Das klingt interessant: „yoga-auf-der-insel. Yogaferien auf den schönsten Inseln der Welt. Herrlich weiße Strände. Sonnenauf- und Untergang unter Palmen. Entspannen und auftanken. Yogaferien weltweit Yoga erleben im Einklang mit Ebbe und Flut.“ Wowh!!!
Je mehr Luna liest, desto mehr wächst ihre Begeisterung: „Freuen Sie sich auf Yogaferien mit Diana Lona. Gewinnen Sie ein neues Körperbewusstsein. Lernen Sie Yoga-Techniken und wie Sie diese gezielt gegen Beschwerden einsetzen. Nehmen Sie sich so viel Freiraum, wie Sie brauchen. Unsere Feriendomizile sind sorgsam ausgewählt und es gibt für jeden Geschmack und jedes Portemonnaie das passende Angebot. Yoga-Urlaub auf der Insel kennt keine Verpflichtungen außer der einen: mitzufahren.“
Luna sendet Maggie den Link und ist gespannt, was die dazu meint. Während Luna von Bali, Guadeloupe und Martinique träumt, rechnet Maggie ihr vor, was die Yogawoche kosten darf. Denn auch, wenn das Träumen keine Grenzen kennt - bei der Umsetzung holt die wirtschaftliche Realität die Frauen rasch ein, wie sie etwas verärgert feststellen müssen. Und so buchen die Freundinnen eine erschwingliche Yogawoche auf Sylt. Obwohl Sylt nicht zu den Malediven gehört: Auch hier gibt es einen Ort, der Maggie und Luna ähnlich idyllisch und malerisch erscheint wie eine Hütte am Strand im indischen Ozean, zumindest, wenn sie den rasch recherchierten Hintergrundinfos Glauben schenken dürfen. Das Ziel ihrer Reise ist das „Seminarzentrum Dünenparadies“.
Das Dünenparadies ist idyllisch gelegen zwischen Kampen und List. 1968 legte der schwedische Psychologe Timo Larsson den Grundstein für diesen besonderen Seminarort. Seither gilt das Dünenparadies als Geheimtipp für Naturliebhaber, Künstler auf Inspirationssuche und alle diejenigen, die einen naturnahen Ort zum Rückzug suchen. Bis heute liegt ein großer Schwerpunkt auf kulturellen, musischen und wissenschaftlichen Seminaren, damit die Gäste mit ihrer eigenen Kreativität frei und ungestört in Berührung kommen können. Maggie und Luna sind fasziniert. Dieser Köder schmeckt den Freundinnen.
Das ist es jedoch noch nicht allein, was sie schließlich nicht länger zögern lässt, sich für die Sylt-Variante zu entscheiden. Abseits von Sylts in jeder Hinsicht lauten, mondänen und pompösen Pfaden und Klischées verspricht das Dünenparadies mit seinem neun Hektar großen Areal Ruhe und Harmonie ohne Autolärm, da das Gelände bis heute eingebettet in der Sylter Naturlandschaft und direkt am Meer liegt. Und dann ist da noch die besondere Form der Unterbringung: Die Gäste haben die Möglichkeit, eines von insgesamt fast siebzig schlicht eingerichteten Häuschen zu bewohnen, die allesamt im großzügigen Dünengebiet, umgeben von Dünengräsern und Heckenrosen in unmittelbarer Strandnähe verstreut liegen. Das klingt nun wirklich nicht nach Pauschalurlaub. Die Entscheidung steht und es wird gebucht. Die Vorfreude kann Fahrt aufnehmen.
Einen Monat bevor es losgehen soll, entdeckt Maggie in ihrer Frühstückszeitung einen beunruhigenden Bericht: Im Seminarzentrum Dünenparadies hat es gebrannt. "Oooohhh nein!", Maggie ist entsetzt und ruft sogleich Luna an. "Hi Luna, ich lese hier gerade die Zeitung. Da steht, es hat gebrannt auf Sylt, ausgerechnet da, wo wir hin wollen." "Was?! Das kann doch nicht wahr sein! Lies' mal vor!" "Ok. Also. Die Überschrift lautet: "Brandstiftung im Dünenparadies. Besonders groß ist der Schaden, den der Sylter Feuerteufel in dem bekannten Seminarzentrum Dünenparadies zwischen Kampen und List angerichtet hat.'"
"Das gibt’s doch nicht!", unterbricht Luna entsetzt. "Doch. Es geht noch weiter in dem Artikel: Die Feuerwehrleute mehrerer Wehren kämpften die ganze Nacht gegen die Flammen an, konnten aber die Kantine nicht mehr retten. Das Gebäude, das sich in nächster Nähe zu den Seminarräumen befand, brannte bis auf die Grundmauern nieder. Nach Aussage von Maike Hesse, die das Seminarzentrum seit fünf Jahren leitet, kam keiner der 180 Gäste zu Schaden. Schon kurz nach der Evakuierung konnten die Gäste in ihre Zimmer zurückkehren und Hesse entschied: "Wir machen weiter."
Maggie hält plötzlich beim Lesen inne. "Was ist los?", fragt Luna. "Es kommt noch dicker", sagt Maggie und liest nun auch noch die letzten Zeilen des Beitrages laut vor: "'Die größte Gefahr ging jedoch nicht von dem Brand der Kantine aus, sondern von dem Feuerteufel, der bei Eintreffen der Wehren noch vor Ort aktiv war. "Während wir schon am Löschen waren, brach nebenan ein neues Feuer aus", schildert Einsatzleiter Hermann Waterkamp das nächtliche Geschehen. Obwohl die meisten Gebäude nicht bedroht waren, entschied Waterkamp, das Gelände zu evakuieren: "Sicher ist sicher. Ich wollte nur Leute in Einsatzkleidung auf dem Gelände sehen.'"
"Das ist ja der Hammer!", ruft Maggie, "Der Brandstifter war noch am Zündeln, während die Feuerwehr bereits vor Ort war?" "Ja, offenbar." Auch Luna ist alarmiert. "Das ist ja Tatort live! Ich glaub’s nicht. Und was wird jetzt aus unserer Yogawoche? Ich hab mich so gefreut...", Luna ist am Boden zerstört. Aber Maggie erinnert daran, dass der Betrieb doch weitergehen soll. Und so beschließen die Freundinnen, die nächsten Tage einfach abzuwarten, ob sie etwas von ihrer Kursleiterin oder dem Dünenparadies hören. Als sie dann kurz darauf per eMail über den Brand informiert werden, entscheiden Maggie und Luna, auf jeden Fall ihren Yogaurlaub auf Sylt anzutreten, obwohl ihnen die Option zum Rücktritt angeboten wird. Bei allen Relax-Ansprüchen an das Yoga selbst durfte der Urlaub gern mit einer Prise Abenteuer gespickt sein – darin waren sich Maggie und Luna schnell einig.
Fünf Monate später ist es endlich soweit.