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Prolog

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Es nieselte am 11. November 1918 in London, als die Straßen sich mit Menschen, immer mehr Menschen füllten, die instinktiv zum Buckingham-Palast strebten. Als der König in Admiralsuniform um 11:15 Uhr, wenige Minuten nach Inkrafttreten des Waffenstillstands, zusammen mit der Königin und dem Herzog von Connaught auf den Balkon trat, kannte der tränenreiche Jubel der Menge keine Grenze mehr. Die Irische Garde intonierte die Nationalhymne und Rule Britannia. Es war ein Fest der Dankbarkeit, der Erleichterung, des Stolzes, aber auch des Gedenkens an die Opfer.

Am frühen Nachmittag versammelte sich das Unterhaus, wo der Premierminister Lloyd George auf eine lange Rede verzichtete, mit den berühmten Worten: »This is no time for words. Our hearts are too full of a gratitude to which no tongue can give adequate expression.« Dann schlug er vor, einen Gottesdienst abzuhalten, in St. Margaret’s. Dort trafen die Unterhausabgeordneten auf die Lords, angeführt vom Lordkanzler. Es war ein einfacher Gottesdienst, ohne Pomp und Triumph, gehalten in der Hoffnung, dass der Albtraum nun vorbei war und ein dauerhafter Frieden folgen würde.3

In den frühen Morgenstunden hatten im Speisewagen eines im Wald von Compiègne (75 Kilometer nordöstlich von Paris) geparkten Zuges der französische Marschall Ferdinand Foch und der Staatssekretär ohne Portefeuille Matthias Erzberger ein Abkommen unterschrieben, welches den Ersten Weltkrieg beendete. Die Deutschen hielten das Abkommen für einen Waffenstillstand, denn so war es betitelt (»Armistice«). Franzosen und Engländer hielten es aber für eine Kapitulation, denn das war das Dokument seinem Inhalt nach: Die Deutschen erhielten keine Gelegenheit, die von den Alliierten aufgestellten Bedingungen zu verhandeln. Marschall Foch erschien nicht einmal zu den Gesprächen, nur für die Unterschrift. So endete der große Krieg, wie er begonnen hatte, mit einem großen Missverständnis.

Zurück in Paris informierte Foch den Präsidenten der Republik, Raymond Poincaré, über den Waffenstillstand. Poincaré nahm die Nachricht eher zurückhaltend auf, wie er in seinen Memoiren schildert. »Foch sagt mir, dass die Deutschen die Bedingungen akzeptiert haben, die er ihnen gegeben hat, aber sie haben sich nicht für besiegt erklärt, und das Schlimmste ist, dass sie glauben, dass sie es nicht sind. Foch ist außerdem überzeugt, dass die deutsche Armee ohne Unterzeichnung des Waffenstillstands bald zu einer allgemeinen Kapitulation gezwungen worden wäre. Wäre es nicht sicherer gewesen?« Doch daran war nun nichts mehr zu ändern. Am Nachmittag trat in Paris das Kabinett unter dem Premierminister Georges Clemenceau zusammen, der Poincaré freudig begrüßte: »Ich bin seit heute Morgen von mehr als fünfhundert Mädchen geküsst worden.«4 Jedenfalls schwiegen ab 11 Uhr die Waffen und in ganz Europa läuteten die Glocken. In Paris war die Freude unbeschreiblich. Zivilisten und Soldaten, viele von ihnen aus den fernsten Ländern des Britischen Empire und den USA, tanzten in den Straßen, schmückten die Balkone mit den Flaggen der Entente, häuften sich auf Autos und Pferdegespannen, um in seliger Freude fahnenschwenkend durch die Straßen der Stadt zu fahren. Die älteren Herren saßen in den Brasserien und tranken auf einen Sieg, durch den die Schmach von 1871 geheilt und Elsass-Lothringen zurückgewonnen wurde.

In der Führung des Landes war am Abend die Stimmung deutlich nüchterner. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Poincaré vertraute einem seiner Generäle an, »Wir haben den Krieg gewonnen, und das nicht ohne Schmerzen. Jetzt müssen wir den Frieden gewinnen, und das wird vielleicht noch schwieriger (…), insbesondere mit allen unseren Alliierten.«5 Und Clemenceau, den Freunde wie Feinde nur den »Tiger« nannten, beschlich um dieselbe Stunde eine üble Vorahnung: »Es wird alles umsonst sein.«6

Der Krieg war also nicht wirklich zu Ende, er wurde nur mit finanziellen Mitteln weitergeführt. Und wenn der Waffenstillstand nicht das Ende des Krieges war, dann war das Folgende die Geschichte einer langen Kapitulation, die erst fünf Jahre später, mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in der Hyperinflation, ihr Ende fand.

3Marriott: Modern England, 1885–1945. A History of My Own Times, S. 420.

4Zitate in Poincaré: Au service de la France, Band 10: Victoire et armistice, S. 413.

5Mordacq: L’Armistice du 11 novembre 1918. Récit d’un témoin, S. 105.

6Zit. nach Wormser: La République de Clemenceau, S. 341.

Die große Inflation

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