Читать книгу Spiritualität als Lebenskunst - Georg Pernter - Страница 7
ОглавлениеVorwort: Für die Herausgeber der Reihe
Der Psycho-Spiri-Markt boomt. Viele Publikationen entstehen und verbinden Psychotherapie mit Spiritualität, auch im Bereich der humanistischen Psychologie und der Gestalttherapie. Benötigen wir jetzt auch noch dieses Buch? In der Buchreihe des IGW? Ich will nicht verschweigen, dass die beiden verantwortlichen Herausgeber erst etwas zögerten. Nach der Lektüre des Manuskriptes aber fand ich eine klare Antwort: Ja, dieses Buch benötigen wir, denn dieses Buch hebt sich angenehm ab von anderen.
Der Autor ist als Theologe zweifellos ein Experte im spirituellen Bereich und er ist gestalttherapeutisch ausgebildet. Er zeigt ein Verständnis von Spiritualität, das sich abhebt von anderen Publikationen, welche mit fließenden Grenzen zur Esoterik operieren und oft unkritisch Konzepte der Gestalttherapie mit Konzepten der Transpersonalen Psychologie, Esoterik und spirituellen Ritualen anderer Kulturen vermischen, um daraus einen ›Gestalt-Spiritualitäts-Ansatz‹ zu konstruieren.
Es geht dem Autor nicht um eine weltverbessernde, missionierende religiöse Spiritualität, die es zu entwickeln gilt und die verankert ist in einem konfessionellen Gottesbild. Vielmehr geht es ihm um eine persönliche, individuelle Spiritualität, welche sich mehr in einer bewussten Lebenshaltung äußert, die offen ist für das Numinose und mit einer transzendenten Wirklichkeit rechnet. Sie drückt sich aus in einer Achtung vor allem Lebendigen, vor der Schöpfung, und in einer Sorge um die förderliche Entwicklung von Individuen, Sozietäten bis hin zu deren ökologischen Umwelt- und Lebensbedingungen.
Spiritualität als Lebenskunst, als Ausdruck des sich Einlassens auf Beziehungen, auf die Welt, in der man lebt, als Ausdruck einer Haltung, in der nicht das eigene Ego zuoberst steht, sondern die Fähigkeit besteht, sich selbst zu transzendieren, sich als eingebunden in ein größeres Ganzes zu sehen und doch sich selbst als Eigenes zu erleben, mit der Fähigkeit zu selbstverantwortlichem Handeln und Mitgestalten der sozialen und politischen Umgebung, in der man lebt. Das ist ein der Welt zugewandtes Verständnis von Spiritualität, das gut zur Gestalttherapie passt, zu ihrer sozialen Ethik, ihren theoretischen Konzepten und ihren politischen Implikationen. Oft genug ist sie missverstanden worden als Weg zur hedonistischen Selbstinszenierung.
In einer Zeit und einer Welt der zunehmenden Zersplitterung und Fragmentierung und zugleich einer fortschreitenden (kapitalistischen) Globalisierung mit enormer, schwer zu verarbeitender Informationsvielfalt ist es kein Zufall, dass die Suche nach Sinn, die untrennbar mit Spiritualität einhergeht, neu akzentuiert wird. Entsprechend bilden sich auf dem Lebenshilfe- und Psychomarkt, aber auch im Feld religiöser Bewegungen laufend neue Angebote, die regen Zuspruch erfahren. Nur zu oft werden dabei Verbindungen zwischen Esoterik, Transzendentaler Psychologie und Ritualen aus initiatischer Therapie eingegangen, ohne dass kritisch hinterfragt wird, ob und wie das zusammenpasst. Religiöse Praktiken aus fremden Kulturen und Religionen werden herangezogen, Menschen- und Glaubensbilder aus diesen Kulturen in unsere Lebenshilfe- und Psychotherapiepraxis (fragmentiert und aus dem gesellschaftlich-kulturellen Zusammenhang gerissen) eingebaut, »integriert«, ohne kritische Reflexion, was man da denn mit hereinholt.
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einem größeren Ganzen, das Bedürfnis, in der Entwicklung dieser Welt doch so etwas wie einen schöpferischen Plan zu erkennen, von einer unbekannten aber doch geglaubten höheren Macht gesteuert, so dass doch dies alles Sinn gibt, auch das Irrationale, Unverstehbare, ist ein menschliches Urbedürfnis und immer wieder, je nach zeitgeschichtlicher gesellschaftlicher Entwicklung, Nährboden für kollektive Regressionen ganzer gesellschaftlicher Subsysteme, die dann gerne empfänglich sind für Heilsbotschaften von spirituellen, psychologischen und politischen Führungsfiguren und gerne bereit sind, sich dem Willen des Führers und seiner eingeforderten Rituale und Handlungen zu unterwerfen. Der gemeinsame Kampf für eine bessere Welt ist dann gefragt, für einen höheren Wert und die Bildung eines besseren Menschen. Mit echter Spiritualität und Religiosität haben solche Heilslehren nichts zu tun. Oft sind darin Züge einer Sektenbildung zu erkennen, und bei den Führern eine massive narzisstische Problematik, die sie die Bedürfnisse der Nachfolgenden ausbeuten lässt.
Karin Daecke (2006/2007)1 hat in einem umfangreichen Werk dargelegt, wie die Entwicklung von psychotherapeutischer Theoriebildung und Praxis (feldtheoretisch begründet) untrennbar verbunden ist mit der gesellschaftlichen Entwicklung, politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen und dem aus ihnen hervorgehenden Zeitgeist. »Keiner kann dem Zeitgeist entfliehen, aber man kann sich kritisch mit ihm auseinandersetzen. Der Blick auf die Geschichte bietet hierfür immer Positionen perspektivischer Distanz« schreibt sie auf der Titelseite. Ihre Sorge gilt der unbewussten Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung. Dass die Gestalttherapie davor nicht gefeit ist, zeigt sie sehr deutlich in einer Analyse der Entwicklung der humanistischen Psychologie zur Transpersonalen Psychologie während der McCarthy-Ära in Amerika und der entsprechenden Entwicklung von Esalen. Verpasst wurde damals während der Umwandlung der humanistischen Psychologie als dritter Kraft zur Transpersonalen Psychologie als vierter Kraft eine klare Abgrenzung der einer humanistischen sozialen Ethik verpflichteten Exponenten von einer Transpersonalität, welche auf Auflösung der Individualität und dafür Nährung regressiver, oft drogeninduzierter (Grof), Bedürfnisse nach universeller oder gar kosmischer Verschmelzung abzielte, was psychologisch und politisch recht bedenkliche Implikationen haben kann, wenn man an die germanische Selbsterhöhung zu einem völkischen, besseren Ganzen im Nationalsozialismus denkt, aber auch an das Amerika der späteren Jahre (Busch mit seinen freikirchlichen Anbindungen ist nur jüngster Ausdruck davon).
Die frühen Konzepte der Gestalttherapie sind frei von einem evolutionären Anspruch. Perls wollte keine besseren Menschen machen. Er wollte ihnen zu mehr Bewusstheit verhelfen, zu mehr Gewahrsein und zur Fähigkeit, sich wirklich einzulassen auf die Welt, Teil von ihr zu sein und sie so verändernd mitzugestalten. Er war nicht an der (NS-nahen) Grazer oder Leipziger Schule der Gestaltpsychologie orientiert, sondern der Berliner, deren Exponenten ins Exil flüchten mussten, um zu überleben. Sein Gestaltordnungsbezug blieb stets ein relativer und situativ feldbezogener, gesellschaftsbezogen reflektiert, im Unterschied zu starren, absoluten und verklärten Gestaltordnungen. Perls wollte selbstbestimmte Individuen fördern, die in der Lage waren, Beziehungen und soziale Welten kritisch und tatkräftig mitzugestalten, sich kreativ anzupassen an unabänderliche Begebenheiten, selbst wenn dies allenfalls die Flucht bedeutete. Es hat ihm und Lore wohl auch das Leben gerettet, dass er rechtzeitig Deutschland verließ angesichts der Demonstration, zu welch vernichtendem Machtanspruch idealisierte und verabsolutierte Ganzheitsentwicklungen führen können. Ob sich in diesem Gewahrsein und Spüren, wann es Zeit zum Gehen ist, seine Spiritualität zeigte?
Mit welcher Leichtfertigkeit heute auch unter GestalttherapeutInnen (etwa mit Bezug auf Hellinger, Theosophie, Graf Dürckheim, New Age, Bhagwan) zurückgegriffen wird auf verabsolutierende Ordnungen der Welt, wie selbstverständlich man in den Sog gerät, den humanistischen Ansatz und die Gestalttherapie zur Psychagogik für eine Erziehung zum »besseren Menschen« zu degradieren und die ursprünglichen emanzipatorischen Konzepte der Gestalttherapie zu unterlaufen, erschreckt. Auch das Ausmaß an narzisstischer Selbstdarstellung mancher Neuerer der Gestalttherapie. Unreflektiert bleiben die zeitgeschichtlichen ideologischen Hintergründe der Zutaten, unreflektiert bleiben die Widersprüche im Menschenbild, wohlfeil verkauft wird all das aber als Integration von Spiritualität und Psychotherapie.
Davon hebt sich Pernter wirklich erfreulich ab und ich danke ihm dafür. Er schreibt in einfacher, verständlicher Sprache. Er beschreibt in Kenntnis der theologischen Spiritualitätsliteratur und Forschung, was unter Spiritualität verstanden wird, und versteht es, dies mit den Konzepten der Gestalttherapie in Beziehung zu bringen und Überschneidungen aufzuzeigen. Er sieht als gemeinsame Aufgabe der Psychotherapie und der spirituellen Begleitung das Eröffnen bereichernder Felder für ein gelingendes Leben, die Förderung der ganzen Persönlichkeit. Gekonnt stellt er Konzepte der Spiritualität und der Gestalttherapie dar und bringt sie in fruchtbare und anregende Verbindung. Das macht gelegentlich den Anschein, als verstünde er das Schreiben selbst als Spiritualität und Ausdruck seiner Lebenskunst.
Der Autor schließt sein Buch mit dem Ausdruck der Hoffnung, dass es ihm ein Stück weit gelingen möge, die Spiritualität in jenen TherapeutInnenkreisen hoffähig zu machen, die sonst mit ihr nicht viel zu tun hätten, zu zeigen, dass sie eigentlich etwas ganz Normales und Alltägliches ist und dass die Gestalttherapie mit ihrer Betonung von Achtsamkeit, Verantwortlichkeit, dialogischer Beziehungs-Begegnungsgestaltung und dem ganzheitlichen Menschenbild, das wesentliche Element zur Spiritualität schon in sich hat und nicht »draußen« (der Esoterik, der Theologie, dem Schamanimus oder wo auch immer) danach suchen muss, um sie erst so zu einer spirituellen Psychotherapie zu erweitern. »Es ist alles schon da.«
Peter Schulthess