Читать книгу Phantombesuch - Gaby Peer - Страница 15
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ОглавлениеDie Beerdigung war wirklich schön gestaltet und unglaublich viele Menschen waren gekommen, um Manuel auf seinem allerletzten Weg zu begleiten. Elena kannte die meisten nicht. Verwandte, viele Bekannte und alte Freunde, die sie noch nie gesehen hatte, schüttelten ihre Hand. Manche Hand packte sie zwischendurch an ihrem Oberarm und drückte Mut machend zu. Elenas Familie stand um sie herum und sie hielt die meiste Zeit ihre beiden Kinder an der Hand. Die Tabletten, die Belinda ihr heute gegeben hatte, hüllten sie in einen flauschigen Wattebausch. Belinda stand auf der anderen Seite des Grabes neben ihren Schwiegereltern, aber sie suchte immer wieder Elenas Blick und nickte ihr ermutigend zu.
Die Rede des Pfarrers war sehr rührend. Ein paarmal erwähnte er, wie wichtig die beiden Kinder für Manuel waren. Über seine beruflichen Erfolge wurde viel erzählt, auch über die vielversprechenden Pläne, die er noch hatte. Auf sein großes, mitfühlendes Herz kam der Priester ebenfalls ausführlich zu sprechen. Ein großer Teil seiner Rede handelte von Manuels wichtiger Rolle als Sohn – der große Stolz seiner Eltern. Nur Elena wurde mit keinem Wort erwähnt. Bestimmt war diese Tatsache allen aufgefallen, aber keiner sagte etwas – auch niemand aus ihrer Familie. Wahrscheinlich hoffte jeder, dass Elena es nicht bemerkt hatte.
Elena war ganz in Gedanken versunken. Sie hoffte inständig auf ein nächstes Treffen. Sie hoffte so sehr, dass Manuel sie wieder besuchen würde, dass sie kaum auf die Vorgänge um sie herum achtete. Ob er seine Eltern auch besucht? Oder vielleicht sogar seine Kinder? Selina und Lois hätten mir sicher davon erzählt. Obwohl – bestimmt nicht, wenn er ihnen damit gedroht hatte, dass er dann nicht mehr kommen würde, davon war Elena überzeugt. Sie hatte inzwischen beschlossen, die Erscheinung nicht mehr zu bezweifeln. Ja, sie hatte Manuel ganz klar und deutlich gesehen. Daran glaubte sie unumstößlich. Sollte sie sich jemandem anvertrauen? Nur Julia, Irina oder Belinda kamen infrage – sonst niemand. Das war für Elena klar. Aber wenn sie überlegte, was sie selbst noch vor vierzehn Tagen über so eine Aussage gedacht oder gesagt hätte – nein, sie würden ihr nicht glauben. Sie würden die Erscheinung für Hirngespinste halten.
„Mami, Mami!“ Selina zog heftig an Elenas Hand. Sie musste wohl schon länger versucht haben, mit ihr zu sprechen.
Julia bückte sich zu Selina und fragte leise: „Mäuschen, was ist?“
„Warum redest du denn nicht mit mir?“
„Ich rede doch mit dir, mein Schatz.“
„Du hast gesagt, dass Papi im Himmel ist.“
„Ja, das ist er auch.“
„Aber Oma hat gesagt, dass er in der Kiste liegt. Dann kann er ja auch wieder herauskommen.“
„Ja, sein Körper ist tatsächlich in dem Sarg, aber –“, weiter kam Elena nicht.
„Hol Papi raus!“, schrie Lois plötzlich so laut, dass alle erschrocken in ihre Richtung schauten. In dem Moment fingen die Friedhofsangestellten an, den Sarg in das Grab herabzulassen.
Selina riss sich los, rannte zu einem der Männer und zog an seinem Mantel. „Aufhören, nicht in das Loch tun. Mach die Kiste auf. Mein Papa möchte wieder raus. Ich will ihn wiederhaben.“
Lois rannte zu seiner Schwester und schrie: „Papa ist nicht im Himmel. Papi ist in der Kiste!“
Alle waren von der Szene so erschüttert, dass es einen ganzen Moment dauerte, bis endlich jemand in der Lage war, zu reagieren. Julia schaffte es als Erste, zu den beiden zu laufen und sie schützend in den Arm zu nehmen. Sie flüsterte ihnen etwas ins Ohr, zog sie vom Grab weg und ging dann mit ihnen langsam in Richtung Friedhofsausgang. Julias Töchter, Sarah und Doreen, folgten den dreien weinend und schweigsam.
Elena sah ihnen hinterher und wäre am liebsten ebenfalls auf der Stelle gegangen. Aber trotz des Nebels in ihrem Kopf realisierte sie, dass sie diesem Drang nicht nachgeben durfte. Der Anstand erlaubte es nicht – sie musste durchhalten und sich vor allen Anwesenden anständig von Manuel verabschieden. Innerlich sehnte sie sich aber so sehr nach dem Moment, in dem sie endlich wieder auf ihrem Sofa sitzen und auf die Terrassentür starren konnte, um auf Manuel zu warten.
Plötzlich erreichte die eben geschehene Szene ihr Bewusstsein. Mit einem Schlag wurde ihr klar, dass ihre Kinder unfassbar litten und sie nicht in der Lage war, etwas dagegen zu tun. Sie lebte nur noch für den Augenblick, Manuel wiederzusehen. Sie war eine schlechte und egoistische Mutter. Dieser Gedanke tat so weh, dass sie laut aufschluchzen musste.
Jens, der gerade vor dem Grab Abschied genommen hatte, ging spontan zu Elena und umarmte sie. Dankbar lehnte Elena ihren Kopf an seine Schulter und blieb für eine Weile so stehen. Als sie den Kopf hob und versuchte, etwas durch den Tränenschleier zu erkennen, sah sie direkt in Renates Gesicht, die sie hasserfüllt anstarrte. Da wurde Elena bewusst, dass sie sich in den Augen ihrer Schwiegermutter an einen Mordverdächtigen gelehnt hatte. Auch Jens, der Elenas Blick gefolgt war, begriff sofort, dass diese Szene für Ärger sorgen würde. Er machte einen ruckartigen Schritt weg von Elena, was sie fast zu Fall gebracht hätte.
Irgendwann war es geschafft – alle Trauergäste hatten von Manuel Abschied genommen. Bis auf Elena, Belinda und die Schwiegereltern hatten sich alle vom Grab entfernt. Da zischte Renate: „Ich wusste es doch, dass sie mit dem noch was hat. Die hat es doch die ganze Zeit weiter mit dem getrieben. Bestimmt war sie froh, dass Manuel so viel und lange gearbeitet hat. So konnte sie den Versager wenigstens oft heimlich treffen und in Ruhe ihren Spaß mit ihm haben. Die war doch nur hinter Manuels Geld her. Ins gemachte Nest wollte sie sich setzen. Das haben die beiden Proleten doch von Anfang an so geplant. Umgebracht haben sie ihn. Aber das mit dem Erbe wird nichts – dafür sorge ich. Das schwöre ich hier am Grab meines Sohnes. Für die Kinder werden wir sorgen, vorausgesetzt der von uns angestrebte Vaterschaftstest beweist, dass die beiden überhaupt Manuels Kinder sind.“
Belinda nahm Renates Hand und streichelte sie. „Renate, sag doch so etwas nicht. Du bist gerade sehr aufgewühlt. Elena hat Manuel sehr geliebt – das kann ich mit absoluter Sicherheit behaupten. Und du weißt es auch.“
„Du musst diese Hure nicht in Schutz nehmen. Die Polizei wird schon Beweise finden. Dafür sorge ich höchstpersönlich. Hast du diese Blicke nicht gesehen, wie die sich angeschaut haben? Ich bin alt, aber nicht blind und schon gar nicht blöd!“
Belinda versuchte, Renate auf dem Weg zum Parkplatz zu beruhigen. Sie sprach so laut, dass Elena, die ein paar Meter hinter ihnen ganz alleine lief, ihre Bemühungen hören konnte.
Sie duzen sich jetzt, dachte Elena. Sie war Belinda zwar sehr dankbar, dass sie von ihr in Schutz genommen wurde. Gleichzeitig stellte sie aber auch erleichtert fest, dass die Beschuldigungen sie nicht sonderlich verletzten. Sie wollte jetzt nur noch zu ihren Kindern.
Sie saßen auf einer schattigen Bank neben dem Parkplatz, umrahmt von den Kindern ihrer Schwester. Selina hielt ein Buch in der Hand und die großen Mädchen redeten auf sie und Lois ein. Die Großen schienen den Kleinen ganz angestrengt und ernsthaft etwas zu erklären. Julia stand hinter der Bank, zeigte auch auf das Buch und sagte etwas. Als Julia Elena sah, ging sie ihr entgegen, ohne den Blick von ihr abzuwenden, und nahm sie fest in den Arm.
„Elena, das geht so nicht. Deine Kinder leiden. Sie wissen nicht mehr, was sie glauben sollen. Deine Schwiegereltern haben sie ganz schön verunsichert. Ich weiß ja auch nicht, wie man so kleinen Kindern den Verlust ihres Papas erklärt, aber gar nichts zu sagen – außer dass er jetzt im Himmel ist –, ist sicher nicht die Lösung. Ich habe mich im Buchladen ausführlich beraten lassen und das Buch, das Selina in ihren Händen hält, ist anscheinend das beste, das es für ihr Alter momentan auf dem Markt gibt. Ich konnte mich damit nur noch nicht wirklich befassen, aber das, was ich bisher gelesen habe, ist sehr einfühlsam – es beantwortet viele Fragen ganz einfach und verständlich. Es tröstet sogar meine Großen und auch ich selbst habe beim Lesen eine Wohltat empfunden. Es ist noch tief gehender als das erste Buch.“
„Danke, Julia, vielen Dank. Ich bekomme wirklich gar nichts auf die Reihe – ich schaffe es nicht einmal, ein Buch für meine Kinder zu kaufen.“
„Die beiden Bücher, die ich besorgt habe, werden auch keineswegs ausreichen, Elena. Ihr müsst euch einer Therapie unterziehen. Bitte versprich mir, dass du das Thema ernsthaft in Angriff nehmen wirst. Nur weil du drei Absagen erhalten hast, kannst du dich jetzt nicht zurücklehnen und nichts mehr unternehmen.“
„Lass uns erst einmal diesen schrecklichen Tag hinter uns bringen.“
Belinda versuchte beim anschließenden Tränenbrot die Wogen wieder etwas zu glätten – niemand von den Trauergästen sollte etwas von den Diskrepanzen zwischen Elena und den Schwiegereltern bemerken. Unermüdlich hetzte sie zwischen den verfeindeten Parteien hin und her und war bemüht, für alle gleichermaßen da zu sein. Sie tat Elena richtig leid.
„Belinda, kümmere dich bitte um meine Schwiegereltern. Ich komme schon zurecht. Julia, ihre Familie, meine Eltern, Irina und Max sind ja auch noch da. Um die beiden Alten scheint sich sonst niemand zu kümmern. Mach dir nicht so einen Stress. Wir beide finden schon noch genug Zeit zum Reden.“
Belinda lächelte und streichelte Elena über die Wange „Wie gut, dass Manuel dich kennengelernt hat. Mit dir hat er einen richtigen Schatz gefunden. Meine Güte, stell dir vor, er wäre bei mir hängen geblieben! Er hätte so einen wunderbaren Menschen wie dich womöglich niemals getroffen. Und ich auch nicht. So traurig die Umstände auch sind, ich bin unheimlich froh und dankbar, dass ich dich kennengelernt habe, Elena. Du bist ein ganz besonderer Mensch. Kein Wunder, dass Manuel alle seine Pläne für dich umgeschmissen hat.“
„Hat er nicht, Belinda. Er hat nur kleine Lücken für mich – für uns – geschaffen. Seine Träume hat er unverändert weiterverfolgt und eisern auf seine Ziele hingearbeitet.“
„Ja, aber du warst so empfindsam und schlau genug, um es zuzulassen. Du hast ihm das Gefühl gegeben, dass euer Leben, so wie es gewesen ist, vollkommen in Ordnung war.“
„Ansonsten hätte ich ihn verloren. Alles andere wäre auch äußerst unfair von mir gewesen, denn er hat mich nie angelogen. Ich wusste, wie wichtig ihm sein Beruf war, und trotzdem hat er es immer geschafft, dass wir drei das Gefühl hatten, unglaublich wichtig für ihn zu sein.“
„Das seid ihr auch gewesen, Elena – da bin ich mir absolut sicher.“
Wie gerne hätte Elena Belinda von Manuels abendlichen Besuchen erzählt, aber sie hatte zu große Angst davor, von ihr für verrückt erklärt zu werden. Was hätte sie denn selbst gedacht, wenn jemand von den Besuchen eines Toten erzählt hätte?
Irgendwann – es kam Elena wie eine Ewigkeit vor – hatte sich dann auch der letzte Gast verabschiedet und sie durfte nach Hause gehen. Belinda wollte noch vorbeikommen, nachdem sie Renate und Ludwig heimgebracht hatte. Auch ihre Familie und Irina boten sich an, sie nach Hause zu begleiten und noch bei ihnen zu bleiben.
„Kommt doch noch mit zu uns“, bot Julia herzlich an.
Elena lehnte alle lieb gemeinten Angebote ab. „Ich bin sehr erschöpft. Ich werde den Kindern noch aus dem Buch vorlesen, anschließend eine von Belindas kleinen Wunderpillen einnehmen und dann werde ich schlafen – tief und fest schlafen. Und vor allem werde ich nichts mehr denken müssen. Das ist es, was ich mir jetzt am meisten wünsche. Ich muss das Karussell, da oben in meinem Kopf, irgendwie wieder zum Stehen bringen. Zumindest muss ich es schaffen, es etwas zu entschleunigen. Seid mir bitte nicht böse. Ich möchte nicht undankbar wirken. Ich weiß eure Fürsorge wirklich sehr zu schätzen. Ich weiß auch, dass es nicht selbstverständlich ist, in so extrem schwierigen Zeiten derartig liebe und besorgte Menschen an seiner Seite zu haben. Bitte, bitte seid mir nicht böse.“
Alle reagierten sehr verständnisvoll und Elena hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie gelogen hatte. Sie konnte es schlicht und einfach kaum abwarten, wieder auf dem Sofa zu sitzen und auf die Terrassentür zu starren.
Zu Hause angekommen, überlegte sie gemeinsam mit den Kindern, was sie essen sollten. Sie einigten sich auf Wurst- und Käsebrote. Beim Essen erzählten die Kinder ganz gelöst und voller Gottvertrauen, dass es Papa ganz bestimmt gut gehe und er immer – Tag und Nacht – bei ihnen sei. Sie könnten ihn eben nur nicht sehen. „Er wird für immer unser unsichtbarer Schutzengel sein, der auf uns ganz prima aufpassen wird“, sagte Selina mit einem zufriedenen Lächeln.
Es kullerten schon wieder Tränen über Elenas Wangen, obwohl sie so tapfer sein wollte – zumindest für die Kinder. Verdammt, ich lasse mich so gehen!
„Soll ich euch noch aus dem Buch vorlesen?“
„Ja, Mami, dann bist du bestimmt auch nicht mehr so traurig. Oma hat nicht recht – nur seine Hülle liegt in der Kiste. Aber die braucht er nicht mehr, weil er ein unsichtbarer Engel ist, Mami.“
Selina war so süß. Sie schaute gerade genauso angestrengt und konzentriert, wie Manuel Elena immer angeschaut hatte, wenn er versuchte, ihr etwas Kompliziertes aus seinem Forschungsauftrag zu erklären. Meist hatte sie nicht allzu viel von dem verstanden, was Manuel ihr erklärt hatte – so wie sie auch jetzt Selinas Erklärungen nicht verinnerlichen konnte. Engel … Wie gerne würde sie ebenfalls ganz naiv und kindlich an Engel glauben. Aber sie konnte es nicht. Sie war viel zu realistisch. Sie glaubte nur das, was sie mit ihren eigenen Augen sah. Ich mag auch keine Fantasiefilme oder unrealistische Bücher. Eigentlich hasse ich sie richtig, dachte Elena. Und doch warte ich nachher sehnsüchtig auf einen Geist! Das ist doch verrückt oder nicht?
Das Kuscheln und Vorlesen tat den Kindern gut. Elena hatte wieder Angst vor schwierigen Fragen, aber das Buch war wirklich so wunderbar geschrieben, dass quasi keine Frage offen blieb. In Gedanken bedankte sie sich bei Julia. Diese Hilfe hätte sie sich wirklich sofort holen müssen. Die Kinder waren so selig und zufrieden mit den gefühlvollen Erklärungen. Ihre kleinen Kinderseelen waren beruhigt und sie schliefen mit dem Gedanken, dass ihr Papi auch bei ihnen ist, ein.
„Gute Nacht, Papi“, sagte Lois.
„Gute Nacht, Papi, und schnarch nicht so“, kicherte Selina. „Ich habe dich so lieb!“
Elena kam sich komplett verrückt vor, aber sie tat es doch. Sie zog ein schickes Kleid an und schminkte sich sorgfältig, bevor sie sich auf das Sofa setzte. „Du bist ganz eindeutig dabei durchzudrehen, Elena Schrader!“ Sie fokussierte die große Palme auf der Terrasse und beobachtete die leichten schwingenden Bewegungen der großen Blätter. „Das ist real – ich sehe die Palme. Ich sehe das Glockenspiel, das von der Terrassenüberdachung hängt. Ich sehe die wunderschöne, exklusive, sündhaft teure Stehlampe, die Manuel für mich gekauft hat, weil sie mir so wahnsinnig gut gefallen hat. Und ich sehe ganz klar und deutlich den Heizstrahler, den wir vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam ausgesucht haben.“ Alle Gegenstände standen ganz real da – mit hundertprozentiger Sicherheit. Und dann trat Manuel in dieses friedliche Bild. Auch er war da – er war keine Einbildung, kein Hirngespinst. Er stand so klar und deutlich da, wie auch die Palme, das Glockenspiel, die Stehlampe und der Heizstrahler ganz eindeutig zu sehen waren. Manuel lächelte und winkte ganz zaghaft – die Bewegungen sahen fast wie in Zeitlupe aus. Er hatte die Schildkappe nicht mehr auf und Elena dachte daran, wie oft sie durch dieses volle, wunderbar weiche, immer gepflegte und gut riechende Haar gestreichelt oder ihr Gesicht darin verborgen hatte. Sie hatte es immer mit viel Liebe, Intensität und Dankbarkeit getan. Sie hatte solche Momente aufgesogen, so bewusst genossen, als ob sie es geahnt hätte, dass ihnen nicht viel Zeit bleiben würde. Ja, heute bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, es unterschwellig dauerhaft gespürt zu haben, dass unsere überglückliche Beziehung nur sehr kurz andauern würde. Dieses ungute Gefühl hat mich konstant begleitet, auch wenn es mir meistens ganz gut gelungen ist, diese Ahnung immer wieder und wieder erfolgreich zu verdrängen. Wieso habe ich so empfunden?
Elena fixierte Manuel so intensiv, dass sie sich nicht einmal erlaubte zu blinzeln. Keinen Bruchteil, auch nicht den einer Sekunde, wollte sie von diesem Anblick verschwenden. Aber wie immer hob Manuel dann irgendwann die Hand, schickte ihr einen Kuss und gab das befürchtete Zeichen, sitzen zu bleiben. Dann verschwand er, den Blick auf sie gerichtet, ganz langsam wieder von der Bildfläche. Als er weg war, wich die ganze Anspannung aus ihrem Körper. Elena sackte in sich zusammen und weinte herzzerreißend. Was passiert hier? Werde ich verrückt? Das kann doch nicht sein, dass ich Manuel so klar und deutlich sehe. Egal, dachte Elena, Hauptsache, er kommt wieder – morgen und übermorgen und nächste Woche. Dann bin ich halt verrückt oder es gibt eben doch Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir Menschen nichts wissen – Geister eben, stellte Elena für sich selbst fest. Voller Überzeugung sagte sie laut: „Ein Geist ist mir lieber, als gar keinen Manuel mehr zu haben!“