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Der nahe Untergang des Kaiserreichs ist kein Thema

Am 6. August 1915 verzeichnet der Adjutant eine besonders gehobene Stimmung, da des Kaisers Obersthofmeister Fürst Montenuovo mit dem Chef der Militärkanzlei »um eine Zigarettentasche gewettet hat, dass Warschau fallen wird«. Montenuovo gewinnt Wette und Zigarettentasche und alle freuen sich. Am Heiligen Abend des Jahres 1915 schenkt der Kaiser seinem Generaladjutanten Graf Paar einen Spieltisch, »den wir mit einer Partie Whist eingeweiht haben – diese Partien sind äußerst gemütlich.« Der nahe Untergang des Kaiserreichs ist nach wie vor kein Thema.

Joseph Ritter von Kerzl, 1841–1919, Leibarzt des Kaisers

Adalbert von Spanyi betont immer wieder die robuste Gesundheit des Monarchen, bis am 29. Februar 1916 das erste Warnsignal erfolgt: »Seine Majestät hatte einen Ohnmachtsanfall, wäre fast vom Sessel gefallen, konnte aber von den anwesenden Herren aufgefangen werden. Nach dem Kammerdiener geläutet, mit dessen Hilfe Seine Majestät gelabt wurde. Das Fenster geöffnet, es waren schauerliche Minuten. Ich berief telefonisch (den Leibarzt) Dr. Kerzl, er fand bereits Seine Majestät außer jeder Gefahr.«

Der Kaiser erholt sich wieder und setzt seine Arbeit pflichtbewusst fort. An den Nachmittagen werden Dokumente unterschrieben und Mitarbeiter empfangen. »Er ist ungemein rüstig – schließlich würde der Dienst selbst einen viel Jüngeren anstrengen, umso mehr als es für ihn keinen freien Tag gibt«, ist der Adjutant voll der Bewunderung.


»Schauerliche Minuten«: Franz Josephs Flügeladjutant Adalbert von Spanyi stand dem Kaiser in seinem letzten Lebensjahr praktisch Tag und Nacht zu Diensten.

»Es herrscht große Not in der Bevölkerung«

Von der russischen Front werden hohe Verluste gemeldet. »Seine Majestät war sichtlich niedergeschlagen, die Last der Sorgen ist groß.« Und die Lage spitzt sich weiter zu, am 1. August 1916 sind »die ganze Bukowina und ein Teil Ost-Galiziens in russischem Besitz – es scheint, dass auch Lemberg bedroht ist … Es herrscht große Not in der Bevölkerung.« Dennoch spricht »Seine Majestät vom Kriege mit viel Zuversicht« – zuletzt noch am 15. Oktober 1916, fünf Wochen vor seinem Tod.

Während Spanyi dem Kaiser bis zu dessen letztem Atemzug loyal dient, beginnt er an der Regierung zu zweifeln. »Vorgestern Abend«, schreibt er am 13. Mai 1916, »waren in Wien und auch hier vor dem Schlosse Demonstrationen – das Volk hungert, man bekommt weder Mehl noch Fett oder Milch. Fleisch unerschwinglich, wovon sollen die Leute leben? Dabei sollen aber hinreichende Vorräte vorhanden sein – mangelnde Organisation, ganz unfähige Regierung und schamlose Gewinnsucht sind Schuld an diesen betrübenden Zuständen. Seine Majestät hat auch das Lärmen (der Demonstranten, Anm.) gehört und sich berichten lassen.« Das Essen im Schloss sei kaum besser: »Das Hofmischbrot ebenso miserabel wie jenes bei den Bäckern in Wien.«

»Die rote Erzherzogin« Elisabeth, 1883–1963, Enkelin Kaiser Franz Josephs

Der Kaiser hat auch private Sorgen. Die Ehe seiner Enkelin Elisabeth – die später als »rote Erzherzogin« bekannt gewordene Tochter des Kronprinzen Rudolf – scheint gescheitert zu sein. Sie und ihr Mann, Otto Fürst Windisch-Graetz, kommen getrennt zum Kaiser. »Es scheint sich zu bewahrheiten, dass eine Scheidung bevorsteht, denn dass die Familienmitglieder einzeln und an verschiedenen Tagen empfangen werden, ist abnorm«, vermutet der Adjutant.

Der Kaiser freut sich besonders, dass es ein Bub ist

Am 31. Mai 1916 herrscht Aufregung bei Hof. Erzherzogin Zita erwartet ihr viertes Kind, muss aber infolge überraschend auftretender Komplikationen in ein Sanatorium gebracht werden, »man will eben für alle Fälle vorsorgen«. Alles geht gut, Spanyi meldet am selben Tag noch dem Kaiser, »dass Erzherzogin Zita von einem Jungen glücklich entbunden wurde. Seine Majestät hat sich über diese Nachricht sichtlich gefreut und mich beauftragt, in Seinem Namen Erzherzogin Zita zu gratulieren. Er freut sich besonders, dass es ein Bub ist. Dann musste ich dem Papa, Erzherzog Karl, ein Glückwunschtelegramm im Namen Seiner Majestät absenden.« Das vierte Kind des Thronfolgerpaares wird auf den Namen Felix getauft.


Ein Bild aus besseren Tagen: Kaiser Franz Joseph (ganz links), sein Adjutant Adalbert von Spanyi (ganz rechts)

Auch wenn er sich nichts anmerken lässt, scheint der alte Kaiser sein nahendes Ende zu spüren, lässt er doch am 29. Juni 1916 sein Testament ändern. Vier enge Mitarbeiter begeben sich in sein Arbeitszimmer, »die Herren haben als Zeugen das Dokument unterfertigen müssen«.

Otto Fürst Windisch-Graetz, 1873–1952, erster Ehemann der Erzherzogin Elisabeth

Als ich diese Passage in Adalbert von Spanyis Tagebuch las, wurde ich hellhörig. Welche Änderung an seinem Testament hat der Kaiser knapp ein halbes Jahr vor seinem Tod vornehmen lassen, fragte ich mich und begab mich ins Haus-, Hof- und Staatsarchiv am Wiener Minoritenplatz. Und wurde fündig. Tatsächlich lagert in den weitläufigen Kellerräumen das »Codicill Sr. k. u. k. Apost. Majestät des Kaisers und Königs Franz Joseph I.«, datiert in Schönbrunn am 29. Juni 1916. In dem zweiseitigen Handschreiben findet sich eine Änderung, die den Schluss zulässt, dass sich des Kaisers Enkelin Elisabeth und ihr Mann Otto Windisch-Graetz – ohne Wissen des Adjutanten Spanyi – doch wieder zusammengerauft hatten. Denn der Kaiser bewilligt »dem Gemahle meiner Enkelin Elisabeth Maria, Otto Fürsten zu Windisch-Graetz auf Grund der jüngst geschlossenen ehelichen Versöhnung und auf die Dauer des hiedurch geschaffenen ehelichen Zusammenlebens vom 1. Juli 1916 an eine … Rente jährlich fünfzigtausend Kronen* aus Meiner Privatkassa.« Die großzügige finanzielle Abgeltung dürfte ihre Wirkung nicht verfehlt haben, auf Dauer war die Ehe aber nicht zu retten. Tatsächlich sollten freilich noch 32 Jahre vergehen, bis sie 1948 geschieden wurde.

Katharina Schratt, 1853–1940, Hofschauspielerin und Freundin des Kaisers

Während Kaiser Franz Joseph die Monate Juli und August seit Kindestagen bis ins hohe Alter in Bad Ischl verbrachte, notiert Spanyi am 7. Juli 1916, es sei schon »der dritte Sommer, dass Seine Majestät Wien nicht verlassen hat. Eine kaum ½-stündige Promenade im Kammergarten, die übrige Zeit sitzt Seine Majestät im Zimmer, zumeist am Schreibtisch, ein recht trauriges Leben – stets alleine – nur dienstlicher Verkehr – hie und da die alte Frau Schratt – als einzige Gesellschaft zu einem Plausch.«

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