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Prolog: Momo

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Einst wurde eine Geschichte erzählt, die niemandem der sie hörte, jemals wieder aus dem Kopf ging: Am Marktplatz in Downtown Amman war, wie so oft großes Gedrängel. Doch nicht wie sonst, um besonders günstige Hühner oder Lebensmittel zu kaufen, sondern um zuzuhören. Ein junger Mann stellte sich auf ein Podium und erzählte rasch in die Menge: ,,In meiner perfekten Welt gibt es keine alten Menschen, nur junge, hübsche Weiber und kräftige Burschen. Früh des morgens steht man auf und isst, dann soll man seine Arbeiten bis zum Mittag erledigt haben und des Abends geht man in ein gutes Wirtshaus um dort zu essen. Die Straßen sollen ausgebaut sein, die Bäume und Sträucher vernichtet. In meiner perfekten Welt gibt es nur eine einzige Pflicht, nämlich es sich gut gehen zu lassen." Als nächstes kam eine Frau auf die Erhöhung, sie berichtete in ihrer perfekten Welt gäbe es viel Natur, keinen Krieg und gutes Essen. Und als sie mit ihrer Rede geendet hatte, und herunter gestiegen war, ging ein alter Mann auf das Podium zu. Er hatte nur noch weniges weißes Haar, war sehr dünn und holprig unterwegs. Zwei Männer und zwei Frauen halfen ihm auf das Plateau zu kommen. Sofort fing er an zu reden, aber nicht mit einer Mäusestimme, wie man es erwartet – nein, er redete laut und deutlich:

,,Meine perfekte Welt ist diese in der ich lebe. Auch wenn ich zu dumm war, dies zu erkennen. Jetzt bin ich zu alt, ich bin krank und werde noch heute sterben. Als ich aufwuchs war der Krieg gerade gewonnen, ich hatte ein Leben in Fülle und Hülle: Grüne Wiesen, hohe Bäume, sauberes Wasser, viele Tiere. Ich begann eine Arbeit als Schreiner und erhielt regelmäßig Geld. Dabei habe ich auch meine Frau kennengelernt. Gott, habe ich dieses Weib geliebt! Wir heirateten und bekamen drei Kinder. Sie hat mein Leben so unendlich glücklich gemacht. Als sie vor ein paar Monaten starb, ist auch ein Großteil von mir gestorben und jene Krankheit, an der ich nun bald sterben werde, begann in mir zu wachsen. Ich hatte glückliche 63 Jahre zu leben und jetzt erst als alter Narr erkenne ich, was ich hatte in meinem Leben. Ich bitte euch, meine Freunde, seid nicht solche Narren und verschließt eure Augen vor der Schönheit des Lebens. Was würde ich nur geben, wenn ich noch einmal drei Jahre hätte und mich für einen einzigen Augenblick im Wasser spiegeln oder mich ohne Schmerzen ins Gras legen könnte."

Mit diesen Worten fiel der Mann um und war tot. Der junge Mann und die Frau hatten zugehört und ihre Sichtweisen geändert. Sie heirateten, bekamen fünf Kinder und hatten ein restliches glückliches Leben.Und, geht sie dir aus dem Kopf?

Seitdem kann ich den Verrat von Menschen nicht mehr ertragen. Räche mich an ihnen. Und wenn jemand mein Glück bedroht, schaffe ich ihn aus dem Weg.

Es ist jetzt 12 Jahre her. Damals waren wir 14. Natürlich, sich zwölf lange Jahre das Gesicht irgendeinen Menschen zu merken, an dem natürlich auch der Zahn der Zeit nagt, ist nicht selbstverständlich. Wenn es ein ganz besonderer Mensch war, jemand der dich unendlich glücklich gemacht, der dich zum Lachen gebracht, und jemand, der dich verstanden hat, da ist es schon leichter, sich dessen Züge einzuprägen. Aber wenn es der überhaupt allerwichtigste Mensch in deinem Leben war, mit dem du so eine glückliche, ja perfekte Zeit in deinem Leben verbracht hast, das man es gar nicht in Worte fassen kann, der mit dir geweint hat, wenn du geweint hast, der mit dir gekämpft hat gegen deine Feinde, der immer hinter dir stand, den du über alles geliebt hast, dann ist es meiner Meinung nach äußerst wichtig sich sein Gesicht, seinen Charakter, sogar seinen Geruch ganz tief und für immer zu merken. Zumindest so, wie diese Eigenschaften waren. Ich konnte mir sein Gesicht schon immer merken. Ich dachte jeden Tag, an dem ich ihn nicht gesehen habe, trotzdem an ihn. Ich sah ihn nicht mehr, weil seine Mutter sich eingebildet hatte, ihn auf ein Internat zu schicken. Das habe ich nie verstanden und das werde ich wahrscheinlich auch nie. Als ich ihn aber dann vor einem Jahr auf dem Klassentreffen nach 12 Jahren wieder gesehen habe, ist mir einiges klar geworden. Ich weiß ja, dass ich mich veränderte. Ich habe abgenommen und bin Anwalt geworden. Doch vom Charakter her bin ich derselbe, und vom Aussehen eigentlich auch, nur das ich eben abgenommen habe. Aber mein bester Freund ist immer noch meine beste Freund und ich liebe meine Eltern noch immer über alles. Aber das er sich so verändert hat, das haut mich um. Er kam, hatte eine Fahne, hat geraucht (nicht das ich etwas gegen Raucher hätte, ich rauche gelegentlich auch) und er hat aber trotzdem irgendwie ausgesehen wie damals. Nur viel größer und kräftiger. Aber vom Charakter hat sich mein ehemals bester, von mir so abgöttisch geliebter Freund total verändert. Er hat mich nicht mal erkannt. Er hat mich verwechselt mit dem Jungen, den wir in unserer gemeinsamen Schulzeit sosehr hassten. Und ich muss zugeben, dass das hat mir den größten Stich ins Herz gegeben hat. Ich hatte ihn vermisst. All die Jahre. Ich hatte mich auf das Treffen gefreut. Wollte wissen wie es ihm geht, was er macht, ob er eine Familie hat und, ich gebe zu, auch, ob er an mich gedacht und mich vermisst hat. Aber dazu kam es nicht. Ich bin gegangen. Ich habe ihm nach einer halben Stunde, nach der ich mit diesem, jetzt, arroganten Typen redete, in die Augen gesehen und gesagt, dass ich es sei. Und das ich enttäuscht bin. Dann habe ich ihm viel Glück gewünscht und bin gegangen. Zwei Tage danach wurde er mit abgebissenem Penis und einer Bisswunde im Hals tod in einem Abbruchhaus am 3. Cricle in Amman aufgefunden. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden.

Mir ist etwas klar geworden: Nur weil man sich wünscht, dass sich geliebte Menschen aus seiner Vergangenheit nicht verändern, ist das meistens nicht so. Ich wusste, dass ich damals den Kontakt nicht hätte abbrechen lassen dürfen. Man sollte gute Freunde nie einfach ohne Abschied gehen lassen. Für mich war es nämlich an jenem Tag kein ganzer Abschied, sondern nur ein ,,Wir werden uns genauso wie wir jetzt sind wieder sehen. Ganz bald." Jetzt weiß ich was ich davon habe. Nie wieder werde ich die Person, an die ich am häufigsten gedacht, und die ich am meisten geliebt habe sehen. Denn wenn wir die Freundschaft nicht pflegen, dann stirbt sie. Und die Menschen mit ihr. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hatte mich an dem Verräter gerächt.

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