Читать книгу Toter Dekan - guter Dekan - Georg Langenhorst - Страница 8
ОглавлениеVorspiel
Zeitenwende
„Sie? Um diese Uhrzeit?“ Dekan Gerstmaier blickte überrascht und misstrauisch den nur schwach beleuchteten Gang vor seiner Bürotür entlang. Er hatte das heftige Klopfen zunächst gar nicht gehört, so sehr war er in die Lektüre von Papieren auf seinem Schreibtisch vertieft gewesen. Die leise durch den Raum summende klassische Musik aus dem CD-Player hatte ihn zusätzlich ganz in eine zeit- und raumlose geistige Innenwelt versenkt. Mühsam, stirnrunzelnd, den Kopf ruckartig nach rechts und links schüttelnd hatte er sich in die Spätabendstimmung seines Dienstzimmers zurückgetastet. Und dann tatsächlich, ein Klopfen! Verwundert hatte er auf seine Armbanduhr geschaut – fast halb elf! Um diese Uhrzeit war er gewöhnlich der Einzige, der noch in diesem Gebäudetrakt der Universität arbeitete. Vor allem freitags war hier schon seit den frühen Nachmittagsstunden fast nichts mehr los. Nach kurzem Zögern hatte sich Gerstmaier mit mürrischer Miene dann doch zur Tür begeben.
„Nun gut, kommen Sie rein“, knurrte er nun, verzog das Gesicht zu einer schwer deutbaren Grimasse, hob aber doch einladend die linke Hand, drehte sich um und ging langsam zurück zu seinem Schreibtisch.
Es waren seine letzten Worte. Zweimal, dreimal ertönte ein gedämpftes „Plopp“. Getroffen von den Kugeln – eine im Rücken, zwei im Hinterkopf – kippte er lautlos nach vorn, streifte den Besucherstuhl vor dem Schreibtisch mit der Schulter und fiel vornüber auf den abgetretenen dunkelblauen Teppichboden. Es blieb ihm nicht einmal Zeit für ein letztes Gebet. Professor Dr. Anton Gerstmaier, zweiundsechzig Jahre alt, Kirchenrechtler, Priester und päpstlicher Ehrenprälat, seit knapp drei Jahren Dekan der renommierten KatholischTheologischen Fakultät an der altehrwürdigen Gregor-Hu-bertini-Universität zu Friedensberg, war tot.
Dass sein Schreibtisch sorgsam untersucht, sein Büro gründlich durchforstet wurde, dass der anonyme, durch einen Handschuh nicht identifizierbare Zeigefinger den Druckknopf des CD-Players bediente und dadurch den Raum in plötzliche gespenstische Stille tauchte, dass einige schmale Mappen, Schnellhefter und andere zusammengeheftete Kopien in einer dunklen Aktentasche verschwanden, dass die Lichtschalter neben der Tür auf Aus gedreht wurden, dass sich die Tür behutsam schloss – all das ereignete sich in einer Zeit, die ihm selbst bereits vorenthalten war.