Читать книгу Yoga rette sich wer kann - Gaby Beiersmann - Страница 5

Ankunft Stürmischer Empfang

Оглавление

Luna und Maggie dürfen endlich ihre Koffer packen. Maggies Koffer ist klein und handlich. Ihre beiden Töchter haben ihr beigebracht, beim Reisen selbst mit dem Nötigsten auszukommen. Doch für Luna ist das Kofferpacken eine echte Herausforderung, denn sie ist daran gewöhnt, auch im Urlaub ihren gewohnten Hausstand um sich zu haben, was bei der Fahrt mit dem Auto ja auch kein Problem ist. Aber die Anreise mit dem Zug erfordert dieses Mal eine andere Strategie. Deshalb fühlt sie sich wie eine siegreiche Heldin, als am Ende doch noch alles in dem einen großen Koffer verstaut ist. "Wie gut, dass es bei der Bahn keine Gewichtsgrenze gibt!", denkt Luna – ein Umstand, den sie allerdings noch bitter bereuen wird.

„Sind denn die Brandschäden im Seminarzentrum Dünenparadies schon beseitigt?“ Die Anreise im Erste-Klasse-Abteil war Maggie und Luna bestens bekommen. Der Wellnesstripp in Richtung Sylt hatte mit einem äußerst attraktiven Kellner begonnen, der ihnen kaum, dass sie den Bahnhof verlassen hatten, einen Wunsch nach dem anderen von den Augen ablas. Ein Prosecco zur Einstimmung, noch ein Glas Weißwein zum leichten Lunch-Salat, keine weiteren Gäste im Abteil. Inspirierende Freundinnengespräche mit hoch gelegten Beinen nehmen ihren Lauf. Ein schöner Einstieg in die gemeinsame Entspannungszeit! Bislang stehen die Zeichen für sechs Tage Yogaurlaub auf Sylt gut. Nun, am frühen Abend am Bahnhof von Westerland angekommen, hält Maggie es für eine sehr gute Idee, sich bei einem Plausch mit der Taxifahrerin ein Update zu ihrem Ort der Unterbringung, dem Dünenparadies, einzuholen.

„Keine Ahnung, da komme ich so selten hin“, antwortet die junge Taxifahrerin flapsig. Maggie und Luna tauschen Blicke. Ihr Interesse ist geweckt. Das berühmte Seminarzentrum mit Tradition und Geschichte, das es nur wenige Wochen zuvor durch mysteriöse Brandstiftung bis in die Schlagzeilen der münsterländischen Provinz geschafft hatte, ist der Taxifahrerin weitgehend unbekannt? Diese Unkenntnis macht sie nun doch stutzig.

Sylt, das ist doch die Insel mit ganzjährigem Touristenrummel, die Insel, auf der sich aufgespritzte Lippen und Chihuahuas, die im Pradakostüm über den Strand getragen werden, den Platz auf der Strandpromenade teilen. Sylt, das ist die Insel, wo jede Straße ein „Hot-Spot“ ist – ganz gleich, ob Meer- oder Wattseite. Kann diese Insel wirklich so groß oder so einsam sein, dass eine Taxifahrerin Maggies und Lunas Zieladresse nicht kennt? Dieser Gedanke bereitet ihnen ein leicht mulmiges Gefühl in der Magengegend.

Mittlerweile ist es zudem dunkel geworden und stürmische Windböen peitschen heftig gegen das Taxi, während sie weiter nordwärts über die Lister Straße fahren. Der Himmel färbt sich beinahe nachtschwarz und es kommen ihnen kaum noch Autos entgegen. „Schau, Luna, da ist die berühmte Vogelkoje“, entgegnet Maggie. Beiden läuft bei dem Gedanken an ein fürstliches Mehr-Gänge-Dinner in dem renommierten Lokal das Wasser im Mund zusammen, zumal der Mittagssalat ihres charmanten Kellners längst verdaut ist. So kommt es den Freundinnen wie eine kleine Ewigkeit vor, bis die Kaugummi kauende Taxifahrerin den Gourmettempel rechts hinter sich lassend, hinter der Bushaltestelle ‚Vogelkoje’ links in eine dunkle, vom Regen verhangene Dünenlandschaft abbiegt und wenige Hundert Meter weiter vor einem Baucontainer mit Bauschutt und Brandabfällen stehen bleibt.

„So, da wären wir. Das macht achtundzwanzig Euro.“ Die Taxifahrerin beeilt sich, Maggie und Luna samt Gepäck rasch loszuwerden. Das Taxi braust eilig davon. Mit Koffern und Taschen bepackt, sehen sich beide, im stürmisch tosenden Abendregen stehend, leicht betroffen an. „Und nun?“, fragt Luna. „Wir sollen doch unsere Hausschlüssel im Gasthaus abholen. Hast du den Plan?“ Luna und Maggie studieren unter der einzigen etwas flackrig leuchtenden Straßenlaterne weit und breit den Lageplan des Volkshochschulgeländes und bewegen sich, mühsam die Koffer hinter sich herschleppend, in Richtung eines kleinen beleuchteten Häuschens, von dem sie annehmen, dass es das so genannte "Glashaus" ist, ein allen zur Verfügung stehender kneipenähnlicher Raum. Um sie herum ist alles dunkel. Niemand sonst scheint sich zu diesem Zeitpunkt an diesem einsamen Ort aufhalten zu wollen.

„Mist. Das habe ich mir aber wirklich anders vorgestellt“, mault Maggie. Nasse Haarsträhnen kleben ihr mittlerweile im Gesicht, ihr Magen rumort vor Hunger. Ein Gefühl, das sie hasst und das so ganz und gar nichts mit Urlaubsentspannung zu tun hat. „Ja und ich erst. Keine zwei Meter weit schleppe ich mehr meinen Koffer. Nie wieder nehme ich so viel mit!“, flucht Luna. Kleine Schweißperlen rinnen ihr von der erhitzten Stirn. Ihre Wangen glühen. Und in den Augen scheinen erste Tränen der Verzweiflung und Erschöpfung zu schimmern. Beim Anblick ihrer Freundin und dem überdimensionierten, Zentner schweren Koffer kann sich Maggie hingegen ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.

„Komm schon! Die restlichen Meter schaffen wir jetzt auch noch!“, ermuntert sie Luna und schiebt deren Koffer von hinten ein wenig an. Schließlich erreichen beide das Glashaus und treten ein.

Der Geruch von abgestandenem Bier, billigem Wein und Pfeifenrauch strömt ihnen entgegen. Rings um die Kneipentische mit rot-weiß karierten Papier-Deckchen und kargem Blumenschmuck unterhalten sich angeregt Männer und Frauen eher älteren Alters mit leuchtenden Augen und roten Nasen. „Ob das schon unsere Kursteilnehmer sind?“, denkt Maggie. „Wow, dann sind wir ja echt die Youngster hier!“ Die ganze Situation kommt ihr immer unwirklicher vor und passt so gar nicht in ihr Bild vom Inseltraum Sylt. „Egal, erst einmal in unsere beiden Häuschen einchecken, schlafen und dann alles auf uns zukommen lassen.“ Luna hat längst im Plausch mit dem Wirt die Schlüssel und eine kleine Wegbeschreibung organisiert und winkt zum Abmarsch. Maggie ist ihrer Freundin dankbar, dass sie mit ihrem Organisationsgeschick die Situation in die Hand genommen hat.

Über endlos lange schmale Pfade kämpfen sich die beiden schwer bepackt die dunkle Dünenlandschaft hoch. Der Wind heult laut. Dazwischen mischt sich das Tosen der Brandung.

„Huch, wo sind wir denn jetzt, schau mal“, erschrickt Maggie. Nun hebt auch Luna, die immer stärker keuchend ihren tonnenschweren Koffer hinter sich herzieht, den Kopf. „Ach, das muss die Brandstelle sein.“ Sie bleiben stehen und betrachten eine Bauruine. Schemenhaft bilden sich einige verschonte Mauerreste vor dem Nachthimmel ab. Eine Glocke ziert scheinbar unversehrt die Reste vom Dach. Es riecht noch immer verkohlt und doch wiegt sich eine große alte Kiefer, vom Feuer völlig unversehrt, sanft im Wind hin und her. So nah an dem verbrannten Gebäude ein gesunder Baum?

„Interessant. Interessant!“, murmelt Luna fasziniert. Ihre bedingungslose Neugierde, der Sache auf den Grund zu gehen, ist geweckt. „Was denn? Wir wissen doch, dass der Speisesaal hier gebrannt hat. Ich erinnere mich sogar noch an das Foto in der Zeitung“, entgegnet Maggie. „Aber schau' doch nur der Baum. Der hat überhaupt gar nichts abbekommen“, antwortet Luna mit Nachdruck. Sie einigen sich darauf, diesem Phänomen am nächsten Morgen unbedingt mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Es kommt ihnen dann noch unendlich lang vor, bis sie schließlich erschöpft und völlig durchnässt ihre Häuschen ‚Mars’ und ‚Venus’ im Dünenparadies erreichen.

Yoga-Urlaub ohne großen Luxus. Die reduzierte Formel dieser einmalig urigen Unterkunft hatte sie am Ende ihrer Urlaubsplanung überzeugt. Natur pur, Yoga unmittelbar am Meer, umgeben von Dünen und den Kräften der Natur. Die in den Unterlagen angekündigte einfache, aber gemütliche Unterbringung war ihnen angenehm puristisch und ein bisschen romantisch vorgekommen. Doch nun, in der dunklen Ankunftsnacht, werden sie, nass geregnet und ziemlich übermüdet, das Gefühl nicht los, jeder für sich allein in einer engen, Gartenlauben ähnlichen Behausung schlafen zu müssen und dem Universum vollkommen schutzlos ausgesetzt zu sein.

Noch während sie sich ihrem Selbstmitleid hingeben, geht plötzlich in dem gegenüber der Venus liegenden Häuschen ‚Oktopus’ das Licht an. Karierte Gardinen an einem kleinen Sprossenfenster werden zugezogen, doch das Fenster bleibt einen Spalt breit auf.

„Hör mal, was ist das denn?“ Luna und Maggie schauen sich erstaunt an, als sie dem Lummerlandlied der Augsburger Puppenkistenlied „Eine Insel mit zwei Bergen“ lauschen. „Luna, Luna, wo sind wir hier bloß gelandet? Hat uns die Taxifahrerin vielleicht doch am Mutter-Kind-Kurheim abgesetzt? So ein Mist! Hätten wir doch einen Wellnesstempel auf Mallorca gebucht“, jammert Maggie und gibt sich einer Portion Ärger, gemischt mit Selbstmitleid hin. Statt einer Antwort drückt Luna Maggie liebevoll und gibt ihr zum Abschied noch ein paar Räucherstäbchen in die Hand: „Mach’s dir noch gemütlich. Bis morgen dann.“ „Ok. Gute Na-hacht“, Maggie schaut Luna noch einen kleinen Moment lang etwas verloren hinterher.

„Gottlob, die Heizung funktioniert. Und ein Telefon! Ich kann Kontakt zur Außenwelt herstellen“, seufzt Maggie erleichtert, nachdem sie ihr Häuschen aufgeschlossen und das Licht angeknipst hat, denn wie in den Unterlagen angekündigt, herrscht in der Dünenwelt des Seminarzentrums tatsächlich kein Handyempfang. Die lange Anreise im Zug, die skurrile Taxifahrt ins Nichts, die Haussuche, die merkwürdigen Gestalten im Glashaus und dann auch noch die komische Musik im Nachbarhäuschen. Wild kreisen die Gedanken in Maggies Kopf, während der Wind laut und tosend durch die dunkle Sturmnacht um ihr Häuschen heult.

Sie war es schließlich gewesen, die die faszinierenden, jetzt erst recht paradiesisch wirkenden Reiseziele der Freundin sogleich mit ihrer rationalen Argumentation ausgebremst hatte. Zu teuer, zu weit weg, zu gefährlich. Pah! Das hatte sie nun davon. Blieb zu hoffen, dass Luna ihr nicht allzu große Vorwürfe machen würde.

Brav folgt Maggie der Anweisung ihrer Freundin und will es sich mit den Räucherstäbchen noch gemütlich machen. „Mist, kein Feuerzeug!“ Maggie schimpft und flucht. „Kein Feuerzeug, keine Atmosphäre“, seufzt sie, steigt rasch in Jogginghose und warmen Socken ins Bett und lässt sich erschöpft vom Schlaf übermannen.

Yoga rette sich wer kann

Подняться наверх