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2 ANSELM VON CANTERBURY

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Und gewiss kann, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, nicht allein im Verstande sein. Denn wenn es nur im Verstande allein ist, so kann man denken, es sei auch in der Wirklichkeit, was größer ist.

(Anselm von Canterbury Proslogion, S. 23.Verfasst 1077/78)

Der heilige Anselm von Canterbury (1033–1109) gilt als einer der Großen unter den Philosophen des Mittelalters. In Italien geboren, wurde er Abt des Benediktinerklosters Le Bec in der Normandie und im Jahre 1093 schließlich Erzbischof von Canterbury. Fast genau 400 Jahre später (1494) sprach die Kirche ihn heilig, hauptsächlich wegen seiner Verdienste um die katholische Theologie.

Anselm genießt den Respekt eines Philosophen, der auf die Kraft des Arguments setzt und weniger auf Autorität, womit in seinem Fall die der Bibel gemeint ist. Dennoch nimmt er als Christ und Kirchenmann des Mittelalters ständig Bezug auf sie, um seine Ansichten darzulegen.

Das Proslogion ist Anselms mit Abstand bekanntestes Werk. In dieser Abhandlung über das Wesen Gottes bringt er das viel diskutierte ontologische Argument für die Existenz Gottes vor, das in unserem Eingangszitat zusammengefasst ist.

Unabhängig davon, ob es Gott wirklich gibt oder nicht, kann man darüber nachdenken, was er seinem Wesen nach wäre, oder schlicht und einfach untersuchen, was der Ausdruck »Gott« bedeutet. Anselm sagt klar: Gott ist dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Gott ist das höchste Wesen. |22|Das ist einleuchtend, denn gäbe es ein Wesen im Universum oder jenseits davon, das noch über Gott stünde, dann wäre in Wahrheit dieses Wesen das höchste Wesen – also Gott –, und nicht das erste Wesen, das man zunächst im Sinn hatte. Der Ausdruck »Gott« bezieht sich auf das allerhöchste nur vorstellbare Wesen. Kurz und gut, »Gott« bedeutet »höchstes Wesen«.

Als das höchste Wesen muss Gott über bestimmte göttliche Eigenschaften verfügen, verschiedene Vollkommenheiten aufweisen, ohne die er nicht das höchste aller Wesen wäre, ohne die er nicht Gott wäre. Das lateinische Präfix »omni« bedeutet »all«, und Gottes höchste Vollkommenheit lässt sich zusammenfassen, indem man sagt, er sei allwissend (omniszient), allmächtig (omnipotent), allgegenwärtig (omnipräsent) und allschaffend (von lat. omnificere).

Er muss allwissend sein, denn wenn es etwas gäbe, das er nicht wüsste, dann hätte seine Macht darin eine Grenze. Als das allerhöchste Wesen, das überhaupt vorstellbar ist, kann Gott unmöglich einer solchen Grenze unterliegen. Derselben Argumentation nach muss Gott allmächtig sein. Statt von der Allwissenheit und Allgegenwart Gottes spricht Anselm häufig von seinem vollkommenen Verstand und vollkommenen Willen. Dadurch dass Gott einen Willen und Verstand hat, ist er Person und keine unpersönliche, abstrakte Kraft. Er muss ein personaler Gott sein, sonst würden ihm Eigenschaften fehlen, die selbst Hunde und Kinder haben, wie es Anselm formuliert, und das wäre undenkbar.

Wäre Gott dazu nicht auch allgegenwärtig, so hätte er seinen Namen nicht verdient. Gott muss zu allen Zeiten zugleich und an allen Orten auf einmal sein. Gäbe es irgendeinen Ort, an dem er nicht wäre, so wäre er nicht einfach nur nicht dort, sondern es bestünde darin ein prinzipieller Mangel. Doch Gott, solange er Gott ist, kann unmöglich einen Mangel haben.

Wenn Gott schließlich als allschaffend bezeichnet wird, dann heißt das, dass er der Schöpfer von allem ist, was nicht Gott ist. Er ist die erste Ursache von allem – ein Gedanke, der in unserem nächsten Zitat aufgegriffen wird, das von einem anderen Schwergewicht des Mittelalters stammt, nämlich von Thomas von Aquin |23|(siehe Zitat 3). Gott selbst ist ungeschaffen und unzerstörbar, weil es nichts Mächtigeres gibt als ihn selbst, das seinen Anfang oder sein Ende bewirken könnte. Gäbe es eine solche Macht, wäre sie selbst Gott. Also gab es Gott von jeher und es gibt ihn für immer. Er ist ewig.

Über die göttlichen Eigenschaften ließe sich noch viel mehr sagen, zum Beispiel über Gottes vollkommene Güte. Zudem gibt es uralten Streit um diese Eigenschaften, etwa darum, ob es zu Gottes Allmacht auch gehört, etwas Unlogisches zu bewirken oder bloß das logisch Mögliche. Dies sind ergiebige Themen, die allein ein ganzes Buch füllen können, wovon ich mich jüngst selbst überzeugen konnte. Wenn Sie ihnen gründlicher nachgehen wollen, darf ich Ihnen mein letztes Buch empfehlen, The God Confusion: Why Nobody Knows the Answer to the Ultimate Question (2013). Für unsere Zwecke hier ist es wichtig, dass Sie eine möglichst genaue Vorstellung davon bekommen konnten, was Anselm meint, wenn er sagt, Gott sei dasjenige, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann.

Wie Anselm im Eingangszitat wortreich formuliert, ist die Vorstellung von einem wirklich existierenden Gott größer als die von einem Gott, den es in Wirklichkeit nicht gibt. Darum muss es ihn geben, muss dasjenige, über das hinaus sich nichts Größeres denken lässt, tatsächlich existieren. Anders gesagt: Stellt man sich einen Gott vor, der nicht existiert, so ist dies ein geringerer Gott als ein tatsächlich existierender. Weil Gott definitionsgemäß kein geringerer Gott sein kann, sondern immer schon der größtmögliche, immer schon der höchste ist, darum muss es ihn geben.

Dies ist ein ontologisches Argument, eines der renommierten und nach wie vor viel diskutierten theistischen Argumente für die Existenz Gottes und zudem das einzige von ihnen, das sich vollständig auf Logik und Vernunft stützt statt auf irgendein Element empirischer Erfahrung. Dieses Argument besagt, dass Gott als einem Wesen, welches über sämtliche positive Eigenschaften verfügt, auch die Eigenschaft der Existenz zukommen muss, denn sonst würde sie ihm fehlen, und weil Gott unmöglich etwas fehlen kann, wäre das ganz und gar ungöttlich. Die eigentliche Idee von |24|Gott schließt dieser Argumentation zufolge seine Existenz ein. Gott richtig denken heiße, ihn sich seiend vorzustellen; wer Gott richtig denke, der wisse, dass es ihn gibt.

Auf den ersten Blick wirkt das ontologische Argument völlig stichhaltig. Über viele Jahrhunderte hinweg hat es viele große Denker überzeugt, inklusive René Descartes, der etwas später noch zu Wort kommen wird (siehe Zitat 9). Es bleibt allerdings festzuhalten, dass das ontologische Argument nicht vollkommen stichhaltig ist, dass es nicht trägt, sondern auf einem logischen Taschenspielertrick beruht, den aufzudecken noch etwas kniffliger ist als die Darlegung des Arguments. Aus diesem Grund hat es sich über die Jahrhunderte an so manchem philosophischen Kontrollpunkt vorbeischmuggeln können und weit mehr Ansehen gewonnen, als es in Wahrheit verdient.

Aus der bloßen Idee einer Sache lässt sich grundsätzlich nicht auf ihre Wirklichkeit und ihre tatsächliche Existenz im Universum schließen. Wenn der Ausdruck »Gott« notwendigerweise ein Wesen meint, das über »sämtliche möglichen All-Eigenschaften verfügt«, so bedeutet dies nicht, dass Gott notwendigerweise existiert, dass es ihn wirklich gibt. Das Wort »Dreieck« bezeichnet notwendigerweise eine »dreiseitige Figur«, doch weil eine Figur unbedingt drei Seiten haben muss, um als Dreieck zu gelten, bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass es auch tatsächlich Dreiecke geben muss. Natürlich gibt es Dreiecke, keine Frage, dieser Fakt aber wurde anders festgestellt als durch die eingehende Untersuchung des bloßen Begriffs eines Dreiecks. Immanuel Kant formuliert das so: »Die unbedingte Notwendigkeit der Urteile aber ist nicht eine absolute Notwendigkeit der Sachen« (Kritik der reinen Vernunft, S. 173).

Wie es der Zufall will, ist dieses Kant-Zitat eines der fantastischen philosophischen Zitate, um die es in diesem Buch an späterer Stelle noch gehen wird (siehe Zitat 17). Darum warte ich bis dahin mit weiteren und wohl auch noch notwendigen Erklärungen zu den Ungereimtheiten des ontologischen Arguments. Fürs Erste gebe ich mich damit zufrieden, dass Sie jetzt immerhin wissen, was das ontologische Argument ist und wie es funktioniert.

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