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Tag 1 Der erste Morgen

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„Was für eine Nacht!“, denkt Maggie und reibt sich die Augen. Die letzten Stunden waren ein Albtraum gewesen. Sturmböen der Stärke sechs bis sieben und laut prasselnde Regentropfen hatten sie immer wieder aus dem Schlaf aufschrecken lassen. Sie hatte unruhig geschlafen, sie, die doch immer um ihren tiefen Schlaf beneidet wird. War es wirklich eine gute Idee, hier gelandet zu sein? Hatte sie sich mit ihrer Vernunft und ihrer oft so großen Bescheidenheit selbst ein Schnippchen geschlagen? Warum hatte sie bei der Planung Ziele wie Guadeloupe oder Martinique gleich ausgeschlagen? Das Gedankenkarussell vom Vorabend nahm in ihrem Kopf wieder Fahrt auf. Eine lange heiße Dusche bei Meeresrauschen fegt dann zum Glück erst einmal alle Grübeleien beiseite. Für ihre Verhältnisse zu dieser frühen Tageszeit schon recht munter hatte Maggie nun schon zweimal mit knurrendem Magen an Lunas Haus Venus vorbeigeschaut, um ihre Freundin zum Frühstück abzuholen.

Jetzt, beim ersten Tageslicht betrachtet, präsentiert sich das Dünenparadies von seiner idyllischen Seite. Ja, es ist nun vorstellbar, wie die atemberaubende Weite der Anlage ihre inspirierende Wirkung verbreitet. Maggie bleibt für einen Moment stehen und hält inne, um sich dann ganz langsam um die eigene Achse zu drehen und das Panorama auf sich wirken zu lassen. "Der Name ‚Dünenparadies‘ ist wirklich eine etwas wunderschöne Bezeichnung", denkt sie. "Der Ort hat eine besondere Atmosphäre. Es ist auf jeden Fall ein Kleinod mit viel Ruhe und Naturbezogenheit. Ursprünglicher kann es kaum zugehen." Der Kontrast zu ihrem sonst so schnelllebigen, digitalisierten Alltag ist schon krass. Eine Feststellung, die Maggie fast schon ein wenig traurig stimmt.

Die anderen Gäste, die gemächlich, mal in kleinen Gruppen, mal allein über die kleinen Pfade zu ihren Kursen oder zum Frühstück schlendern, blicken gelassen und freundlich. Offensichtlich sind viele schon länger hier. Außer leichtem Gemurmel und ab und an einem erheiternden Lachen ist nichts zu hören. Eine wirklich kreative Insel auf der Insel mit eigenem Strand und gemütlichem dörflichem Treiben. „… und für uns noch mit dem zusätzlich sportiven Touch!“, freut sich Maggie.

Ihr Haus ‚Mars‘ liegt gleich rechts neben dem Holzsteg, der nur wenige Meter weiter den Strand hinunter führt. „Was für ein Privileg!“, denkt Maggie. Sie blickt hinunter. Nur ein paar bunte Strandkörbe zieren den Dünenparadies Strand, der bis auf einige wenige Spaziergänger menschenleer ist. Schönster weißer Sand in großzügiger Breite und endloser Weite angelegt, leuchtet ihr entgegen, auf dem das Meer nun – da der Sturm sich gelegt hat – mit sanften Wellen aufschlägt. Links vom Holzsteg, rund zwanzig Meter entfernt, liegt die ‚Venus‘, das Häuschen ihrer Freundin romantisch in einer Dünenmulde versteckt.

Am gestrigen Abend war Maggie diese Distanz noch Lichtjahre entfernt vorgekommen. Nur ein kleines Licht in der Dunkelheit hatte ihr noch die Bestätigung gegeben, dass Luna auch wirklich in ihrer Nähe eingecheckt hatte. Was ihr gestern noch ein mulmiges Gefühl vermittelt hatte, lässt sie heute zu komplett anderen Ansichten kommen.

„Das nenne ich Idylle pur“, seufzt Maggie verzückt. Bei dieser Lage so nah an Strand und Meeresrauschen wundert es sie nun nicht weiter, dass von Luna an diesem Morgen noch jede Spur fehlt.

Luna ist bester Laune und überrascht von sich selbst, denn eigentlich kann sie Wind gar nicht leiden und Sturm flößt ihr immer Angst ein. Doch in ihrem auf ein absolutes Minimum an Raum reduzierten niedlichen Venus-Häuschen fühlt sie sich gleich von Anfang geborgen wie ein Baby, so dass ihre Freundin Maggie sie zwei mal, erst durch zartes Klopfen, dann Rütteln und Rufen an ihrer Haustür wecken muss.

„Ach, typisch Maggie, die hält es bestimmt vor Hunger schon wieder nicht aus“. Luna schmunzelt. Wenn auf eines Verlass war, dann darauf. Luna ist sich sicher: Sollte sie einst in der Wüste oder am Nordpol mit ihrer Freundin ausgesetzt werden, mit Maggie an ihrer Seite würde sie sicher immer eine Futterquelle finden. Hinsichtlich des nun geplanten Frühstücks ist Luna jedoch etwas skeptisch.

„Meinst du, wir treffen jetzt auf unsere Kursmitglieder und unsere Yogalehrerin Diana Lóna?“, will sie wissen. „Ein wenig Zeit haben wir ja noch. Ich habe jetzt aber erst einmal einen Bärenhunger.“

Der Speisesaal auf dem Gelände ist nicht zu übersehen, besser gesagt zu überhören, denn lautes Geschirrgeklimper, Stühlerücken und Geplapper hallt ihnen schon von Weitem entgegen. Eine etwas nüchtern dreinblickende Kellnerin mit Kantinenoutfit und Hygienehäubchen kommt auf sie zu.

„Die Gruppe von Diana Lóna? Da drüben bitte!“, antwortet sie in dunklem Bariton völlig emotionslos. Luna und Maggie tauschen Blicke und ziehen gleichzeitig die Augenbrauen hoch. Nein, sie hatten eigentlich wirklich nichts erwartet, in der Vorfreude auf Meer und Yoga und einer wirklich ganz neuen Lebenserfahrung, die ihren Horizont erweitern sollte, aber Kantinenfrühstück in einem provisorischen Speisesaal mit Selbstbedienung? Die Glücks- und Erholungsmomente in den kommenden Tagen würden ganz eindeutig außerhalb des Speisesaals liegen, das wird beiden in diesem Moment schlagartig klar. Dennoch stellen sie sich in der langen Schlange am Frühstücksbuffet an, füllen großzügig ihre Frühstücksteller und setzen sich an einen der beiden leeren Tische, die mit Kärtchen „Yoga Gruppe Diana Lóna“ reserviert sind.

„Ihr zwei seht ja aus wie richtige Yogi-Frauen!“, Luna und Maggie verschlucken sich fast an ihrer Tasse heißem Ostfriesenkaffee. Eine Frau, die sich mit Sabine aus Düsseldorf vorstellt, burschikoser Typ mit praktischem Bürstenschnitt, kräftigen Oberschenkeln, die auch einer Ski-Weltcupfahrerin gehören könnten, komplett in Jack Wolfskin gekleidet, war zu ihnen an den Tisch getreten und sucht ganz offensichtlich den Kontakt.

„Als ob nicht noch an dem anderen Tisch Platz gewesen wäre“, denkt Luna genervt. „Wie sieht denn eine richtige Yogi-Frau aus?“, entgegnet Maggie, die bisher eher sporadisch und überwiegend mit CDs aus dem Internet mit Yoga in Kontakt gekommen war. In dieser Form ist Yoga für Maggie die perfekte Ergänzung zu ihren Laufeinheiten.

Doch Sabine setzt sich bereits und wiederholt noch einmal, offensichtlich richtig erfreut: „Ja, ihr beide seht aus wie richtige Yogifrauen.“ Maggie stößt Luna ans Schienbein, worauf Luna ihren Kaffee ein wenig verschüttet. Maggie wirft ihr rasch einen entschuldigen Blick zu, aber diese antwortet schon: „Ach, sieht man uns das an?“ grinst und mimt dazu ihren unschuldigen Augenaufschlag.

„Einmal im Jahr, da braucht man das einfach. Yoga bei Diana. Da stimmt einfach alles“, schwärmt Sabine und vergisst dabei ganz, in ihr zwischenzeitlich üppig mit Himbeermarmelade bestrichenes Brötchen zu beißen. Kleine Marmeladentropfen rollen an ihrem Handrücken herunter, was sie in ihrer Euphorie nicht zu bemerken scheint. „Und die Diana macht das einfach so toll. Ihr werdet begeistert sein, das schwör' ich euch!“ Luna und Maggie werfen sich vielsagende Blicke zu. „Puuh, geht das schon los mit der Gruppendynamik?“, fragen sie sich und lassen Sabine einfach reden und reden.

Die Marmeladenstraße von Sabines Handrücken hat sich bereits in stetigem Tempo bis auf die Tischdecke vorgearbeitet. Während Maggie sich über ein drittes Brötchen und ein zweites Frühstücksei hermacht, sitzt Luna, völlig gelangweilt von Sabines Monolog, einfach nur stumm da. Nun fragt sie sich, ob dieser Grad an Genervtheit durch Yogaentspannung wohl wieder 'rauszuholen sein wird. Auch Maggie verdreht munter weiter kauend die Augen, als Sabine scheinbar ohne Luft zu holen fortfährt. “… als Diana mir von dem Brand erzählte…“.

Bei dem Stichwort "Brand" werden sie dann wieder schlagartig hellhörig. Weiß Sabine darüber etwas? „… da stand es noch gar nicht in der Presse. Für die Diana ist das Seminarzentrum Dünenparadies ja ein ganz, ganz besonderer Ort. Das hat sie mir selbst erzählt. Ihre Geschichte meine ich. Ihre Geschichte vom Dünenparadies." Bevor Sabine ihren Satz zu Ende führen kann, wird sie jäh unterbrochen.

„Hallo, ich bin Agnes, hat jemand von euch den genauen Ablaufplan für mich?“ Agnes scheint wie aus dem Nichts gekommen zu sein. Von schwarzer Komfortkleidung umhüllt, bei der sich nicht ganz ausmachen lässt, ob es Gymnastik- oder Alltagskleidung sein soll und mit bravem Pagenschnitt sieht sie eher unscheinbar aus.

„Vielleicht Finanzbehörde oder Verwaltung“, denkt Maggie. An ihren stahlblauen Augen kann man jedoch nicht vorbei sehen. Diese nun weit aufgerissen starrt sie Maggie an.

„Ja, dabei, aber nicht hier“, antwortet Maggie brav, in der Hoffnung damit einem weiteren Geplänkel entkommen zu können.

„Gut, dann bringst du ihn später mit!“, Agnes fasst Maggie mit festem Griff an den Oberarm. Au! Das tut weh und die Antwort klingt eindeutig wie ein Befehl und nicht wie eine Bitte. Maggie nickt ohne zu zögern, um dann gemeinsam mit Luna mit schnellen Schritten den Saal zu verlassen.

„Boar, Luna. Zuerst der Kraftbolzen aus Düsseldorf, der uns für erfahrene Yogi-Frauen hält und uns die Yogalehrerin anpreist und jetzt die durchgeknallte Agnes. Sind wir hier beim Psychotreff?“

Eilig suchen sich beide den Weg vorbei an Maggies Haus Mars über den Steg hinunter zum Strand. Wieder hören sie aus der Ferne das Lied der Augsburger Puppenkiste. Von ihrer mysteriösen Yogalehrerin fehlt aber immer noch weit und breit jede Spur. Wäre Kampen mit seinem feuchtfröhlichen Partypublikum vielleicht doch die bessere Alternative gewesen? Sie entscheiden sich für einen Strandspaziergang, um die Gedanken zu sortieren und von dem gerade erlebten Frühstück ein wenig Abstand zu gewinnen.

Maggie und Luna laufen an den wenigen bunten Strandkörben vorbei entlang in Richtung List. Maggie wundert sich, dass sie sich gar nicht wie sonst üblich aufregt, weil Luna so langsam läuft, um immer wieder verzückt eine noch größere Möwe vor ihre Kameralinse zu bekommen, denn eigentlich ist sie eine zügige Spaziergängerin, die das Ziel stets vor Augen hat. Sie laufen und laufen und vergessen dabei fast die Zeit. „Das müssen dann doch schon erste Zeichen der Entschleunigung sein“, denkt sie, bis sie plötzlich auf eine Fahne und eine Holzhütte aufmerksam wird.

„Oh, ich glaub' hier ist die berühmte Strandsauna!“, ruft Maggie erfreut. „Ja, die müssen wir unbedingt noch in unser Wochenprogramm einbauen“, betont Luna. „Ja, und überhaupt, lass' uns das Motto aus der Broschüre für diesen Urlaub ernst nehmen: ‚Nehmen Sie sich so viel Freiraum wie Sie brauchen’."

„Wenn ich an Sabine und Agnes denke, dann wird mir ganz mulmig und ich möchte gar nicht wissen, wie schräg erst die anderen Teilnehmerinnen sind“, ergänzt Maggie. 'Nehmen Sie sich so viel Freiraum wie Sie brauchen!' – auf dieses Motto schlagen die Freundinnen ein.

Sie beschließen umzudrehen, denn vor der ersten Yoga-Einheit, die mit zweieinhalb Stunden plus anschließendem Mantra-Singen und Meditation angesetzt ist, wollen sie unbedingt noch ein kleines Nickerchen einlegen. Wie wohltuend ihnen nun bereits ihre Ein-Frau-Behausung vorkommt. Einfach die Tür hinter sich schließen, die Gardinen zuziehen. Nichts kann ihnen in Mars und Venus zustoßen und das ewige Augsburger Puppenkistengedudel von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer, das sich sanft mit den Geräuschen vom Wind, der das Dünengras streichelt, vermischte, würden sie schon irgendwie in ihre Träume einbauen.

Yoga rette sich wer kann

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