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9 DESCARTES
ОглавлениеIch denke, also bin ich.
(Descartes Entwurf der Methode, S. 30. Erstveröffentlichung des franz. Originals 1637)
Zu der Zeit, als René Descartes (1596–1650) in der kleinen französischen Stadt La Haye en Touraine (die heute La Haye Descartes heißt) geboren wurde, stand es schlecht um die Philosophie. Diese war überwiegend längst nicht mehr von dem skeptischen Geist der alten Griechen und ihrem freien Forscherblick beseelt. Stattdessen dominierte ein Verfahren, bei dem Argumente zum Wesen und zur Existenz Gottes durch einen fast schon schablonenhaften Rückgriff auf die Autorität des Aristoteles untermauert wurden. Alles das änderte sich mit Descartes. Indem er die Skepsis und den methodischen Zweifel erneut ins Zentrum der Philosophie rückte, indem er sämtliche Annahmen zurückwies und wieder ganz von vorne anfing, hauchte er ihr neues Leben ein, gab ihr frischen Schwung und verdiente sich den Namen »Vater der modernen Philosophie«.
Weil er ein kränkliches Kind war, durfte Descartes morgens aufstehen, wann er mochte, und so entwickelte er die von ihm zeitlebens beibehaltene Gewohnheit, zum Lesen und Schreiben bis um elf im Bett zu bleiben. Als er sich schließlich durch Königin Christina von Schweden (1626–89) gezwungen sah, mit dieser Gewohnheit zu brechen, weil die Monarchin sich von ihm Nachhilfestunden |52|in Philosophie geben ließ und den Unterricht auf fünf Uhr morgens ansetzte, war dies sein baldiger Tod.
Trotz seiner von Natur aus schwachen Gesundheit verfügte Descartes über außerordentliche geistige Kräfte. Er war ein hervorragender Mathematiker, dessen Theorien nach wie vor im Schulunterricht behandelt werden, und er war der Autor von mindestens einem philosophischen Meisterwerk, das den Lauf der Geschichte veränderte. Seine Meditationen über die Erste Philosophie vervollständigte er zum Ende seines Lebens, als er, wie er sagt, genug Muße, Einsamkeit und Reife hatte, um die philosophischen Reflexionen eines ganzen Lebens zusammenzutragen und endgültig mit »viel Falschem« aufzuräumen (Meditationen, S. 19).
Descartes unternimmt es mit seinen Meditationen, jeder Ansicht die Zustimmung zu verweigern, bei der er sich nicht völlig sicher ist, dass sie zutreffen muss. Auf diesem Wege hofft er auf etwas Unbestreitbares zu stoßen, etwas, das der strengsten Skepsis standzuhalten vermag. Sein systematisches Vorgehen ist als methodischer Zweifel bekannt geworden. Mit ihm betreibt Descartes eine Form wissenschaftlicher Skepsis, bei der er versucht, jede Überzeugung anzuzweifeln und zurückzuweisen, um dahinter eine zu entdecken, die nicht in Zweifel gezogen werden könne. Falls sich ein solches Juwel absoluter, unbezweifelbarer Gewissheit finden lasse, soll es als Grundstein dienen und das im Zuge des Zweifelsverfahrens abgetragene Erkenntnisgebäude auf dessen Basis wiedererrichtet werden.
Wenn der Grundstein bzw. das Fundament als solide und wahr gelten darf, so der Gedanke Descartes’, wird das darauf zu errichtende Gebäude von Dauer sein und vertrauenswürdig, sofern der Bauherr die gebührende Sorgfalt walten lässt. Es überrascht daher nicht, dass Descartes, den man auch als Rationalisten und Skeptiker bezeichnet, vielfach als erkenntnistheoretischer Fundamentalist geführt wird und seine Philosophie als erkenntnistheoretischer Fundamentalismus.
Descartes beginnt seinen methodischen Zweifel damit, die Verlässlichkeit der Sinne infrage zu stellen. »Ich habe entdeckt, |53|daß die Sinne zuweilen täuschen«, sagt er und bezeichnet es als ein Gebot der Klugheit, »sich niemals blind auf jene zu verlassen, die uns auch nur einmal betrogen haben« (Meditationen, S. 20). Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, dass man Dinge aus der Ferne oder im Dunkeln verwechseln und von optischen Täuschungen genarrt werden kann usw., und darum können wir Descartes ohne Weiteres zugeben, dass die Sinne trügerisch sind und wir uns somit nicht darauf verlassen können, dass sie uns zuverlässige Gewissheit liefern.
Descartes räumt ein, dass manche Sinneseindrücke klarer und verlässlicher zu sein scheinen als andere. Ohne Frage kann ich mich bei guten Lichtverhältnissen, wenn ich hellwach und nüchtern bin, eher und besser auf meine Sinne verlassen als bei Nacht, wenn ich müde und betrunken bin. Bald allerdings entzieht er dieser Einschränkung das Fundament, indem er einwendet, dass alles nur ein Traum sein könnte.
Egal, wie verlässlich oder unverlässlich seine Sinne sein mögen, vorstellbar sei, dass keine seiner Erfahrungen überhaupt aus Sinneswahrnehmungen resultiere. Möglicherweise sei alles eine Illusion, vielleicht träume er die Außenwelt bloß, die Existenz seines eigenen Körpers eingerechnet.
Aber auch wenn alles ein Traum ist, setzt Descartes an dieser Stelle einschränkend hinzu, so stehen die grundlegenden Elemente des Traums doch in Einklang mit der elementaren Logik. Rot ist auch in einem Traum rot und 2 + 2 ergibt genauso immer 4. Nun könnte man vielleicht glauben, dass Descartes in seiner Eigenschaft als Mathematiker den elementaren und selbst in den Träumen bestehenden logischen Zusammenhang als die sichere Gewissheit anerkennt, nach der es sucht. Das tut er jedoch nicht.
Stattdessen geht er einen entschieden skeptischen Schritt weiter und unterstellt einen »boshaften Genius, ebenso allmächtig wie verschlagen«, der ihn jedes Mal, wenn er sich über irgendeine Sache ein Urteil bildet, Mathematik und Logik nicht ausgenommen, mit aller »Hartnäckigkeit […] zu täuschen« versucht (Meditationen, S. 24).
|54|Descartes steckt jetzt tief im Zweifel. Er fragt: »Was wird demnach noch wahr sein? Vielleicht nur dieses eine, daß nichts sicher ist« (Meditationen, S. 27).
Auf einmal aber, gerade als er bereit scheint, den philosophischen Verzweiflungstod zu sterben, zieht er den Hals aus der Schlinge oder vielmehr Gewissheit aus dem äußersten Zweifel. Um sein eigenes Dasein in Zweifel ziehen zu können, argumentiert er, muss er zumindest als denkendes Ding existieren. Je mehr er sich selbst bezweifelt, desto mehr bekräftigt er sein Dasein als ein denkendes Ding eben dadurch, dass er zweifelt.Warum? Weil zweifeln denken heißt. Descartes führt aus:
Zweifelsohne bin ich selbst also, wenn er [der boshafte Genius] mich täuscht; und er möge mich täuschen, soviel er kann, niemals wird er bewirken, daß ich nichts bin, solange ich denken werde, daß ich etwas bin; so daß schließlich, nachdem ich es zur Genüge überlegt habe, festgestellt werden muß, daß dieser Grundsatz Ich bin, ich existiere sooft er von mir ausgesprochen oder durch den Geist begriffen wird, notwendig wahr ist.
(Meditationen, S. 28)
Diese Argumentation ist in unserem Eingangszitat, der berühmtesten Devise der ganzen Philosophiegeschichte, auf den Punkt gebracht: »Ich denke, also bin ich« (Entwurf der Methode, S. 30). Berühmt ist selbst noch ihre lateinische Übersetzung, Cogito ergo sum. Interessanterweise findet sich dieser berühmteste unter den philosophischen Slogans nicht in Descartes’ berühmtestem und wichtigstem Werk, den Meditationen, sondern in dem weniger bekannten und untersuchten Entwurf über die Methode.
Mit der Gewissheit, ein denkendes Ding zu sein, macht Descartes sich daran, das Erkenntnisgebäude wiederzuerrichten, das er im Zuge seines methodischen Zweifelns abgetragen hat, und nimmt diesen Grundstein dabei zum festen Ausgangspunkt. Er prüft seine Gedanken und stößt auf die Idee von einem unendlichen und vollkommenen Gott. Weil er als Mensch aber endlich und unvollkommen ist, überlegt er, kann er diese Idee unmöglich |55|selbst hervorgebracht haben. Folglich müsse sie von Gott stammen, den es demnach geben muss.
Indem Descartes die Idee von Gott übernimmt, um dessen Existenz zu unterstellen, macht er von einer Version des ontologischen Arguments Gebrauch (siehe Zitat 2, Anselm), für die im angelsächsischen Raum die Bezeichnung trademark argument üblich geworden ist. Der Name rührt daher, dass es sich bei Descartes’ Vorstellung von Gott dem Argument nach um die Trademark, also das Warenzeichen des Schöpfers, handelt.
Descartes sucht nach einem Beweisweg, der vom Dasein Gottes zur Existenz der Außenwelt führt, und wird vermeintlich fündig. Seiner Argumentation zufolge würde Gott, das vollkommene Wesen, ihn niemals täuschen und an die Existenz der Außenwelt glauben lassen, wenn es sie nicht gäbe. Descartes macht Gott zum Garanten der Außenwelt. Dass sein Beweis der Außenwelt scheitert, liegt daran, dass das ontologische Argument zum Beweis Gottes scheitert. Seine Philosophie hängt auf der Klippe des Solipsismus fest, das heißt, sie bleibt auf der Auffassung sitzen, wonach der eigene Geist alles ist, was existiert (siehe Zitat 6, Berkeley und Zitat 34, Russell).
Descartes wirft viel mehr Fragen auf, als er Antworten liefert, und die Philosophie des Geistes nach ihm war hauptsächlich ein Versuch, die fundamentalen Mängel zu überwinden, die seinem Dualismus durch die radikale Trennung von Geist und Körper, Geist und Welt anhaften (siehe Zitat 35, Ryle).
Dessen ungeachtet ist es ihm durch die Rückbesinnung auf das Wesentliche, durch seine akademische Skepsis und die von ihm aufgeworfenen Fragen über das Wesen des Geistes und dessen Verhältnis zur Welt gelungen, die Philosophie auf einen neuen und fruchtbaren Weg zu führen, den sie sonst vielleicht nicht eingeschlagen hätte. Descartes ist wegen der Dinge, die er nicht richtig begriffen hat, viel wichtiger als andere Denker aufgrund der von ihnen richtig begriffenen Dinge.