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Anna Sachers süßes Geheimnis Die Lovestory der verwitweten Hotelbesitzerin

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Anna Sacher, 1859–1930, Hotelbesitzerin

Es hat lange gedauert, bis ich es mir zur Aufgabe machte, der Lebensgeschichte des Herrn Julius Schuster nachzugehen. Dabei war dieser Mann eine einflussreiche Persönlichkeit, die als Zentraldirektor des Bankhauses Rothschild eine wichtige Rolle im Wirtschafts- und Gesellschaftsleben der Donaumonarchie spielte. Was aber wesentlich glamouröser erscheinen mag, ist die Tatsache, dass er neben seinen vielen kommerziellen Beziehungen auch durch eine ganz private in Erscheinung getreten ist. Julius Schuster war die große Liebe im Leben der verwitweten Hotelbesitzerin Anna Sacher, die somit neben dem diskret gehüteten Rezept der Sachertorte noch ein anderes süßes Geheimnis hatte.

Eduard Sacher, 1843–1892, Hotelier

Annas Ehemann Eduard Sacher, der Gründer des legendären Hotels vis-à-vis der Oper, starb 1892 im Alter von 49 Jahren an einer Lungenentzündung und hinterließ seiner 33-jährigen Frau Anna das Hotel, die gemeinsamen Kinder Anna, Eduard und Franziska sowie Stieftochter Rosa aus seiner ersten Ehe.

Nach Eduards Tod kümmerte sich Anna vor allem um den Ausbau ihres expandierenden Hotelbetriebs, um ihre Mitarbeiter und als ebenso charmante wie strenge Herrscherin in ihrem Reich ganz besonders um ihre prominenten Gäste und Stammgäste.

Julius Schuster, 1841–1916, Bankdirektor

Zu denen auch der Rothschild’sche Zentraldirektor Julius Schuster zählte. Lange waren die Begegnungen des Doktor Schuster und der Frau Sacher in ihrem Kaffeehaus- und Restaurantbetrieb ganz unverdächtig, zumal er in Begleitung seiner schönen Gemahlin und seiner beiden Söhne einzukehren pflegte. Nach einiger Zeit fanden neben den familiären Soupers freilich Treffen ganz anderer Art statt, bei denen es um die Finanzierung des zuweilen überschuldeten Hotels der Frau Sacher ging.

Irgendwann muss es im Zuge dieser Besprechungen bei Anna Sacher und Julius Schuster gefunkt haben, und zwischen den beiden entwickelte sich eine Affäre. Die mit Rücksicht auf die Ehe des Herrn Zentraldirektors selbstverständlich mit allergrößter Diskretion gehandhabt wurde.

Die Cousine erzählt von Anna Sachers geheimer Liebe

Es hat mit der Aufarbeitung seiner Lebensgeschichte insofern lange gedauert, als meine Recherchen über Julius Schuster bereits im September 1989 begannen. Damals feierte Frau Carla Sacher in Baden bei Wien mit einem dem Anlass entsprechend rauschenden Fest ihren hundertsten Geburtstag, zu dem ich als noch junger Geschichtsschreiber geladen war.

Carla war eine Cousine zweiten Grades der Anna Sacher, die sie noch persönlich gekannt hatte. Und sie überreichte mir nach dem Fest zu ihrem »Hunderter« ein Tonband, auf dem sie über die Familie Sacher und aus ihrem eigenen Leben erzählte.

Dieses Tonband mit Carla Sachers noch kräftiger Stimme war ein echtes Fundstück, enthält es doch eine kleine Sensation – von der bis dahin niemand wusste:

Tonband-Mitschnitt der Carla Sacher

»Nach dem frühen Tod ihres Ehemannes Eduard lernte die Anna Sacher die große Liebe ihres Lebens kennen, den Gutsverwalter Schuster, das war die graue Eminenz beim Baron Rothschild. Als der Herr Schuster kurz nach dem Ersten Weltkrieg starb*, hat sich die Anna Sacher aus lauter Verzweiflung statt ums Hotel nur noch um Pferdewetten gekümmert und auf dem Rennplatz praktisch das Sacher verspielt. So gelangte es in den Besitz der Familie Gürtler, der das Wiener Hotel heute noch gehört.«

Fast drei Jahrzehnte sind verstrichen, seit ich das Tonband der Carla Sacher zum ersten Mal abgehört habe. Jetzt endlich ging ich daran, mich auf die Spurensuche nach dieser geheimnisvollen Beziehung zu begeben und Näheres über besagten Julius Schuster in Erfahrung zu bringen.

Nathaniel Rothschild, 1836–1905, Wiener Bankier

Nun also: Julius Schuster war in der Wiener Vorstadt Dornbach als Nachfahre einer alten Fuhrwerkerdynastie zur Welt gekommen. Schon sein Vater Gustav Adolf Schuster war Comptoir-Chef der Rothschild-Privatbank, in deren Dienste auch Julius 1870 im Alter von 29 Jahren tritt. Er bringt es zum engsten Vertrauten des Barons Nathaniel Rothschild und zum Zentraldirektor des größten privaten Bankhauses innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie. Da Rothschild fürs Finanzgeschäft weit weniger übrig hat als für die schönen Künste und den Sport – insbesondere für den Ersten Wiener Fußballclub »Vienna«, den er 1894 gründete –, verfügt Julius Schuster als sein engster Mitarbeiter über weitreichende Vollmachten in seinen Geschäften.

Julius Schuster wird Mitglied der High Society

Als rechte Hand des Barons Rothschild wird er im Lauf der Jahre aber auch zu einem Mitglied der Gesellschaft, dem man bei Großereignissen und Wohltätigkeitsveranstaltungen begegnet. Julius Schuster ist so prominent, dass sein Name in den Jahren 1887 bis 1916 in der Wiener Presse mehr als zweihundert Mal Erwähnung findet, vor allem in dem für die High Society zuständigen »Salonblatt«.

Das erste private Treffen bei Schnitzler

Die rege Gesellschaftstätigkeit ist es wohl, die den Rothschild-Intimus mit der umtriebigen Anna Sacher verbindet. Wann genau die Beziehung begann, wissen wir nicht, man kann aber davon ausgehen, dass es Mitte der 1890er-Jahre »passierte«. Laut Monika Czernins Anna-Sacher-Roman »Das letzte Fest des alten Europa« lud Julius Schuster die Frau Sacher erstmals privat anlässlich der Uraufführung von Schnitzlers Schauspiel »Liebelei« ins Burgtheater ein. Diese fand am 9. Oktober 1895 statt, Julius war damals 54, Anna 36 Jahre alt und seit drei Jahren verwitwet. Der Termin ist jedoch nicht bekundet, zumal es sich beim »Letzten Fest«, wie erwähnt, um einen Roman handelt.

Diskrete Rendezvous im Prater, auf der Hohen Warte und im Sacher

Julius Schuster wohnt damals mit seiner Frau Anna Cäcilie geb. Konrath und seinen Söhnen Julius und Heinrich im Haus Plösslgasse 13 auf der Wieden, das dem Baron Nathaniel Rothschild gehört. Diskrete Treffpunkte mit der Frau Sacher sind die weitläufigen Prater-Auen, die von der Öffentlichkeit abgeschirmten Rothschild-Gärten auf der Hohen Warte und – für intime Stunden – praktischerweise das Sacher-eigene Etablissement neben der Hofoper.


Eine große Liebe, die geheim bleiben musste: Anna Sacher und Julius Schuster – sein Bild wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Anna Sachers Tochter heiratet Julius Schusters Sohn

Doch die Verflechtungen zwischen den Familien Sacher und Schuster gehen weit über die Affäre der Hotelbesitzerin mit dem Bankdirektor hinaus. Denn im Jahr 1898 heiratet Annas erst 16-jährige Tochter Anna Maria Sacher den Sohn von Julius Schuster, den 24-jährigen Julius Schuster jun.

Ziemlich verzwickte Verwandtschaftsverhältnisse also, in denen Schwiegermutter und Schwiegervater ein verbotenes Verhältnis haben. Die Konstellation ist auch deshalb ziemlich kompliziert, weil die Hauptbeteiligten dieselben Namen tragen: Anna Sachers Tochter heißt ebenfalls Anna, und auch Julius Schusters Frau heißt Anna und deren gemeinsamer Sohn heißt Julius wie sein Vater.*

Albert Rothschild, 1844–1911, Wiener Bankier

Nathaniel Rothschild vertraut seinem Zentraldirektor uneingeschränkt, doch als er 1905 stirbt, übernimmt sein jüngerer Bruder, Albert Rothschild, die Geschäfte. Und dessen erste Handlung ist es, den 64-jährigen Julius Schuster fristlos zu entlassen. Es kommt zum Prozess, in dessen Mittelpunkt das in Mähren gelegene Rothschild’sche Schloss Schillersdorf** samt riesigem Gutsbesitz steht. Der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber fand heraus, dass Albert Rothschild dem ehemaligen Zentraldirektor vorwarf, im Jahr 1902 für das Anwesen zugunsten seiner beiden Söhne Julius jun. und Heinrich Schuster allzu günstige Pachtverträge abgeschlossen zu haben. Der Prozess Albert Rothschild gegen Julius Schuster endet mit einem Vergleich.

Anna Sachers Tochter begeht Selbstmord

Im Jahr 1902, in dem der unglückliche Pachtvertrag abgeschlossen wird, kommt es in den durch Heirat verbundenen Häusern Sacher und Schuster aber auch zu einer wirklichen Tragödie: Am 22. März nimmt sich Anna Maria Schuster – Anna Sachers erst 19-jährige Tochter – das Leben und hinterlässt drei kleine Kinder.

Der in einer Depression begangene Selbstmord wirkt sich natürlich auf die Beziehung der Anna Sacher mit Julius Schuster aus, vermutlich wird sie in diesen Tagen sogar beendet. Fest steht aber, dass das einstige Liebespaar in freundschaftlicher wie in geschäftlicher Weise verbunden bleibt.

Julius Schuster gewährt dem Sacher ein großzügiges Darlehen

Als Julius Schusters Frau im Frühsommer 1904 stirbt, hätte für Anna Sacher und Julius Schuster die Möglichkeit bestanden, die mehrjährige geheime Liaison zu legalisieren, wovon sie lange Zeit geträumt haben. Doch es ist zu spät, der Tod der Tochter respektive Schwiegertochter liegt als dunkler Schatten über ihrer Liebe und lässt eine Wiederaufnahme der einst leidenschaftlichen Beziehung nicht zu.

Julius Schuster hat einmal noch Gelegenheit, seine Zuneigung zu Anna unter Beweis zu stellen: als der 48-jährigen Witwe im Jahr 1907 angeboten wird, ein dem Sacher benachbartes, vierstöckiges Haus in der Maysedergasse zu kaufen, womit das aus allen Nähten platzende Hotel erheblich vergrößert werden könnte. In dem neuen Trakt sollen weitere Gästezimmer, ein Restaurant und zusätzliche Separees errichtet werden, die sich als Rendezvousplätze adeliger Herren mit jungen Schauspielerinnen, Ballettmädchen und anderen Vorstadtschönen größter Beliebtheit erfreuen. Julius ist zur Stelle, um mit einem großzügigen Darlehen aus seiner Privatschatulle auszuhelfen.

Schuster ist auch Berater der Fürstin Metternich

Er muss in seinen Dienstjahren im Bankhaus Rothschild tatsächlich ein Vermögen verdient haben, übergibt er Anna Sacher doch in den folgenden beiden Jahren mehrere Schuldscheine in Höhe von insgesamt 670 000 Kronen*. Viel Geld für einen Mann, der in seinem ganzen Erwerbsleben immer angestellt gewesen ist – abgesehen davon, dass er eine Zeit lang auch Berater der Fürstin Pauline Metternich war, die es als Enkelin des legendären Staatskanzlers und durch ihren alljährlich stattfindenden Blumenkorso im Prater zu großer Popularität brachte.


Beliebter Rendezvousplatz adeliger Herren mit jungen Schauspielerinnen, Ballettmädchen und anderen Vorstadtschönen: das Sacher-Separee

Nachruf auf Julius Schuster in der »Neuen Freien Presse«

Auf die Spur zu den Darlehen, die Julius Schuster seiner früheren Geliebten überließ, kam Monika Czernin, als ihr der Verlassenschaftsakt nach Julius Schuster in die Hände fiel. Dem auch zu entnehmen ist, dass im Sacher wertvolle Möbel und Bilder aus Schusters Besitz aufbewahrt wurden.

In der »Neuen Freien Presse« vom 27. Juli 1916 findet sich ein kurzer Nachruf auf »Herrn Dr. Julius Schuster, Zentraldirektor i. P. des Barons Nathaniel Rothschild und Berater der Fürstin Pauline Metternich, der im Alter von 75 Jahren verstorben ist«.

Das Darlehen wird nie zurückgezahlt

Anna Sacher hat mit ihm ihren engsten Freund und Berater verloren. Und wenn man den Worten ihrer Cousine Carla Sacher Glauben schenkt, ist sie an seinem Tod verzweifelt, hat sich danach statt ums Hotel nur noch um Pferdewetten gekümmert.

Die fast 700 000 Kronen, die Julius Schuster seiner Freundin geliehen hatte, dürfte sie nie retourniert haben, sie wäre auch gar nicht in der Lage dazu gewesen. In ihrem letzten Lebensjahr war Anna Sacher zahlungsunfähig, am 25. Februar 1930 ist sie siebzigjährig im Hotel Sacher gestorben.

*Richtig ist, dass Julius Schuster bereits während des Ersten Weltkrieges, am 25. Juli 1916, starb.

*Siehe Stammbaum Seite 164.

**Heute Šilheřovice in der Tschechischen Republik.

*Entspricht laut »Statistik Austria« im Jahr 2017 einem Betrag von rund 3,8 Millionen Euro.

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