Читать книгу Unschuldig angeklagt und verurteilt - George Kardinal Pell - Страница 7
2. WOCHE EINSAMER ASCHERMITTWOCH 3. März bis 9. März 2019
ОглавлениеSonntag, 3. März 2019
Heute ist seit vielen Jahrzehnten, wahrscheinlich seit über 70 Jahren, der erste Sonntag, an dem ich – ohne krank zu sein – keine Messe besucht oder zelebriert habe. Ich konnte nicht einmal die Kommunion empfangen.
Die erste Lesung im heutigen Brevier handelt von Ijob, dessen Prüfungen gerade erst begonnen haben. Alles liegt noch vor ihm. [Robert] Richter, der kein christlicher Theist, sondern Jude ist, hat ihn mir ein paarmal als Vorbild vor Augen gestellt. Ich habe ihm geantwortet, dass mich der Gedanke an Ijob ein bisschen tröstet, weil sein Glück – anders als das unseres Herrn – noch zu seinen Lebzeiten zu ihm zurückgekehrt ist, und ich glaube noch immer, dass es für die Richter nur ein einziges gerechtes Urteil gibt: den Schuldspruch aufzuheben.
Paul [Galbally] und Kartya [Gracer] besuchten mich heute Nachmittag, um mir zu sagen, dass Paul und [Bret] Walker das weitere Vorgehen besprechen und sich darüber beraten wollen, ob es sinnvoll ist, beim Berufungsgericht eine Freilassung gegen Kaution zu beantragen. Solche Anträge haben nur sehr selten Erfolg, aber vielleicht bringen sie den Fall dennoch voran. Wie Richter zu Richter Kidd sagte, als ich festgenommen wurde: »Sie haben soeben die Haftverschonung eines Unschuldigen aufgehoben.«
Paul und Kartya haben mir von Paul Kellys erstklassigem Artikel in The Australian1 erzählt, laut Paul dem besten Artikel, der bis jetzt erschienen ist. Tess [Livingstone] hat mir einen Ausdruck ihres Online-Artikels, den sie am Donnerstag veröffentlicht hat (und der zwei Tage lang die meisten Klicks erhalten hatte)2 und ihres Artikels von letztem Samstag3 gesandt. Paul freut sich über die rege Debatte, die es ähnlich intensiv nur im Chamberlain-Fall gab4, und er spürt, dass sich insbesondere unter den Richtern die Sympathien in meine Richtung bewegen.
Er hält es nicht für gut, wenn ich auf James Gargasoulas’ Brief von Freitag antworte. Als ich ihm erklärte, dass ich mich als Priester ein bisschen schuldig fühle, wenn ich ihm nicht irgendwie antworte, hat er mir vorgeschlagen, ihm zu schreiben, wenn ich wieder in Freiheit bin. »Galbally ist sein Geld wert«, habe ich zu Kartya gesagt. Heute sind zwei weitere dieser (buchstäblich) verrückten Botschaften eingetroffen. Gargasoulas ist der Mann, der bei einer Amokfahrt mit seinem Wagen in der Bourke Street sechs Menschen getötet hat.5
Dem Besuch von David, Judy und Sarah [Pell]6 morgen um 13.00 Uhr steht nichts mehr im Weg, und ich habe die Liste mit den zehn Personen vervollständigt, die ich anrufen darf. Der freundliche polnische Wärter B. hat meine Wäsche mitgenommen und waschen lassen. Er und E., der Chef, sind gleichermaßen hilfsbereit.
Ein sehr heißer Tag, 40 Grad Celsius, mit schlimmen Bränden rund um Bunyip und Nar Nar Goon [in Gippsland, Victoria]. Viele Häuser sind zerstört.
Muslimische Gebetsgesänge sind in meiner Zelle zu hören und ich frage mich, von wem sie kommen, vermutlich nicht von Gargasoulas. Ich bin nicht sicher, auf welche Religion er sich bezieht, wenn er behauptet, Gott oder der Messias zu sein. Heute Abend ist es wieder etwas lauter, mindestens einer der anderen Häftlinge schreit seine Verzweiflung heraus.
Ich bin noch immer mit dem Hebräerbrief beschäftigt, ein großartiger Text, in dem sich Paulus’ zentrales Anliegen entfaltet, nämlich die Bedeutung Jesu in alttestamentlichen oder jüdischen Kategorien zu erklären: dass er das Werk und die Botschaft des ersten Bundes vollendet. Die Treue zu Christus und seiner Lehre bleibt unverzichtbar für jeden fruchtbaren Katholizismus und jede religiöse Erneuerung. Deshalb sind die »approbierten« argentinischen und maltesischen Auslegungen von Amoris laetitia7 so gefährlich. Sie widersprechen der Lehre des Herrn über Ehebruch und den Lehren des heiligen Paulus über die notwendigen Voraussetzungen für den würdigen Empfang der heiligen Kommunion.
Heute Morgen hat man mich unverhofft zu einer ärztlichen Untersuchung gerufen. Alles in Ordnung, auch wenn mein Blutdruck (120/80 im Stehen) niedrig war. Das habe ich jedoch vermutet, weil ich mich ein bisschen schlapp fühle.
Gott, unser Vater, ich bete für all meine Mithäftlinge, vor allem für die, die mir geschrieben haben. Hilf ihnen allen, ihr wahres Selbst zu erkennen. Hilf auch mir, darin besser zu werden. Bring ihnen allen ein bisschen Seelenfrieden, besonders jenen, die ganz sicher keinen haben.
Montag, 4. März 2019
Im Brevier ging es heute weiter mit Ijobs Problemen, die sich sogar verschlimmert haben, weil es Satan erlaubt wurde, ihn mit bösartigen Geschwüren zu schlagen. Ijob hat Gott nicht gelästert, obwohl seine verbitterte Frau ihn drängte: »Lästere Gott und stirb!« Doch ihm kam kein sündiges Wort über die Lippen. »Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?« (Ijob 2,9–10).
Wenn ich bei manchen Gelegenheiten nach unverdientem Leid gefragt wurde, habe ich oft geantwortet: »Gottes Sohn Jesus hatte auch kein wirklich einfaches Leben.« Christen bringt das oft dazu, innezuhalten und nachzudenken, und manchmal habe ich sie auch gebeten, sich an all das Gute in ihrem Leben zu erinnern.
Das habe ich an meinem ersten Osterfest als Priester im Jahr 1967 in dem italienischen Dorf Notaresco in den Abruzzen gelernt. Die meisten der Männer lebten und arbeiteten damals in der Schweiz oder in Deutschland, schickten ihren Familien Geld nach Hause und kamen nur einmal im Jahr auf Heimaturlaub. Ich war ein gänzlich unerfahrener Neupriester und wusste nicht so recht, wie ich diese Ehefrauen und Mütter trösten sollte. Ich versuchte dieses und jenes – ohne Erfolg –, doch dann sagte ich ihnen ganz einfach, dass Jesus auch gelitten hat, und das war ein Trost für sie. Der Sohn Gottes hat gelitten, und sie litten ebenfalls.
Schriftsteller, die betonten, dass das Leid wesentlich und notwendig ist, um Gott näherzukommen, mochte ich nicht sonderlich. Dies betraf selbst so große christliche Schriftsteller wie den heiligen Johannes vom Kreuz. Ich habe nicht viel von ihm gelesen, weil mich seine Schriften immer etwas erschreckt haben. Doch Die innere Burg [1588] der heiligen Teresa von Avila, die eine ähnlich handfeste spanische Theologie vertritt, habe ich zu Ende gelesen.
Ich konnte mich eher mit der Herangehensweise von Jude Chens Großvater anfreunden, der laut Jude mit Sun Yat-sen8 befreundet gewesen war. Sein Großvater hatte die Angewohnheit, Gott um kleine Prüfungen zu bitten, weil er ohne sie stolz werden könnte, und durch sie wollte er größeres Leid vermeiden. Die Chens waren gläubige Mitglieder der Untergrundkirche im kommunistischen China. Sie verloren alles, erduldeten großes Leid, und einige von ihnen waren lange im Gefängnis, bis es in den späten 1980er- und 1990er-Jahren eine Amnestie gab. Damals floh Jude nach Australien. Wir wurden gute Freunde, und die Familie half ihm, bis er nach Kanada auswanderte, weil er hier keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten konnte. Wir haben noch immer Kontakt und ich kann mir vorstellen, wie aufgebracht er und seine Frau Monica über meine missliche Lage sind.
David, Judy und Sarah haben mich zum ersten Mal besucht. Es war (natürlich) schön und wir haben viel gelacht. Vor dem Besuch musste ich mich einer Leibesvisitation unterziehen. Wir trafen uns in einem größeren Raum mit hellen Fenstern und bunten Kinderbildern an den Wänden. Ich hatte es geschafft, mich in den obligatorischen Overall zu zwängen – allerdings falsch herum: mit dem Reißverschluss auf der Vorderseite!
David meinte, er halte es nicht für wahrscheinlich, dass das Berufungsgericht mir eine Freilassung auf Kaution zugestehen würde. Dies bestätigte sich später, als Paul, Kartya und Ruth [Shann] vorbeikamen, um mir zu erklären, dass mit einer Berufung gleich nach der Urteilsverkündung nichts gewonnen wäre, weil die Staatsanwaltschaft ihre Erwiderung noch nicht eingereicht hätte und ein verfrühter Vorstoß das Gericht womöglich verärgern würde. Ruth erklärte, dass sie keinen Präzedenzfall für eine Freilassung auf Kaution finden konnte, die allein wegen der Beweiskraft der Berufungsgründe gewährt worden sei. Ich habe beschlossen, im Fall der Fälle das zu tun, was Ruth mir rät – vorausgesetzt, dass sie ihre eigene Meinung äußert und nicht die ihres Vorgesetzten. Daraufhin hat sie erwidert, dass sie ein bisschen rebellisch veranlagt sei und immer ihre eigene Meinung von sich gebe.
Es hat mich beunruhigt, dass Nick [Pell]9 so aus dem Gleichgewicht gebracht ist und nicht zur Arbeit geht, und deshalb habe ich vorgeschlagen, Charlie [Portelli] zu bitten, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Paul hat versprochen, Nick anzurufen, um ihm zu helfen. David hat erzählt, dass Marg10 vergesslich ist, aber dass es ihr ansonsten nicht allzu schlecht geht. Paul hat mit ihr gesprochen und hatte den Eindruck, dass sie klarkommt.
Gott, unser Vater, gib allen, die tief erschüttert sind, und insbesondere meinen nahen Verwandten Frieden und Gelassenheit. Hilf Nick, dass er zurechtkommt und sich helfen lässt. Und ich danke dir, guter Gott, dass in der Öffentlichkeit über das Urteil debattiert wird. Möge dieser Kampf auf die seltsamste Weise die Entschlossenheit der gläubigen Katholiken stärken und sie dazu führen, sich an Jesus zu halten, damit wir alle erkennen, dass er unsere einzige Rettung ist.
Dienstag, 5. März 2019
In der heutigen Lesung im Brevier ist Ijob eingeknickt, hat »den Schnuller ausgespuckt«, wie es in der alten australischen Ausdrucksweise heißt. Er wendet sich nicht gegen Gott, aber er beklagt den Tag seiner Geburt: »Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, die Nacht, die sprach: Ein Knabe ist empfangen. Jener Tag werde Finsternis.« Weiter unten in Kapitel 3 bedauert er, dass er nicht gleich nach seiner Geburt gestorben ist: »Was mich erschreckte, das hat mich getroffen, wovor mir bangte, das kam über mich« (Ijob 3,3.25).
Seine Situation ist extrem: die Familie tot, Hab und Gut vernichtet, eine abstoßende Krankheit, die Aschegrube seine letzte Zuflucht, verloren in der Stille. Kein Wunder, dass er sich beklagt.
Natürlich wusste Ijob nichts von Christus, und seine Vorstellung vom Leben nach dem Tod scheint nicht zwischen Guten und Bösen, Glücklichen und Unglücklichen zu unterscheiden. Bei den Schatten, so glaubt er, »[…] hören Frevler auf zu toben, dort ruhen aus, deren Kraft erschöpft ist. […] Klein und Groß ist dort beisammen, der Sklave ist frei von seinem Herrn« (Ijob 3,17.19), doch der eine und wahre Gott wird nicht als der letzte und einzige Richter gesehen, der die Guten belohnen und obendrein alle, die gelitten haben, die arm und unglücklich waren, auf immer mit dem und in dem ewigen Leben segnen wird. Ijobs Leben nach dem Tod ist, soweit man daran glaubt, eine Zuflucht für alle, die keine klare Vorstellung davon haben, dass die Schafe von den Böcken getrennt und alle, die gelitten haben, entschädigt werden.
Nach Kiko Argüello11 trennt vor allem eine Lehre die Christen und Säkularisten voneinander, und das ist die unterschiedliche Einstellung zum Leiden. Säkularisten wollen das Leiden ausblenden oder beenden. Daher stammt ihre Begeisterung für Abtreibung und Euthanasie. Wir Christen dagegen sind davon überzeugt, dass das im Glauben ertragene Leiden erlösungswirksam sein kann, dass Christus uns durch sein Leiden und Sterben das Heil erworben hat und dass auch der böseste Mensch erlöst werden kann. Gleichzeitig engagiert sich keine Gruppe mehr als die Christen dafür, die Leiden zu lindern. Die Juden haben keinen Messias erwartet, der Leid erdulden und geschlagen werden würde, und Ijob hatte in seinem Leiden nicht das Vorbild Christi vor Augen.
Auch die Vorstellung von Himmel oder Hölle, Belohnung oder Strafe – von einem Jenseits also, in dem diejenigen, die in diesem Leben über das ihnen zugemessene Maß hinaus gelitten haben, die Waagschalen der Gerechtigkeit und des Erbarmens zu ihren Gunsten geneigt vorfinden werden – war ihm unbekannt.
Himmel heißt, dass die schlimmste menschliche Katastrophe nicht das letzte Wort hat, und ich glaube, der liebe Gott wird im nächsten Leben hauptsächlich damit beschäftigt sein, den Milliarden von Anawim12 seine Fürsorge angedeihen zu lassen.
Die antike Tragödie ist von einer ganz anderen Brutalität und Endgültigkeit: Hier ist Gott nicht der Herr über das Leben nach dem Tod, er ist nicht gerecht, er belohnt nicht und er bestraft nicht. Ich wusste natürlich immer, dass die alten Griechen nicht an unseren Himmel glaubten, doch erst nach vielen Jahren wurde mir klar, dass ich Sophokles (vor 60 Jahren!) durch die katholische Brille gelesen und mir nie wirklich bewusst gemacht hatte, welche Endgültigkeit Tod, Zerstörung und Schande für Sophokles und sein Publikum bedeuteten.
Heute war ein ruhigerer Tag, der erste von vielen, nur Kartya hat mich besucht. Wir haben über das mögliche Strafmaß gesprochen (fünf bis sieben Jahre?) und waren uns einig, dass [der Oberste Richter] Kidd für hohe Strafen bekannt ist. Das Berufungsverfahren beginnt wahrscheinlich am 5. Juni.
Das Urteil zu hören, wird unangenehm werden, und ich habe beschlossen, dabei zu stehen, obwohl mir der Richter die Möglichkeit des Sitzens angeboten hat. Was soll ich währenddessen tun? Ich habe mir überlegt, dass ich für den Richter beten werde, und ich werde ihn ansehen und zu mir sagen, dass er selbst weiß, dass das Urteil ungerecht ist. Er steckt in einer Zwickmühle, das Prozedere muss eingehalten werden, aber ich hoffe, er hört auf sein Gewissen und spielt nicht den Pontius Pilatus, sondern tut sein Möglichstes für die Berufung.
Während der Verhandlungen empfand ich einen größeren Groll gegen den Staatsanwalt. Er hat die Fakten verschleiert und verdreht und verwischt und ihnen zum Teil sogar widersprochen, damit die Geschworenen ihre aberwitzige Entscheidung fällen konnten. Ruth hat Gibson13 bei unserem Berufungsantrag wiederholt in die Ecke gedrängt, aber zu meiner Überraschung gemeint, er hätte wohl selbst nicht damit gerechnet, dass die Geschworenen eine solche Mischung schlucken würden. Sie glaubt, seine unerwarteten Zugeständnisse bei den Anträgen vor Gericht seien ein Zeichen für sein Unbehagen gewesen.
Ich habe einen Besen bekommen und meine kleine Zelle gefegt. Die Farbe auf dem Boden ist immer noch abgeblättert, es gibt keinen Vorhang, und während ich hier sitze und schreibe, ist die offene Toilette nur gut einen Meter von mir entfernt. Doch das ist für den Moment mein Zuhause.
Gott, unser liebender Vater, hilf mir, den Hass von meinem Herzen fernzuhalten. Ich sollte die Wahrheit nicht nur in Liebe sagen, sondern auch die Wahrheit in Liebe denken.
Aschermittwoch, 6. März 2019
Das war mir gar nicht klar, bis mir Schwester Mary vor ein paar Tagen die heutigen Lesungen gebracht hat. Sie hat mir das Aschenkreuz und die Kommunion gespendet. Vorher war Father Philip Gill bereits bei mir gewesen, der anglikanische Gefängnisseelsorger von St Peter in Eastern Hill, der mir ebenfalls das Aschenkreuz auf die Stirn zeichnen wollte. Ich war einverstanden und sagte zu ihm, dass ich kein Problem mit anglikanischer Asche hätte. Darauf gab er zurück, dass es eigentlich katholische Asche sei, denn er hätte sie von Schwester Mary erhalten. Ich bat ihn dann doch, sie anzurufen, weil ich keine Revierstreitigkeiten auslösen wollte. Ich habe ihm erzählt, dass ich oft in St Peter gewesen sei und dass ich eine Kniebank für die Kapelle der Ritter vom heiligen Lazarus gespendet hätte (die verschwunden zu sein scheint). Mir ist der Name meines Freundes [John] Hazelwood nicht mehr eingefallen (der anglikanische Bischof von Ballarat, an dessen Beisetzung in der St-Patrick’s-Kathedrale in Ballarat ich teilgenommen habe). Und ich konnte mich auch nicht mehr an den Namen von Graham Walden erinnern, den späteren Bischof von The Murray, mit dem zusammen ich die anglikanisch-katholische Dialoggruppe der Diözese Ballarat geleitet habe. Das waren schöne und glückliche Zeiten.
Ijob (Kapitel 7) ist heute richtig in Fahrt gekommen. Er hat seine Leiden aufgezählt: Monate der Enttäuschung, Nächte des Kummers, sein Leib von Ungeziefer, Schorf und Eiter übersät. Er ist kein diskreter Stoiker, sondern ein wortgewandter Jude, heftig und deutlich.
Nach dem Tod erwartet er nicht viel. »Wie die Wolke, die entschwand und dahinzog, so steigt nie mehr auf, wer zur Unterwelt hinabstieg« (Ijob 7,9). Er zankt mit Gott, dem er vorwirft, dass er ihn Morgen für Morgen, genauer gesagt jeden Augenblick auf die Probe stellt.
Man hat aber nicht den Eindruck, als würde er einen guten und freundlichen Gott fragen, was er denn eigentlich vorhat. Er scheint es eher mit einem schwierigen und übergriffigen Gott zu tun zu haben, dem er Vorhaltungen macht. »Warum hast du mich zu deiner Zielscheibe gemacht […]?« (Ijob 7,20).
Das ist recht weit entfernt von der berühmten Stelle über Gottes Güte aus den Bekenntnissen des heiligen Augustinus. »Spät habe ich dich geliebt«, schreibt Augustinus, »du Schönheit, so alt und doch so neu«, eine Schönheit, die seine Blindheit vertrieben hat, sodass er nun entbrannt ist »nach deinem [Gottes] Frieden«. Das ist die zweite Lesung, die das Brevier für heute vorsieht.
Auch Augustinus ist kein Stoiker, aber wenn er mit dem Herrn vereint sein wird, »dann wird mich kein Schmerz, keine Mühsal mehr bedrücken, und mein Leben, ganz von dir erfüllt, wird erst dann wahres Leben sein«. Doch die Situation, in der er schreibt, ist eine ganz andere, denn im weiteren Verlauf listet Augustinus seine Leiden auf und fleht zu Gott um Erbarmen.
Ein Gedanke ist besonders ermutigend. »Wer verlangt nach Beschwernissen und Mühseligkeiten? Du heißest sie uns dulden, nicht lieben.« Christus im Garten Getsemani hat uns hierfür ein Beispiel gegeben, als er in seiner Todesangst Blut schwitzte. Das ist für mich leichter nachvollziehbar als die Haltung des heiligen Paulus, der sich seiner Schwachheit rühmt, weil so die Macht Gottes an ihm offenbar werden kann (2 Kor 12,7–10), auch wenn persönliche Schwäche etwas anderes ist als das Unglück, das von außen kommt.
Da ich den nächsten Band des Breviers für die Fastenzeit nicht hier habe, bin ich mehr als zufrieden, bei Ijob zu verbleiben, der weiterkämpft.
Ruth kam vorbei, um ein bisschen zu plaudern. Sie hat erwähnt, dass The Age auf der Titelseite groß darüber berichtet, dass Richter bei der Berufungsverhandlung durch Walker ersetzt werden wird. Als man ihn nach den Gründen fragte, hat Richter seine Chance grandios genutzt und erklärt, dass er die emotionale Distanz nicht länger wahren könne. Das Urteil sei absurd, betonte er, und man habe einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht. Und das alles auf der Titelseite von The Age.14
E. wurde versetzt und seine Vertretung, ein hochgewachsener Mann, ist weniger entgegenkommend, und mein polnischer Freund ist auch nicht mehr da. Rasieren solle ich mich morgens, antwortete er, als ich ihn am Nachmittag nach meinem Rasierzeug fragte. Aber er werde dieses eine Mal eine Ausnahme machen. Hat er aber nicht, ich habe mein Rasierzeug nicht bekommen. Ein paar der Wärter sind besonders hilfsbereit und gesprächig und die anderen sind freundlich. Es ist wirklich nicht schlimm.
Ich habe mit Marg und David telefoniert. Sie war in guter Stimmung und hat gefragt, wann sie kommen kann, um mich zu besuchen.
Diese Woche war ich auf »Exerzitien«, habe dreimal das Brevier gebetet und dreimal Betrachtung gehalten, um einen Ersatz für die tägliche Eucharistie und die üblichen Lesungen zu haben. Diese Exerzitien waren überfällig.
[Kardinal] Parolin hat mir über den Nuntius und Schwester Mary eine Nachricht gesandt und seine Unterstützung ausgedrückt. Ich war gerührt und habe mich darüber gefreut. Die Kopie der Berufung [des Berufungsantrags] hat offenbar geholfen.
In den letzten 24 Stunden hat es etwas geregnet und in den Victorian Alps hat es geschneit. Noch vor ungefähr einem Tag hatten wir 40 Grad Celsius. Meine Uhr ist gekommen und ich habe es geschafft, die Zeit richtig einzustellen, und der Fernseher ist defekt.
Gott, unser Vater, ich bete einmal mehr für meine Familie und meine Freunde, dass sie nicht zu verletzt oder verstört sind. Möge meine missliche Lage ihnen helfen, ihren Glauben und ihre Güte zu stärken, besonders Sarah und Nick, Bec und Georgie, damit sie ihren Glauben an den kleinen Sonny weitergeben können.
Donnerstag, 7. März 2019
Ein ruhiger Tag. Tim und Anne [McFarlane] sind heute Morgen gekommen, und wir haben, getrennt durch eine Glasscheibe15, eine nette Stunde miteinander verbracht. Es gibt nicht so viel Neues. Offenbar hat QC [Queen’s Counsel]16 Geoff Horgan, der früher Staatsanwalt war und der die beiden Ikonen in der Kathedrale gemalt hat17, einen starken Unterstützerbrief veröffentlicht, in dem er sich für mich einsetzte18, und ich habe erfahren, dass die [Leumunds-]Zeugnisse in vielen Zeitungen veröffentlicht worden sind. [Bill] Shorten hatte irgendwelche Einwände, wurde aber von seinem Shadow Attorney General19 [QC] Mark Dreyfus öffentlich zurechtgewiesen.20 [George] Weigel hat eine Reihe sehr wirkungsvoller Texte verfasst, in denen er meinen Fall mit der Dreyfus-Affäre in Frankreich im 19. Jahrhundert verglich21, und [Father]22 Raymond de Souza hat sich ebenfalls am Kampf beteiligt.23
Dave Bell, Ruths Mann, hat vorgeschlagen, dass ich, nachdem mich Richmond als Vize-Schirmherr abgesetzt hat, nach Melbourne wechseln sollte.24 Zum Glück ist Matilda25 mit einer besseren Schlaffähigkeit aus dem Schlaflabor zurückgekehrt. Ein Erfolg.
Die für die Eingliederung zuständige Dame war da und hat die üblichen Fragen gestellt. Sie fragte, ob ich geistig zurückgeblieben sei. »Ich glaube nicht«, habe ich geantwortet, und sie meinte, ich würde hoffentlich nicht über sie, sondern nur über die Frage lachen.
Ich hatte ein gutes Gespräch mit Charlie, dem Seelsorger der Heilsarmee, und konnte mich nicht erinnern, dass wir uns schon einmal begegnet sind. Sind wir auch nicht, erklärte Charlie, obwohl Schwester Mary das Gegenteil behauptet hat. Er ist ein ehemaliger Anglikaner, der bei den Anglikanern die Eucharistiefeier besucht, weil er das vermisst. Ein starker Jünger des Herrn.
Ich habe rund 15 oder 20 schöne Briefe bekommen, einige von Mithäftlingen. Den meisten der Häftlinge werde ich antworten.
Heute wird Ijob von seinem Freund, dem Naamatiter Zofar, zurechtgewiesen, kein sehr mitfühlender Mensch. Er tadelt Ijob für sein wortreiches Geplapper, und vor allem wirft er ihm vor, dass er behauptet, untadelig zu sein. Das sei er eben nicht, erklärt unser Zurechtweiser: »Du würdest erkennen, dass Gott von deiner Schuld noch manches übersieht.« Er preist das unbegreifliche Mysterium Gottes und drängt Ijob: »Wenn Unrecht klebt an deiner Hand, entferne es«, dann werden gute Zeiten anbrechen, Ijob wird fest dastehen und braucht sich »nicht zu fürchten« (Ijob 11,14–15).
Das Buch Ijob ist als eine Auseinandersetzung mit dem Leid der Unschuldigen geschrieben worden, doch Zofar leugnet dieses Problem und führt Ijobs Unglück auf Sünden zurück, die er sich nicht eingesteht.
Manche Sünden ziehen ganz reale und offensichtliche Konsequenzen nach sich, zum Beispiel Drogen oder Alkohol oder Lügen usw. Doch viele böse Menschen führen ein angenehmes Leben, das allerdings eher auf einem abgetöteten Sündenbewusstsein als auf echtem Seelenfrieden beruht, und viele, zu viele leiden ohne eigenes moralisches Verschulden.
Die Lehre Jesu stellt einen gewaltigen Fortschritt dar. Er hat erklärt, dass diejenigen, die beim Einsturz des Turms von Schiloach ums Leben kamen (Lk 13,4), nicht wegen ihrer eigenen Sünden oder wegen der Sünden ihrer Vorväter gestorben sind.
Der Ijob-Kommentar von Gregor dem Großen für den heutigen Tag weist darauf hin, dass das Gesetz Liebe bedeutet, und zitiert die lange Liste von Pflichten, die Paulus aus dem Gesetz der Liebe ableitet. Ein schöner Beitrag zur Theologie, ein umfassendes moralisches Programm, doch wenn das alles so eins nach dem anderen ausbuchstabiert wird, fühle ich mich etwas ernüchtert und unvollkommen. Das ist vermutlich beabsichtigt gewesen. Wir müssen besser werden. Es ist allerdings schwierig, die direkte Verbindung zu Zofars Predigt zu erkennen.
Nach dem Besuch habe ich gegenüber dem Hauptwachtmeister meine Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass man mir nicht vorher mein Rasierzeug gebracht hat, obwohl ich gestern Nachmittag und auch heute Morgen noch mehrmals darum gebeten hatte. Als er bei den Wärtern nachfragte, antworteten beide spontan: »Aber nicht, als wir ihm das Frühstück gebracht haben!« – »Nun gut«, sagte ich zu einem der beiden, »wenn ich Sie nicht gefragt habe, dann habe ich Sie nicht gefragt!« Ich werde beim nächsten Mal genauer darauf achten. Es scheint kein bleibender Schaden entstanden zu sein.
Heute Morgen war ich bei der Krankenschwester und heute Nachmittag habe ich per Video mit Dr. McIsaacs vom St Vincent’s [Krankenhaus] über mein Herz gesprochen. Der Blutdruck war bei 120 zu 80, und ich habe ihm erklärt, dass ich mich manchmal ein bisschen benommen und schlecht fühle, wenn mein Blutdruck im Bereich von 120 ist. Er war jahrzehntelang bei 140, an guten Tagen! Das Leben im Gefängnis ist sehr ruhig.
Ich habe ein bisschen an meiner Rezension zu Overholts China-Buch gearbeitet.26 Der Wachmann hat meinen Fernseher wieder zum Laufen gebracht.
Gott, unser Vater, hilf mir, die Untätigkeit und Eintönigkeit für das Wohl der Kirche und für dein Werk in der Welt aufzuopfern. Gib mir auch weiterhin Kraft und Seelenfrieden und hilf meinen Mithäftlingen, vor allem jenen, denen es schlecht geht, die verstört oder todunglücklich sind.
Freitag, 8. März 2019
Ich habe einen Brief vom Obersten Gerichtshof erhalten, in dem mitgeteilt wird, dass meine Berufungsverhandlung am 5. und 6. Juni im Green Room stattfinden wird. Ruth wird ihren Urlaub verschieben müssen und Tony27 ist einverstanden.
Nach der Urteilsverkündung am nächsten Mittwoch werde ich wahrscheinlich verlegt. Ich habe erwähnt, dass ich einen etwas ansprechenderen Gefängnishof, einen späteren Nachteinschluss und ein bisschen Gesellschaft bevorzugen würde. Meine Sicherheit ist ihre Hauptsorge – und die meine.
Heute Morgen war ich beim Arzt und nicht überrascht, dass mein Blutdruck bei 106(?) zu 62 oder 63 lag. Kein Wunder, dass ich mich elend gefühlt habe – nicht schwindelig. Vielleicht war mein Gleichgewichtsgefühl ein bisschen schlechter als sonst. Am Abend haben sie das Prazosin abgesetzt. Mal sehen, wie es morgen früh ist, auch wenn ich annehme, dass sich dies erst allmählich auswirken wird.
Ein oder zwei der Burschen sind laut und und klingen verstört – besonders um die Mittagszeit. Vielleicht ist es Gargasoulas. Viel Leid gibt es hier.
Heute sind Drogenbeauftragte gekommen. Ich habe dieselben Informationen erhalten wie alle hier. Sie waren sehr freundlich – und ich habe geanwortet, dass ich keine Fragen hätte.
Schwester Mary hat mir die Kommunion gebracht und wir sind die Sonntagslesungen durchgegangen, die sie mir dagelassen hat. Sie hat Grüße von [Bruder] Mark O’Connor28 ausgerichtet und berichtet, dass Barney Zwartz einen feindseligen Artikel in The Age veröffentlicht hat, in dem er Helen Last zitiert.29 Ich habe ihr erzählt, welche Haltung (in Liebe) ich Kidd gegenüber während der Urteilsverkündung einnehmen will, und sie hat mir begeistert zugestimmt.30 Sie war beeindruckt, als ich ihr erzählt habe, was Walker gesagt hat: dass das der bestbegründete Berufungsantrag sei, den er je gesehen habe. Sie hat mir die Fastenbotschaft von Papst Franziskus und eine Ausgabe des Melbourne Catholic über Frauen und Glauben mitgebracht. Ich werde beides lesen.
Gesungene muslimische Gebete dringen jetzt in meine Zelle herein. Zur Hauptmahlzeit (um 15.30 Uhr!) konnte ich Fisch bekommen und heute Mittag habe ich im Salat das Fleisch liegen lassen.
Ich habe noch ein bisschen an meiner China-Rezension gearbeitet und ein paar Notizen über meine Zeit am St Patrick’s gemacht, vielleicht für eine Reihe mit dem Titel »Andere Welten«.
Jemand hat einmal zu mir gesagt, dass jeder Priester drei oder vier oder fünf oder sechs vernünftige Predigten in sich hat, aber danach müsse man mehr und sorgfältiger arbeiten, um Wiederholungen zu vermeiden. Mit einem Gefängnistagebuch scheint es ähnlich zu sein, insbesondere mit den theologischen Reflexionen.
Ijobs Antwortrede [an Zofar; vgl. Ijob 12,3–4] ist nicht wirklich inspirierend. Er sagt zu seinem Gegenüber: »Ich habe auch Verstand wie ihr, ich falle nicht ab im Vergleich zu euch.« Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, aber irgendwie scheint mir, dass er sich dadurch in eine schwächere Position bringt. Meine Reaktion mag ein bisschen angelsächsisch-altmodisch sein.
Ijob empört sich darüber, dass er zum Gespött wird, schuldlos verhöhnt (Kapitel 12). »In Ruhe sind der Gewaltmenschen Zelte, voll Sicherheit sind sie, die Gott erzürnen, die wähnen, Gott in ihre Hand zu bringen.« Doch Ijob erklärt, »dass Gottes Hand all dies geschaffen hat«. Gott wird für Dürre und Überschwemmungen verantwortlich gemacht, er ist es, der Richter zu Toren macht und die Gürtel von Königen löst. Manche erhebt er, um sie dann niederzuwerfen und zu vernichten.
Ijob hat es nicht leicht: Er glaubt an einen übergriffigen und strafenden Gott, und die Vorstellung von einer jenseitigen Gerechtigkeit, einem erlösungswirksamen Leiden und einem Gott, der das Böse und das Leid für einen langfristigen Zweck zulässt (es aber nicht verursacht), ist ihm unbekannt. Ijob steckt in Schwierigkeiten. Dennoch zweifelt er keinen Moment lang daran, dass Gott alles in der Hand hat.
Ich glaube, es war Father Michael Hollings, der katholische Geistliche in meiner Zeit in Oxford, von dem ich zuerst gehört habe, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreibt. Ich habe schon immer an die christliche Vorsehung geglaubt, aber als ich gesehen habe, wie Tolkien am Ende von Der Herr der Ringe alle Charaktere und Handlungsfäden zusammenbringt, kam mir der Gedanke, dass unser unendlich liebevoller Gott noch unendlich viel besser in der Lage sein muss, seine Absichten an die Konsequenzen unserer guten oder sündigen Entscheidungen anzupassen. Ijob hat keinen Moment lang daran gezweifelt, dass Gott das Kommando hat, aber er hat sein Unglück direkt auf Gott zurückgeführt.
Dass ich die Fastenbotschaft von Papst Franziskus erhalten habe, hat mich daran erinnert, für ihn und für die ganze Kirche zu beten. Ich bin nicht sicher, ob mir die regelmäßigen aktualisierten Nachrichten aus Rom fehlen. Doch im SBS31 habe ich gesehen, dass Kardinal [Philippe] Barbarin [der Erzbischof von Lyon] zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt wurde und seinen Rücktritt angeboten hat.32 Er wird bald nach Rom reisen. Offenbar hat er nicht rasch genug gehandelt, um über einen pädophilen Priester Meldung zu erstatten. Es wird ein Verlust sein, wenn er geht, denn er ist einer von den Guten.
So hilf der Kirchenleitung, Herr Jesus, in diesen Stürmen überall auf der Welt weise und mutig zu sein, um die zentralen Herausforderungen und Kämpfe zu erkennen und um die Gläubigen aufzurufen, treu und aktiv zu bleiben.
Samstag, 9. März 2019
Seit meiner Ankunft im Hochsicherheitsgefängnis in Melbourne habe ich 100 Briefe erhalten, die meisten davon in den letzten drei Tagen. Über ein Dutzend stammt von Mithäftlingen. Zwei Häftlingen habe ich geantwortet, einer von ihnen hatte mir auf Latein geschrieben.
Viele von ihnen haben Gedichte und Gebete dazugelegt, die oft in jeder Hinsicht schön sind und beinahe immer den tiefen Glauben der Absender und ihr tiefes Verständnis des Leidens und Sterbens Christi zum Ausdruck bringen.
Natürlich fühle ich mich unbehaglich und werde verlegen, wenn man mich mit dem Herrn vergleicht oder (wie ein Ehepaar, das mir geschrieben hat) mit Thomas Morus bzw. Johannes dem Täufer. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand John Fisher33 erwähnt hätte, den Thomas Morus seit Robert Bolts Film Ein Mann zu jeder Jahreszeit zunächst an Popularität und seit den beiden Romanen von Hilary Mantel34 auch an Bekanntheit übertroffen hat. Ob sie den dritten Band wohl je beenden wird, in dem ihr »Held« Thomas Cromwell auf der Strecke bleibt? Und – so könnte man, glaube ich, beinahe sagen – von diesem moralischen Ungeheuer Heinrich VIII. seine gerechte Strafe erhält? So viele Tote, besonders in seinem direkten Umfeld.
Mein Schicksal hat gravierende Auswirkungen auf die Kirche, vor allem in Australien, aber auch darüber hinaus, weil ich für das »Kreuzigungs-Christentum« stehe. Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass die Feindseligkeit der öffentlichen Meinung – und insbesondere der militanten Säkularisten – durch meinen Sozialkonservatismus und mein Eintreten für die jüdisch-christliche Ethik befeuert worden ist.
Ich glaube an die göttliche Vorsehung. Nie habe ich diese Situation gewollt, sondern alles getan, um sie zu vermeiden. Aber hier bin ich nun, und ich muss bestrebt sein, Gottes Willen zu erfüllen.
Kardinal Sin aus Manila, der ein beeindruckender Kirchenmann war, ein Gegenspieler von Marcos, und außerdem ein großartiger Unterhalter (welcome to the house of Sin – »willkommen im Hause Sin [engl. sin = Sünde])«, hat sich immer mit dem Esel verglichen, auf dem Jesus – an dem Tag, an den wir uns am Palmsonntag erinnern – in Jerusalem eingeritten ist. Mir gefällt dieses Bild für mein mittelmäßiges Selbst, treu in meinen Gebeten und Pflichten, früher hart arbeitend, aber in spiritueller Hinsicht durchschnittlich. Gott wählt manchmal seltsame Wege.
Ich befinde mich mitten in einem Kampf zwischen dem Guten und dem Geist des Bösen. In letzter Zeit ist mir das deutlicher bewusst geworden. Eine Freundin von mir, eine beruflich erfolgreiche Frau und Akademikerin, war im Gericht, als die Geschworenen ihren Schuldspruch verkündeten (der schlimmste Moment ihres Lebens, hat sie behauptet). Sie ist eine sehr gläubige Frau, Katholikin, aber ohne jeden Hang zur Mystik, und sie hat mir gesagt, sie hätte die Gegenwart des Bösen unter den Geschworenen und im Gerichtssaal gespürt. Ich habe es nicht gespürt, ich war viel zu benommen. Alle Welt und alle Experten hatten mir gesagt, dass ich aufgrund der Beweislage auf keinen Fall verurteilt werden könnte. Selbst der Richter hat das gesagt. Das und anderes.
Eine der Dominikanerinnen von Ganmain hat mir eine handschriftliche Kopie von McAuleys schönem Gedicht In a Late Hour (»Zu später Stunde«) gesandt, das er, glaube ich, für Bob Santamaria35 geschrieben hat. Ich kenne es gut.
McAuley bekennt seine Treue zum Herrn, seine schlichte Dankbarkeit. Ich bin nicht sicher, ob das »Anti-Reich« gesiegt hat, aber es »ist hier«, um es mit seinen Worten zu sagen. Für viele ist, heute noch mehr als damals, »der Sinn für die Natur geschwunden«. Heute »strömt aus Wunden tiefe Bitternis«, und ich vereine mein Gebet mit dem seinen: »Solange das Geheimnis gilt, werde ich dich nicht loslassen.«
McAuley ist mir der liebste unter den australischen Dichtern, und der beste (ich hoffe, Les Murray wird mir verzeihen).
Eine Frau aus Thurgoona hat mir eine Abschrift der Verse 1 bis 11 aus dem zweiten Kapitel des Buches Jesus Sirach gesandt, die Bischof Columba Macbeth-Green empfohlen hatte. Ich konnte mich nicht mehr an diese Stelle erinnern, wo von den Auserwählten die Rede ist, die im Feuer und im Schmelzofen der Erniedrigung geprüft werden. Genau meine Situation.
Mit Ijob geht es zügig voran in den Lesungen im Brevier (der Band für die Fasten- und Osterzeit ist noch nicht eingetroffen): »Er mag mich töten, ich harre auf ihn; doch meine Wege verteidige ich vor ihm« (Ijob 13,15). Er wirft Gott vor, ihn zu verfolgen: Du »zeichnest einen Strich um meiner Füße Sohlen. Er selbst zerfällt wie Verfaultes, dem Kleide gleich, das die Motte fraß« (Ijob 13,27–28). Er erkennt Gottes Übermacht an und bittet darum, dass er ihn in Frieden lassen möge.
Ein ruhiger Tag, der ruhigste bislang, nach dem Mittagessen hatte ich gar keinen Hofgang mehr. Ich habe meine Zelle gefegt, desinfiziert und gewischt und das Pferderennen aus Flemington und Randwick angesehen. Am Abend habe ich umgeschaltet und im SBS eine Sendung über Marokko und über die Renovierung von Big Ben verfolgt. Habe das Totenoffizium für die Seelenruhe von Mike Willesee gebetet.
Mein Herr Jesus, ich bete darum, dass ich das tue, was ich tun soll, während wir uns durch diesen Wirrwarr hindurchkämpfen, damit dein Wille und der Wille des Vaters nicht durch meine Schwäche oder durch mein Fehlverhalten oder durch meine mangelnde Weisheit beeinträchtigt werden.
Ich bete besonders auch für alle, die für mich beten und von denen viele oder alle ihre eigenen großen oder kleinen Kreuze zu tragen haben.