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Der Rosen(montags)krieg (oder: Türkisch für Anfänger)

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Montag, 23. Februar 2004

Welches Ereignis verändert einen Menschen am meisten? Die Pubertät? Geld? Macht? Der erste Döner?

Das Ereignis, dass sich ohne Übertreibung als einer der wichtigsten Wendepunkte in meinem Leben bezeichnen lässt, wurde am Rosenmontag 2004 eingeleitet.

Ein Tag, an dem ich begann, einige Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, das Vorhandensein potenzieller Fehlbarkeit von Elternteilen langsam aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein wechselte und eine Kette von Ereignissen ausgelöst wurde, die mich letztendlich auch mit zu einem Menschen gemacht hatten, den es 11 Jahre später in seine neue Wahlheimat nach Berlin ziehen würde.

Eigentlich war es ein ganz normaler Tag. Ich war junge 18 Jahre alt, war mit der Schule fertig, durfte Auto fahren, begann langsam das Nachtleben für mich zu entdecken, wohnte noch bei meinen Eltern in Unterleinleiter - und arbeitete als Selbstständiger für die Firma meines Erzeugers in Forchheim, für den ich damals noch das „V-Wort“ verwendete.

Mike, Udo und Mike´s Karin arbeiteten ebenfalls für ihn - also ein richtiger Familienbetrieb mit noch einigen zusätzlichen Angestellten.

Ich hatte dort mit meiner Einmann-Firma (die hauptsächlich für ihn gearbeitet hatte) ein eigenes kleines Büro und arbeitete i.d.R. von 7 bis 17 Uhr - mein Erzeuger kam und ging meistens vor und nach mir. Zumindest bis zu diesem Tag …

Kurz vor 17 Uhr kam mein Onkel Mike in mein Büro und fragte, ob ich wüsste wo der „Meister“ (so nannten einige damals in der Firma meinen Erzeuger) wäre. Er hätte sich vor einer halben Stunde bei ihm für heute verabschiedet und meine Mutter hätte angerufen und gemeint, dass er sie angerufen hätte, total seltsam gewesen wäre und gemeint hätte, nicht mehr nach Hause zu kommen.

Obwohl der „große Meister“ streckenweise einen noch seltsameren Humor hatte als ich, kam mir die Situation etwas eigenartig vor, wobei ich das Ganze zunächst trotzdem nicht besonders ernst nahm. Vielleicht wollte er eine kleine Überraschung für meine Mutter vorbereiten und daher rechnete ich fest damit, dass er vor mir zu Hause wäre.

Also eine Überraschung gab es tatsächlich … Nur nicht eine ganz so kleine!

Zuhause angekommen war da: Mein kleiner Bruder und meine Mutter, die mir genau das erzählte, was mir Mike zuvor erzählt hatte. Was zum Teufel war denn jetzt auf einmal los hier? Ein doch sehr schlechter Scherz von ihm - so war ich nach wie vor überzeugt.

Als dann gut zwei Stunden später - pünktlich zu „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ - zu Abend gegessen wurde, mein Erzeuger immer noch nicht aufgetaucht war und mein kleiner Bruder (damals noch 4 Jahre alt) meine Mutter ständig nach dem Papa fragte und sie nur etwas forsch meinte „der Papa kommt nicht mehr“, realisierte ich langsam, dass da etwas ganz anderes als ein schlechter Scherz in der Luft hing.

Kurzfassung: Firmenchef bekommt Midlife-Krise und fängt Affäre mit Mitarbeiterin an, Mama „not amused“, Ehemann der Mitarbeiterin (sie Deutsche - er Türke) erst recht nicht „amused“, Erzeuger provoziert Türke, Türke droht Erzeuger und dann kommen ja auch noch die Russen, die Sache mit den „angeschossenen“ Autos und einer der lächerlichsten Selbstmorddrohungen, die sogar für „Mitten im Leben“ zu unglaubwürdig gewesen wäre … und dann war ja noch die Sache mit dem vollgepissten Teppich.

Ups … Spoileralarm … Sorry …

Aber der Reihe nach!

Am nächsten Morgen fand ich den werten Herrn in der Dachkammer seiner Firma vor - zerfließend im Selbstmitleid gestand er mir, dass er nicht mehr mit meiner Mutter zusammenleben könne und auch schon „eine Neue“ hätte.

Wen, wollte er mir natürlich nicht verraten.

Aber da ich mehr mitbekomme, als mir auch schon damals die meisten zugetraut hätten, erinnerte ich mich an ein sehr intensives und mehr oder weniger (eher weniger) „geheimes“ Gespräch zwischen ihm und einer seiner Mitarbeiterinnen (Peggy) am Vortag.

Darauf angesprochen bestätigte mir sein erstaunter Gesichtsausdruck meine These. Nicht das letzte Mal, an dem er mich unterschätzen sollte …

Natürlich musste ich ihm hoch und (schein)heilig versprechen, dass ich es für mich behalten würde - nur damit ich nach ca. einer Woche erfahren sollte, dass es eigentlich so ziemlich jeder schon inoffiziell wusste, weil die anderen ebenso wenig dämlich waren wie ich.

Zumindest in diesem Punkt - aber dazu später mehr.

Meine Mutter blieb für die Rolle der gehörnten Ehefrau der Situation entsprechend erstaunlich gelassen.

Die deutsch-türkische Freundschaft dagegen erlitt einen schweren Dämpfer, als auch Peggy´s Ehemann Mohammed Wind von der ganzen Sache bekam und mein Erzeuger obendrein meinte, ihn unter Einfluss des wohl (wieder) lieb gewonnenen flüssigen Berauschungsmittels auch noch provozieren zu müssen - und dafür blieb Mohammed der Situation entsprechend wiederrum erstaunlich gelassen.

Das Ganze erreichte schließlich seinen vorläufigen Höhepunkt, als wenige Wochen später meine Mutter zusammen mit meinem Bruder und dem untreuen Ehemann einen Versuch unternehmen wollte, der Noch-Ehe mit einem gemeinsamen Wochenendausflug neues Leben einzuhauchen.

Da mein Erzeuger an diesen Samstag natürlich plötzlich arbeiten musste, fuhr meine Mutter mit meinem Bruder vormittags schon mal vor und mein Erzeuger versprach, am frühen Nachmittag hinterher zu kommen.

Ich durfte an diesem Wochenende endlich einmal wieder die Stille eines in den letzten Wochen etwas lauter gewordenen Zuhauses genießen - zumindest war das der Plan.

Gegen 15 Uhr rief mich mein Erzeuger an und erzählte mir, dass er sich - falls meine Mutter fragen würde wo er bleibt - total verfahren hätte. Im Hintergrund war Verkehrslärm zu hören. Nur blöd, dass er nicht daran gedacht hatte, von seinem Handy aus anzurufen und ich ihn verwundert fragte, warum denn die Firmennummer im Display angezeigt wird, obwohl er doch schon unterwegs sei.

Erst kam er mit irgendeiner „wahrscheinlich-Umleitungs-bla-bla“-Ausrede, aber dann fiel ihm wohl plötzlich wieder ein, dass er mich nicht zum ersten Mal unterschätzt hatte und gab schließlich recht schnell zu, noch gar nicht losgefahren zu sein. Er wollte sich erst noch mit Mohammed treffen und mit ihm die Angelegenheit klären, bevor dessen Drohungen noch mehr eskalieren würden (tja, Wespennest und so, wa?).

Und weil ja ein Wochenende Zuhause in Ruhe und Frieden viel zu langweilig gewesen wäre, bekam ich ca. eine Stunde später von meinem Erzeuger den Auftrag, ihn jede halbe Stunde auf dem Handy anzurufen, damit Mohammed „nicht auf dumme Gedanken kommt“ - ein ziemlich sinnloser Plan, da er mir nicht verraten wollte, wo sie sich denn überhaupt treffen würden.

Im Laufe des späten Nachmittags und frühen Abends rief ich ihn also als treusorgender Sohn (der ich damals noch war) pünktlich jede halbe Stunde an und bemerkte mit jedem Anruf auch seinen stetigen alkoholbedingt eingeleiteten Sprachverlust.

Hmm … Wie er wohl sein Versprechen halten will und sich noch mit meiner Mutter zum Wochenendausflug treffen will? Zumindest glaubt er immer noch fest daran, dass sie nicht schon längst realisiert hätte, dass er nicht mehr kommen würde. Und warum sollte ich sie dahingehend anlügen?

So gegen 19 Uhr (pünktlich zum halbstündigen Kontrollanruf) war er dann nicht mehr in der Lage, selbst an sein Telefon zu gehen, was stattdessen Mohammed für ihn erledigte - und angestrengt versuchte, das Gelalle meines Erzeugers für mich zu übersetzen.

Mohammed und ich vereinbarten, dass er ihn und sein Auto nun nach Hause bringen würde (den Autoschlüssel hatte er ihm wohl schon längst abgenommen) und ich dafür Mohammed anschließend zu seinem Auto fahre.

Seltsam, keinerlei Drohungen oder irgendeine Art von bösem Wort - dafür, dass mein Erzeuger ihm die Frau ausgespannt und ihn in den letzten Wochen dauernd provoziert hatte, war er unglaublich entspannt. Ich an seiner Stelle hätte meinen Erzeuger wohl einfach in der Bar, in der sie sich getroffen hatten sitzen gelassen und ihm gewünscht, dass er betrunken gegen den nächsten Baum fährt.

Gut 20 Minuten später klingelte es an der Tür und Mohammed brachte meinen Erzeuger - der neben seiner sprachlichen, auch die Fähigkeit der selbstständigen Fortbewegung verloren hatte (mal von seiner Würde ganz zu schweigen) - in die Wohnung.

Da ich damals noch um das Wohlergehen meines Erzeugers besorgt war und fürchtete, dass er entweder beim kläglichen Versuch der selbstständigen Fortbewegung die Treppen hinunter, oder wahlweise durch die alternativ zur Sicherheit geschlossenen Glastür fallen könnte, beschloss ich kurzerhand meine Tante Karin anzurufen, damit sie in der Zeit, in der ich meinen Erzeuger alleine lasse um Mohammed zu seinem Auto zu bringen, auf meinen Erzeuger aufpasst.

Da sie damals nur wenige Minuten entfernt wohnte und über die Situation durch meine Mutter größtenteils ohnehin schon informiert war, war sie wenige Minuten später vor Ort und ich konnte Mohammed nach einem auch für ihn langen und stressigen Samstag endlich zu seinem Auto bringen.

Wieder Zuhause angekommen war zwischenzeitlich auch meine Mutter mit meinem Bruder wieder zurück. An ihrer Stelle hätte ich stattdessen lieber das Wochenende jenseits der eigenen vier Wände ohne meinen Erzeuger genossen.

Ach ja, von ihm wurde ich am nächsten Tag natürlich angemault, weil ich meiner Tante Bescheid gegeben hatte, damit sie aufpasst, dass ihm im Suff nichts passiert.

„Erzähl es doch gleich im ganzen Dorf rum!“ - nun, das wäre eigentlich keine schlechte Idee gewesen.

Das war das erste Mal, dass mich sein Rumgemaule komplett kalt gelassen hatte …

Aber es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein …

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