Читать книгу Neues von Gestern - Georg Markus - Страница 12
DER LETZTE WAGEN DES LETZTEN KAISERS Kaiser Karl verleiht sein Auto
ОглавлениеSo weit mir bekannt ist, liegt keine Schätzung über den wahren Wert des Gräf & Stift-Wagens vor, in dem der Thronfolger und seine Frau starben. Wie viel bei dem Gerichtsstreit aber auf dem Spiel steht, zeigt der Vergleich mit einem anderen Automobil von historischer Bedeutung: Der in den letzten Jahren der Monarchie im Besitz von Kaiser Karl befindliche Wagen, ebenfalls ein Gräf & Stift, ist auf rund vier Millionen Euro versichert. Es ist anzunehmen, dass das Auto, in dem Franz Ferdinand und Sophie ermordet wurden – schon wegen seines dramatischen Anteils an der Weltgeschichte –, einen noch viel höheren Preis erzielen würde, doch erscheint mir eine kleine Geschichte des Hofwagens von Kaiser Karl nicht minder erwähnenswert.
Anton Kuh forderte in der noch jungen Ersten Republik, dass das letzte Hofauto des letzten Kaisers in einem Museum mit dem Titel »Altösterreich« nebst anderen Kuriosa und Denkwürdigkeiten der k. u. k. Monarchie ausgestellt werden sollte. Zumal der Kaiserwagen ein Sinnbild »für die liebenswürdige Form des österreichischen Zusammenbruchs« sei.
Die Geschichte ereignete sich in den letzten Tagen der Donaumonarchie, Anfang November 1918. Victor Adler, der Führer der österreichischen Sozialdemokratie, litt an Herzschwäche, Asthma und Wassersucht, seine angeschwollenen Beine mussten mehrmals täglich bandagiert werden. Obwohl der einstige Armenarzt ganz offensichtlich am letzten Wegstück seines Lebens angelangt war, erlaubte es ihm die Staatskrise nicht, sich zurückzuziehen. Hier eine Besprechung mit dem k. u. k. Außenminister, da vermittelnde Worte mit revolutionären Gruppierungen, in Schönbrunn fast täglich eine Unterredung mit dem Kaiser.
Der Monarch, der in den Gesprächen mit Victor Adler die letzte Chance zur Rettung seines sechshundert Jahre alten Reichs sah, bemühte sich, dem todkranken Mann die Koordination seiner vielen Termine zu erleichtern.
»Ich lasse Sie heute Nachmittag mit dem Wagen aus der Stadt holen«, bot Kaiser Karl dem Führer der Sozialdemokraten an, »und später wird Sie der Chauffeur wieder nach Hause bringen.«
Victor Adler schüttelte seinen Kopf und blieb verlegen vor dem Monarchen stehen. »Das wird nicht gehen«, erklärte er.
»Ja, warum denn nicht?«, fragte Karl.
»Majestät, heute kommt mein Bub aus der Strafanstalt Stein zurück …, ich wollte ihn von der Bahn abholen.«
»Der Bub«, das war Friedrich Adler, Victor Adlers Sohn, der vier Jahre zuvor den k. u. k. Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh im Hotel Meißl und Schadn erschossen hatte. Kaiser Karl hatte den zu lebenslanger Haft Verurteilten wenige Tage davor begnadigt.
»Aber das macht doch nichts«, erklärte der Monarch. »Holen Sie ihn mit dem Auto von der Bahn ab und dann kommen Sie zu mir!«
Und so war’s dann auch: Victor Adler holte seinen Sohn, den Mörder des Ministerpräsidenten, mit dem »hofgrün« lackierten Wagen des Kaisers von der Bahn ab. Sie fuhren gemeinsam nach Schönbrunn. Und während sein Vater mit Karl I. sprach, wartete der Bub draußen vor dem Schloss im Hofauto.
Eine Woche später wurden sowohl Victor Adler als auch die österreichisch-ungarische Monarchie zu Grabe getragen.
Die Forderung von Anton Kuh, das Auto in ein Museum zu stellen, hat sich freilich erfüllt. Auch wenn das Museum nicht den Titel »Altösterreich« trägt – das Hofauto kann heute in der Wagenburg von Schönbrunn besichtigt werden.