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7 CAMUS

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Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Sich entscheiden, ob das Leben es wert ist, gelebt zu werden, oder nicht, heißt auf die Grundfrage der Philosophie zu antworten.

(Albert Camus Der Mythos des Sisyphos, S. 15. Erstveröffentlichung des französ. Originals 1942)

Geboren und aufgewachsen in Algerien bei seiner Mutter – sein Vater war im Ersten Weltkrieg gefallen –, überwand Albert Camus (1913–60) die Hindernisse der Armut und erlangte einen Platz an der Universität von Algier. Anders als vielfach kolportiert, hütete er nie das Tor der algerischen Nationalmannschaft, doch er war Torwart seines Universitätsteams, bis ihn eine Tuberkulose zwang, mit dem Sport aufzuhören. Kurz vor Abschluss seines Philosophiestudiums |44|1936 schloss er sich der Kommunistischen Partei an und im Jahr darauf wurde sein erstes Buch veröffentlicht.

Nachdem er sich in Algerien einen Namen gemacht hatte, ging Camus 1938 nach Paris, wo er zunächst für die antikolonialistische Zeitung Alger-Republicain arbeitete und später dann für Paris-Soir. Im Zweiten Weltkrieg gehörte Camus der französischen Widerstandbewegung an. Sein bekanntestes Werk, Der Fremde (alternativer Titel Der Außenseiter), erschien 1942. Ähnlich wie Sartres Roman Der Ekel von 1938, der Camus nachhaltig beeinflusste, erkundet Der Fremde die Sinnlosigkeit und Absurdität des menschlichen Daseins aus der Perspektive einer verzweifelten, entfremdeten und nihilistischen Hauptfigur.

1942 war auch das Jahr, in dem Der Mythos des Sisyphos erschien. In diesem philosophischen Essay vergleicht Camus die menschliche Existenz mit der Zwangslage des mythischen Königs Sisyphos, der durch göttliche Strafe für seine Gerissenheit auf ewig dazu verurteilt ist, einen riesenhaften Stein auf den Gipfel eines Berges zu wälzen, nur um ihn immer wieder hinabrollen zu sehen.

Über die Jahre festigte Camus seinen Ruf als einer der großen französischen existenzialistischen Denker des 20. Jahrhunderts neben seinen Zeitgenossen Sartre und de Beauvoir. 1957 erhielt er den Literaturnobelpreis. Bis zu seinem plötzlichen Tod am 4. Januar 1960 schrieb er weiter Romane und setzte seine Arbeit als Journalist fort. Camus kam bei einem Autounfall in Villeblevin in Frankreich ums Leben.

Sein enorm gutes Aussehen, sein fußballerisches Können, die Tatsache, dass er gewaltsam und frühzeitig aus dem Leben gerissen wurde, seine außerordentliche Begabung als Essayist und Romanautor, der sich mit dem Individualismus und dem Absurden befasste, all das hat zu dem modernen Camus-Kult beigetragen. Das Unternehmen »Philosophy Football« verkauft jedes Jahr über 5000 Camus-Trikots. Ob er nun der größte unter den Existenzialisten war oder nicht, der coolste war er allemal.

Camus’ berühmte Bemerkung über den Selbstmord bildet den Auftakt seines Sisyphos. Ihn interessiert die Frage, warum manche Menschen Selbstmord begehen, während die meisten dies |45|durchaus nicht tun. Ihn interessiert, was das Phänomen des Selbstmords über die menschliche Existenz und über die Beziehung sagt, in der wir Menschen zur Wirklichkeit stehen.

Camus will an den Selbstmord anders herangehen, als es in der Regel geschieht. In der Regel wird er als ein soziales Phänomen aufgefasst. So hört man oft, jemand habe aufgrund eines schweren Verlusts Selbstmord begangen oder weil er oder sie verzweifelt gewesen sei, als ob Kummer und Leid Kräfte wären, die den Selbstmord einfach auslösen könnten. Camus sieht eine tiefer liegende menschliche Notwendigkeit darin, sich über den wahren Wert der Existenz Klarheit zu verschaffen. »Sich umbringen heißt, in einem gewissen Sinn und wie im Melodram, ein Geständnis ablegen. Es heißt gestehen, dass man mit dem Leben nicht fertig wird oder es nicht versteht« (Mythos …, S. 16f.).

Es ist das Geständnis, so Camus weiter, dass das Leben die Mühe »nicht lohnt«. Zwar sei das Leben, wie er einräumt, nie leicht, doch dass wir mit ihm weitermachen, geschehe in der Hauptsache aus Gewohnheit. Freiwillig aus dem Leben zu gehen setzt seiner Ansicht nach voraus, »dass man, und sei es nur instinktiv, das Lächerliche dieser Gewohnheit erkannt hat, das Fehlen jedes tieferen Grundes, zu leben, die Sinnlosigkeit dieser täglichen Betriebsamkeit, die Nutzlosigkeit des Leidens« (Mythos des …, S. 18f.).

Camus zufolge findet die Erkenntnis, dass das Leben des Menschen absurd ist, im Selbstmord ihre endgültige Bestätigung. Die Absurdität der menschlichen Existenz ist das zentrale Thema des Mythos des Sisyphos – zusammen mit der Frage, was man angesichts der grundsätzlichen Vergeblichkeit und grundlegenden Bedeutungslosigkeit des Lebens tun könne.

Der Selbstmord ist nur eine Lösung für das Absurde. Es gibt noch zwei weitere. Einmal kann man versuchen, sich selbst davon zu überzeugen – auch wenn nichts dafür spricht oder sogar manches dagegen –, dass das Leben einen Sinn hat, der auch irgendwann in der Zukunft zutage treten wird. Sei es, wenn man in diesem Leben »zu sich selbst findet«, oder in dem Moment, da man in irgendein ewiges Leben nach dem Tod eintritt. Oder man |46|erkennt an, dass das Leben eine ebenso absurde und letztlich vergebliche Anstrengung ist wie die des mythischen Sisyphos, entscheidet sich aber dennoch dafür, weiterzuleben und das Leben voll auszuschöpfen.

Entscheidet sich ein Mensch dafür zu leben und die immer gegenwärtige Möglichkeit des Selbstmords zurückzuweisen, verleiht er einem Leben Sinn und Bedeutung, das an sich weder Sinn noch Bedeutung hat. Außerdem übernimmt er Verantwortung für sein Leben, dadurch dass er sich entschließt, es zu leben, statt ihm ein Ende zu machen. Camus’ scheinbar pessimistische Darstellung der unentrinnbaren existenziellen Wahrheit der conditio humana kommt zu einem optimistischen Schluss: Auch wenn der Lebenskampf keine Bestimmung hat und zum immer gleichen Resultat führt, kann der Mensch über den Kampf selbst und durch die Art, wie er das Spiel des Lebens spielt, dennoch Erfüllung finden.

Das Ja zum Leben, das aus dem Nein zum Selbstmord folgt, ist das zentrale Element der camusschen Lehre vom wahrhaftigen Leben. Weil es nichts gibt, wodurch sich dem Leben von außen Bedeutung geben lässt, kann das Dasein eines Menschen nur die Bedeutung haben, die er selbst ihm zu geben sich entschließt.

Wie Camus festhält, kennt auch Sisyphos eine regelmäßige Erholung von seinen nutzlosen Strapazen: dann nämlich, wenn der Stein in die Ebene hinabdonnert und er ihm dorthin folgt. Manchmal während dieses Verschnaufens, wenn er am freiesten ist, um nachzudenken, beschäftigt diesen »Proletarier der Götter« (Mythos des …, S. 143) das Elend seiner Lage. Mag der Abstieg, so sagt es Camus, »an manchem Tag von Schmerz, so kann er doch auch von Freude begleitet sein« (Mythos des …, S. 143). Sisyphos’ Freude kommt aus dem Wissen, dass »er seinem Schicksal überlegen ist«. Weil er ihn wieder und wieder bezwinge, sei er »stärker als sein Fels« (Mythos des …, S. 143).

Sisyphos’ Leiden ist Leidensbewusstsein. Dieses Bewusstsein aber eröffnet ihm eine Perspektive auf sein Leiden, aus der heraus er es immer wieder verachten kann. »Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann« (Mythos des …, S. 143).

|47|Dies scheint Camus uns sagen zu wollen: dass wir, statt Selbstmord zu begehen oder zu wünschen, wir wären tot, oder so zu leben, als wären wir tot, der Absurdität des Lebens ins Gesicht lachen und Freude aus der Überwindung seiner Härten ziehen sollten. Genau wie Sisyphos entschlossen auf seinen Felsen zustrebt, um ihn aufs Neue den Berg emporzuwuchten, sollten wir uns tatkräftig bemühen, die Härten des Lebens zu überwinden.

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