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Das Tagebuch des Adjutanten Vertrauliches aus Kaiser Franz Josephs letztem Lebensjahr
ОглавлениеHeute den Dienst als Flügeladjutant angetreten. Seine Majestät gnädig wie immer, reichte mir, als ich das erste Mal Sein Arbeitszimmer betrat, die Hand und begrüßte mich mit den Worten: ›Freue mich sehr, dass Sie wieder bei Mir sind.‹* Diese Begrüßung ist mehr wert als ein hoher Orden.«
Franz Joseph, 1830–1916, Kaiser von Österreich, König von Ungarn
Mit dieser Eintragung vom 26. Mai 1915 beginnen die Tagebuchaufzeichnungen des k. u. k. Oberstleutnants Adalbert von Spanyi, der dem alten Kaiser von nun an eineinhalb Jahre lang näher war als irgendjemand anderer. Der Offizier stand praktisch Tag und Nacht in Franz Josephs Diensten, hörte sich dessen Sorgen an, verfolgte mit ihm das Kriegsgeschehen, war Zeuge seiner Einsamkeit und erlebte den gesundheitlichen Verfall des Monarchen. Und schließlich auch seinen Tod.
Franz Joseph stand in seinem 85. Lebensjahr und war von erstaunlicher Frische, als Spanyi seinen Dienst antrat. »Seine Majestät«, notiert der Adjutant gleich am ersten Tag, »sieht geradezu blühend aus, viel besser als im vergangenen Jahr, als ich ihn gelegentlich meiner Audienz sah«.
Adalbert von Spanyi, 1858–1930, österreichisch-ungarischer Offizier
Der Kaiser durchlebt einen aufreibenden Alltag: »Früh ½ 4 Uhr steht Seine Majestät auf, um ½ 5 beginnt die Arbeit …« Gegen acht Uhr lässt Franz Joseph mit einem Glockenzeichen den im Nebenzimmer wartenden und zu seiner persönlichen Dienstleistung zur Verfügung stehenden Offizier zu sich kommen, um mit ihm die Planung des Tages durchzugehen. Bis Mittag empfängt der Kaiser Regierungsmitglieder, Militärs und andere Gäste, meist acht bis zehn Personen. »Von 8 Uhr früh bis 1 Uhr 15 waren fast ununterbrochen Empfänge. Ist zum Staunen, dass Seine Majestät diesen Anstrengungen in seinem Alter gewachsen ist … Mit kurzer Pause um ½ 12 Uhr, um welche Zeit Seine Majestät ein kleines Frühstück nehmen – nur Schinken und Tee, sonst nichts. Um 5 Uhr ist Diner, Seine Majestät fast immer allein – alle Mahlzeiten werden auf seinem Schreibtisch serviert – es geht alles sehr rasch: Frühstück 10–12 Minuten, Diner höchstens 25 Minuten.« Nach dem Diner geht der Flügeladjutant ins Billardzimmer und wartet, bis Seine Majestät aus dem Schreibzimmer heraustritt und mit den Worten »Danke sehr, brauche heute nichts mehr, Gute Nacht wünsch ich« den Adjutanten entlässt. Oberstleutnant Spanyi staunt immer wieder nach einem langen Arbeitstag: »Dabei ist Seine Majestät nicht im geringsten müde … Um 8 Uhr geht Seine Majestät zur Ruhe.«
»Um 8 Uhr geht Seine Majestät zur Ruhe«
Dass sich die Monarchie in einem blutigen Krieg befindet, ist im Schloss des Kaisers vorerst kaum spürbar. »Im lieben Schönbrunn ist alles wie es war, still und traumverloren, dieselben Menschen, dieselbe Tageseinteilung«, notiert Spanyi. Noch ist alles voll Optimismus: »Auf den Kriegsschauplätzen steht es sehr gut, Seine Majestät dementsprechend in bester Stimmung«, so die Tagebucheintragung vom 26. August 1915. Auch zu Weihnachten ist »Seine Majestät frisch und in guter Stimmung – hoffentlich bringt das neue Jahr Sieg und Frieden.«
Eine Kopie des 45 Seiten umfassenden Tagebuchs
Es war im Herbst 2016, als mich Adalbert von Spanyis Enkel Georg Graf Walterskirchen anrief und mir mitteilte, dass er im Besitz des noch nie veröffentlichten Tagebuchs seines Großvaters sei. Und Walterskirchen fragte mich, ob ich Interesse hätte, Auszüge aus der Niederschrift des letzten Flügeladjutanten Kaiser Franz Josephs abzudrucken.
Die Frage musste er mir nicht zweimal stellen, und so trafen wir uns in seinem niederösterreichischen Schloss Walkersdorf, wo er mir eine Kopie des 45 Seiten umfassenden Tagebuchs übergab, das sich als wahrhaftiges Fundstück erweisen sollte. Das Tagebuch wurde zwischen 26. Mai 1915 und 21. November 1916 von seinem Großvater mütterlicherseits verfasst und später mit Schreibmaschine transkribiert. Das handschriftliche Original ging laut Österreichischem Kriegsarchiv im Jahr 1945 verloren.
Die letzten Lebensmonate des Kaisers und die Atmosphäre bei Hof
Der Adjutant beschreibt ruhig und ohne aufsehenerregenden Geheimnisverrat, aber sehr treffend die letzten Lebensmonate Kaiser Franz Josephs und die Atmosphäre bei Hof.
Niemand in der Umgebung des Monarchen scheint in dieser Zeit zu erkennen, dass das alte Kaiserreich am Rande des Abgrunds steht. Franz Joseph lädt zu Diners und Empfängen, einmal kommt der deutsche Kaiser, dann kommen Familienmitglieder wie Thronfolger Karl mit Ehefrau Zita, laut Adalbert von Spanyi »in reizender Toilette, sieht ganz mädchenhaft aus, und dem kleinen Erzherzog Otto, ein süßer, lockiger Blondkopf, der mir gleich die Händchen gab.«