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Frühe Abwehr «fremder Richter»

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Überraschen kann, wie spät die frühe Abwehr «fremder Richter» einsetzte. Wenig überrascht kann man dann jedoch feststellen, dass die «fremden Richter» im Juni 1969 und im Oktober 1974 in den parlamentarischen Beratungen zum Beitritt der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und damit auch zur Zuständigkeit des entsprechenden Gerichtshofs (EGMR) einen recht breiten Raum einnahmen.31

Wenn wir davon ausgehen, dass diesem Topos einmal über eine bestimmte Debatte gleichsam ein kräftiges und fortbestehendes Leben eingehaucht wurde, dann war es diese Diskussion und nicht erst diejenige von 1992 um den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Für 1969 bleibt allerdings unbeantwortet, aus welchem Fundus, aus welchem Reservoir die Richterfigur bezogen werden konnte.

Paradoxerweise waren es die Befürworter einer Mitwirkung im Rahmen der EMRK, die als Erste die «fremden Richter» auftreten liessen. Zunächst tauchten diese im Votum des Nationalrats Ettore Tenchio (CVP/GR) auf. Als Sprecher seiner Fraktion erinnerte er daran, dass Antoine Favre, Bundesrichter und ein früherer Ratskollege, die Schweiz im EuGH «vertrete», und bemerkte dann: «Ich weiss, dass uns nun jemand sagen wird: Wir wollen keine fremden Richter in unserem Lande. Aber anderseits können wir nicht mehr im totalen Immobilismus des 13. Jahrhunderts verbleiben.»32

Nationalrat Walther Hofer (SVP/BE), Professor für Geschichte an der Universität Bern, kam dann ebenfalls auf die offenbar gängige Formel zu sprechen: «Das Wort von den fremden Richtern ist auch heute noch geeignet, zahlreiche Schweizer zu erregen, weil es tiefe Schichten des geschichtlichen Bewusstseins aufwühlt. Wir sollten uns daher erst dann einer europäischen Gerichtsbarkeit unterziehen, wenn wir das mit gutem Gewissen tun können.» Dabei dachte er vor allem an das noch immer nicht durchgesetzte Frauenstimmrecht. Immerhin sprach sich der Sprecher der SVP für ein «Unterziehen» aus, meinte damit aber kein «Unterwerfen».

Walther Hofer zeigte sich allerdings gerne aufgeschlossen, er verwies auf die vielen bereits vereinbarten Schiedsgerichtsabkommen, die alle «mit entsprechender Einbusse an einst souveränen Rechten» verbunden seien; er beanstandete aber die «Unterwerfung unter supranationale Gerichtsbarkeit» und erklärte dann, wie zitiert, dass das Wort von den «fremden Richtern» auch heute noch geeignet sei, zahlreiche Schweizer zu erregen.33

Ernst Bieri (FDP/ZH) kam auf Hofers Votum zurück, wonach mit den «fremden Richtern» die tiefsten Schichten des geschichtlichen Bewusstseins aufgewühlt würden, und hielt dem entgegen: «Wir sind aber schon längst dem Internationalen Gerichtshof beigetreten, haben sogar dessen obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit vorbehaltlos anerkannt, auch wenn es gegen schweizerisches Verfassungsrecht gehen soll. Heute stehen wir mit über fünfzig Staaten in einer schiedsgerichtlichen Bindung.»34

Otto Fischer (FDP/BE), der später, 1986 im Nachgang des vom Stimmvolk verworfenen UNO-Beitritts, zusammen mit Christoph Blocher die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) gründen würde, verwies ebenfalls darauf, dass es «letztlich um nichts anderes» gehe als um «das Prinzip der eigenen oder fremden Richter».35 Beide, Hofer wie Fischer, störte aber nicht so sehr der Gedanke, dass sich «fremde Richter» einmischen würden, als die Möglichkeit, dass die eigenen Bürger an das externe Gericht gelangen könnten und, mit den Worten Hofers, «unsere rechtsstaatlichen Mängel internationalisieren» oder, mit den Worten Fischers, «in Strassburg gegen den eigenen Staat und gegen die Institutionen des eigenen Staats Prozesse führen» würden.36

Franco Masoni (FDP/TI)versuchte der behaupteten Fremdheit des EGMR entgegenzutreten, indem er argumentierte, dass ein freiwillig anerkanntes Gericht, in dem man zudem selbst vertreten sei, kein von aussen aufgezwungenes Gericht sei. Dezidiert vertrat er die Meinung: «Ich glaube, dieser Ausdruck, der in der Geschichte seine Wurzel hat, wird hier missbraucht.»37

In der Fortsetzungsdebatte griff Mathias Eggenberger (SP/SG) als Berichterstatter den eingeschleusten Terminus auf: «Der historische Begriff des ‹fremden Richters› ist, wie die Herren Masoni und Bieri klar auseinandergesetzt haben, hier völlig fehl am Platze. Wir anerkennen Richter, die uns von einer fremden Macht aufoktroyiert werden, nicht an.»38

Für Romands war die alteidgenössische Geschichte, an der sie nicht beteiligt waren, erstaunlicherweise mindestens so wichtig wie für Deutschschweizer.39 Neben «juges étrangers» war der Begriff «sous tutelle étrangère» geläufig. In der stark föderalistisch eingestellten französischen Schweiz könnte damit auch Fremdbestimmung durch den eigenen Zentralstaat gemeint sein. Mehrheitlich war von «juges étrangers» die Rede.

Der in der traditionellen Schweizer Geschichte stark verankerte Nationalrat und Historiker (und spätere Bundesrat) Georges-André Chevallaz (FDP/VD) kam nicht von sich aus auf den Topos, sondern in einer Entgegnung auf ein Votum des Parteikollegen Otto Fischer zu den «juges étrangers». Und einem Votum James Schwarzenbachs, das er als Ausdruck einer «méfiance fondamentale à l’égard d’institutions européennes et internationales construits sur un rationalisme malfaisant» verstand, entgegnete er mit der ironischen Bemerkung: «[…] l’on comprend que notre pureté helvétique, vêtue de spiritualité virginale et de lin blanc, ne pourrait que se détorierer au contract d’organismes manifestement inspirés par le Satan».40 Im Ständerat hingegen bezog sich Carlos Grosjean (FDP/NE) mit warmen Worten auf «1291» und sagte von dieser Bezugnahme, dass sie nicht auf einem «sentiment anachronique et suranné» beruhe.41

Nationalrat James Schwarzenbach (Rep./ZH), Führerfigur der Überfremdungsbewegung, liess es sich nicht entgehen, auf die Gefahr eines Verlusts der Souveränität hinzuweisen. Die Eindeutigkeit der Gefährdung betonend, erklärte er, er «brauche ja dieses Problem, das jetzt brennt, nicht beim Namen zu nennen», und unterstrich es dann trotzdem, nämlich die Gefahr, «dass wir uns in Zukunft dem Urteilsspruch eines fremden Gerichts beugen». Zudem war er der Meinung, dass die EMRK für ein christliches Land überflüssig sei.42 Damals stand die Befürchtung im Vordergrund, dass das fehlende Frauenstimmrecht und die noch nicht beseitigten antikatholischen Ausnahmeartikel Ausgangspunkte von Klagen in Strassburg werden könnten.

Bundesrat Willy Spühler (SP/ZH) ging 1969 in seinem Schlusswort im Nationalrat auf die Versuche ein, wie er sagte, mit dem Begriff der «fremden Richter» eine «unterschwellige Reaktion» hervorzurufen. Dabei unterstrich er den Unterschied zwischen den Verhältnissen im 13./14. Jahrhundert und den Gegebenheiten im 20. Jahrhundert. Die Vorfahren hätten sich dagegen gewehrt, dass habsburgische Richter in ihre Täler zogen und gegen den Willen der Eidgenossen dort Gericht hielten. Jetzt dagegen würde dem Schweizer Bürger mit der EMRK «bloss ein nach seinem freien Willen verfügbares zusätzliches Rechtsmittel vor internationalen Instanzen gewährt». Und indirekt Nationalrat Hofer korrigierend, bemerkte er, dass die EMRK keine supranationale Institution sei, weil der EGMR im Gebiet der Mitgliedstaaten keine für Einzelpersonen direkt verbindlichen Entscheide erlassen könne.43 Auch im Ständerat beteuerte er später, dass die Souveränität ungeschmälert erhalten bleibe: «Es gibt keinen Richter oberhalb der Bundesversammlung.»44 In diesem Schlussvotum ging er von sich aus auf den gängigen Topos ein, obwohl dieser zuvor während der ganzen Beratung gar nicht ins Spiel gebracht worden war: «Durch die Menschenrechtskonvention werden auch nicht fremde Richter ins Land gerufen, denn sie gibt dem Schweizerbürger bloss ein zusätzliches Rechtsmittel vor internationalen Instanzen in die Hand; er ist aber völlig frei, sich dieses Rekursrechtes zu bedienen oder nicht.»45

Es ist eine im engeren Sinn zufällige, im weiteren Sinn aber doch nicht zufällige Koinzidenz, dass die Bezugnahme auf die alteidgenössische Bilderwelt gerade in einem Moment wichtig wurde, da sie von Experten der Geschichte und einer weiteren Publizistik dekonstruiert wurde. Otto Marchi, Schüler des Mediävisten Marcel Beck, veröffentlichte 1971, nach Vorabdrucken ab Juni 1969 in der Presse, das Buch «Schweizer Geschichte für Ketzer», und Max Frischs «Wilhelm Tell für die Schule» erschien im gleichen Jahr.

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