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Einleitung
Оглавление«Keine fremden Richter!» Das ist eine starke Maxime des schweizerischen Selbstverständnisses. Wir begegnen ihr in der Schweiz beinahe täglich in den aktuellen Debatten um die institutionelle Regelung des Verhältnisses mit der Europäischen Union und wegen der Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention sowohl für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg wie auch für das Schweizer Bundesgericht in Lausanne.
Woher kommt die Begrifflichkeit, dieses Bild, dieser Topos? Und was ist damit gemeint? Das Gemeinte lässt sich schneller umschreiben als seine Herkunft. Gemeint ist, dass man die Jurisdiktion in den eigenen Grenzen behalten will. Zugleich steht die Maxime auch im allgemeineren Sinne für die Forderung nach nationalstaatlicher Unabhängigkeit und gegen formale Fremdbestimmung. Zudem verbindet sich damit ein innerer Herrschaftsanspruch – doch dazu erst später.
Es geht freilich nicht nur um Richter, sondern um Gerichte und Gesetze. Darum gilt die Ablehnung sogenannt fremder Richter auch Gerichten, in denen die Schweiz zwar regulär vertreten ist, aber Richter anderer Staaten darin die Mehrheit bilden. Und sie gilt Rechtsverständnissen, die nicht gleichsam dem eigenen Boden entstammen.
In den letzten Jahren ist viel über «fremde Richter» gesagt und geschrieben worden, viel Irrlichterndes, manchmal auch gut Informiertes. Dieses Buch will einen Überblick geben und den Interessierten Klärung anbieten. Es will die Herkunft dieser aufgeblasenen Maxime und deren polemische Nutzung aufzeigen, und es beschreibt die Schwierigkeiten, die sich deswegen ergeben. Es erörtert den Widerspruch zwischen der realen Bedeutung der angeblichen oder tatsächlichen Gefährdung der Souveränität und dem darüber gelegten ideologischen Diskurs. Und es plädiert für Nüchternheit und Gelassenheit im Umgang mit den davon betroffenen Fragen.
Um die wichtigsten Befunde der vorliegenden Abklärungen vorwegzunehmen: Die aus der tiefen Geschichte geholte Formel der «fremden Richter» ist erst in jüngster Zeit zum Schlagwort geworden. Dieses zielt gewiss auf den Geltungsanspruch supranationaler, aber auch der eigenen, nationalen Justiz, und es wird eingesetzt, um in allgemeiner Weise irreale Selbstbestimmung und «freie Fahrt» für rücksichtslose Basisdemokratie zu beanspruchen. «Fremde Richter» gehören zusammen mit «Unabhängigkeit», «Fremdherrschaft», «Geburtsstätte» etc. zu der Reihe von belasteten Wörtern, von denen der Zürcher Mediävist Roger Sablonier postuliert hat, dass sie aus dem Vokabular verschwinden sollten.1 «Belastet» bedeutet in diesem Fall ideologisch aufgeladen durch das im 19./20. Jahrhundert herrschende Geschichtsbild. Diese Aufladung pflegte ein Verständnis, das sich die Eidgenossenschaft beziehungsweise die Schweiz als einen von aussen bedrohten Hort der Freiheit vorstellte und dabei bestehende Verbindungen mit der «Aussenwelt» sowie die inneren Unfreiheiten ausblendete.
Man kann sich ein Verschwinden dieses Topos wünschen; Topos verstanden als sprachlicher, mentaler Gemeinplatz, als stereotype Redewendung, als vorgeprägtes Bild. Man muss sich zugleich jedoch bewusst sein, dass seine Elimination ein frommer Wunsch ist und es vielmehr darum geht, ihn irrelevant zu machen, indem man die damit angesprochene Haltung abzubauen versucht und anstelle ideologischer Theoreme die konkreten Probleme diskutiert.
Das vorliegende Buch über «fremde Richter» folgt, was den «Ursprung» des später in Schwung gekommenen Schlüsselbegriffs betrifft, einer Haltung, wie Thomas Maissen sie bereits 2015 als nötig und darum wünschenswert bezeichnet hat: «Geschichtsbilder und gemeinschaftliche Normen gehen aus öffentlichen Debatten hervor, aus dem politischen Streit. Deshalb muss er, mit guten Argumenten, geführt werden. Die Geschichtswissenschaft spielt dabei eine kleine, aber wichtige Rolle als jene Instanz, die sagen kann, wo Aussagen über die Vergangenheit fragwürdig werden, wenn man sie an Quellen misst.»2
In diesem Buch sind die einschlägigen Debatten der Eidgenössischen Räte und die Publizistik der «NZZ am Sonntag» systematisch berücksichtigt worden. Weiteres Material kam weniger systematisch aus verschiedenen Quellen hinzu. Der Verfasser dankt den Kollegen der rechtswissenschaftlichen Disziplin und insbesondere der Kollegin Christa Tobler vom Basler Europainstitut und im weiteren Thomas Cottier, Andreas Kley, Giusep Nay sowie Daniel Klingele vom EDA für klärende Gespräche sowie dem Verlag Hier und Jetzt für die Aufnahme dieses Texts in sein Programm und die professionelle wie auch freundliche Betreuung im Produktionsprozess.