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– Lass dem Priester, was des Priesters ist und lass dem Psychotherapeuten, was des Psychotherapeuten ist.
– Das eine hat mit Glauben, das andere mit Wissen zu tun, sogar mit Wissenschaft.
– Religion ist Opium fürs Volk, als Therapeuten geht es uns um Erkenntnis, Heilung im Alltag, Erlernen von Lebenskunst im Hier-und-Jetzt.
– Spiritualität als Lebenskunst? Ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Im 12. Jahrhundert lebte in Persien ein Dichter und Sufi-Mystiker, der nach der Überlieferung gut zu leben wusste und 110 Jahre alt wurde: Fariduddin Attar. Er schrieb die berühmte Geschichte vom Wiedehopf, der die anderen Vögel zusammenrief, um sich auf die Suche nach ihrem geheimnisvollen König Simurgh im Qaf-Gebirge zu machen (Fariduddin Attar – ›Vogelgespräche‹). Ergriffen von tiefer Sehnsucht begeben sie sich auf die Reise. Bald jedoch stellt sich heraus, dass es eine Reise voller Gefahren und Mühsal ist. Und je länger der Weg ist und je schwieriger, desto mehr der Weggefährten wollen aufgeben, finden Entschuldigungen, zweifeln am Sinn des Unterfangens. Doch der Wiedehopf ermutigt sie immer wieder mit eindrücklichen Geschichten der alten Meister, bis sie am Ende, erschöpft und abgerissen, endlich den herrlichen Sitz des Königs Simurgh erreichen. Sie haben die sieben Täler durchwandert, die nach alter Sufi-Tradition zur Sonne der Nähe und Güte führen, nachdem sie ihre irdischen Bedingungen, Gebundenheiten und gewohnte Denkweisen überwunden haben. Staunend sehen sie Simurgh im Spiegel ihres Selbst. Der König und sie sind eins.
Attar beschreibt hier den mühevollen Weg der Menschen, die sich auf die Reise zur inneren Wahrheit begeben, ihrer Sehnsucht folgend, im Wechsel von Zweifel und Hingabe. Am Ende hat sich die Suche gelohnt, sie führt zu Wärme, Güte und Weisheit, zu Gott.
In spirituellen Traditionen finden wir immer wieder dieses Bild vom inneren Weg. Jesus sagt: ›Liebe deine Feinde‹ – ›Hör auf, den Splitter im Auge des Anderen zu sehen ohne den Balken im eigenen Auge wahrzunehmen‹ – Hör auf zu projizieren, löse dich von deinen Introjekten, ›Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‹ oder ›Du kannst niemanden lieben, bevor du nicht dich selbst, so wie du bist, liebst‹.
Und sage niemand, diese Aufgabe sei leicht zu erfüllen. Die Täler unserer inneren Zustände müssen durchwandert werden, wollen wir zur Heilung und zum guten Leben finden.
Avalokiteshvara, der Buddha des Mitgefühls im tibetischen Buddhismus, der heiter lächelnd im Zentrum des Mandalas sitzt, auch ›der mit klarem Auge Sehende‹ und ›der kostbare, Wunsch erfüllende Edelstein‹ genannt, kann nur erreicht werden, nachdem der Suchende mit vielen inneren Dämonen gekämpft hat.
Aufgeklärte Moslems wissen, dass der Krieg gegen die Ungläubigen nichts anderes ist als der Kampf gegen die eigenen inneren destruktiven Zweifler und die Auseinandersetzung mit dem inneren Richter.
Auch wenn die Gestalttherapie eine wissenschaftlich erforschte Methode zur Heilung der kranken, verwirrten, gespaltenen, verletzten Seele ist, lässt sie sich mühelos ›rückbinden‹ an spirituelle Traditionen und Weisheitslehren.
So zu werden, wie wir gedacht waren, uns zu erinnern an uns selbst und damit an das Göttliche in uns, ist letztlich das, worum es auch in der Psychotherapie gehen darf und soll. Und auch dieser Weg ist nicht leicht, führt durch Aufruhr und schmerzliche Zustände, braucht Geduld und behutsame Führung.
Unser äußeres Leben spiegelt den Zustand unserer Seele. Lebenskunst zeigt sich im gesunden Austausch zwischen mir und der Welt, im Gefühl für das rechte Maß, im liebevollen und klaren Umgang mit mir selbst, mit den Mitmenschen und der Natur, im kraftvollen, kreativen Einsatz meiner Potentiale, in Intensität, Begeisterungsfähigkeit und Lebensfreude.
Wenn wir uns als Psychotherapeuten die Grenzen der Machbarkeit eingestehen, erkennen, dass die Lösung oft im ›Lassen-Können‹ steckt, wenn wir absichtslos den Phänomenen treu bleiben und Bewusstsein fördern helfen, dann fließt Spiritualität mühelos in unser Handeln ein, Psyche, Leib und Göttliches sind im Fluss.
Gestalttherapeuten sollten wie Bildhauer sein. Der Künstler findet, was im Stein steckt und entfernt das Überflüssige.
Der Lebenskünstler findet im lärmenden Chaos des Lebens immer wieder voller Vertrauen die Gestalt, die jetzt zu ihm passt.
Seine Spiritualität zeigt sich auch im liebevollen Annehmen des Unvollkommenen, des Ungeschickten und der Grenzen, die uns durch die Materie gesetzt sind.
Sein Reich ist von dieser Welt, auch wenn das vielleicht noch nicht alles ist.
Lieber Georg, gerne habe ich Dein Buch gelesen, interessant und fundiert, wissenschaftlich einwandfrei und doch mit der Offenheit für das Nicht-Fassbare, das wir Glauben und Gnade nennen.
Dass die Gestaltphilosophie eine gute Orientierung für Lebenskunst ist, habe ich schon immer gedacht. Der spirituelle Aspekt aber ist hier besonders gut herausgearbeitet und belegt. Jenseits von esoterischer Seichtheit und wohlfeilen Heilswegen hast Du den tiefen inneren Zusammenhang der Urfragen der Menschheit und des gestalttherapeutischen Ansatzes aufgezeigt.
Unser Gedankenaustausch hat mir viel Spaß gemacht.
In diesem Sinne – alles Gute für dieses Buch!
Almut Ladisich-Raine