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2)Wilde Jagd

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Ich muss wieder hinab zum Meer, zum einsamen Meer

und dem Himmel / Und ich brauche nur ein großes Schiff

und einen Stern, nach dem ich steuern kann.

John Masefield, Seefieber1

Am Flussufer neben der alten Eisenbahnbrücke belud ich mein Boot. Ich band ein Rolle an ihm fest, die ich aus Haselstangen gemacht, mit orangener Schnur umwickelt und mit einer Auswahl Lamettaködern versehen hatte. Ich zurrte eine Flasche Wasser und einen Holzknüppel an die links und rechts von meinem Sitz angebrachten Schlagleisten und befestigte das Paddel mit einer Leine am Boot: Alles, was nicht festgebunden ist, könnte leicht verloren gehen. In den Taschen meiner Schwimmweste befanden sich Ersatzköder, Wirbel und Gewichte, ein Schokoladenriegel, ein Messer und für den Fall, dass ich gestochen wurde, ein Feuerzeug.

Ich setzte meine Füße in das braune Wasser. Es drang in meine Tauchschuhe ein und durchtränkte meine Socken. Den ganzen Tag lang würde es meine Füße warm halten. Ich stieß das Boot in tieferes Wasser, schwang mich hinein und legte flussabwärts ab. Zwei Brachvögel pickten und stocherten am Ufer entlang. Eine Schwanenfamilie mühte sich, kleine Bugwellen aufwerfend, gegen die Strömung. Bald erreichte ich das schnell sprudelnde Wasser in den Untiefen nach dem ersten Mäander. Wolkig bäumte es sich über den Felsen auf, schoss zwischen ihnen hindurch und zerstob zu gischtigen Mähnen. Ich raste durch die Stromschnellen, hüpfte über die Wasserkissen an den Felsbrocken, fühlte mich lebendig und frei. Dann erreichte der Fluss den Strand, wo er sich zu einem flachen Fächer verbreiterte. Ich fand einen Kanal, der gerade tief genug war, um mich zu tragen, und glitt in die erste Welle hinein, die das Kajak überspülte und mich dann passieren ließ. Die weiteren Brecher schwemmten abwechselnd über den Bug oder hoben das Boot, um es mit einem Beben wieder ins Wasser krachen zu lassen. Ich paddelte mit aller Kraft, tauchte unter, tauchte wieder auf, stürzte in die Wellentäler und schob mich durch die brechenden Wellen in die dahinterliegenden rollenden Wasser.

Ich drehte mich noch einmal um, prägte mir die Landmarken der Küste ein und fuhr auf das offene Meer. Ein schwacher unregelmäßiger Wellengang mit Schaumkronen hie und da. Die Wogen sahen aus wie abgeplatzter Flintstein. Ihre muschelig facettierten Kämme glitzerten im Sonnenlicht. Mir voraus segelte ein Eissturmvogel bis beinahe auf die Wasserfläche hinab, machte eine halbe Rolle und schwang sich wieder fort in die Höhe.

Ich ließ die Leine aus, platzierte die Rolle neben meinen Fuß und führte die Schnur kurz unter dem Knie über mein Bein. Beim Paddeln konnte ich das Blei über die Steine des Riffs holpern fühlen. Hin und wieder spannte sich die Leine und ich zog sie hinauf, fand aber an den Haken nichts als Klumpen krustigen rosafarbenen Korallenmooses oder ledrige Seetangschnüre, die manchmal bis zu vier Meter lang waren. Einen knappen Kilometer von der Küste entfernt überquerte ich eine Schar fliederfarbener Quallen. Sie sahen fast wie Ölflecken aus, eine blasse zweidimensionale Ausfärbung des Wassers, aber hin und wieder hob der Wind sie an und sie stießen fett und gummiartig durch die Oberfläche. Zu Tausenden strömten sie unter dem Boot hindurch. Manche trugen orangefarbene Nematozysten auf ihren Tentakeln. Mit ihren Segmenten und samenartigen Strukturen sahen die Tiere aus wie aufgeplatzte Feigen.

Auf der anderen Seite des Riffs drehte ein Krebsfischer seine einsamen Runden, zog seine Reusen hoch, versah sie mit neuen Ködern und ließ sie wieder an der Leine ins Wasser, während sein Boot langsam von Boje zu Boje tuckerte. Über einen Kilometer Meer hinweg konnte ich den Köder riechen und den Diesel. Der Fischer dampfte wieder in Richtung Küste davon und ich war allein.

Je näher ich dem Rand des Riffs kam, desto höher stieg der Wellengang. Die Leine suchte sich ihren Weg durch das Meer wie eine Erweiterung meiner Sinne, eine an meine Haut geheftete Antenne, die zuckte und zitterte. Von Zeit zu Zeit ruckte die Rolle und auf meinem Knie straffte sich die Schnur, doch wenn ich anhielt und zog, spürte ich, sobald die Welle, die die Leine angehoben hatte, vorbeigerollt war, lediglich das Gewicht zurücksinken. Ich befand mich jetzt einen guten Kilometer, vielleicht etwas mehr, von der Küste entfernt, aber wonach ich suchte, hatte ich noch nicht gefunden. Immer wenn ich damit in Berührung kam, schien es ein bisschen weiter vom Land entfernt als zuvor.

Einen Kilometer hinter dem Riff zog ein Basstölpel an mir vorbei. Er stieg ein paar Meter in die Luft, legte seine Flügel an und stieß wie ein Pfeil ins Wasser, eine Gischtfahne aufwerfend. Er schwamm auf der Oberfläche und verschlang, was er gefangen hatte, flog auf und tauchte erneut. Ich nahm die Verfolgung auf, die Leine aber schlingerte schlaff durch das Wasser. Der Himmel hatte sich zugezogen, der Wind war heftiger geworden und nun begann Regen niederzuprasseln. Das Meer fühlte sich an wie ein halb erstarrtes Gelee.

Ich paddelte drei Stunden lang in westlicher Richtung, direkt hinaus aufs Meer. Das Land war nur noch ein olivgrüner Schmierstreifen, die Küstenstadt im Süden eine undeutliche, blasse Linie. Die Wellen nahmen an Höhe zu und der Regen prasselte in mein Gesicht wie Vogelschrot. Ich hatte mich nun zehn, elf Kilometer weit von der Küste entfernt, weiter als je zuvor. Aber noch immer hatte ich den Platz nicht gefunden.

Am Horizont entdeckte ich eine Schar dunkler Vögel. Überzeugt, dass sie auf Fische gestoßen waren, erhöhte ich mein Tempo auf Rammgeschwindigkeit. Die Vögel verschwanden, tauchten wieder auf, wirbelten ein paar Fuß über dem Wasser. Beim Näherkommen sah ich, dass es Sturmtaucher waren, etwa fünfzig an der Zahl, die aufstiegen, kehrtmachten und wieder auf dem Meer landeten. Eine Handvoll Vögel löste sich aus der Schar und umkreiste mich. Ihre samtig schwarzen Flügel streiften beinahe die Wellen. Sie waren so nahe, dass ich den Schimmer in ihren Augen sehen konnte. Sie fraßen nicht – hielten bloß Ausschau. Das vage Einsamkeitsgefühl, das mich beschlichen hatte, je weiter ich mich vom Land entfernte, zerstreute sich.

Die Vögel ließen sich wieder auf dem Wasser nieder und ich hielt nur wenig entfernt von ihnen an. Kein Geräusch war zu hören, nur das Schlagen der Wellen und der Wind, der in hohen Tönen und kaum vernehmbar durch am Boot befestigte Gummischnüre pfiff. Die Vögel waren stumm.

Jedes Mal, wenn ich auf das Meer hinausfahre, suche ich nach diesem bestimmten Platz, einem Platz, an dem ich eine Art Frieden spüre, wie ich ihn auf dem Land nie erlebt habe. Andere finden ihn in den Bergen, in Wüsten oder in der methodischen Ruhigstellung ihrer Gedanken durch Meditation. Mein Platz jedoch war hier; ein Hier, das stets anderswo war, sich aber immer gleich anfühlte; ein Hier, das sich mit jeder Ausfahrt weiter von der Küste zu entfernen schien. Auf meinen Handrücken hatte das Salz Krusten gebildet, meine Finger waren rissig und runzelig. In meinen Gedanken verfing sich der Wind, von den Wellen wurde ich geschaukelt. Nichts existierte außer dem Meer, den Vögeln, der Brise. Mein Kopf war wie leer geblasen.

Ich legte mein Paddel ab und beobachtete die Vögel. Sie traten das Wasser, hielten die Distanz zwischen uns. Regen trommelte in Böen gegen meine Stirn. Die Wellen, die jetzt höher waren, hoben Bug und Heck und schwangen das Kajak herum: Ich musste das Paddel wieder in die Hand nehmen und das Boot gelegentlich in den Wind drehen. Auf der Oberfläche der Wellen ließen die Regentropfen kleine Sporne emporwachsen. Hier war mein Schrein, ein Ort der Geborgenheit, wo mich das Wasser wiegte, an dem ich mich von Wissen frei machte.

Nach einer Weile bewegte ich mich langsam nach Süden parallel zu der in der Ferne liegenden Küste. Ich fuhr etwa anderthalb Kilometer, hörte mit dem Paddeln auf und ließ mich vom Wind tragen. Ich hätte mich bis ans Land treiben lassen können, aber mir wurde kalt und ich nahm das Paddeln wieder auf. Ich war jetzt so müde, dass das Meer, obwohl ich den Wind im Rücken hatte, sich holprig und steif anfühlte.

Etwa fünf Kilometer von der Küste entfernt kam ich an zwei Lummen vorbei; sie tauchten ihre Schnäbel ins Wasser und richteten sich gelegentlich auf, um mit ihren Flügeln zu schlagen. Als ich an ihnen vorbeipaddelte, streckten sie ihre Köpfe in die Luft und beobachteten mich aus ihren Augenwinkeln, ohne jedoch vom Meer aufzufliegen. Gleich danach spürte ich ein scharfes unmissverständliches Zerren an meinem Knie. Ich riss an der Leine und holte sie Hand um Hand ein. Ich meinte fast, so etwas wie das elektrische Sirren der Schnur zu hören. Als das Vorfach in Bootsnähe kam, ruckte es wie verrückt hin und her. Tief unten im Grün sah ich etwas Weißes aufblitzen und kurz darauf zog ich den Fisch ins Boot. Er hüpfte über das Deck und trommelte dann mit raschen Zuckungen auf das Plastik. Ich brach ihm das Genick.

Der Rücken der Makrele hatte das gleiche tiefe Smaragdgrün wie das Wasser, war mit schwarzen Streifen versehen, die auf dem Kopf aufbrachen und verwirbelten. Der Bauch war weiß und gespannt, verengte sich zu einem schlanken Stiel und dem knapp gegabelten Schwanz eines Mauerseglers. Das Auge des Fischs war eine Scheibe aus kaltem Gagat. Mein Raubtiergenosse, kaltblütiger Dämon, mein Bruder und Schüler des Orion.

Einen guten Kilometer weiter fühlte ich erneut ein kaum merkliches Zucken an der Leine. Ich nahm sie auf und zog, aber da war nichts. Ich zog erneut und sie wurde mir fast aus der Hand gerissen. Was auch immer daran gezupft hatte, es war zurückgekommen, als es die Köder aufsteigen sah. Es fühlte sich anders an: schwerer und nicht so ungleichmäßig. Das aufblitzende Weiß zeigte mir, dass ich drei Fische hatte – die komplette Hakenreihe. Ich holte sie ein, versuchte, als sie auf dem Boot landeten und sich herumwarfen, die Leine freizuhalten: Eine kurze Unaufmerksamkeit und ich wäre zwanzig Minuten mit der verhedderten Schnur beschäftigt. Sobald ich die Fische verstaut hatte, wendete ich das Boot und paddelte dorthin zurück, wo sie mir an den Haken gegangen waren. Ich kreiste auf dem Wasser, konnte aber keinen Schwarm entdecken.

Ich aß meine Schokolade und paddelte weiter. Einen Moment lang brach die Sonne durch und das Meer verwandelte sich in frisch geschmolzenes Blei. Dann zogen sich die Wolken wieder zu und es regnete erneut.

Einen knappen Kilometer vor der Küste traf ich auf einen kleinen Schwarm und zog ein halbes Dutzend Makrelen ins Boot. Dann fand ich mich in einem Band voller Quallen wieder, die stellenweise so dicht gepackt waren, dass es kaum noch Wasser zu geben schien. Sie zogen unter meinem Boot in einer gerade mal einen Meter breiten Kolonne hinaus aufs offene Meer. Sporadisch kamen die Makrelen nach oben, in Zweier- und Dreiergruppen. Eine Strömungslinie vielleicht, was erklären würde, warum die Raubfische sich um diesen Streifen geschart hatten: Wie die Quallen war das Plankton von einer sanften Kabbelung zusammengetrieben worden und die Beutefische waren ihm gefolgt.

Ich sah den Mondquallen zu, die übereinanderrollten wie die Blasen in einer Lavalampe. An einer Stelle war die Prozession unterbrochen. Ein paar Meter klares Wasser, dann zuckte ich angesichts einer blassen hässlichen Qualle etwas zusammen, ein monströses und gespenstisches Ding, das das nächste Bataillon anführte. Ich brauchte einen Moment, bis ich erkannte, dass es sich um eine Plastiktüte handelte, vom Wasser prall aufgeblasen, der Quallenkönig, dem die Untertanen hinaus in die See folgten.

Ich trieb mit ihnen, lupfte und senkte die Leine. Sobald ich paddelte, stießen die Quallen gegen die Schnur, was mich wieder anhalten ließ, um das Signal zu überprüfen, um zu sehen, welche Lebensform ihre Botschaft aus dem Dunkel heraufmorste. Eine Schwarmkugel entdeckte ich nicht.

Warum die Makrele in jenem Jahr so spärlich erschienen war, darüber gab es wie häufig bei solchen Dingen ebenso viele Meinungen, wie es Leute gab, die man fragen konnte. Ein Fischhändler vor Ort berichtete mir sehr überzeugend von einem monströsen Schiff, das in der Irischen See unterwegs sei und nicht mit einem Netz, sondern mit einem Vakuumschlauch arbeitete, der die Makrelen und alles, was ihm sonst noch in den Weg kommt, aufsauge. Das Ganze würde dann zu Fischmehl vermahlen und als Dünger und Tierfutter verwendet. Das Schiff habe eine von der Umweltbehörde ausgestellte Lizenz und dürfe 500 Tonnen Makrelen pro Tag fangen und habe zudem von der Europäischen Kommission Subventionen in Höhe von 13 Millionen Pfund erhalten. Ich überprüfte die Geschichte und stellte rasch fest, dass die Umweltbehörde auf See keine Rechtskraft hat, dass Vakuumschläuche nicht zum Fischen eingesetzt wurden, sondern um den Fang aus den Netzen zu saugen, dass in der Irischen See keine Fischmehloperation im Gange war und dass es kein einziges Schiff mit einer Lizenz über so viele Tonnen gibt. Ansonsten aber war die Erklärung makellos.

Andere schrieben die Schuld den Delfinen zu, die in jenem Jahr in größerer Zahl als sonst in die Bucht gekommen seien (die Aufzeichnungen belegen eher das Gegenteil), oder den seit Ende Mai vorherrschenden Nordwestwinden, die wohl die Schwärme auseinandergerissen hätten. Einige Leute verwiesen auf die sogenannten schwarzen Anlandungen durch eine Gruppe betrügerischer Fischer aus Schottland (sie hätten über die Quote hinaus Makrelen und Heringe im Wert von 63 Millionen Pfund angelandet),2 andere auf das Versagen der Europäischen Union, Norwegens, Islands und der Faröer, die jetzt, da die Schwärme im Winter weiter gen Norden zögen, falsche Entscheidungen hinsichtlich der Fangmengen der einzelnen Nationen getroffen hätten;3 oder es wurde der Überfischung der Biskaya durch die spanische Fischereiflotte zugeschrieben, die vor Kurzem fast das Doppelte der erlaubten Quote in ihren Netzen gehabt hätte.

Ich konnte bislang nicht mit Sicherheit feststellen, ob die in die Cardigan Bay wandernden Fische zu der gleichen Population gehören wie die, die in anderen Gewässern einem immensen Fangdruck ausgesetzt waren. Jedenfalls sind die in die Bucht kommenden Makrelen selbst in besseren Jahren, wenn man in etwa einer Stunde 100 oder 200 Fische an Bord ziehen kann, die zerfledderten Reste einer einst gewaltigen Population. Sie könnten sich noch daran erinnern, sagen die örtlichen Fischer, dass die Schwärme früher bis zu fünf Kilometer lang gewesen seien; heute könne man von Glück reden, wenn man einem Schwarm begegnet, der hundert Meter lang ist. Die Europäische Union klassifiziert den Makrelenbestand in der Irischen See als »innerhalb sicherer biologischer Grenzen«,4 was allerdings mehr über unsere verminderten Erwartungen hinsichtlich einer gesunden Population als über den Zustand der Art aussagt.

Ein weiteres Stoßen an der Leine, und ich zog einen kleinen braunen Fisch heraus. Ich zögerte, bevor ich ihn ins Boot schwang. An diesem Küstenstrich werden braune Fische nur mit Vorsicht eingeholt, denn sie könnten zu der für Angler gefährlichsten Art in britischen Gewässern gehören.

Zum ersten Mal kaschte ich einen bei meiner Jungfernfahrt in die Cardigan Bay. Ich hatte Makrelen gefangen, die wild herumschlugen, als ich sie am Haken hatte. Aber dieses Ding blieb unten und schüttelte den Kopf. Die Schwingungen waren über die Leine zu spüren. Ich brachte es an die Oberfläche und sah, dass es 40 bis 50 Zentimeter lang war, eher bleich und braun-weiß gefleckt.

Als ich es aus dem Wasser zog, begann es sich wie verrückt hinund herzuwerfen. Ich schwang es in Richtung meiner freien Hand, aber gerade als ich es ergreifen wollte, schrillte ein uralter, tief in den Basalganglien eingegrabener Alarm. Ich ließ den Fisch in das Boot fallen und inspizierte ihn, als er auf dem Deck zappelte. Ich hatte gedacht, jede in den britischen Gewässern vorkommende Art zu kennen, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen. Ein grün und purpur leuchtender Flossensaum lief den ganzen Körper entlang. Die Seiten waren mit Schlängellinien gezeichnet, Glupschaugen oben auf seinem Kopf und ein riesiges nach oben gerichtetes Maul. Dann, plötzlich, von einem lang vergessenen Buch oder Plakat herrührend, hatte ich den Namen im Kopf.

Es gab zwei Arten. Der Fisch gehörte nicht der kleineren Art an, die sich bei Ebbe im Sand versteckt und die Ferien von barfuß laufenden Kindern ruinieren kann. Es war ein Großes Petermännchen, das, wie ich später gelesen habe, erwachsene Männer vor Schmerz zum Weinen und Toben bringt. Wie die Viperqueise, die kleinere Art, besaß es drei giftbewehrte Stachel in seiner Rückenflosse und eine auf jedem Kiemendeckel. Wenn ein Stich nicht gleich behandelt wird, können die Schmerzen über Tage andauern. Eine Frau aus der Gegend, die auf einem gecharterten Boot angelte, setzte sich aus Versehen auf einen dieser Fische, den jemand auf Deck abgelegt hatte, und musste sechs Wochen im Rollstuhl verbringen. Ich habe einen Mann getroffen, der sechs Monate lang seine linke Hand nicht bewegen konnte. Es sind nur wenige Todesfälle durch Petermännchen bekannt, doch wenn man in einem Kajak gestochen wird und keine Gegenmittel zur Verfügung hat, wird man kaum aus eigener Kraft zurück an Land gelangen. Schmerz und Schock machen das Paddeln absolut unmöglich.

Nachdem ich fast aus dem Boot gefallen war, schaffte ich es, das seltsame Geschöpf vom Haken zu schütteln. Seither habe ich stets einen Holzknüppel dabei. Wann immer ich ein Petermännchen fange, ziehe ich es gegen die Seite des Kajaks und verpasse ihm einen heftigen Schlag. Es hat festes weißes Fleisch, das eine exzellente Bouillabaisse oder ein hervorragendes Curry ergibt. Im Mittelmeer dürfen die Angler auf den Charterbooten alle Fische, die sie fangen, behalten – mit Ausnahme der Petermännchen, die die Crew für sich beansprucht.

In der Saison zuvor gab es Zeiten, an denen ich Petermännchen in größerer Zahl geangelt habe als Makrelen. Auf dem Boot bin ich nie gestochen worden, doch eines Tages, als ich, zurück am Ufer, den Fisch filetierte, während mein Partner ein Feuer in den Dünen machte, rutsche ich mit der Hand aus und rammte meinen Daumen in einen Stachel. Es fühlte sich an, als hätte ich meinen Daumen auf eine Werkbank platziert, einen Hammer geschwungen und so heftig wie möglich zugeschlagen. Ich erstarrte vor Schmerz und spürte voller Panik eine sich durch den Arm über die Schulter bis zur Brust ausbreitende Taubheit. Obwohl mein Gehirn von rotglühendem Schmerz überflutet war, begann es zu arbeiten. Die Stiche von Petermännchen werden am besten mit heißem Wasser behandelt, was so schnell wie möglich geschehen muss. Am Strand gab es kein heißes Wasser. Da aber Haut wasserabweisend ist, konnte der erwünschte Effekt nicht vom Wasser ausgehen. Es musste die Hitze sein. Das Gift musste hitzeempfindlich sein. Und es spielte keine Rolle, woher die Hitze kam. Wo gab es Hitze? Mit nervösem Blick suchte ich die Gegend ab und sah den Rauch zwischen den Dünen aufsteigen.

Ich rannte, über meinen Arm gebeugt, den Strand hinauf, sprang über die Dünen und stieß meinen Daumen in die Flammen. Mein Partner starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Doch die Wirkung war bemerkenswert. Binnen einer Minute begann der Schmerz abzuklingen. Ich hielt meinen Daumen so nah ans Feuer, dass er beinahe versengte; der von den Flammen verursachte Schmerz war weniger heftig als der vom Gift herrührende. Schon bald beruhigten sich meine in Aufruhr befindlichen Nerven. Die Taubheit ließ nach und innerhalb einer halben Stunde fühlte ich mich wieder so wohl wie vor dem Moment, als ich mir den Stachel eingerammt hatte.

Bei dem Fisch allerdings, den ich nun ins Boot zog, handelte es sich nicht um ein Petermännchen. Er hatte eine hohe rechteckige Stirn, ein zartes schnabelförmiges Maul, damastene, kastanienbraune und mit Gold durchsetzte Flanken sowie zinnoberrote Flossen mit türkisen Flecken in der Form spanischer Fächer. Unter der Kehle befanden sich lange knochige Finger, mit denen er die Sedimente nach Nahrung abtastet. Von vorne gesehen sah der rote Knurrhahn wie eine Gans aus, seine Augen saßen seitlich und hoch angesetzt auf seinem beschnabelten Kopf. Von der Seite war er so hübsch wie ein Aquarienfisch. Ich ließ ihn frei und er huschte zurück in die Tiefe.

Ein paar hundert Meter von der Stelle, an der ich mich befand, brachen die Wellen auf dem Kies. Noch immer die Leine hinter mir her ziehend, mühte ich mich mit schweren Armen und vor Anstrengung zitternden Beinen Richtung Norden, wo eine Reihe weißer Brecher den Rand des Riffs markierte. Ich wickelte die Schnur auf die Rolle, sicherte die Haken und verstaute sie. Kurz darauf passierte ich die Salzgrenze. Eine säuberliche weiße Linie aus Schaum. Auf der einen Seite war das Wasser grün und klar; auf der anderen war es braun und trübe: Aus dem Fluss strömte Süßwasser und drang, sich ausfächernd, ins Meer vor. Der Farbwechsel war so abrupt wie auf einem Diagramm.

Ich torkelte durch die brechenden Wellen. Sie schlugen gegen die Felsbrocken in der Flussmündung. Sie schubsten das hintere Ende meines Bootes herum und drohten, mich breitseits in die felsige Brandung zu drücken. Ich wurde von dem Ende einer großen rollenden Welle erfasst; sie drehte mich und mein Bug knallte auf einen Felsen. Ich paddelte rückwärts, glitt durch den nächsten Brecher und fand schließlich zwischen zwei Wellen einen Durchgang. Ich drückte mein Paddel ins Wasser und schob mich in die Flussmündung hinein. Aufgrund der steigenden Tide hatte das Wildwasser im Fluss an Tempo verloren und ich vermochte, mich an die Innenseite der Mäander haltend, gegen es anzupaddeln. Kleine Plattfische schossen unter dem Bootsrumpf davon. Nach ein paar hundert Metern stieg das Flussbett an und das Wasser gewann an Macht. Ich paddelte mit aller Kraft, kam aber schon bald nicht mehr vorwärts. Ich klemmte das Paddel zwischen die Steine und glitt aus dem Boot. Müde und erschöpft, wie ich war, verlor ich den Halt, fiel Kopf voran ins Wasser und verfing mich mit dem Handgelenk in der Paddelleine. Das Boot trieb flussabwärts und zog mich mit sich. Ich strampelte, bis ich die Leine zu fassen bekam, und befreite mich, gerade als mein Gesicht unter Wasser gedrückt wurde. Dann stürzte ich den Fluss hinab, um das Kajak einzufangen. Ich drehte es um und watete wieder flussaufwärts, war aber so müde, dass ich mich kaum gegen das Wasser stemmen konnte.

In dem ruhigeren Wasser unter der Eisenbahnbrücke zog ich das Heck auf das Ufer und rüttelte das Boot, damit die Fische bis zur vorderen Luke glitten. Ihr Rücken hatte sich in ein dunkles Aquamarin verfärbt und der Bauch hatte ein irisierendes Rosa angenommen. Sie glühten im Abendlicht.

Ich holte ein Brett aus dem Wagen sowie ein weiteres Messer. Ich filetierte eine Makrele, legte die helle, durchscheinende Mittelgräte frei, heftete das Filet am Schwanzende mit meinem Taschenmesser an das Brett und häutete es mit dem anderen Messer. Das Fleisch schmeckte nach rohem Steak. Ich filetierte noch zwei weitere Fische und aß sie. Ich saß noch eine Weile an der Flussböschung, sah den Meeräschen zu, wie sie die Wasseroberfläche kräuselten, und den Krähen, die für einen kurzen Moment auf der rostigen Brücke landeten und wieder davonflatterten, wenn sie mich entdeckten. Die restlichen Fische nahm ich aus. Es war kein großer Fang, aber in diesem Sommer war es das erste Mal auf dem Boot, dass ich mehr Energie gefangen hatte, als ich verbraucht hatte.

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