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»IN DER FINSTERNIS ZU FRÜH ERWACHT« Die Erfindungen des Leonardo da Vinci
ОглавлениеEr erfand Flugzeug, Auto, Fahrrad und das Kugellager. Er konstruierte Raketen, Fallschirme, Brücken und ein Maschinengewehr. Und das alles vor fünfhundert Jahren. Ach ja, dass ich’s nicht vergesse, »nebenbei« schuf er mit der Mona Lisa auch noch eines der bedeutendsten Kunstwerke aller Zeiten. Tatsächlich »nebenbei«, denn Leonardo da Vinci sah sich in erster Linie als Forscher und Ingenieur. Er hat der Welt nur dreißig Gemälde, dafür aber Tausende Skizzen und Beschreibungen seiner Erfindungen hinterlassen.
Leonardo kam am 15. April 1452 in dem italienischen Dorf Vinci als unehelicher Sohn einer Magd zur Welt. Sein Vater, der reiche Notar Ser Piero, war viermal verheiratet und hatte zwölf Kinder; als sein letztes geboren wurde, war er 75 Jahre alt. Doch das Universalgenie wuchs weder bei seiner Mutter noch bei seinem Vater auf, sondern ausgerechnet bei einer der geschiedenen Frauen des Vaters. Mit fünfzehn ging Leonardo als Lehrling in das Atelier des Malers Andrea Verrocchio nach Florenz, wo er seine technische Begabung ausleben konnte, zumal er dort auch Bildhauen, Gießen, Goldschmieden, Kostümschneidern und das Ausrichten großer Renaissancefeste erlernte. Als sein Meister die ersten Bilder Leonardos sah, so erzählt man, hörte dieser zu malen auf, weil er erkannte, dass er fortan nur noch im Schatten seines Schülers stehen würde.
Mit 28 Jahren entwickelte Leonardo die erste seiner wahrhaft revolutionären Erfindungen: Eine Maschine, die Feilen zur Holzund Metallbearbeitung herstellt – derartige Werkzeuge wurden damals noch manuell mit Hammer und Meißel gefertigt. Wie jede seiner Erfindungen hatte er auch diese feinsäuberlich zu Papier gebracht; die Modelle wurden später anhand seiner Skizzen von italienischen Ingenieuren nachgebaut und in Leonardos Geburtshaus und in anderen Museen aufgestellt. Fast alle sind funktionsfähig.
In der Folge konstruierte Leonardo völlig neuartige Hebel- und Kurbelvorrichtungen. Dem Textilhandwerk schenkte er Maschinen zum Zwirnen des Garns und zum Aufspulen des Fadens. Er entwickelte Zahnräder, Uhrwerke, Ventile, optische Geräte, Mühlen, Bewässerungsanlagen und Druckerpressen. Dem Baugewerbe lieferte er Pläne für Kräne, Pumpen, Winden, Bagger sowie Anweisungen für den Bau von Flaschenzügen mit raffinierten Übersetzungen, aber auch Bohr- und Hobelmaschinen, wie man sie in ähnlicher Form heute noch in Betrieben findet.
Die allergrößten Visionen hatte Leonardo, als er Fortbewegungsmittel erdachte, die dann im 19. und im 20. Jahrhundert verwirklicht wurden. Sein Fahrrad (mit Lenkstange, Pedalen und Kettenübertragung) unterscheidet sich kaum von einem heutigen Drahtesel. Sein »Auto« hat auf den ersten Blick wenig mit einem Mercedes zu tun, ist aber dennoch eine prophetische Konstruktion: Der Wagen wurde durch riesige Federn – wie sie in Uhren verwendet werden – angetrieben. So wie wir heute voll tanken, dachte Leonardo daran, dass sein Auto nach einiger Zeit vom Fahrer »aufgezogen« würde.
Ganz besonders hatte es ihm die Kunst des Fliegens angetan: Nach dem Vorbild der Natur experimentierte er 25 Jahre lang mit Raketen, Hubschraubern und vogelähnlichen »Flugapparaten« (die sich freilich als unbrauchbar erweisen sollten). Mit seiner »Tauchglocke« entwickelte er ein frühes U-Boot, dem er Sauerstoffflaschen beifügte.
Die meisten Herrscher, an deren Höfen Leonardo da Vinci beschäftigt war, interessierten sich kaum für seine Bilder – sie engagierten ihn vielmehr als Militärexperten. Und so entwickelte er neuartige Waffen, die er im Auftrag von Königen und Fürsten herstellte: Seine in einer Reihe montierten Kanonen könnte man als Vorläufer des Maschinengewehrs bezeichnen, er konstruierte ein Panzerfahrzeug, das Soldaten und Pferde vor gegnerischen Angriffen schützte. Und er erhöhte die Treffsicherheit von Kanonenkugeln, indem er den Luftwiderstand berechnete. Mit seinen mathematischen und physikalischen Formeln nahm er viel von dem vorweg, was Isaac Newton, Albert Einstein und Wernher von Braun erst Jahrhunderte später wissenschaftlich untermauern konnten.
Auch wenn Leonardo sein Talent vielfach in den Dienst des Krieges gestellt hatte, erkannte er ihn dennoch als »bestialische Tollheit«.
Wegen seiner homosexuellen Neigungen ein Leben lang verfolgt, starb das Universalgenie am 2. Mai 1519 im Alter von 67 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.
Nur die wenigsten seiner wegweisenden Erfindungen konnten, solange er lebte, realisiert werden. Er war seiner Zeit, dem zu Ende gehenden Mittelalter, um Jahrhunderte voraus. Sigmund Freud veranlasste das, ihn als einen Mann zu charakterisieren, »der in der Finsternis zu früh erwachte«.