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5. WOCHE GEISTLICHE MITTELMÄSSIGKEIT 24. März bis 30. März 2019

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Sonntag, 24. März 2019

Ich habe den heutigen Tag mit einer Fernsehsendung über Prinzessin Diana1 beendet. Darin wurde ihr tragisches Schicksal von ihrer Warte aus erzählt. Wie das Establishment darüber dachte, dass eine 20-Jährige, die nicht studiert hatte, aus einer zerrütteten Familie stammte und eine unglückliche Kindheit erlebt hatte, die Rolle der Princess of Wales ausfüllen konnte, ist immer noch ein Geheimnis, aber es scheint auch nicht viel darüber diskutiert worden zu sein.

Natürlich hat die Geschichte auch eine andere Seite, aber dass Charles an seiner Beziehung zu Camilla2 festhielt, auch nach der Hochzeit, war für eine junge und unerfahrene Braut inakzeptabel. Und es lässt sich auch nicht mit der christlichen Lehre vereinbaren. Eine kampferprobte 30-jährige Zynikerin hätte das Ganze vielleicht als arrangierte Ehe betrachtet und es geschafft zu überleben, aber Diana litt schon zum Zeitpunkt der Trauung darunter, dass sich ihr Leben so stark verändert hatte.

Offenbar wollte sie die Windsors – William zuliebe – nicht zu Fall bringen, aber sie tanzte aus der Reihe, erzählte ihre Geschichte in der Öffentlichkeit, ließ (nicht zuletzt mit der Hilfe von John Major)3 die Monarchie erzittern und rächte sich an Charles.

Sie war strahlend schön, und ich staune noch immer, wie tief und groß die Liebe und Verehrung war, die die Menschen ihr entgegengebracht haben. Die Öffentlichkeit hat ihr ihre Fehler vergeben und sie als Opfer erkannt.

Bald nach ihrem Tod 1997 ernannte mich [Jozef] Kardinal Tomko, der Präfekt der Vatikanischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker, zum Apostolischen Visitator für die Priesterseminare von Westneuguinea und Sulawesi in Indonesien. In Nord-Sulawesi wurden die Seminaristen im ersten Jahr noch nicht im Hauptseminar in Manado untergebracht, sondern wohnten rund 20 Kilometer weiter entfernt an der Küste. Die Seminaristen – es waren viele – wohnten jeweils in Gruppen von sechs oder zehn in eigenen Häusern auf ein und derselben Anlage. Die meisten der Häuser hatten konventionelle katholische Namen, doch eines war nach Prinzessin Diana benannt. Mit etwas gekünstelter Strenge fragte ich, wie um alles in der Welt das denn geschehen sei. Der Sprecher des Grüppchens nahm die Herausforderung an und erklärte, ihr Haus sei nach der Prinzessin benannt, um die Studenten daran zu erinnern, wie leicht man auf den falschen Weg geraten kann! Ich ließ es dabei bewenden, empfahl keine Namensänderung und fand den Vorfall anrührend, aber auch bemerkenswert. Die Medien haben Fremde auf beiden Seiten des Globus zusammengebracht, die in Bann gezogen waren von der Mystik der Tradition, der Schönheit, Dianas echter und natürlicher Menschlichkeit und der Tragödie ihres Lebens und ihres Todes.

Diana wurde mit einem Rosenkranz begraben, den ihr Butler in den Sarg gelegt hatte, und sie war Mutter Teresa begegnet, doch Nigel Boonham, der Bildhauer, dem sie für eine Statue Modell gesessen hatte, war sich sicher, dass ihre religiöse Sensibilität nicht sehr ausgeprägt gewesen war.

Ein schöner, klarer Tag und bei beiden Hofgängen konnte ich durch das offene Dach des Hofes die Sonne sehen. Es hilft, wenn die Sonne scheint, denn regnerische Tage können die Stimmung dämpfen. Ich erinnere mich noch an meine ersten drei Wochen an der Universität Oxford im Jahr 1967. Dort habe ich knapp vier glückliche Jahre verbracht, in denen die Sonne nicht ein einziges Mal hinter den Wolken hervorkam. 1971 konnte ich mir dann schon vorstellen, in England zu leben (wenn meine Familie dort gewesen wäre). Da ich in den 1940er- und 1950er-Jahren in Ballarat aufgewachsen bin, kam ich mit den Wintern in Oxford klar, aber ich vermisste die australischen Sommer. In meinem ersten Sommer in England bin ich an einem schönen, warmen Tag nicht schwimmen gegangen, weil ich noch warten wollte, bis es ein bisschen heißer würde. Das war ein großer Fehler, denn das war der heißeste Tag des ganzen Sommers gewesen.

Bis heute ist es mir nicht gelungen, einen Besen zu bekommen, aber Schwester Mary hat mir erklärt, dass man normalerweise beim Hofgang darum bittet, seine Zelle reinigen zu dürfen. Das hat mir niemand gesagt. So habe ich die Sache beim Hofgang nun zur Sprache gebracht und hatte am Ende einen Staubsauger, einen blau-weißen Wischer und ein Eukalyptus-Desinfektionsspray. Mit ein bisschen weniger Staub wird vielleicht meine Erkältung schneller abklingen.

Ein paar Aussie-Rules-[Football]-Spiele habe ich abgeschaltet, weil sie entweder zu einseitig oder ein bisschen farblos waren. Trotz des ruhigen Lebens im Gefängnis muss ich gestehen, dass ich immer noch so eine Art Sport-Snob bin.

Die Lesungen heute waren nicht so ergiebig, überhaupt nicht hilfreich für die Betrachtung. Augustinus hat einen guten Kommentar über die Samariterin und ihr hartnäckiges spirituelles Unverständnis verfasst, und die sieben Engel im Buch der Offenbarung haben ihr grimmiges Werk vollendet. Das Rätselhafte daran ist nicht nur das Ausmaß der Zerstörung – in den Jahrtausenden der Geschichte finden sich Beispiele für ähnlich furchtbare Ereignisse –, sondern die Tatsache, dass die Engel, apokalyptisch gesprochen, Gottes Werk tun.

Gott, unser Vater, hilf uns, deine Schöpfung zu lieben und für ihre Schönheit und Fruchtbarkeit dankbar zu sein, die schon in diesem Leben alles Böse und alles Leid mehr als wettmachen. Auch wenn ich nicht glaube, dass wir in der besten aller möglichen Welten leben, ist mein Blick auf die Heilsgeschichte dennoch nicht mit einem Trauerflor umgeben. Hilf uns, an die Kraft deiner Liebe zu glauben.

PS: Kartya [Gracer] und Paul [Galbally] haben mich am Vormittag besucht und Schwester Mary war am Nachmittag da. Mary hat gesagt, es sei zwei Wochen her, dass sie mich zuletzt besuchen konnte, und wir haben verabredet, dass sie immer dienstags um 13.00 Uhr kommt.

Montag, 25. März 2019

Keinen der anderen Häftlinge habe ich je zu Gesicht bekommen, und wir sind zu zwölft in Trakt 8. Alle in Einzelhaft. Ich weiß nicht, wer die anderen sind, auch wenn einer von ihnen vermutlich Gargasoulas und einer vielleicht ein muslimischer Terrorist ist. Zumindest ein paar sind geistesgestört.

Heute Morgen während meines halbstündigen Hofgangs war der Häftling im Hof nebenan sehr aufgebracht. Er hat laut und obszön geflucht, während er mit einem Freund oder Berater sprach – seinem Anwalt vielleicht –, dessen Stimme ich nicht verstehen oder jedenfalls nicht deutlich hören konnte.

Später, als ich nach dem Besuch meiner Nichte Georgie auf dem Rückweg in meine Zelle war, zog eine Wachmannschaft im Gemeinschaftsraum gerade weiße Uniformen an. Sie hatten einen Deutschen Schäferhund bei sich. Ich dachte, es wäre irgendeine Übung. Als ich wieder in meiner Zelle war, fragte ich, was denn los sei, und bekam zu hören, dass ich das schon noch erfahren würde.

Später stellte sich heraus, dass ein Häftling sich geweigert hatte, seine Zelle zu verlassen, und dass man die Wachmannschaft gerufen hatte, damit sie ihn mithilfe von Gas herausholten. Irgendwann gab der Hund ein merkwürdiges Jaulen von sich, Stimmen wurden laut und es gab so etwas wie ein Gerangel. Hauptwachtmeister H. fragte durch die kleine Klappe in meiner Tür, ob bei mir alles in Ordnung sei. Da ich nicht wusste, was vor sich ging, antwortete ich, natürlich sei bei mir alles in Ordnung.

Als ich einige Zeit danach versuchte, eine Nachricht unter meiner Tür in den Flur durchzuschieben, stellte ich fest, dass die Öffnung unter der Tür blockiert war – offensichtlich wegen des Gases, wie mir inzwischen klar geworden war. Und das war es dann. Der Häftling war verlegt worden, wie man mir sagte. Kein lautes Geschrei mehr. Keine Obszönitäten.

Bisher hatten sich beinahe jeden Abend zwei Häftlinge – einer von ihnen nicht weit von mir – in breitestem australischem Englisch, aber manchmal auch in einer fremden Sprache gegenseitig angebrüllt.

Heute Abend hat es noch kein derartiges Wortgefecht gegeben und auch keine muslimischen Gebete. Vielleicht war der zwangsweise verlegte Gast der muslimische Terrorist.

Ich habe eine nette Stunde mit Georgie verbracht, die aus Bendigo hergekommen ist. Margaret schlägt sich im Krankenhaus in Bendigo offenbar ganz wacker, und Georgie hat mir sehr ans Herz gelegt, ein Tagebuch zu führen, um mit meiner Lage fertigzuwerden und mit meinen Gefühlen umzugehen. Ich konnte ihr berichten, dass ich schon damit begonnen habe. Sie wollte Näheres über meinen Tagesablauf wissen.

Ich muss ein kleines Versäumnis bekennen: Jedem Präsenzbesuch geht eine Leibesvisitation voraus, eine entwürdigende Prozedur. Heute war ein neuer Wachmann da, dem ich noch nie begegnet bin. Er war sehr energisch und befahl mir unter anderem, meine Socken auszuziehen. Als Nächstes sagte er, ich solle aufhören, mir die Socken auszuziehen. Entnervt warf ich ein, dass er mir doch gerade vor einer Minute befohlen habe, die blöden Dinger auszuziehen.

Weitere Worte fielen nicht. Er war eher jung, förmlich, vielleicht ein bisschen abweisend, aber nicht bösartig, glaube ich, und als ich ging, habe ich mich bei ihm bedankt. Weniger als ein Sturm im Wasserglas, und doch …

Heute ist ein Stapel Briefe aus Galballys Kanzlei angekommen, allesamt ermutigend, viele nehmen Bezug auf das österliche Thema des Erlöserleidens Jesu.

Bei anderen ist das Spektrum größer. Ein Häftling hat mehrere lange, anspruchsvolle Botschaften voller Zuspruch, nützlicher Ratschläge und interessanter Kleinigkeiten verfasst. Er wies auch darauf hin, dass er sich nicht an einem Gespräch mit einigen Mithäftlingen über meine Situation beteiligt hatte, und zitierte ein chinesisches Sprichwort: »Versuche nicht, einem Schwein das Singen beizubringen. Du verschwendest deine Zeit und nervst das Schwein.« Paul Galbally freute sich genauso wie ich darüber und meinte, er werde es in sein Repertoire aufnehmen.

Schwester Mary hat mir die Abschrift einer hervorragenden Predigt von Mary M. McGlone mitgebracht, einer Josefsschwester aus den USA.4 Es geht darin um Mose, und sie wehrt sich dagegen, dass man sich ihn wie die Skulptur des Michelangelo in Rom als imposante, muskelstrotzende Persönlichkeit vorstellt. Vielmehr sei er »ein geflohener Übeltäter« gewesen, der »sich darauf verließ, dass sein Schwiegervater ihm eine Arbeit gab«. Das stimmt, aber danach sollte noch sehr viel mehr geschehen.

McGlones Hauptthema war, dass »Jesu Vater die Angewohnheit hat, durch die glücklosesten Menschen und ungünstigsten Umstände zu wirken«. Hoch qualifizierte Mitarbeiter seien bei Gott Mangelware, erklärte sie. Ich fand das alles tröstlich und ermutigend.

Ich gebe nicht vor, keine weltlichen Fähigkeiten und nicht dieses oder jenes erreicht zu haben – trotz meiner Fehler und Versäumnisse –, aber ich fühle mich dem Drama, das sich um mich herum abpielt, spirituell nicht gewachsen. Meine abenteuerlichen Erlebnisse und deren Ausgang sind wichtig für die Kirche in Australien, und es tröstet mich zu hören, dass Gott sich geistlich mittelmäßiger Menschen bedient.

Herr Jesus, hilf uns allen, in deine Fußstapfen zu treten und uns auf das Wesentliche – Glauben, Hoffnung und Liebe – zu konzentrieren.

Ein weiteres Mal will ich mir ein paar Verse von John Henry Newman aus einem meiner Lieblingsgedichte zu eigen machen:

Führ, liebes Licht, im Ring der Dunkelheit

führ du mich an.

Die Nacht ist tief, noch ist die Heimat weit,

führ du mich an!

Behüte du den Fuß: der fernen Bilder Zug

begehr ich nicht zu sehen: ein Schritt ist mir genug. 5

Dienstag, 26. März 2019

Meine Theorien über den Häftling, den sie mit Gas aus seiner Zelle geholt haben, sind größtenteils falsch. Heute Morgen habe ich wieder muslimischen Gebetsgesang gehört, aber gedämpft, von weiter weg. Und am frühen Abend, kurz nach dem Nachteinschluss, gab es auch wieder ein lautes Wortgefecht, nur kurz, und vielleicht auch mit einer anderen, dritten Stimme dazwischen. Später am Abend konnte weiter entfernt wieder den Gesang der muslimischen Gebete hören.

Alles in allem bin ich kein bisschen klüger. Vielleicht ist der Häftling, nachdem sie ihn mit Gas herausgeholt haben, wieder in seine Zelle zurückgebracht worden. Wenn ich kann, versuche ich morgen mehr herauszufinden.

Offenbar war ich heute auf der Titelseite der Herald Sun mit einer Schlagzeile über Pell, die Hölle und meine Zelle. In dem Artikel wird behauptet, dass meine Zelle gleich neben der von Gargasoulas liegt.6 Den heutigen Kommentaren der Wärter entnehme ich, dass das zutreffen könnte. Sie haben mir erzählt, dass bei ihrer Ankunft Fernsehteams und eine Gruppe von Leuten vor dem Eingangstor gestanden hätten, die für mich beteten. Schwester Mary meinte, der Artikel könnte mir zusätzliche Sympathien einbringen.

Ich hatte eigentlich andere Sorgen. Heute Morgen kamen zwei Leute des Strafvollzugsmanagements vorbei, um über meine künftige Unterbringung zu reden. Der Hauptwachtmeister meint immer noch, dass ich entweder ins Remand Centre oder in eine andere Einrichtung in der Nähe von Melbourne verlegt würde. Nach Port Phillip, das privatisiert worden ist und bei den Häftlingen – ebenso wie bei den Wärtern hier – nicht den besten Ruf genießt, würde man mich nicht bringen.

Der wichtigste, genauer gesagt der einzige Grund ist meine persönliche Sicherheit, das heißt der Schutz vor eventuellen Gewalttätigkeiten der anderen Häftlinge. Wegen der ganzen Publicity wird es unter Umständen schwieriger, diesen Schutz an einem anderen Standort zu gewährleisten. H. hält es für wahrscheinlich, dass ich bis zu meiner Berufungsverhandlung hierbleiben werde. Obwohl dies keine Katastrophe wäre, hätte ich doch gern mehr Freiheit, mich draußen aufzuhalten, weniger eingesperrt zu sein, und vielleicht weniger komplizierte und häufigere Besuchszeiten. Wir werden sehen.

Schwester Mary war da, um mir die heilige Kommunion zu bringen, und sie ist danach noch eine ganze Weile geblieben. Wir hatten ein gutes Gespräch – nachdem sie eine der Wärterinnen, die sich am Bücherregal hinter uns aufhielt, gebeten hatte, zu gehen, weil wir ein Recht darauf hätten, uns privat zu unterhalten. Die Wärterin nahm zwei Bücher und ging. Mary ist resolut und beeindruckend, und ich kann mir gut vorstellen, wie sie all die Weihbischöfe dazu bringt, in den Gefängnissen die Messe und in jedem Gefängnis eine Messe pro Woche zu feiern.

Heute hatte ich zwei Hofgänge. Es war ein schöner, nur teilweise bewölkter Tag. Ich habe mit Margaret telefoniert, die wieder in Mirridong ist. Sie hat noch ein paar Prellungen nach ihrem Sturz, ist aber ansonsten in guter Verfassung und bei klarem Verstand. Ich habe mich für ihren Brief bedankt, mich nach dem Kreuzworträtsel erkundigt, mit dem sie noch nicht fertig ist, und ihr gesagt, dass wir beide in Übung bleiben müssen.

Die erste Lesung im Brevier erzählt von Moses verspäteter Rückkehr vom Berg Sinai und davon, wie das Volk und Aaron davon ausgegangen waren, dass er nicht zurückkommen würde. Deshalb hatten sie ein Kalb aus geschmolzenem Gold gegossen, dem sie Brand- und Friedensopfer darbrachten, ehe sie sich niederließen, um zu essen und zu trinken, und sich dann wieder erhoben, um sich zu vergnügen.

Gott zürnte, doch Mose besänftigte ihn und ging dann hinunter, um seine störrischen Gefolgsleute zur Rechenschaft zu ziehen, ihre Götzen zu zerschmettern und zu Staub zu zerstoßen, den er sodann ins Wasser streute und dem Volk zu trinken gab.

Das Ganze ist so beschämend, dass diese Geschichte einen wahren historischen Kern haben muss. Das Bemerkenswerteste ist Aarons Verrat. Dennoch scharten sich die Leviten um Mose und metzelten 3 000 Gegner nieder. Offensichtlich ist ein hohes Amt keine Garantie für Integrität, und Aaron ist ein frühes Beispiel für Führungsschwäche.

Die zweite Lesung ist ein Text des heiligen Petrus Chrysologus7, von dem auch eine schöne Weihnachtspredigt im Brevier steht. Nach meiner Haft möchte ich mehr von ihm lesen.

Seine Botschaft besagt, dass Gebet, Fasten und Barmherzigkeit die wesentlichen Aktivitäten der Fastenzeit sind und dass man sich darin gegenseitig stärkt. Sie sind untrennbar miteinander verbunden: »Wer nur eines von ihnen besitzt und nicht alle zugleich, der hat nichts.«

In Australien ist die Fastenzeit dafür bekannt, dass man besonders viel betet. Das Projekt »Liebe und Barmherzigkeit«, das Hilfsund Entwicklungsgelder für Übersee sammelt, wächst weiter, aber gefastet wird nicht übermäßig.

In Sydney habe ich jedes Jahr zum Fastenbrechen nach dem Ramadan alle Religionsvertreter zu einem interreligiösen Abendessen ins Cathedral House eingeladen. Ich erinnere mich, dass an einem Abend links von mir ein sunnitischer Mufti und rechts von mir das Oberhaupt der schiitischen Gemeinde saß, außerdem Juden, Buddhisten, Hindus usw., Protestanten und Bischöfe der Ostkirchen. Offizielle anglikanische Vertreter haben zumindest in den ersten Jahren nicht teilgenommen.

In der Regel hatten wir einen Gastredner, doch in einem Jahr konnte die eingeladene Referentin nicht kommen, weil sie eine Herztransplantation vornehmen lassen musste, statt einen Vortrag darüber zu halten. Die einzig mögliche Alternative war, miteinander zu reden, und an unserem Tisch kam das Gespräch auf die Fastenpraktiken der verschiedenen Religionen und der christlichen Tradition.

Die spektakulärste Praxis und vermutlich auch das strengste Fasten ist das der Muslime, die vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung auf Essen und Trinken verzichten, was besonders in heißen Ländern mit langen Tagen eine Herausforderung ist. Zu jeder Glaubenstradition gehört das Fasten, wobei die orthodoxen Kirchen strenge Fastenregeln haben. Nur die liberalen Protestanten fasten noch weniger als die römischen Katholiken.

Eine meiner Urgroßmütter, eine katholische Irin, verzichtete an den Freitagen in der Fastenzeit auf schwarzen Tee, Brot und Schmalz. Ich habe zu spät begriffen – mein Fehler –, was wir da aufgegeben haben. Aber in den letzten Jahren habe ich die Praxis unterstützt, an den Freitagen auf Fleisch zu verzichten, wie es die englischen katholischen Bischöfe allen englischen Katholiken empfohlen haben. Es ist eine praktische Buße und ein nützliches soziologisches Kennzeichen. Wir müssen unsere Identität in vielfältiger Weise definieren.

Meine diesjährige Fastenzeit im Gefängnis wird die allzu leichte Bußpraxis vieler Jahre wettmachen.

Gott, unser Vater, hilf uns, uns gut auf das Osterfest vorzubereiten, an dem wir das Leiden, den Tod und die glorreiche Auferstehung deines Sohnes feiern. Hilf uns, dies durch Gebet, barmherzige Werke und Fasten zu tun.

Mittwoch, 27. März 2019

Vier Wochen sind vergangen, seit ich in Haft bin. Eine Art Meilenstein, aber auch eine Erinnerung daran, dass noch ein paar Monate vor mir liegen. Es ist viel besser, die Situation wie die Anonymen Alkolholiker von einem Tag auf den nächsten anzunehmen und sich auf Höhepunkte, besonders die Kar- und Ostertage, vorzubereiten.

Der Häftling, den sie mit Gas aus seiner Zelle geholt haben, ist in ein anderes Gefängnis verlegt worden. Der gebrüllte Dialog war heute Abend laut und deutlich, kann sein, dass noch eine dritte Stimme dabei war. Die muslimischen Gebete waren heute Morgen gedämpft zu hören, heute Abend habe ich bis jetzt jedoch nichts gehört. Ich frage mich, ob er bei diesen Gelegenheiten still betet oder ob er eine Pause beim Beten einlegt.

Michael, Ruth und Rachel Casey8 haben mir drei schöne kleine Karten gesandt: eine Madonna mit Kind von da Vinci, das Thomas-Morus-Porträt von Holbein und einen Paradiesgarten aus dem 15. Jahrhundert. Sie stehen hinter mir auf dem Regal, während ich dies schreibe.

In Sunrise war heute Morgen in den Schlagzeilen am unteren Bildschirmrand zu lesen, dass eine große Zahl von Herausgebern von Zeitungen und Zeitschriften, Reportern und Nachrichtensprechern (tatsächlich 33) wegen Missachtung des Gerichts angeklagt worden sind, weil sie gegen die in meinem Fall verhängte Nachrichtensperre verstoßen haben. Ich bin nicht sicher, ob dies bei Gericht angesichts der gespaltenen öffentlichen Meinung helfen wird, aber es ist sicher kein Nachteil für mich.

Ich muss gestehen, dass ich mich darüber freue, denn sie haben mit ihren Aktivitäten bei vielen Leuten meinen Ruf ruiniert. Und ich glaube nicht, dass meine Haltung unchristlich ist, auch wenn Schwester Mary Therese, die Gründerin der Immaculata Schwestern, die jetzt in Tasmanien ist, Lk 6,27–36 zitiert und mich an das Jesuswort von der Feindesliebe erinnert hat: »Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!«

Tatsächlich haben mich ein oder zwei Anwälte der Gegenseite und einige Journalisten mit ihrem Verhalten mehr aufgebracht als meine Ankläger. Das Empfinden ist das eine, doch es muss geläutert und zuweilen umgelenkt werden.

Wie eine ganze Anzahl verständnisvoller und frommer Katholiken hat auch Schwester Therese den Eindruck, dass der Kirche in dieser Leidenszeit viele Gnaden zufließen. Doch ihr letzter Satz ist deutlich genug: »Ich werde viel für Sie beten, damit Sie denen vergeben können, die gegen Sie gesündigt haben, sodass Sie mit Ihrem Verhalten der Welt das Antlitz Jesu zeigen.« Sie hat recht, und ich vergebe ihnen.

Als ich als Bischof und Erzbischof die Firmlinge besucht habe, habe ich schon recht früh die Technik der Dame Edna Everage9 angewandt und Fragen gestellt, um dann mithilfe der Antworten das Gespräch voranzubringen. Fünft- und Sechstklässler antworten in der Regel bereitwillig und in den ersten beiden Jahren der Mittelstufe ist es genauso. Ich habe immer 40 bis 50 Minuten lang Fragen gestellt und den Schülern dann Gelegenheit gegeben, mir ihrerseits 10 oder 15 Minuten lang ihre Fragen zu stellen.

Manche Sechstklässler haben mir Fragen gestellt, die für einen Doktoranden in der Theologie angemessen gewesen wären, während andere Fragen ebenso gut von Zweit- oder Drittklässlern hätten stammen können. Gelegentlich haben auch die Eltern ihren Kindern Anregungen gegeben.

Einmal fragte mich ein Junge nach der Bedeutung eines Verses aus dem Buch Exodus, der in der heutigen Lesung des Breviers vorkommt: Was hat Gott gemeint, als er zu Mose sagte: »Du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht kann niemand schauen«? (Ex 33,23).

Es ist ein Gemeinplatz, dass niemand Gott je gesehen hat. Jesus und die Gottesmutter und viele Heilige waren bei zahlreichen Erscheinungen zu sehen, aber nie die transzendente Dreifaltigkeit.

Durch eine glückliche Fügung hatte ich gerade einen der griechischen Väter gelesen, einen der alten Lehrer der Theologie, nicht der römischen, sondern der orthodoxen Tradition, wie wir sie heute nennen. Damals waren Griechen und Lateiner noch in ein und derselben Kirche vereint, hatten aber andere Liturgien, Andachtsformen, theologische Stile und Interessen.

Ich glaube, der Schriftsteller, den ich damals gelesen habe, war der heilige Gregor von Nyssa, der im 4. Jahrhundert gelebt hat, und seine Erklärung lautete, dass wir Gott nur durch die Schönheiten der Natur sehen können, die Gottes Güte, Größe und Intelligenz widerspiegeln. Der Junge war mit der Antwort ganz zufrieden.

Herr Jesus, hilf uns immer, den unsichtbaren Vater, das transzendente Licht, durch die Wunder zu sehen, die du als das Wort geschaffen hast. Lass nicht zu, dass das Böse und das Hässliche uns ablenken oder gar niederdrücken. Herr, ich gebe zu, dass ich irritiert war über die salbungsvolle Vergebungsbekundung mancher Kirchenmänner. Das schien mir zu einfach, wenn nicht heuchlerisch. Dies mag mein Fehler gewesen sein, vielleicht war es zynisch, die Regung eines schwarzen irischen Herzens. Aber ich bete, dass wir alle, insbesondere auch ich selbst, uns bemühen, so zu vergeben, wie du es auf Golgota getan hast, und in dieser letzten Prüfung das zu praktizieren, was wir predigen.

Donnerstag, 28. März 2019

Heute Morgen bin ich beschwingt aufgewacht, weil mein Neffe Nicholas seinen Besuch angekündigt hat und wegen des Aufeinandertreffens der beiden alten Rivalen Richmond und Collingwood am heutigen Abend. Viele irisch-australische Katholiken haben bis zum Zweiten Weltkrieg in diesen beiden Vorstädten von Melbourne gelebt, und deshalb besteht eine große Rivalität unter den Landsleuten meiner Mutter in Bezug auf die beiden Teams, an der ich mich mit dem größten Vergnügen beteilige.

Nach meinen Maßstäben im Gefängnis war es ein geradezu betriebsamer Tag: Ich hatte zuerst einen Termin beim Physiotherapeuten wegen meiner Schulter, die dank der Behandlung in der letzten Woche schon ein wenig besser geworden ist, und dann in der Medizinischen Abteilung, in der mir Blut abgenommen wurde, um die Viskosität zu überprüfen. Wie üblich waren mehrere Versuche notwendig, um die Menge für eine aussagekräftige Probe zu erhalten. Ich biss mir auf die Zunge und gab mir alle Mühe, nicht zu zeigen, was ich von dieser Effizienz hielt. Aber es gibt keinen Mangel an ärztlicher Versorgung im Gefängnis, zumindest was mich betrifft.

Dann hatte ich eine vergnügliche Dreiviertelstunde mit meinem Neffen Nick, der gut aussah und energiegeladen wirkte. Er muss vorsichtig sein, um sowohl eine Grippe wie auch eine Lungenentzündung zu vermeiden. Er erhält immer noch Angebote für den Bau seines neuen Hauses, der seiner Schätzung nach sieben Monate in Anspruch nehmen wird.

Er steht meinetwegen an seinem Arbeitsplatz unter Druck, deshalb hat er sich ein paar Tage freigenommen. Der Katholikenhass ist groß. Er war schon immer gläubig, obwohl der Glaube bei ihm hin und wieder etwas verschüttet war, aber meine Probleme und die Feindseligkeit gegenüber dem Katholizismus haben aus ihm einen beredten Verteidiger der heiligen Mutter Kirche gemacht, der an seiner Arbeitsstätte an verschiedenen Stellen Medaillen verteilt hat! In seinen Verteidigungsreden hat er mich als einen Mann Johannes Pauls des Großen bezeichnet (seine Formulierung) und die unglaubwürdigen Beschuldigungen über die angeblichen Vorfälle in der Sakristei der Kathedrale verglichen mit Beschuldigungen über Vorfälle, die sich nach einem großen Spiel in den Umkleideräumen des MCG10 ereignet hätten. Er hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Umkleideräume genau wie die Sakristei der Kathedrale in den fraglichen Zeiten sehr belebte Orte sind. Er erzählte, dass sich leider viele seiner maltesischen katholischen Kollegen zumindest anfangs von der Lawine der Feindseligkeit in den Medien hatten mitreißen lassen. Als ich darauf hinwies, dass ich in den letzten 18 Monaten in Sydney und Umgebung keinen einzigen negativen Kommentar gehört, aber sehr viel Zuspruch erhalten hatte, war er überrascht. In dieser Hinsicht ist Victoria ein anderes Land. Darüber, dass meine frühere Schule St Patrick’s in Ballarat so rasch auf Distanz gegangen ist, war er genauso bestürzt wie ich. Nicht einmal den kleinsten Hinweis auf eine Unschuldsvermutung, bis die Schuld bewiesen wäre, auf die Wichtigkeit eines fairen Prozesses oder, jetzt in der letzten Zeit, auf die Notwendigkeit, die Entscheidung der Berufungsrichter abzuwarten, hat es dort gegeben.

Die Briefflut reißt nicht ab. Gestern erklärte mir H., dass im Büro »88« Briefe für mich lägen, die ich aber erst am Wochenende bekommen würde, weil das Wachpersonal sie zuerst lesen müsste. Tatsächlich habe ich heute rund 15 erhalten, darunter eine ermutigende Nachricht des emeritierten Erzbischofs von Perth, Barry Hickey, mit zwei guten Zitaten aus dem zweiten Korinther- und aus dem Epheserbrief: »Schließlich: Werdet stark durch die Kraft und Macht des Herrn!« (Eph 6,10). In einem schönen Brief aus Kingaroy, Queensland, war von der Stille die Rede: »Die Stille im Morgengrauen, ehe der Posten ins Horn stößt, vielleicht der erste Gesang eines Vogels.« Die Schreiberin endet mit den Worten: »Machen Sie sich die Stille zum Freund und Sie werden durch sie siegen.«

Collingwood hat Richmond auseinandergenommen, die völlig überrumpelt wurden. Grundy hat im Ruck11 dominiert. Dusty Martin ist immer noch ein guter Spieler, aber nur noch ein Schatten des Ballzauberers, der er vor zwei Jahren war. Tatsächlich ist Richmond beinahe überall geschlagen worden, was zu einer ziemlichen Differenz beim Punktestand geführt hat. Dieses Jahr werden die Tiger die Meisterschaft nicht gewinnen. Und obendrein hat sich Jack Riewoldt verletzt. De Goey war großartig, fünf Tore für die Pies, während bei Lynch (Tiger) die Formkurve auch nach oben zeigt mit wieder einmal drei Toren.

Das Brexit-Fiasko in Großbritannien zieht sich weiter hin, vieles spricht für einen No-Deal-Exit. Von erfolgreichen Verhandlungen kann keine Rede sein, aber weil viele Brexit-Gegner sich weigerten, die Entscheidung zu akzeptieren, und das Unterhaus so gespalten war, hätte es, um dem derzeitigen Chaos zu entkommen, mehr Kraft, Klugheit und Glück gebraucht, als May aufbieten konnte.12

Die Unnachgiebigkeit der europäischen Führung ist eine Langzeitgarantie für Katastrophen, und die Sorge um die Zukunft der Europäischen Union verstärkt ihre Starrheit. Keine Regierungsmannschaft kann einen Staatenbund leiten, wenn sie vorschreibt, welche Form Bananen haben und aus welchen Zutaten Fleischpasteten bestehen müssen, und wenn sie irische Bürger daran hindert, die Gräber für ihre Angehörigen vorzubereiten, weil das die Aufgabe der Totengräber sei.

Der Alltag in meiner Zelle ist weit von diesen wichtigen und unwichtigen Themen entfernt. Football ist eine schöne Freizeitbeschäftigung, aber nicht mehr als das.

Herr Jesus, hilf mir, das Übermaß an Stille zu nutzen, um dir näherzukommen und so die Spaltung in unserer Gesellschaft und die Wunden der Opfer heilen zu helfen.

Freitag, 29. März 2019

Meine Überlebens- und Bewältigungstechnik hat sich seit meiner Ankunft geändert und verbessert. Dass ich mich zwischen 6.00 Uhr, wenn ich meine Medikamente bekomme, und 7.15 Uhr, wenn die Sirene heult, noch einmal ins Bett lege, ist inzwischen ein wichtiger Teil des täglichen Rituals geworden. Ich habe gehört, dass es eine Bußübung beim Opus Dei ist, gleich nach dem Wachwerden aus dem Bett zu springen, aber ich habe es schon immer vorgezogen, nach dem Klingeln des Weckers noch fünf Minuten im Bett zu bleiben.

Mein Sudoku-Buch enthält 250 Rätsel und ich versuche, täglich zwei zu lösen, eins davon ungefähr aus dem zweiten Drittel, denn sie sind nach Schwierigkeitsgrad gestaffelt, und ich will nicht in den letzten Wochen vor meiner Berufungsverhandlung zu ständiger Frustration verurteilt sein, weil ich die ganz einfachen schon gelöst habe und mit den schwierigen schlichtweg überfordert bin. Ich bin besser geworden, an den meisten Tagen kann ich beide lösen. Manchmal wechsle ich ab und versuche, das »sehr einfache« Sudoku aus der Herald Sun – der einzigen Zeitung, die hier zugelassen ist – von Montag, Mittwoch und Freitag zu lösen. Peinlicherweise hat mir diese »sehr einfache« Kategorie anfangs einige Schwierigkeiten bereitet.

Fast immer habe ich zweimal täglich eine halbe Stunde lang Hofgang in einem der etwas heruntergekommenen Bewegungsbereiche. Heute habe ich den Wachmann um einen Besen gebeten, um den kleinen Hof zu säubern, und er hat eingewilligt. Ich hatte schon seit einer Weile darüber nachgedacht, aber mich gefragt, ob ein solches Ansinnen Staub aufwirbeln würde. Jedenfalls ist die Sache jetzt erledigt – weniger aus Selbstlosigkeit als aus Eigennutz, denn ein verschmutzter Hof wirkt auf mich ein bisschen deprimierend. Morgen – oder sobald man es mir erlaubt – werde ich versuchen, den zweiten Bereich zu fegen.

In der Nähe haben die Vögel gesungen, als ich gegen 15.45 Uhr draußen war, das war erst das zweite Mal, dass ich sie hören konnte, und die Möwen haben gekreischt. Im Hof kann man das Telefon benutzen. Heute habe ich versucht, Erzbischof Fisher13 zu erreichen, doch ich konnte hören, wie der Mitarbeiter am Empfang des Polding Centre14 den Anruf beendet hat. Ich war am Telefon noch nie besonders redegewandt, und bevor ich vor ein paar Jahren nach Australien zurückgekehrt bin, hatte ich noch nie ein Handy benutzt. Natürlich werden alle Gespräche mitgehört.

Dreimal in der Woche können wir uns ein paar Kleinigkeiten aus der Kantine bestellen, somit habe ich hier meine Lipton- und Kamillenteebeutel, zwei Tafeln Cadbury’s Vollmilchschokolade (nur vier kleine Stückchen am Tag), Zahnpasta, Shampoo und sogar Vaseline-Hautlotion erhalten. Kein Luxus, aber kleine Annehmlichkeiten. Ich »hänge« sehr an meinem Wasserkocher und an meinem Fernseher.

Am Seminar in Werribee, wo ich vor 59 Jahren mit meiner Priesterausbildung begonnen habe, hat man immer darauf gedrängt, dass wir uns nicht zu sehr an geschaffene Dinge »hängen«, uns nicht zu abhängig davon machen sollen. Natürlich könnte ich im Gefängnis auch ohne Wasserkocher und Fernseher überleben, aber ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird. Das Leben hält oft seltsame und willkommene Tröstungen bereit.

Einen Vers aus Psalm 69 im heutigen Brevier habe ich mir sehr leicht zu eigen machen können:

Nicht sollen zuschanden werden durch mich,

die auf dich hoffen,

Herr, Gott der Heerscharen,

nicht sollen durch mich beschämt werden,

die dich suchen, du Gott Israels.

»Amen« zu alldem.

Ich habe meine tägliche Betrachtung zum Buch der Offenbarung fortgesetzt: einer beunruhigenden Geschichte des Jammers, die von schönen mystischen Momenten durchsetzt ist, zum Beispiel der großen Schar, die niemand zählen kann, aus allen Nationen, Stämmen, Völkern und Sprachen, die vor dem Thron des Lammes stehen und Gott anbeten und preisen, den 144 000 Jungfrauen auf dem Berg Zion und der schwangeren Frau, »mit der Sonne bekleidet; der Mond war unter ihren Füßen und ein Kranz von zwölf Sternen auf ihrem Haupt« (Offb 12,1).

Doch hinter diesen Momenten des Triumphes steht die Vollstreckung der göttlichen Gerechtigkeit, denn das Lamm öffnete die sieben Siegel vor »zehntausendmal zehntausend Engeln«, und die sieben Engel mit den sieben goldenen Schalen gingen hinaus und gossen den Zorn Gottes über die Erde aus, und nur die weiß gekleideten Märtyrer, die ihre Gewänder »im Blut des Lammes weiß gemacht« haben, wurden verschont (Offb 7,14).

Wie ist das alles zu verstehen? Dieses Buch ist Teil des geoffenbarten Wortes Gottes, das heißt, wir können es nicht zur Seite legen und einfach übergehen, sondern müssen mit dem Text ringen und ihn so gut wie möglich zu verstehen versuchen.

Vielleicht zwei Bemerkungen vorweg: Das Übernatürliche ist ein wesentlicher Bestandteil der christlichen Botschaft. Wenn der Katholizismus auf ein agnostisches Dienstleistungsunternehmen reduziert wird, wird die Tradition verraten und es wird keine Konvertiten mehr geben. Der Exodus wird dann umso schneller vonstattengehen. »Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?« (Lk 18,8) lauten die ernüchternden Zeilen des Neuen Testaments.

Christus hat von einem erfüllten Leben nach dem Tod gesprochen, einem wunderschönen oder furchtbaren Leben, das unseren Erkenntnishorizont weit übersteigt, und das Buch der Offenbarung vermittelt uns eine erste Ahnung von dieser Reise. Der Himmel wird anders sein als der wohlverdiente Weihnachtsurlaub und auch anders als die besonders lange Reise in fremde Gegenden, die wir uns für die erste Zeit unseres Ruhestands vorgenommen haben.

Jesus hat oft vom Himmel und von der Hölle gesprochen, und am Letzten Tag wird Gott nicht alle integrieren, [sondern] die Schafe von den Böcken trennen.

Ein zweiter Punkt, den das Buch der Offenbarung deutlich macht, ist, dass das Leben ein Kampf zwischen Gut und Böse ist und dass niemand sich diesem Kampf entziehen kann. Die große Stadt Babylon fällt, eine Stätte der Dämonen und eine Zuflucht für jeden unreinen Geist. Im Himmel ist ein Krieg ausgebrochen: »Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen«, und derselbe feuerrote Drachen »mit sieben Köpfen und zehn Hörnern« versucht vergeblich, das Kind der mit der Sonne bekleideten Frau zu vernichten, das »alle Völker mit eisernem Zepter weiden wird« (Offb 12).

Vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil soll ein Atheist angeblich erklärt haben, dass das einzige christliche Dogma, das er akzeptieren würde, die Lehre von der Erbsünde sei, die besagt, dass jedes menschliche Herz ebenso wie die Strukturen der Gesellschaft mit Fehlern behaftet und für das Böse anfällig sind, während wir gleichzeitig nach dem Guten und Schönen streben.

Die »Kulturkriege« der englischsprachigen Völker, die wir gerade verlieren, sind keine Erfindung der neueren Zeit. Das Buch der Offenbarung wurde fast 1 900 Jahre vor der Erfindung der empfängnisverhütenden Pille geschrieben. Die meisten von uns wünschen sich ein ruhiges Leben, manchen von uns ist das nicht vergönnt, aber jeder muss sich für die eine und gegen die andere Seite entscheiden. Ohne Kampf geht es nicht.

Herr Jesus, hilf uns allen, uns für deinen Vater zu entscheiden, indem wir dir und deinen Lehren in Gemeinschaft mit dir folgen und das Wahre, Gute und Schöne wählen.

Samstag, 30. März 2019

Das Paket mit den »88« Briefen ist, wie versprochen, eingetroffen. Ich habe sie nicht gezählt, weil ich mich an die Schwierigkeiten erinnere, die König David ertragen musste, als er sein Volk zählen ließ, und Gott dadurch erzürnte. Ich weiß nicht genau, was damals eigentlich das Problem war, aber ich denke, es muss etwas mit Davids übertriebenem Stolz zu tun gehabt haben und damit, dass er sich nicht auf Gottes Vorsehung, sondern auf sich selbst verlassen wollte. Ich habe bis jetzt noch nicht in den Kommentaren nach einer fundierteren Erklärung gesucht.

Alle Briefe sind schön, ein starker und willkommener Trost. Viele greifen die fastenzeitlichen und österlichen Themen auf und wenden sie auf meine Lage an. Einige zitierten Francis Kardinal George, den verstorbenen großen Erzbischof von Chicago, der vorhergesagt hatte, dass das Leid der Bischöfe im Verlauf von drei Generationen immer schlimmer und erst danach Besserung eintreten würde. Um seine düsteren Vorhersagen zu verteidigen, hat er mir gegenüber einmal angemerkt, dass die meisten Kommentatoren die Erholung auf der vierten Stufe ignorieren würden, die Rückkehr zu besseren Zeiten mithilfe der christlichen Lehre.

Präsident Trump ist leider ein bisschen barbarisch, aber in dem einen oder anderen wichtigen Punkt ist er »unser« (christlicher) Barbar. Seine beiden Ernennungen von Richtern für den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten werden den Vormarsch des Säkularismus verlangsamen, denn der Oberste Gerichtshof hat sehr viel mehr Möglichkeiten, die Gesellschaft zu formen, als der Oberste Gerichtshof hier bei uns in Australien. Ich halte das australische System, in dem das Parlament mehr Entscheidungen trifft, für besser. Um dieses lokale Gleichgewicht zu schützen, war ich gegen eine australische Bill of Rights15, die den Interpretationen der Gerichte größere Entscheidungsgewalt gegeben hätte. Parlamentarier kann man abwählen, Richter nicht.

Nicht einer der Briefschreiber hat sich im Hinblick auf die Opfer der Pädophilie-Krise feindselig geäußert, und genauso sollte es auch sein. Eine ganze Reihe erkennt an, dass die Opfer und das Ansehen der Kirche furchtbaren Schaden erlitten haben.

Eine hochrangige ehemalige Politikerin hat mir erklärt, dass die Royal Commission, die mit der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs bei Kindern befasst ist, den Beweis erbracht habe, dass sich das Problem nicht auf Katholiken beschränke, wie sie lange Zeit geglaubt habe. Doch die öffentliche Meinung will nicht begreifen, dass – traurig, aber wahr – über 95 Prozent der Fälle von sexuellem Missbrauch außerhalb von Institutionen geschehen.

Ein Schreiber hat eine Seite oder sogar mehr darüber verfasst, wie schrecklich es ist, wenn ein Angeklagter vorgibt, unschuldig zu sein, um die Unterstützung der öffentlichen Meinung zu erhalten. Er wisse aber, dass das auf mich nicht zutreffe, fügte er hinzu. Ich stimme völlig mit ihm überein: Eine solche Täuschung wäre beinahe noch schlimmer als das eigentliche Verbrechen.

Es gelang mir, zweimal Hofgang zu bekommen und Margaret und Chris Meney anzurufen. Am Abend haben nicht nur ein oder zwei Vögel gesungen, sondern ein kleiner Vogel flatterte sogar zwischen den Gittern über dem Hof herum. Der offene Raum wird von zwei Reihen von Gitterstäben bedeckt, die eine quer, die andere längs, und dazwischen befindet sich ein Muster aus interessanten Metallbändern, ein Netz mit rechteckigen Maschen. Ich bin nicht sicher, ob ein kleiner Vogel hindurchpasst, aber dieser hier, etwa so groß wie ein Spatz und mit braunem bis hellorangefarbenem Gefieder, hüpfte dort herum. Ich scheuchte ihn weg und sagte ihm, dass wir ihm wahrscheinlich nicht wieder zur Freiheit verhelfen könnten, wenn er hereinkäme.

Die Mutter eines vortrefflichen jungen Priesters hat mir einen schönen Brief geschrieben, in dem sie G. K. Chesterton zitiert, einen katholischen englischen Schriftsteller, brillant, schrullig und provokativ: »Wir, die wir das Blut Gottes trinken, wandeln frohgemut im Dunkeln.« Ich bin nicht völlig im Dunkeln, und ich bin nicht sicher, wie viele Menschen sich in einer solchen Situation ihren frohen Mut bewahren. Doch der Satz hat mich auf jeden Fall dazu gebracht, innezuhalten und nachzudenken.

G. K. Chesterton hatte nach seinem Tod einen besseren Ruf als sein Zeitgenosse Hilaire Belloc16, und das lag nicht nur an seinen Father-Brown-Krimis. Eine seltsame Fügung hat es gewollt, dass Elizabeth Anscombe, eine der größten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts, die einen Lehrstuhl in Oxford innehatte, als ich dort Student war, zum katholischen Glauben konvertierte, nachdem sie die Geschichten über Father Brown gelesen hatte. Sie war vermutlich die beeindruckendste Intellektuelle, der ich je begegnet bin, und wir jungen christlichen Studenten in Oxford, die wir uns für die Welt der Ideen interessierten, fühlten uns dank ihres Mutes und ihres brillanten Verstandes größer und stärker. Wegen der Atombombenabwürfe auf Japan sprach sie sich dagegen aus, dass Präsident Truman die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford verliehen wurde. Während der Zeremonie kniete sie vor aller Augen draußen vor dem Sheldonian Theatre und betete den Rosenkranz.

Gott, unser Vater, gewähre all unseren Verantwortungsträgern des öffentlichen Lebens und insbesondere dem Heiligen Vater, den Kardinälen und den Bischöfen die Gabe der Weisheit, Klugheit und Beharrlichkeit, aber schenke ihnen vor allem Mut, denn daran fehlt es meistens. Möge Jesus selbst unser Vorbild sein.

Unschuldig angeklagt und verurteilt

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