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The Big Bang Scrubs Theory
ОглавлениеSamstag, 28.04.2007, nachmittags
Ein sonniger Samstagnachmittag. Ich sitze am PC und programmiere: irgendwas - ich weiß es nicht mehr genau, kann mir ja nicht jeden Quatsch merken.
Nebenbei läuft „Scrubs - Die Anfänger“ im Röhrenfernseher, der praktischerweise genau über meinen PC-Monitor hängt.
In ein paar Stunden geht es - abgesehen vom Forchheimer Annafest und dem Bayern3-Partyschiff - zu meinem persönlichen Highlight des Jahres: dem Thuisbrunner Frühlingsfest
Klingt nach Dorf-Disse? Ist es im Endeffekt auch. Aber nachdem die einzig wahre Dorfdisco in Moggast drei Jahre zuvor abgebrannt ist (oder wurde - man weiß es bis heute nicht so genau) und in der nächstgelegenen Disco in Hirschaid überwiegend Hip-Hop statt Musik gespielt wird (#shitstorm), nimmt man halt was man kriegen kann.
Das Leben ist öde, monoton und vorhersehbar und das ist in diesem Lebensabschnitt auch irgendwie gut so.
Heute gibt es - wie eigentlich jeden Samstag - Schnitzel mit Pommes. Zubereitet in der Mikrowelle. Junggesellen-Bequemlichkeit. Immerhin saue ich so nur einen Teller ein, anstatt noch zusätzlich eine Pfanne und das Backblech zu verschmutzen. Außerdem geht es schneller.
Schmeckt es? Naja, essen ist in diesem Lebensabschnitt ohnehin nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Ordentlich Discounter-Ketchup und Salz drauf und das Ganze ist halbwegs genießbar.
Dr. Cox misanthropt sich gerade wieder durch das fiktive „Sacred Heart“. Irgendwie mag ich ihn. Nicht nur, weil ich auch kein besonders großer Fan von Menschen bin (bis auf wenige Ausnahmen), sondern weil er einfach einen so wunderbaren Sarkasmus drauf hat, manchmal aber auch extrem ernst und tiefgründig sein kann. Und weil ich bei seinem Nachnamen immer innerlich schmunzeln muss.
Cox. Cocktail. Titikakasee.
Pubertärhumor. Den darf man auch noch mit 22 haben. Vor allem, wenn man es im Leben noch nicht besonders weit gebracht hat.
Ich bin Single, habe eine namenlose Katze, dank ehemaliger Selbstständigkeit - statt Ausbildung - ´nen Batzen Schulden, habe japanische Angst vor schlechten Wortwitzen, überlebe mit Zeitarbeit, habe eine kleine aber relativ günstige 30qm-Wohnung im 4. Stockwerk mit Balkon und einer grandiosen Aussicht Richtung Erlangen und zumindest ein paar Personen im engeren Kreis, die ich als „Freunde“ bezeichnen würde.
Dass ich irgendwie „anders“ bin, war mir schon immer ein Stück weit bewusst. Auf Menschen zuzugehen oder ihnen gar zu vertrauen, fällt mir extrem schwer, für viele gesellschaftliche Normen habe ich keinerlei Verständnis und mir so wichtige Dinge wie Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und „Grundprinzipien“ scheinen irgendwie auch nur mir wirklich wichtig zu sein.
Außerdem werde ich für meinen Musik- und Filmgeschmack belächelt („alt“ muss ja nicht gleich schlecht bedeuten), ich bin kein allzu großer Fan von Computerspielen und habe auch sonst zu den meisten Dingen eine vollkommen andere (dafür aber eigene) Meinung und Sichtweise.
Manchmal komme ich mir vor wie ein Alien. Vielleicht bin auch einfach nur verrückt. Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna? Na wenigstens versteht mich meine Katze.
Und Dr. Cox. Zumindest kommt es mir für einen sehr erhellenden Moment an diesen Samstagnachmittag so vor. Plötzlich bin ich auf das sonst so vor sich hinlaufende TV-Programm für einen kurzen Moment absolut fokussiert.
Dr. Cox erklärt gerade mit ernster Miene einem seiner besten Freunde, dass sein kleiner Sohn vermutlich „Autismus“ hätte, weil er seine Bauklötze nach Farben sortiert, symmetrisch anordnet und Blickkontakt meidet.
Ich frage mich, was daran so ungewöhnlich sein soll - ich habe das als Kind schließlich auch immer gemacht.
Legowände in bunt gemischten Farben, die manche mangels Geschmack und Können als „abstrakte Kunst“ bezeichnen würden, konnte ich noch nie leiden. Und auch sonst lege ich sehr viel Wert auf Symmetrie und eine in sich logische Grundordnung.
Ich konzentrierte mich wieder auf mein nachmittägliches Abendessen … Und was ist dieses „Autismus“? Zum Glück gehöre ich nicht mehr zur Generation „Brockhaus oder Bibliothek“ und kann mit wenigen Mausklicks nahezu alle Informationen dieser Welt aufrufen. Unbegreiflich, dass selbst dazu viele Menschen schlichtweg zu bequem/faul sind und lieber unwissend bleiben.
Wikipedia teilte mir dazu mit:
[..] Autismus (von altgriechisch autós ‚selbst‘) ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung. Diese tritt in der Regel vor dem dritten Lebensjahr auf und kann sich in einem oder mehreren der folgenden Bereiche zeigen:
- Probleme beim wechselseitigen sozialen Umgang und Austausch (etwa beim Verständnis und Aufbau von Beziehungen)
- Auffälligkeiten bei der sprachlichen und nonverbalen Kommunikation (etwa bei Blickkontakt und Körpersprache)
- eingeschränkte Interessen mit sich wiederholenden, stereotyp ablaufenden Verhaltensweisen
[..]
Ok, betrifft mich nicht. Ich bin zwar etwas Verrückt, aber nicht „tiefgreifend Gestört“. Würde ich zumindest mal selbstbewusst behaupten.
Soziale Kontakte und Blickkontakt sind zwar nicht meine Stärke (warum sollte ich anderen Menschen in die Augen schauen? Crazy!) und ja, ich bin ein absoluter Gewohnheitsmensch - aber daraus muss man ja nicht gleich eine geistige Behinderung ableiten.
Heutzutage gibt es sowieso für alle Arten von „nicht-der-Norm-entsprechenden“ Verhaltensweisen irgendeine dazu passende psychische Störung. Heute heißt es z.B. nicht mehr „Zappelphilipp“, sondern man nennt es „ADHS“ - und die passenden Therapien und Pillen gibt es natürlich auch gleich dazu.
„Da gibt´s doch auch was von Ratiopharm.“
Außerdem bin ich sonst relativ normal - nur halt „anders normal“.
Da es aber zu meinen Gewohnheiten gehört, Artikel ganz (zumindest quer) zu lesen, stoße ich irgendwann auf einen Abschnitt über das „Asperger-Syndrom“.
In Wikipedia heißt es dazu u.a.:
[..] Beeinträchtigt ist vor allem die Fähigkeit, analoge Kommunikationsformen (Gestik, Mimik, Blickkontakt) bei anderen Personen zu erkennen, diese auszuwerten (zu mentalisieren) oder selbst auszusenden. Das Kontakt- und Kommunikationsverhalten von Personen mit Asperger-Autismus kann dadurch merkwürdig und ungeschickt erscheinen. Da ihre Intelligenz in den meisten Fällen normal ausgeprägt ist, werden sie von ihrer Umwelt leicht als wunderlich wahrgenommen. Gelegentlich fällt das Asperger-Syndrom mit einer Hoch- oder Inselbegabung zusammen.
Im Unterschied zu anderen Autismusformen ist im Regelfall die Sprachentwicklung nicht betroffen, und es liegt keine Intelligenzminderung vor. Das Asperger-Syndrom kann sogar mit Stärken verbunden sein, etwa in den Bereichen der objektiven, nicht emotionalen Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, der Aufmerksamkeit und der Gedächtnisleistung. Ob es als Krankheit oder als eine Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung eingestuft werden sollte, wird von Wissenschaftlern und Ärzten sowie von Asperger-Autisten und ihren Angehörigen uneinheitlich beantwortet. [..]
Menschen mit Asperger sind oft darauf fixiert, ihre äußere Umgebung und Tagesabläufe möglichst gleichbleibend zu gestalten. Plötzliche Veränderungen können sie überfordern oder sehr nervös machen. Dies liegt daran, dass Veränderungen einen höheren Grad an Aufmerksamkeit erfordern, was bei der angenommenen Schwäche von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung, Informationen auszublenden, zu einer erhöhten Belastung führt. [..]
Ich bin fassungslos und fasziniert zugleich: In ca. 350 Zeilen werde ich, mein Leben und meine Macken derart präzise auf den Punkt gebracht, wie es selbst ich nicht detaillierter beschreiben könnte.
Von meiner Ungeschicklichkeit und tendenziellen Grobmotorik (im Sport: absolute Null, auch dank Monokularsehen), über die Vermeidung von Augen- und Blickkontakt, Unverständnis für die meisten zwischenmenschlichen Gefühle, verschlossene Körpersprache, stilistisch „hochstehende Sprache“ (ich drücke mich halt auch gerne mal „gewählt“ aus und versuche auf Rechtschreibung und Grammatik zu achten - verachtet mich halt), „ritualisierte Handlungen“ im Alltag, Inselbegabungen, und und und …
Ich sitze für ein paar Minuten einfach nur stumm und regungslos da …
In meinem Kopf sausen die Gedanken so schnell, dass es sich nur noch wie ein leises Summen im Ultraschallbereich anhört und -fühlt.
Und plötzlich realisiere ich: Ich bin nicht verrückt, weil ich anders bin, ich bin einfach nur anders. Und vor allem: erklärbar anders
Und genau das ist der Unterschied zu meinem „anders sein“ von vor wenigen Minuten. Zu dem „anders sein“ damals in der Schule.
Ich scheine endlich zu realisieren, was ich bin. Warum ich so bin. Und damit auch plötzlich WER ich bin.
Und ich kann lernen, damit umzugehen …
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