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»DES TEUFERLS GENERAL« Torberg, Weigel & Co

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Friedrich Torberg hält sich in seinen Erinnerungen an die Tante Jolesch – die in Wahrheit auch seine eigenen sind – bescheiden im Hintergrund. Obwohl wir wissen, dass er im Umgang mit Freunden und Mitarbeitern überaus originell sein konnte. Lassen wir hier also Torberg durch seine eigene Schlagfertigkeit zu Wort kommen, in der er den von ihm zahlreich zitierten Kaffeehausliteraten um nichts nachstand. Der Karikaturist Rudolf Angerer erzählte mir von einer Autofahrt, die er einmal mit Torberg unternommen hatte. Als irgendwo in Währing, am Stadtrand von Wien, die Ampel »Rot« zeigte, mussten sie mit ihrem Wagen gezwungenermaßen stehen bleiben. Da schaute Torberg zum Fenster hinaus und entdeckte das Portal einer Süßwarenhandlung mit der Aufschrift »Zuckerl-Mayer«.

Worauf er trocken sagte: »Das ist der, der ›Des Teuferls General‹ geschrieben hat!«

Der solcherart minimierte Carl Zuckmayer zählte ebenso zu Torbergs Freundeskreis wie Thomas Mann, Fritz von Herzmanovsky-Orlando und Franz Werfel, denen er sich aufgrund des Erfolgs seines Erstlingswerks »Der Schüler Gerber hat absolviert« schon im Alter von 21 Jahren zugehörig fühlen durfte. Weit weniger Aufsehen erregte sein zweiter Roman »Die Mannschaft«, der – wie Torberg selbst bekannte – »für die Sportler zu g’scheit und für die G’scheiten zu sportlich« war.

Auch wenn seine Liebe zum Sport für viele im Gegensatz zum intellektuellen Anspruch des Dichters stand, blieb der athletisch gebaute Torberg lange als Schwimmer und Wasserballer (der in seinen Jugendtagen für die »Hakoah« einen Meistertitel errang) aktiv. Seine fanatische Hingabe zum Fußballklub »Austria« spiegelt sich in einer skurrilen Episode im Exil wider: Als Fritz Molden 1947 nach New York kam, um dort im Auftrag der österreichischen Regierung die Zeitschrift »Austria Information« zu gründen, konnte sich Torberg des Eindrucks nicht erwehren, Molden würde seine Position dafür missbrauchen, die aus Wien eintreffenden Sportnachrichten in übler Weise zu manipulieren. Knappe Siege der von Molden bevorzugten »Vienna« seien in dem Blättchen aufgebauscht und deren Niederlagen vertuscht worden, wohingegen die Erfolge der von Torberg favorisierten »Austria« angeblich sträflich vernachlässigt wurden. In der »Austria Information«-Redaktion langten zahllose Leserbriefe eines James B. McNussenblatt ein, der sich als ausgezeichneter Kenner der österreichischen Fußballszene erwies. McNussenblatt ging so weit, die in der Zeitschrift wiedergegebene Tabelle der Fußballergebnisse als glatte Fälschung und Molden als »Agent eines primär zur Vernichtung der ›Austria‹ geschaffenen Geheimdienstes« zu bezeichnen.

Nach intensiven Recherchen gelang es Fritz Molden, James B. McNussenblatt als Friedrich Torberg zu entlarven.

Man stelle sich vor, wie groß die Liebe des aus der Heimat Vertriebenen zu Österreich gewesen sein muss, wenn ihm nach fast zehnjährigem Aufenthalt in der Fremde die Reputation des Fußballklubs »Austria« derartige Sorgen bereiten konnte. Darüber hinaus wurde das New Yorker Penthouse des Ehepaares Friedrich und Marietta Torberg in der 55. Straße, Ecke 7. Avenue, von Besuchern als bewohnbar gemachte Kopie des einstigen Café Herrenhof beschrieben.

Torberg kehrte ein Jahr nach der McNussenblatt-Episode zurück nach Wien, um hier wieder als Kritiker zu arbeiten und die von ihm gegründete Kulturzeitschrift »Forum« herauszugeben. In Wien wurde, als Torberg bereits etabliert war, oft die Frage gestellt, ob der zum Romancier Berufene sein Genie vergeudet hätte, weil er im Journalismus verblieben war.

»Nein«, antwortete Hans Weigel, »er hat zwar gewiss darunter gelitten, dass er vor lauter ›Forum‹ kaum zu anderer Arbeit kam, aber er hat es gleichzeitig genossen, dass er darunter gelitten hat.«

In der Tat blieb für seine schriftstellerische Tätigkeit wenig Zeit. Einzig sein Roman »Süßkind von Trimberg«, die »Tante Jolesch« und deren »Erben« sowie die Übersetzungen der Satiren Ephraim Kishons zeugen von seinem späten literarischen Schaffen. Während Torberg gegen Ende seines Lebens »mit Entsetzen vermerkte, dass es sehr viele Leute gibt, die mich überhaupt nur als Kishon-Übersetzer kennen«, widerlegte Kishon dies mit der Feststellung, »dass Torberg gar nicht das übersetzt, was ich geschrieben habe, sondern das, was er übersetzen möchte«.

Friedrich Torberg, der einstige Kaffeehausliterat, hatte sich mittlerweile in sein Landhaus in Breitenfurt bei Wien zurückgezogen, wo er täglich bei exzessivem Kaffee- und Zigarettenkonsum bis in die frühen Morgenstunden hinein schrieb und erst nach Mittag wieder aufstand. Er könnte seine Freunde »am Daumen einer Hand abzählen«, erklärte Torberg die Abgeschiedenheit seiner späten Jahre.

Sollte er zeitweise wirklich einsam gewesen sein, dann dürfte wohl der von ihm inszenierte »Brecht-Boykott« einiges dazu beigetragen haben. Als der Schriftsteller und Parodist Robert Neumann in jenen Tagen vermutete, »dass Torberg zu jedem Frühstück einen Kommunisten verspeist«, entgegnete Marcel Reich-Ranicki:

»Das stimmt natürlich nicht. Denn erstens ist Torberg Vegetarier und zweitens Feinschmecker.«

Torbergs treuester Mitstreiter in der Ablehnung gegenüber Bert Brecht war Hans Weigel. So einig sich die beiden Kritiker in Sachen Brecht auch waren, so konträr dachten sie in anderen Fragen – ganz besonders in einer: Während man Weigel wiederholt seine Einstellung zum Judentum und die Bagatellisierung eines möglicherweise wieder aufkommenden Antisemitismus vorwarf, schrieb Torberg unermüdlich gegen das Vergessen in der Geschichte an. Und fand über seinen Widersacher die Worte:

»Der Weigel ist der einzige Mensch in Österreich, der glaubt, dass der Weigel kein Jud ist!«

Hans Weigel war zeitweise nicht nur auf Torberg, sondern – nebst anderen – auch auf Marcel Prawy schlecht zu sprechen. Das muss man wissen, um die folgende Geschichte, die sich in den fünfziger Jahren im Café Volksoper zugetragen hat, verstehen zu können.

Als Weigel dort eines Abends neben der Schauspielerin Louise Martini saß, betrat ein stattlicher, gut aussehender Herr das Lokal und grüßte sehr höflich – zuerst Louise Martini und dann Hans Weigel. Worauf die beiden den Gruß ebenso höflich erwiderten.

Kaum war der stattliche Herr außer Sichtweite, fragte Weigel – der extrem kurzsichtig war und daher oft gleichzeitig mehrere Brillen auf Stirn und Nase platziert hatte –, Weigel also fragte seine Tischnachbarin, wer der Herr gewesen sei, den sie gerade gegrüßt hätten.

»Das war der Prawy«, antwortete Louise Martini.

Nach Erhalt dieser Auskunft begann Weigel aufgeregt in seiner Aktentasche irgendwelche Papiere zu suchen. Als er sie endlich gefunden hatte, sprang er auf und lief Prawy nach. Sobald er ihn eingeholt hatte, hielt er diesem die mitgebrachten Unterlagen vors Gesicht und sagte:

»Das sind ärztliche Atteste, die bescheinigen, dass ich schlecht sehe. Nur so konnte es passieren, Herr Doktor Prawy, dass ich Sie gegrüßt habe.«

Sprach’s und ging – diesmal selbstverständlich grußlos – zurück an seinen Tisch.

Wo bitte sehr, trifft man fünfzig Jahre später einen Herrn, der einer solchen Aktion fähig wäre?

Zwei Begebenheiten noch, die typisch für Weigels Humor sind. In der Zeit, als Hans Dichand Chefredakteur des »Kurier« war, schrieben dort gleichzeitig Weigel, Torberg und Heimito von Doderer. Weigel ging des Öfteren mit Dichand und der Kulturredakteurin Hedi Schulz zum Mittagessen. Als er einmal, in einem Lokal am Stadtrand von Wien, Kaiserschmarrn bestellte, wunderte sich Dichand:

»Herr Weigel, Sie essen Kaiserschmarrn? Es weiß doch jeder, dass Sie gegen die Monarchie sind!«

»Schmarrn in Verbindung mit Kaiser«, replizierte Weigel, »das geht!«

Und als der durch seine Fernsehserien populär gewordene Schauspieler und Regisseur Fritz Eckhardt mit dem Ehrentitel »Professor« ausgezeichnet wurde, telegrafierte ihm Weigel:

»Hiermit lege ich meinen Professorentitel zurück. Albert Einstein.«

Zu Weigel fällt mir aber auch eine Begebenheit ein, die ich aus nächster Nähe miterlebte. Im Gegensatz zu Torberg – den ich nur einige wenige Male getroffen hatte – kannte ich Weigel sehr gut, fast könnte ich sagen, mit ihm befreundet gewesen zu sein. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich einige Jahre nach seinem Tod von einem Grazer Verlag eingeladen wurde, einen Beitrag über den Doyen der Wiener Theaterkritik zu schreiben.

Ich war einer von mehreren Autoren, die sich in dem geplanten Buch an Weigel erinnern sollten. Zu ihnen zählten neben seiner Lebenspartnerin Elfriede Ott auch die Schauspieler Otto Schenk und Helmuth Lohner, die Kabarettisten Gerhard Bronner, Georg Kreisler und Werner Schneyder, die Journalisten und Autoren Hans Dichand, Trude Marzik und Marcel Reich-Ranicki. Aber auch die Politiker Rudolf Kirchschläger, Franz Vranitzky, Peter Marboe, Helmut Zilk.

Und Franz Olah.

Bei der Präsentation des Weigel-Erinnerungsbandes im Wiener Rabenhof-Theater blätterte ich in dem druckfrischen Werk und blieb bei dem ein wenig eigentümlich anmutenden Beitrag »Irritationen des Lebens«, verfasst von Franz Olah, hängen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Autoren war der ehemalige Innenminister und Gewerkschaftspräsident jedoch nicht anwesend.

Hatte er überhaupt einen Beitrag für dieses Buch geschrieben?

Und wenn nicht: Wer war dann der geheimnisvolle Autor des Kapitels, über dem »Franz Olah« stand?

Nun, im burgenländischen Markt Deutschkreutz lebt ein Bundesbahnbeamter gleichen Namens, der auf äußerst sonderbare Weise zum Weigel-Chronisten wurde: Franz Olah, 35 Jahre alt und am Kartenschalter des Bahnhofs Wr. Neustadt tätig, erhielt ein Jahr vor Erscheinen des Buches – wie wir alle, die sich an Weigel erinnern sollten – einen Brief des steirischen Verlagshauses, mit der Bitte, einen Beitrag zum 90. Geburtstag des verstorbenen Literaturpapstes zu schreiben.

»Ich hab mich eh sehr g’wundert«, sagte Olah, der Bahnbeamte, als ich ihn nach der Präsentation des Buches ausfindig machte. »Ich hab mich g’wundert, weil ich den Weigel weder gekannt noch je etwas von ihm gelesen habe.«

Daher nahm der biedere Beamte das Verlagsschreiben zunächst nicht weiter ernst und legte es beiseite.

Bis nach einigen Monaten ein weiterer Brief kam, diesmal mit der dringlichen Anfrage, wann endlich mit dem Manuskript zu rechnen wäre.

Worauf er an der Sache Geschmack zu finden begann. Wer hat schon Gelegenheit, seinen Namen nebst so illustren Persönlichkeiten in einem Buch wiederzufinden? Also las Herr Olah (der mit dem Politiker weder verwandt noch verschwägert ist) in Weigels Werken nach. Und verfasste ein Kapitel, das er dem Verlag schickte und das dann auch tatsächlich so erschienen ist.

Im Verlag suchte man, als ich die Verwechslung in einem Zeitungsartikel »aufgedeckt« hatte, eine Erklärung für die ein wenig peinliche Angelegenheit.

Die da lautete: Eine Mitarbeiterin war beauftragt worden, Franz Olahs Adresse herauszufinden. Als man ihr bei der Telefonauskunft die Adresse des Herrn in Deutschkreutz nannte, begann die Posse ihren Lauf zu nehmen.

Immerhin kommt »der falsche Olah« auf zwei Buchseiten zu dem Schluss: »Nehmen wir den 90. Geburtstag Hans Weigels zum Anlass, darauf hinzuweisen, welche Werte in den Werken der österreichischen Dichtung und vor allem in den Werken Hans Weigels liegen.«

Tatsächlich. Welche Werte liegen dort. Der Nestroy, der Qualtinger und der Weigel selbst sind wohl am Tag der Buchpräsentation auf einer Wolke gesessen und haben sich gefreut, dass in Österreich alles so geblieben ist, wie sie’s immer so trefflich beschrieben hatten.


Hans Weigels »Watschenaffäre« wurde zwar vielfach beschrieben, wir wollen ihr aber hier noch die eine oder andere der Tante Jolesch adäquate Facette anfügen. Die Schauspielerin Käthe Dorsch hatte dem Kritiker 1956 bekanntlich – nachdem er sie für damalige Weigel-Verhältnisse ohnehin eher sanft verrissen hatte – auf offener Straße eine schallende Ohrfeige verpasst. Worauf Weigel sie klagte. Der Ausrutscher hätte gar nicht so viel Aufsehen erregt, wäre Käthe Dorsch nicht Wiederholungstäterin gewesen – sie hatte vor Weigel schon den deutschen Kritiker Harich geohrfeigt.

Vergleichsweise milde kam ein anderer Journalist davon, der aus Anlass von Käthe Dorschs angeblich 65. Geburtstag einen Artikel verfasst hatte. Teilte die Schauspielerin dem Interviewer doch nach Erscheinen der Würdigung in einem groben Brief mit, »um einige Jahre jünger« zu sein, als von ihm angegeben. Als der Redakteur nun höflich anfragte, um wie viele Jahre er sich geirrt hätte, antwortete die Dorsch: »Genug Jahre, um Ihnen, in Ohrfeigen ausgezahlt, die Lust am Schreiben zu nehmen!«

Wahr ist, dass Käthe Dorsch, Jahrgang 1890, bei Erscheinen des Zeitungsberichts nicht 65, sondern 64 Jahre alt war.

Um aber aufzuzeigen, welch enorme Bedeutung Schauspieler ihrem eigenen Beruf beimessen, muss hier die Aussage Raoul Aslans, der in der »Watschenaffäre« Dorsch vs. Weigel als Zeuge einvernommen wurde, zitiert werden. Forderte der große Mime doch mit vollem Ernst und dem der Angelegenheit angemessenen Pathos vor Gericht »die Todesstrafe für Hans Weigel«.

Verurteilt wurde dann aber doch die Dorsch, und zwar »zu einer Geldstrafe von S 500,-, im Nichteinbringungsfalle drei Tage Arrest«.

Weigel wurde in den Redaktionen, für die er schrieb, nicht nur wegen der brillant formulierten Schärfe seiner Kritiken geschätzt, sondern auch wegen deren pünktlicher Ablieferung. »Wenn ich mein Manuskript für 12 Uhr versprochen habe«, sagte er, »und es ist um 12.01 Uhr noch nicht da, können Sie schon die Parte aufsetzen lassen.«

Ich wäre, ehrlich gesagt, nicht gern Schauspieler in den Tagen der Torberg’- und Weigel’schen Vernichtungsfeldzüge gewesen (es konnte ja auch kein Trost sein, dadurch einmal in die Geschichte der Literaturkritik Eingang zu finden). Als ich die beiden Kritikerpäpste viel später dann kennen lernte, zeigten sie sich als gütige ältere Herren, die keiner Fliege etwas zuleide hätten tun können.

Geschweige denn einem Schauspieler.

Am Ende des Kapitels lasse ich noch einmal Friedrich Torberg zu Wort kommen. Mit einer Aussage, die – stammte sie nicht von ihm selbst – in die Zitatensammlung seiner »Tante Jolesch« gepasst hätte. Gelangte er doch, als man den so ungesund Lebenden gefragt hatte, ob es nicht vernünftig wäre, Nikotin- und Koffeingenuss einzuschränken, zu der Erkenntnis:

»Ich rauche, trinke schwarzen Kaffee, schlafe zu wenig, mache zu wenig Bewegung und bin auf diese Weise 70 Jahre alt geworden. Vielleicht wäre ich bei gesünderer Lebensführung heute schon 75 oder 80, aber das lässt sich schwer feststellen.«

Es war die letzte Torberg-Pointe, die uns überliefert ist. Eine Pointe, bei der man, wie so oft bei ihm, nicht recht wusste, ob man lachen oder weinen soll.

Denn er starb wenige Monate später, gerade 71 Jahre alt, an den Folgen einer Thrombose.

Die Enkel der Tante Jolesch

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