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DAS DOPPELLEBEN DES
CHARLES A. LINDBERGH Ein Nationalheld wird enttarnt

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Getrost konnte man annehmen, die dramatische Geschichte des Charles A. Lindbergh ziemlich genau zu kennen, waren doch die beiden großen Ereignisse seines Lebens bis ins kleinste Detail recherchiert und niedergeschrieben worden. Triumph und Tragödie lagen hier näher beisammen als in irgendeiner anderen Biografie. Lindberghs Triumph, das war der erste Flug über den Atlantik im Jahre 1927. Und die Tragödie, das war die Entführung und Ermordung seines kleinen Sohnes, fünf Jahre danach.

Die Geschichte des amerikanischen Nationalhelden ist in zahlreichen Büchern und Filmen festgehalten, sein letzter Biograf erhielt 1999 sogar den Pulitzer-Preis, weil er mit seinem Lindbergh-Buch »ein Standardwerk des 20. Jahrhunderts« geschaffen hatte.

Vier Jahre später war das hoch gelobte Werk nicht mehr als das Papier wert, auf dem es gedruckt wurde. Denn der Schriftsteller A. Scott Berg hatte nur die eine Seite des Charles Lindbergh beschrieben: den Helden, den treuen Ehemann und Familienvater.

Im Sommer 2003 meldete sich eine in München lebende Familie zu Wort. Charles A. Lindbergh, so wurde enthüllt, hatte im Jahre 1957 die Münchner Hutmacherin Brigitte Hesshaimer kennen und lieben gelernt und mit der um fast dreißig Jahre jüngeren Frau eine zweite Familie gegründet. Der Liebesbeziehung entsprangen drei Kinder, um deren Wohl er sich von nun an kümmerte. Er pendelte deshalb regelmäßig zwischen den Kontinenten hin und her, waren doch in den USA noch Ehefrau und fünf gemeinsame Kinder zu versorgen. Die drei »neuen« Kinder präsentierten sich jetzt in München einer staunenden Öffentlichkeit.

Doch diese staunte bald noch mehr, als nämlich weitere Details bekannt wurden. Mr. Lindbergh hatte auch mit Brigitte Hesshaimers Schwester zarte Bande geknüpft und mit dieser eine weitere, seine dritte, Familie gegründet. Marietta Hesshaimer hatte dem Flugpionier zwei Söhne geschenkt und sich mit diesen in der Schweiz niedergelassen. Die fünf »europäischen« Kinder erfuhren erst nach Lindberghs Tod, wer ihr Vater war. Er war ihnen bis dahin unter dem Namen Careu Kent bekannt und hatte sowohl Brigitte als auch Marietta jeweils ein Haus mit Garten und familiärer Idylle eingerichtet – das eine am bayrischen Ammersee, das andere im Kanton Wallis. Er wäre zwar nur sporadisch aufgetaucht, erklärten Söhne und Töchter unisono, sei dann aber ein stets liebevoller und fürsorglicher Vater gewesen.

Während der letzte Biograf des Nationalhelden noch eine Zeit lang behauptete, dass das Doppel-, geschweige denn Dreifachleben keineswegs zu Lindberghs Charakter passe und daher auszuschließen sei, musste er sich nach Vorlage zahlloser fotografischer und brieflicher Beweise geschlagen geben.

Für viele Amerikaner war mit den Enthüllungen eine Welt zusammengebrochen. Hatte doch die Verehrung nicht nur des Piloten, sondern auch des Menschen Charles A. Lindbergh bis dahin keinen Vergleich gekannt. 25 000 Fans waren zu seinem Empfang erschienen, als er am 21. Mai 1927 auf dem Pariser Flughafen Le Bourget zur Landung ansetzte. Der ehemalige Postflieger war 33 Stunden und 29 Minuten davor mit seiner einmotorigen Propellermaschine Spirit of St. Louis in New York gestartet. Er hatte kein Funkgerät und kam – völlig übermüdet – mit dem letzten Tropfen Benzin über den Atlantik.

Die Heimkehr nach Amerika wurde zum Triumphzug. Nach einer dreitägigen Siegesfeier in New York ging er auf Tournee durch 75 Städte der USA und ließ sich in jeder einzelnen wie ein König feiern.

Auch privat schien das Glück perfekt. Lindbergh heiratete die Senatorentochter Anne Morrow, die ihm einen Sohn schenkte. Illustrierte zeigten die Lindberghs als das Ideal einer amerikanischen Familie.

Und dann, fünf Jahre nach dem Triumph, die Katastrophe: Am 1. März 1932 steigt ein unbekannter Mann über eine Leiter in das offen stehende Fenster des im ersten Stock des Hauses in Hopewell, New Jersey, befindlichen Kinderzimmers von Charles Lindbergh junior. Der Einbrecher nimmt das zwanzig Monate alte Kind an sich und hinterlässt einen Zettel, dem zu entnehmen ist, dass »der Junge gut versorgt« werde und bei Befolgung aller Anweisungen heil zurückkehren würde. »Alles Nähere erfahren Sie in vier Tagen.«

Das »Nähere« war natürlich eine schmutzige Erpressung, auf die die verzweifelten Eltern eingingen. 50 000 Dollar werden an einem vereinbarten Ort hinterlegt.

Es folgen bange Stunden, Tage und Wochen des Wartens. Doch der Gangster meldet sich nicht. US-Präsident Herbert C. Hoover weist die Polizeistationen aller Bundesstaaten an, die Suche nach dem Baby und seinem Kidnapper aufzunehmen. 100 000 Menschen beteiligen sich an der größten Suchaktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten, allein in der Umgebung des Tatorts sind 15 000 Polizisten im Einsatz.

Auch sonst wird keine Möglichkeit ausgelassen, mit dem Täter in Kontakt zu treten. Die Behörden schalten Anzeigen in Tageszeitungen und affichieren Plakate mit der Aufschrift »Wanted«, um die Spur des Kindes und seines Entführers aufnehmen zu können.

Zehn Tage nach der Entführung wird im Madison Square Garden in New York ein Boxkampf unterbrochen. Tausende Menschen erheben sich und beten für den kleinen Charles.

Die Öffentlichkeit verfolgt jeden Schritt, den Oberst Lindbergh und seine Frau unternehmen. Bis zu jenem 12. Mai 1932, an dem ein Lastwagenfahrer das Baby in einem Waldstück, nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt, auffindet. Gerichtsmediziner vermuten, dass Charles junior unmittelbar nach der Entführung erschlagen wurde.

Amerika steht unter Schock. Und vom Mörder fehlt jede Spur.

Die einzige Hoffnung, an den Täter heranzukommen, sind die sorgsam notierten Nummern der Dollarnoten, mit denen das Lösegeld bezahlt wurde. Tatsächlich gelingt es der Polizei zwei Jahre nach der Tat, den aus Deutschland eingewanderten Tischler Bruno Richard Hauptmann festzunehmen, als er bei einer Tankstelle zehn Dollar wechseln will. In seiner Wohnung werden 13 000 Dollar aus dem Lösegeld gefunden. Er beteuert zwar seine Unschuld, wird aber anhand einer lückenlosen Indizienkette zum Tod verurteilt und am 3. April 1936 auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Seine Witwe bringt noch 1981 eine Schadenersatzklage in Höhe von 100 000 Dollar ein, die aber vom Gericht abgewiesen wird.

Fest steht, dass das Lindbergh-Baby der Popularität seines Vaters zum Opfer fiel. Der berühmteste Pilot aller Zeiten war nach seinem Atlantikflug durch Publikationen, Prämien und als Berater in der Zivilluftfahrt reich geworden, worüber Amerikas Zeitungen in großer Aufmachung berichteten. Dies hatte den Entführer auf die Idee gebracht, dass bei Lindbergh viel Geld zu holen sei.

Das schwer geprüfte Ehepaar bekam fünf weitere Kinder – wobei Anne mit dem ältesten Sohn bereits zum Zeitpunkt der Entführung schwanger war.

Mittlerweile zum General ernannt, flog der Nationalheld als Berater amerikanischer Flug- und Automobilkonzerne in den fünfziger und sechziger Jahren oft nach Europa. Besonders oft nach Bayern und in die Schweiz …

Charles A. Lindbergh starb 1974 im Alter von 72 Jahren auf Hawaii, seine Frau Anne folgte ihm im Februar 2001 mit 94 Jahren in den Tod.

Von seinen beiden »anderen Familien« hat sie nie etwas erfahren.

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