Читать книгу Yoga rette sich wer kann - Gaby Beiersmann - Страница 8
Die ‚Yogirette’
ОглавлениеZur Verständigung zwischen Luna und Maggie genügen stets Blicke. Das war schon immer so gewesen. Gab es etwas zum Lachen, endeten sie nicht selten in ausgiebigen Lachkrämpfen. Wenn es irgendwo Anlass zu Kritik gab, lästerten die beiden auch gerne ungehemmt. Für Ausbrüche in beide Richtungen schämten sie sich nicht. Sie ließen ihren Gefühlen stets freien Lauf. Erfreulicher Weise sind beide nun milde gestimmt, denn der Yoga-Raum, der für die nächsten sechs Tage neben Kantine, Gartenhäuschen, Strand und Dünenlandschaft ihr Aufenthaltsort sein soll, zeigt sich behaglich und einladend.
Mitten im Raum trumpft ein Strauß frischer Rosen, um den herum zahllose Teelichter flackern. Viele kleine Sternenlichter an der Raumdecke zaubern zusätzlich stimmungsvolle Lichtreflexe. An der Wand hängen die sieben Chakren in schönster balinesischer Batik gestaltet und auf einem Tisch in der Ecke sind verschiedene Yogi-Tees, Bücher, und – nicht zu vergessen – die CDs der Yogalehrerin aufgebaut. Einladend wirkt auch das, was in den nächsten Tagen ihr Yoga-Arbeitsplatz sein wird: Eine Gymnastikmatte, über der eine gemütliche Lammfellmatte liegt. Daneben befinden sich für jeden Teilnehmer ein rundes Sitzkissen, eine Wolldecke und Lavendelkompressen für die Augen. Ein wenig gering erscheint ihnen allerdings der Abstand zwischen den Matten. Beine und Arme, die sich mit denen der Nachbarn ineinander verhaken? Passt das zu innerer Einkehr und der versprochenen Reise zu sich selbst?
Schließlich erklärt die Yogalehrerin, dass es einfacher und vor allem schöner sei, wenn sich nun alle kennenlernen, bevor sie mit der Einführung und den ersten Übungen beginnen. Und dann nimmt sie auch schon ihren Lauf, die von Luna so befürchtete Vorstellrunde. Mehr als einmal hatte sie sich bereits zu Hause versucht auszumalen, wie es sein würde, eine ganze Woche lang mit wildfremden Menschen in ein und demselben Raum stundenlange Yogaübungen zu exerzieren. Menschen, deren Schicksal und Motive für diesen Urlaub sie nicht kannte und wenn sie ehrlich war, auch gar nicht kennen wollte. Menschen, mit ganz unterschiedlicher Aura und mit Blick auf die geplanten sportlichen Ertüchtigungen auch ganz unterschiedlichen Ausdünstungen? Eine grausame Vorstellung, die Luna eine Gänsehaut bereitete.
Wie schnell konnte man beim Badeurlaub an Strand oder Pool schließlich die Liege wechseln, das Handtuch verrücken oder das Weite suchen? Wie gut ließ sich beim Spaziergang mit dem Hund im Wald ein einsames Eckchen finden? Und wie gut sind doch die Menschen erst im Skiurlaub eingehüllt? Und wie luftig ging es schließlich im Radurlaub zu oder beim Wandern durch die herrliche Bergfrische? Aber hier? Hier, so befürchtet sie, würde es in jeder Hinsicht kein Entrinnen geben.
Sie analysiert rasch die Belüftungssituation im Raum und seufzt erleichtert auf: Eine riesige freundliche Fensterfront öffnet den Raum in Richtung Meer. Wahrscheinlich galt es jeweils den letzten Atemzug der Meditationsübung abzuwarten, bevor ihr süßes Häuschen oder der Strand wieder Rückzug bieten konnten. Und wenn nun alle anderen Mitglieder im Kurs ebenso krasse Charaktere wie Agnes und Sabine waren? Sie wirft ihrer Freundin Maggie einen Blick zu. Diese grinst aufmunternd, was Luna ein wenig beruhigt. Ach ja, auf wen auch immer sie nun treffen würden, das gemeinsame Erleben würde sie sicher noch zu humorvollen Erkenntnissen führen. Das ist für Luna in diesem Augenblick ebenso sicher wie auch tröstend.
Sabine, die sich direkt die Matte neben Diana ausgesucht hat, macht den Anfang. Weit gegrätscht auf der Matte stehend, schüttelt sie mit ihrer unglaublich atlethischen Figur abwechselnd den linken und den rechten Fuß aus, ganz so wie ein Profi-Fußballer, der sich für das Spiel warm macht. Dabei fährt sie sich ein wenig nervös mit der Hand durch den Bürstenschnitt und berichtet in schönstem rheinländischen Dialekt, dass sie neunundreißig Jahre alt ist, eigentlich nicht regelmäßig Yoga praktiziert, aber kein Jahr verstreichen lässt, ohne einen Yogaurlaub bei Diana zu buchen.
Agnes schließt sich direkt an und macht es kurz. Sie kommt aus Unna und braucht einfach Abstand von ihrem Büroalltag. Ende der Durchsage. Mehr erfährt die Runde nicht, was ganz nach Lunas Geschmack ist.
Etwas verschüchtert mit nach unten gesenktem Blick macht Marion aus Ostfriesland weiter. Mit kaum hörbarer Stimme erklärt sie, dass sie sich auf Yoga freut, sich aber wegen des Essens sorgt, da sie keine Fructose verträgt. Diana nickt ihr verständnisvoll zu und blickt dann 'rüber zu Pia. "Puuh, eine düstere Aura", denkt Luna.
Pia ist sehr dünn und wirkt ausgezehrt. Unter ihren Augen machen sich tiefgraue Schatten breit. Sie berichtet in aller Kürze, dass sie aus Osnabrück kommt und gerade eine Meniskus-OP hinter sich hat. Luna zwingt sich, schnell alle weiteren über Pias womöglich düsteres Leben aufkommenden Vorstellungen aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Mit fröhlicher Stimme und einem ansteckenden Lachen macht Barbara aus Frankfurt weiter. Barbara erklärt, dass sie sich ebenfalls einmal im Jahr eine besondere Belohnung gönnt. Im vergangenen Jahr war es der Trommelkurs in Marokko, davor Eiswandern auf Island und nun müsse es einfach das Kontrastprogramm - Yoga auf Sylt - sein.
Susanne aus dem Allgäu hat warme Augen und trägt ein Kopftuch über zwei geflochtenen Haarzöpfen. Luna stellt sich vor, dass sie von einem Bauernhof kommt und gerade die Kühe gemolken hat, als Susanne Preis gibt, dass sie Juristin und gerade erst mit dem Flugzeug gelandet ist. Mit abgehetzt klingender Stimme bedauert Susanne, dass ihre Freundin, die Staatsanwältin, kurzfristig absagen musste.
Dann ist Julius an der Reihe, das einzig männliche Mitglied der Truppe. Luna schätzt ihn auf Mitte bis Ende zwanzig. Er ist durchaus eine attraktive Erscheinung, hochgewachsen, schwarzes dichtes Haar, Drei-Tage-Bart und kommt aus Hamburg. Luna hat gesehen, wie ihn Nora, die sich sogleich als seine Mutter vorstellt, zuvor in den Raum geführt hatte. Julius ist blind, was die Gruppe betreten mit einem kurzen Schweigen zur Kenntnis nimmt. Ein Quotenmann und dann auch noch blind. Lunas wildeste Gedanken wollen gerade wieder mit ihr durchgehen, als Julius Mutter in der beinahe ehrfürchtigen Stille das Wort ergreift. "Ihr wundert euch sicher und fragt euch gerade, was macht ein Blinder hier in einem Yoga-Kurs auf Sylt?" Die Stille scheint noch stiller zu werden. "Nun, ich will es euch gerne verraten: Wenn einem Menschen ein Sinnesorgan nicht zur Verfügung steht, dann versucht der Körper automatisch, dieses Defizit mit den anderen Sinnen auszugleichen. Diese Kompensation lässt sich durch gezieltes Wahrnehmungstraining soweit ausbauen, dass die fehlende Sinnesfunktion beinahe vollständig ersetzt werden kann."
Julius Miene ist während der Ausführungen gänzlich unbewegt. Luna findet, dass er einen richtig guten Pokerspieler abgeben würde - wenn er denn sehen könnte. Nora hat die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Sternensaal. Gebannt hängen die Frauen an ihren Lippen. Eine Mutter, die für ihren erwachsenen Sohn spricht, der zwar blind ist, aber doch wohl reden kann, oder? "Yoga ist für den Julius das perfekte Wahrnehmungstraining. Alle Sinne sind angesprochen, das Gleichgewicht wird ebenso trainiert wie alle Muskeln und Bänder. Und die Insel Sylt ist für ihn als Stadtmensch das perfekte Kontrastprogramm. Die Geräusche sind hier vollkommen anders und das eröffnet ihm ein weites Spektrum neuer Erfahrungen." Nora hat ihre Ausführungen beendet. Es herrscht immer noch andächtige Stille. Keiner mag etwas sagen.
"Ilka! Möchtest Du fortfahren?", fordert die Yogalehrerin daher ohne weitere Kommentierung die Frau auf, die gleich neben Julius sitzt. Ilka, so erfährt die Runde, ist Kellnerin aus Berlin, die sich gerade von ihrem Freund getrennt hat und sich wie sie sagt in einer Umbruchphase befindet. Auch ihr nickt Diana verständnisvoll zu.
Neben ihr hockt Heike aus Hamburg. Heike muss weit über fünfzig sein, ist aber eine außergewöhnliche Erscheinung. Strahlendes Gesicht, lange blonde Haare, mit nur wenigen Silbersträhnen durchzogen und eine bombastische Figur. Heike sagt, dass sie gerade ihre Ausbildung zur Yogalehrerin macht.
Und dann ist da noch Mona aus Thüringen. Sie hockt in einem blütenweißen Nicky-Trainingsanzug, der ihrer Figur hervorragend schmeichelt, auf der Matte und erscheint wie die Neuauflage von Barbie mit kurzem Haar. Schlank, wunderschön, warme Stimme. Einfach bezaubernd. Im Schneidersitz umfasst sie jedoch mit ihrer rechten Hand ihren linken Knöchel. Luna schaut verstohlen an diese Stelle, die Mona verdeckt und schämt sich sogleich dafür, als Mona weiter ausführt, dass sie sich gerade von einem lebensbedrohlichen Unfall erholt und diese Reise von ihrer Familie geschenkt bekommen habe.
Mit Martina aus Nürnberg geht die Vorstellungsrunde weiter. Sympathische Erscheinung, geschätzte Endvierzigerin in topgepflegtem Zustand, körperlich und was das Outfit betrifft. Sie berichtet, dass sie schon ihr ganzes Leben lang sportsüchtig und gerade dabei sei, durch Yoga einen Weg zu mehr Gelassenheit zu finden, indem sie lerne die eigenen körperlichen Grenzen anzuerkennen.
Dann sind Maggie und Luna an der Reihe. Maggie macht es kurz. Sie stellt sich als Freiberuflerin aus dem Münsterland, Natur- und Sportbegeisterte vor, die Yoga vor allem von DVDs kennt. Luna ergänzt ihren Part noch um den Faktor Hundeliebhaberin und beide machen mit ihren Statements vor der Gruppe keinen Hehl daraus, dass sie diese Yogawoche als gemeinsamen Urlaub erleben wollen. Daraus, so denkt Luna, sollen doch die anderen selbst folgern oder eben nicht, wie wichtig ihnen die Gruppe ist.
„Pipi machen wir jeweils nach unseren Asanas, also nach unserer Übungsreihe und vor der Abschlussmeditation“, erklärt ihnen ihre Yogalehrerin, die sich mit „Diana Lóna“ vorgestellt hatte, nun zum Abschluss ihres zwanzig-minütigen Einführungsmonologs. Maggie und Luna schauen sich bedeutungsvoll an. Körperliche Entleerung auf Kommando – na, ob das ihr Ding ist?
Diana erfüllt auf den ersten Blick jedes Klischée, das Maggie und Luna über Yogalehrerinnen kennen: Po-langes, leuchtend rotes, mit Pflanzenfarbe gefärbtes Haar, chice Gymnastikkleidung im Zwiebellook, zwei Paar Socken übereinander getragen. Gleich neben ihrer Yogamatte liegt eine Jutetasche, aus der sie CDs, Laptop, eine Stoppuhr, ein Glöckchen, die Teilnehmerliste und weitere Zettel auspackt. Aus dem Inneren der Tasche luken außerdem vollwertige Gewürze heraus. Die Haut ist braungebrannt. Wie kann es auch anders sein, denn schließlich hieß es, Diana sei das ganze Jahr auf den schönsten Inseln der Welt unterwegs, um Yoga zu unterrichten.
Das Gesicht, und das kommt Maggie und Luna gleich vom ersten Augenblick an merkwürdig vor, ziert ein auffälliges, permanentes Gute-Laune-Lächeln. Keine andere Gefühlsregung scheint in ihrer Mimik Platz zu haben. Die Mundwinkel gleichmäßig von links nach rechts jeweils bis an die Ohrläppchen gezogen, doziert Diana, demonstriert Übungen, kocht Yogatee und preist ihre eigenen CDs an. Immer gratis dabei - das eine Big-Smile.
Und eben dieses Dauergrinsen setzt Lunas Phantasie in Gang: Sie sieht im Geiste eine Karikatur ihrer Yogalehrerin. Mit ihrem langen im Wind wallenden roten Haar. Der perfekt geformte Body, der in der hautengen Yogamontur in Himbeer-Erdbeer-Farbtönen Frau vor Neid erblassen lässt. Das Posing ist ein ebenfalls perfekt ausgeführter Baum. Die Hände befinden sich jedoch nicht ausgestreckt über dem Kopf, sondern in einer Mudrahaltung vor ihrer Brust, mit Handflächen, die wie zum Gebet aneinander gelegt sind. Darunter die Bildunterschrift "Die Yogirette - so schmeckt Yoga yogileicht".
Als Diana die Frage einer Teilnehmerin beantwortet, raunt Luna Maggie ihre Gedanken zu. Maggie hat so große Mühe, nicht lauthals loszulachen, dass sie sich prompt verschluckt und einen Hustenanfall bekommt. Luna klopft ihr zur Beruhigung sanft und rhythmisch auf den Rücken, während sie mithilfe ihrer Bauchmuskeln versucht, einen Lachkrampf zu vermeiden. Damit hatte Diana Lona ihren Spitznamen weg.
„Ja, das passiert der Maggie ab und zu schon einmal“, erklärt Luna in die Runde. Fragende und auch verärgerte Blicke antworten und weil sich Maggies Zustand nur langsam verbessert, verpassen die beiden einen Großteil der organisatorischen Ausführungen. Erst bei dem Hinweis darauf, dass im TriYoga, Kundalini- und Hatha-Yoga, den Yoga-Richtungen den nun alle in den nächsten Tagen folgen würden, jede Übung so gut sei, wie man sie eben selbst ausführen könne, sind Maggie und Luna wieder online.
„Ob das denn so gesund ist?“, überlegt Maggie kritisch und spult in Gedanken all die Bewegungskorrekturen ab, die ihr die Aerobic- und Gymnastiklehrerinnen in den letzten 40 Jahren und schließlich auch die Trainerin beim Kinderturnen mit auf den Weg gegeben haben.
„Und vor allen Dingen, vergesst nicht: Yoga ist die Verabredung mit dir selbst. Durch den Atem werden Geist und Körper miteinander verbunden. Beim Yoga beruhigen wir unseren Geist, indem wir ihm einen klaren Fokus geben. Dazu schließen wir bei jeder Übung die Augen und konzentrieren uns auf unser drittes Auge zwischen den Augenbrauen“, ergänzt Diana, als bereits alle im Schneidersitz auf ihren Yogamatten sitzen, ohne ihr breites Grinsen auch nur für einen Nanomillimeter zu verändern.
„Na bitte, wunderbar…“, denkt Luna versöhnlich. Ihr war es ganz recht, dass durch Dianas Monolog ein näheres Kennenlernen mit den anderen Kurs-Neulingen in den Hintergrund gerückt war. Dann schließt sie die Augen, will sich auf die Übung einlassen und beginnt ihr drittes Auge zu suchen.
„Und zur Einstimmung singen wir heute das Mantra: Ong na mo guru dev namo. Das ist übrigens Guru-Mukki, eine mit dem Sanskrit verwandte Sprache“, tönt Diana.
„Au fein. Wir lernen hier eine neue Sprache. Guru-Mukki. Wie lustig!“, flüstert Maggie kichernd Luna zu und kann einen weiteren Lachanfall so gerade noch unterdrücken, denn nun treffen Dianas Augen auf Maggie. Sie scheinen böse zu funkeln, doch das aufgesetzte Big-Smile entkräftet diese Wirkung. Diana singt einmal ihr Mantra vor, dann stimmt die ganze Gruppe mit ein.
Aber was ist das? Maggie und Luna können ihre eigenen Stimmen kaum hören. Ein lauthals geschmettertes „Ong namo guru dev namo“ hallt ihnen entgegen. In sauberer Sopranstimme. Es nützt nichts. Fokus hin und her. Sie öffnen die Augen – nur die zwei, denn bis zum dritten waren sie noch gar nicht vorgedrungen – und lokalisieren die ihnen gegenüber sitzende äußerst füllige Barbara als Absenderin des Gesangs. Jetzt halten auch Diana und der Rest der Truppe inne. „Ähm, hm“, räuspert sich Diana etwas verlegen, aber natürlich höflich: „Das klingt wirklich sehr, sehr schön, ist doch aber, ähm, auch sehr sehr laut.“ „Ja, wirklich, wirklich, sehr schön“, wirft Julius in die Gruppe und die Art, wie er es sagt, klingt ehrlich berührt. Es sind seine ersten eigenen Worte.
„Entschuldigung. Das tut mir so leid. Ich kann einfach nicht anders. Das liegt an meiner Ausbildung zur Opernsängerin.“ Allgemeines Raunen geht durch den Raum. Au weia, eine Opernsängerin. Maggie und Luna waren mittags nur kurz auf Barbara aufmerksam geworden, als diese nach offensichtlich etwas verspäteter Anreise völlig aufgelöst den Speisesaal betreten hatte. Die komplette Mantra-Einstimmung wird also wiederholt und dabei übertönt Barbara entweder mit ihrem Gesang wieder alles oder, so scheint es manchmal, sie hält sich respektvoll zurück und mimt allein mit ihren Lippen das Mantra mit. Das kann Luna ganz genau beobachten, die dem dritten Auge durch schmales Blinzeln ihrer zwei Augen ab und zu gern eine Pause gönnt.
“Prima. Play-Back-Mantrasingen. Dieser Urlaub überrascht einfach mit jedem neuen Augenblick“, denkt sie amüsiert.
Nach der Mantra-Einstimmung bleibt nicht mehr viel Zeit zu beobachten, zu denken oder zu grübeln oder sich über andere Kursteilnehmer aufzuregen. Diana hält ihre Truppe gehörig auf Trapp mit einer natürlich selbst zusammen gestellten Übungsreihe zur Stärkung der eigenen Kreativität und des Nervensystems. Daneben machen sie Bekanntschaft mit verschiedenen Atemtechniken, durch die sie in ungeahntes Lungenvolumen vordringen und sich durch verstärktes Ausatmen, bei dem die Yogirette bis zehn zählt, von überschüssigem Kohlenmonoxid, das ja ansonsten in ihrem Körper verschlacken würde, trennen.
Vor der Abschlussmeditation, die im Timing optimal zum schönsten Sylter Sonnenuntergang in den Dünen passt, kommt dann tatsächlich noch wie angekündigt die befürchtete Auf-Kommando-Pipi-Pause im Flur.
„Meine Güte, du kannst ja toll singen“, lobt Maggie Barbara. „Was und wo singst du denn so?“. „Ach, derzeit bin ich nur Touristikführerin“, winkt Barbara ab. Barbara entpuppt sich im weiteren kurzen Plausch als freundliche, füllige Frohnatur mit enormem Appetit, was sie vor allem für Maggie noch sympathischer macht. Als Frau mit dem gewissen Gemütlichkeitsfaktor, die alles nicht so ernst sieht, bei den Übungen gern mogelt, sich großzügige Verschnaufpausen gönnt und mit ihrem überall großzügig gerundeten Resonanz-Körper ganz in Einklang ist und genussvoll das ganze Jahr ohne Sport auskommt. „Sicher ist sicher, schließlich weißt du nie ganz genau, was dich in einem solchen Yogaurlaub erwartet“, zwinkert sie Maggie zu und erklärt, dass sie aus diesem Grund noch eine Anschlusswoche im Dorint-Hotel in Westerland gebucht habe. „Ich freu' mich schon jetzt darauf, mich für’s Ausgehen in der Schinkenstraße einmal so richtig chic zu machen. Man weiß ja schließlich nie, wen man noch so kennen lernen könnte“, flüstert Barbara Luna zu und blickt dabei kritisch auf ihre perfekt manikürten und strahlend rot lackierten Fingernägel, die an einigen Stellen bereits den ersten Yogaübungen zum Opfer gefallen sind.
„Tja, jeder so wie er mag“, denkt Luna und freut sich schon auf die Rückkehr in ihr behagliches Strandhäuschen in Meeres-Blau. Maggie hingegen versichert ihrer Freundin, dass man sich Barbara auf jeden Fall warm halten müsse, sollte ihnen jemals ein Ausreißer zu einem Gourmet-Menü in der berühmten Vogelkoje, die schließlich nur einen Fünf-Minuten-Fußmarsch von ihrem Kantinenspeisesaal entfernt lag, gelingen.
Nach den ersten Yoga-Stunden plus Abschlussmeditation schickt Diana alle ins Bett, ohne zu versäumen, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die von ihr ausgewählten Yogaübungen entgiftend wirken und deshalb auch die komplette Ernährung in den kommenden Tagen darauf abgestellt ist.
„Wir trinken daher in den nächsten Tagen keinen Kaffee und keinen Alkohol. Mittags erhaltet ihr ein speziell von mir zusammengestelltes vollwertiges Essen in Grün, das hier von einem Sylter Restaurant nach meinen Anweisungen extra für uns gekocht wird“, führt sie weiter bedeutungsvoll aus.
„Na prima, das ist genau das ‚Wir’, bei dem ich mich nicht angesprochen fühle“, mault Luna. Ihre blonden Nackenhaare stellen sich auf. Ein Schauer huscht über ihren Rücken. Die nächste Rückzugsattacke kündigt sich bereits an. Maggie sieht es in der Tendenz genau so, ist aber erst einmal dankbar, dass sich eine weitere Alternative zum Kantinenessen auftut. Ihr Magen knurrt schon wieder.
„Oh Mann, für den ersten Tag haben wir genug Yoga-Eindrücke gesammelt!“ Maggie klopft Luna ermunternd auf die Schultern. Ein Absacker im Glashaus scheint jetzt genau das Richtige zu sein. Bewusst trödeln sie, als sich die Gruppe nach dem Umziehen vor dem Sternensaal verabschiedet und in Richtung Dünenhäuschen stapft. Schnell tun sie noch beschäftigt, fingern an den Schnürsenkeln ihrer Turnschuhe herum und schließen langsam und äußerst sorgfältig den Reißverschluss ihrer Jacken, um dann leisen Schrittes unbemerkt in der Dämmerung die genau entgegen gesetzte Richtung zum Glashaus und damit zum selbst verordneten Dämmerschoppen einzuschlagen, der dank des von Diana verordneten Drogenverbots nun noch verlockender klingt und bestimmt doppelt so viel Spaß machen würde.