Читать книгу Phantombesuch - Gaby Peer - Страница 11

7

Оглавление

Am achten Tag nach dem Unfall klingelte es an der Haustür. Elena war alleine zu Hause und überlegte, ob sie aufmachen sollte. Keiner der Menschen, die sie überhaupt ins Haus lassen würde, konnte es sein. Das Klingeln hörte aber nicht auf und der Gedanke, dass Selina oder Lois etwas passiert sein könnte, setzte sie dann doch in Bewegung.

„Guten Tag, Frau Schrader. Elena Schrader?“

„Ja, das bin ich, guten Tag.“

Eine Frau und ein Mann standen vor der Tür, stellten sich als Kripobeamte vor, zeigten brav ihren Ausweis und baten darum, eintreten zu dürfen.

„Kripo, wieso denn Kripo? Liegt ein Verbrechen vor? Wissen Sie, warum mein Mann sterben musste?“

„Warum der Unfall passiert ist, wissen wir jetzt, aber warum er sterben musste, das wissen wir nicht. Um diese Frage zu klären, bräuchten wir Ihre Hilfe, Frau Schrader. Könnten Sie uns bitte ein paar Fragen beantworten?“ Die Kripobeamtin schaute sie an und aus irgendeinem Grund musste Elena denken: Auch du hättest dich in Manuel verliebt, wetten?

„Gerne, aber bitte beantworten Sie zuerst meine Frage: Warum ist mein Mann verunglückt?“

„Die Obduktion hat nichts ergeben. Keine Spur von Misshandlung oder irgendwelchen Drogen, Medikamenten, Alkohol oder sonstigen Stoffen. Sein Leichnam wurde für die Beerdigung freigegeben, Frau Schrader. Sein Auto weist allerdings verdächtige Spuren auf. Der Motorraum wurde definitiv manipuliert – irgendjemand hat sich an den Bremsschläuchen zu schaffen gemacht. Können Sie sich vorstellen, wer Ihrem Mann nach dem Leben getrachtet haben könnte? Hatte er Feinde, Neider?“

„Oh, sicherlich nicht. Manuel war total beliebt. Er war immer im Mittelpunkt, aber niemals ein Angeber. Er war von Natur aus ein sehr fröhlicher, sympathischer Mensch, dessen Nähe viele Menschen gesucht haben. In der Cafeteria zum Beispiel saß er niemals alleine, selbst wenn er es so manches Mal versucht hat. Es ging einfach nicht, denn es gesellte sich nach kürzester Zeit immer irgendjemand zu ihm. Nein, nein, Manuel hatte keine Feinde – nur Freunde und Bewunderer.“

„Jeder Mensch hat Freunde und Feinde, Frau Schrader, das ist normal. Kein Mensch schafft es, allen alles recht zu machen. Und gerade die Beliebten haben logischerweise Neider.“

„Wieso fragen Sie mich überhaupt, wenn Sie mir sowieso nicht glauben?“

„Ich möchte ja nicht bezweifeln, dass Herr Schrader sehr beliebt war. Sie müssen jedoch bedenken, dass Neider sich selten zu erkennen geben. Sie leiden vor sich hin und warten sehnsüchtig auf den Tag, an dem das Schicksal endlich böse zuschlägt. Wenn das zu lange nicht passiert, dann fangen sie an, Pläne zu schmieden, um nachzuhelfen, dass dem Angeber endlich auch das Lachen vergeht. Zuerst sind es nur Pläne und schöne Vorstellungen. Dann kommt vielleicht der Tag, an dem es der Neider einfach nicht mehr aushält, weil er schon ganz krank ist vor lauter aufgestautem Frust, und schlägt schließlich zu.“

„Das mag es geben, aber mir fällt beim besten Willen kein Mensch ein, der so einen großen Hass für Manuel empfinden könnte.“

„Sie kennen alle seine Kollegen?“

„Nein, natürlich nicht, aber Manuel war auch sehr sensibel, er hätte so was gewiss gespürt. Genauso sicher bin ich mir, dass er mit mir über einen solchen Verdacht geredet hätte. Wir haben nämlich immer über alles geredet – es gab keine Geheimnisse zwischen uns!“

Haben wir das wirklich?, dachte Elena – na ja, für die Zeit vor unserem Kennenlernen stimmt diese Aussage auf jeden Fall nicht. Immerhin hatte sie entsetzt und traurig feststellen müssen, dass sie so gut wie nichts darüber wusste.

„Oder eventuell ein Patient – bei Ärzten besteht immer auch die Möglichkeit, dass sie Fehler machen beziehungsweise Patienten oder Angehörige sie eines Fehlers bezichtigen. Gab es in letzter Zeit eine Klage oder vielleicht eine Diskussion bezüglich einer fehlgeschlagenen Behandlung?“

„Nein, und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Manuel berufliche Fehler gemacht hat. Er war der beste und gewissenhafteste Arzt der Welt“, beeilte sich Elena, in einem ziemlich trotzigen Tonfall zu sagen.

„Frau Schrader, wir möchten ihm ja auch nichts unterstellen – es ist selbstverständlich nicht unsere Absicht, Ihren Mann in irgendeiner Art und Weise schlechtzureden. Unsere Aufgabe ist es, den Mörder Ihres Mannes zu finden.“

„MÖRDER?“, fragte Elena entsetzt.

„Ja, es war ein Mord – zumindest bestand zu einhundert Prozent die Absicht, dass Ihr Mann verunglückt. Ob der Täter gleich an Mord beziehungsweise an ein so schreckliches Ende gedacht hat, können wir natürlich nicht sagen.“ Das war der erste Satz des Beamten und dafür hätte Elena ihn am liebsten geohrfeigt. „Frau Schrader, ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber jeder Mensch macht Fehler – sicher hat Ihr Mann auch schon welche gemacht, was bei dem Stress, den die Ärzte heutzutage haben, nicht verwunderlich wäre.“

Sie suchten intensiv nach Fehlern – sie wollten Manuel um jeden Preis schlechtmachen und das war für Elena unerträglich. Sie fühlte sich sehr verletzt. Sie hatte aber plötzlich keine Kraft mehr, sich zu wehren oder Manuel weiterhin in Schutz zu nehmen. Die Gedanken wirbelten durch ihre Gehirnwindungen wie eine außer Kontrolle geratene Achterbahn, die einfach nicht mehr anhalten konnte. Irgendjemand hatte Manuel umgebracht! Ein Mensch hatte ihren Manuel so sehr gehasst, dass er bereit gewesen war, ihn zu töten. Dieser Gedanke war so unrealistisch – so abwegig. Das musste eine Verwechslung sein. Das wäre die einzige sinnvolle Erklärung.

Die Beamten verabschiedeten sich höflich, was Elena aber kaum wahrnahm. Beim Hinausgehen erkundigte sich die Beamtin, ob sie irgendjemanden verständigen sollten. „Können wir Sie alleine lassen, Frau Schrader?“

„Ja, meine Freundin kommt sowieso gleich“, hörte sie sich sagen. Sie nannte Belinda ihre Freundin – ja, wer einem so zuhört, hilft, guttut und zur Seite steht, ist doch eine echte Freundin, oder etwa nicht? Ihr Gedankenkarussell drehte sich unaufhaltsam weiter und sie realisierte nicht, dass die Kripobeamten gingen. „Leichnam freigegeben für die Beerdigung“, murmelte Elena leise vor sich hin und dann noch einmal lauter: „Leichnam freigegeben für die Beerdigung.“ Ich will, dass Manuel hier, wo wir zusammen gewohnt haben, beerdigt wird. Ich will jeden Tag an sein Grab gehen können. Die können das doch nicht alleine bestimmen! Wieso hatte sie nichts gesagt? Auto manipuliert? Während sie sich völlig ihrer Leidenschaft hingegeben und unglaublich viel Spaß dabei gehabt hatten, hatte jemand die Zeit genutzt, um an seinem Auto zu hantieren. Hätten sie sich einen Hund angeschafft, so wie Manuel es schon lange gewollt hatte, hätte dieser vielleicht angeschlagen und Manuel würde noch leben. Meine Schuld! Es ist also meine Schuld! Die paar Hundehaare im Haus. Wie gerne hätte ich Manuel wieder und Berge von Hundehaaren im Haus. – Was für einen Mist denke ich denn nur? Wie kann ich in dieser Situation an einen Hund denken? Ich werde verrückt. Hoffentlich kommt Belinda gleich und bestätigt mir mit vernünftigen Argumenten, dass ich keine Schuld habe, wünschte sich Elena inständig. Dass der Hund sicher auch nicht reagiert hätte, dass er es auch nicht hätte verhindern können. Irgendetwas in der Art wollte Elena gerne hören.

Sie nahm ihr Handy und rief bei den Schwiegereltern an. „Hallo, Renate, hier ist Elena. Die Kripo war gerade …“

„Danke, wir wissen schon Bescheid. Wie geht es den Kindern?“

„Sie gehen in den Kindergarten und dort lassen sie sich wohl auch ganz gut ablenken. Zu Hause sind sie sehr still und traurig.“

„Du musst dich eben zusammenreißen. Du kannst dich vor den Kindern nicht so hängen lassen. Wir Erwachsenen müssen Haltung bewahren.“

„Ich gebe mir die größte Mühe, aber es tut so weh, dass ich den ganzen Tag nur schreien könnte.“ Wie um Himmels willen komme ich dazu, meiner Schwiegermutter etwas über meine Gefühle zu erzählen? Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen? Sie hat mich schließlich nicht gefragt, wie es mir geht, sondern wie es den Kindern geht.

„Belinda hat sich angeboten, die Kinder mit zu uns zu bringen.“

Wenn es mir dann recht ist, dachte Elena zornig. Verflixt, ich will jetzt keinen Streit anfangen. Ich muss mich aber wirklich unglaublich anstrengen, es nicht zu tun, versuchte sie sich selbst in Schach zu halten. Sie wollte ihren Kindern nicht auch noch die Großeltern wegnehmen. Aber sie nahmen sich mit einer Selbstverständlichkeit Rechte heraus. Sie – vor allem Renate – fragten nie, nein, sie erteilten ganz klare Befehle. Zu widersprechen, hätte wenig Sinn gehabt – die Erfahrung hatte Elena häufig – nein, eigentlich immer gemacht. Unglaublich – nur weil sie aus einer nicht ebenbürtigen Kaste stammte, meinte Renate, sie so abfällig behandeln zu können. Mit Belinda würde sie niemals so sprechen!

Elena schluckte ihren Ärger herunter und fragte leise: „Fällt dir ein Mensch ein, der Manuel nicht leiden konnte – jemand, der ihn so gehasst haben könnte, dass er ihm nach dem Leben getrachtet hat?“

„Natürlich nicht! Manuel hat nur Gutes getan. Wer sollte ihn dafür bestrafen wollen? Dein Ex war doch immer so eifersüchtig – dieser Taugenichts!“

Was hätte sie schon erwarten können? Natürlich suchte die Familie Schrader in Elenas Bekanntenkreis nach dem Mörder. Dass sie nicht von selbst darauf gekommen war. Selbstverständlich kam der Mörder aus ihren Reihen – bei ihrem sozialen Umfeld musste so etwas ja passieren. Jens, ihr Exfreund, war eifersüchtig – das stimmte schon. Sie hatte sich, schon ein paar Monate, bevor sie Manuel kennengelernt hatte, von ihm getrennt. Und ja, Jens hatte ihn ziemlich angetrunken nachts um zwölf in einer Bar dumm angemacht. Die Story hatte Manuel bei einer Familienfeier zum Besten gegeben. Er fand es einfach nur lustig, wie Jens ihm klarmachen wollte, dass er sein „Mäuschen“ eines Tages schon wieder zurückerobern würde. Aber wie krank war es, zu glauben, dass Jens Manuel deswegen getötet hatte. Zudem hatte er gleich am Morgen nach dem Vorfall angerufen und sich entschuldigt. Sein lächerlicher Auftritt war ihm im nüchternen Zustand unheimlich peinlich gewesen. Jens war ein absolutes Weichei – ohne Alkohol im Blut hätte er die beiden wahrscheinlich nicht einmal begrüßt. Das war auch der Grund für die Trennung gewesen. Elena hatte immer den Eindruck gehabt, Jens beschützen und alles für ihn regeln zu müssen. Sie wollte aber diejenige in einer Beziehung sein, die beschützt wird. Also war eine Ehe mit Jens für sie indiskutabel gewesen.

Elena war so sauer auf Renate, weil sie ihr mit jedem Blick, mit jedem Wort, mit jeder Geste klarmachen musste, dass sie der Meinung war – ihr Mann Ludwig dachte selbstverständlich ebenso –, dass sie nicht einmal bescheidene zehn Prozent ihrer Anforderungen an eine Schwiegertochter erfüllte. Sie hatten schon früh ein ganz klares Bild von ihrer Schwiegertochter vorgefertigt. Das Schlimmste war die Tatsache, dass es diese perfekte Schwiegertochter in ihrem Leben schon gegeben hatte. Wahrscheinlich, nein, ziemlich sicher hatte Belinda die einhundert Prozent sogar überschritten.

„Belinda wird mit den Kindern zu euch kommen. Auf Wiedersehen.“ Nein, auf Nimmerwiedersehen, wünschte sich Elena nach dem Ende des Gesprächs von ganzem Herzen.

Nach einigen Minuten, in denen Elena heftig weinte und mit Schnappatmung sowie Fassungslosigkeit kämpfte, wurde ihr klar, dass sie nichts zu der Beerdigung gesagt hatte. Ich bin selbst ein Weichei. Ich war zu feige, meine Meinung zu äußern. – Nein, das war ich nicht. Es ist immer das gleiche Muster. Diese Menschen schaffen es immer wieder, dass ich den Faden verliere und dumm dastehe – es war noch nie anders! Ich habe mich nach jeder Begegnung mit meinen Schwiegereltern klein, dumm und hässlich gefühlt, gestand Elena sich resigniert ein. Bereits nach ihrem ersten Besuch war sie wie ein geprügelter Hund aus der Villa gelaufen – besser gesagt gerannt –, weil sie sich darüber im Klaren gewesen war, dass sie es nicht geschafft hatte, auch nur einen kompletten, vernünftigen Satz zu sagen. Sie wurde beim Sprechen immer unterbrochen und grundsätzlich noch währenddessen korrigiert. Ihre Meinung war generell falsch, weil sie über kein Thema wirklich Bescheid wusste. Wie oft hatte sie zu spüren bekommen, dass ihr kein Gehör geschenkt wurde, wenn sie sich doch einmal getraute, etwas zu sagen. Als besondere Beleidigung wurde, prinzipiell während sie noch sprach, ein ganz anderes Thema angeschnitten. Sie hatte viele Stunden nahezu stumm in der Villa verbracht. Das wiederum wurde ihr natürlich so ausgelegt, dass sie zu den angesprochenen Themen einfach nichts zu sagen wusste.

Manuel reagierte darauf sehr unaufgeregt. „Sie sind unmöglich, stocksteif und konservativ – eigentlich bedauernswert. Wir überleben die paar Besuche im Jahr. Ich unterhalte mich mit dir sehr gut und gerne – vor allem über ein Thema.“ Er küsste ihr die Sorgen einfach weg. War ihre Beziehung für ihn in der Hauptsache sexuell? Nein, nein und nochmals nein! Ich werde jetzt auf gar keinen Fall anfangen, unsere Beziehung infrage zu stellen. Wir waren glücklich, sehr glücklich, und zwar beide gleichermaßen. Wir hatten unser ganz persönliches Arrangement getroffen, das für uns beide so völlig in Ordnung war. Nein, sie wollte keine bösen, kleinen Teufelchen in ihren Kopf hineinlassen, die Manuels Bild oder ihre Beziehung im Nachhinein zerstörten.

Elenas T-Shirt war vom Weinen ganz nass geworden und sie wollte sich umziehen, weil Belinda gleich kommen würde. Sie machte den großen Schrank auf, den sie sich mit Manuel geteilt hatte. Liebevoll nahm sie den Zipfel eines seiner Hemden in die Hand und schnupperte daran. Erschrocken dachte sie, dass das Hemd nicht mehr richtig nach Manuel duftete! Voller Panik roch sie an allen anderen Sachen. An der Bettwäsche, an dem zuletzt benutzten Handtuch im Bad – nichts roch mehr intensiv genug nach ihm. Manuels Geruch verflog. Sie rannte wie eine wild gewordene Stute an den Schuhschrank – aber auch der Geruch der Schuhe enttäuschte sie. Sie rannte ins Bad und holte das Parfüm, das er immer benutzt hatte, und zwar immer nur das eine. Sie kannte keinen anderen Duft an ihm. Wütend und verzweifelt sprühte sie alles ein. Die Flasche war fast leer. Sie musste sofort los, um eine neue zu kaufen. Es darf niemals aufhören, nach Manuel zu riechen – niemals!

Phantombesuch

Подняться наверх