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4. Kapitel

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24. Januar 2006


Die Headline der Tageszeitung am Kiosk des alten Lewin stach Fedor Artjomowitsch Smirnov in die Augen, als er auf dem Karl-Liebknecht-Ring kommend kurz vor elf vor dem Haus der Escort-Agentur Les belles de Nuit in Greifswald eintraf.


»Russische Kälte«: Deutschland friert

Die niedrigste Temperatur im Flachland des Januars 2006 wurde am gestrigen Montag, dem 23. Januar 2006, mit -23,6 °C in Ueckermünde gemessen.

Der Januar 2006 wurde der 20. kälteste Januar seit 1901. Die eisige Kälte hat erste Todesopfer gefordert. In Wolfen in Sachsen-Anhalt starb am Sonntagabend eine 74 Jahre alte Frau an Unterkühlung, wie die Polizei Dessau am Montag mitteilte. Die gehbehinderte Frau war auf dem Weg zum Briefkasten im Vorgarten ihres Hauses gestürzt und konnte ohne fremde Hilfe nicht mehr aufstehen.

Auch auf Usedom wurde die Leiche einer jungen Frau gefunden.

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Dass es für mitteleuropäische Breitengrade sehr kalt war, hatte er schon gemerkt, als er zur Tiefgarage ging. Der globale Markt für Luxusmarkenware boomte. Also trug er einen hamsterfellgefütterten Mantel, den er in Zürich für knapp zweitausend Stutz erstanden hatte, und einen Laco-Wendeschal für 175 Euro. Er fühlte sich wohl bei dem Gedanken, auf der Seite derer zu stehen, die auf eine Goldader gestoßen waren.

Es hatte wieder angefangen, in kleinen Flocken zu schneien. Als er den Wagen abgestellt hatte, ging er zurück bis zu dem Kiosk und erwarb die Zeitung, so, wie er es an jedem Tag zu machen pflegte, wenn er hier ins Büro ging. Lewin hatte Handschuhe an und fror in seinem kleinen Kiosk. Smirnov sah die rot gefrorene Nase des Mannes und machte einen Scherz. »Hättest zu Haus bleiben sollen bei dem Wetter. Jetzt kann ich Väterchen Frost zu dir sagen, Lewin.«

Als er die Zeitung schließlich aufschlug, erstarrte er. Auf der linken Innenseite war das Gesicht Anastasijas abgebildet.

Der relativ kurze Einspalter trug die Überschrift:


Wer kennt diese Frau?

Am 23. Januar fand eine Jagdgesellschaft in den staatlichen Forsten zwischen Ahlbeck und Świnoujście die Leiche dieser Frau. Wer kennt die Frau, kann Angaben zu ihrer Herkunft und ihrem Wohnort machen?

Angaben oder Hinweise nimmt jede Polizeidienststelle entgegen.


Smirnov war blass geworden, faltete schnell die Zeitung zusammen, nickte dem Alten noch einmal zu und ging nachdenklich die wenigen Meter zum Hauseingang. Er fuhr mit dem Lift in den zweiten Stock. Nur ein unscheinbares, kleines Messingschild an der Tür, »Agentur Les belles de Nuit« ließ darauf schließen, dass es eine lukrative Einrichtung war. Sex der Extraklasse ließ sich, wie in allen Teilen der Welt, gut verkaufen. In Deutschland besonders gut.

Smirnov empfahl allen Freunden und Geschäftspartnern bei ihrem Besuch in Deutschland die exzellenten Frauen aus diesem Etablissement. Seinem deutschen Partner Lionel Wohlfahrt hatte er den Laden nur finanziert, um seine Einkünfte gegenüber dem deutschen Finanzamt belegen zu können. Und so überließ er auch weitgehend das Dirigat der Agentur seinem Kompagnon, der als alleiniger Geschäftsführer 61 Prozent der Stammeinlagen hielt. Aus gutem Grund hielt sich der Russe, mit Ausnahme seiner heimatlichen Kontaktvermittlungen, diskret zurück.

Im Hauptraum der Wohnung gab es drei Zimmer und eine Küche. Links neben dem Eingang saßen zwei junge Frauen, die den Telefondienst verrichteten, die Einsätze der Mädchen koordinierten und den Kaffee für Wohlfahrt und Smirnov kochten. Im zweiten Raum hielt sich eine etwas ältere Frau mit großem Geschick für Abrechnung und Buchhaltung auf. Im dritten Raum residierten Wohlfahrt und, wenn er denn da war, Smirnov.

Smirnov grüßte flüchtig die beiden jungen Frauen, die sich gerade über private Angelegenheiten unterhielten und Kaffee tranken. Aber so war das. Manchmal ging das Telefon den ganzen Tag, und ein anderes Mal waren die Mädels nicht ausgelastet. Heute war so ein Tag. Als wäre die Kälte schuld an der Misere, stand das Telefon still.

»Dass du bei dem Wetter überhaupt kommst«, stellte Wohlfahrt fest, als Smirnov eintrat, seinen Mantel ablegte und ihn sorgfältig in den Schrank hängte.

Er ging zurück und schloss die Tür. »Scheinbar sind die Telefonleitungen eingefroren. Die Mädels langweilen sich«, sagte er vorwurfsvoll.

Wohlfahrt zuckte mit den Schultern. »Was soll ich machen? Wir haben gestern sehr schöne Buchungen reinbekommen. Es sieht also gar nicht so mies aus in diesem Monat.«

»Gestern war seit vielen Jahren der kälteste Tag in Deutschland. Das macht sich heute bei den Buchungen bemerkbar. Und hier gibt es noch eine schlechte Nachricht«, sagte Smirnov und faltete die Zeitung auseinander.

Wohlfahrt starrte auf das Bild. »Anastasija?« , fragte er gedehnt.

»Ja.«

»Ich habe mich schon gewundert, wo sie so lange blieb.«

»Sie hatte mit ihrer Psyche zu kämpfen«, erklärte Smirnov. »Deshalb wollte sie auch nicht mehr für die Agentur arbeiten.«

»Und du hast dich um sie gekümmert«, stellte Wohlfahrt fest.

»Bis zum 7. Januar, Lionel. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen, denn ich bin noch in der Nacht zum 8. für knapp drei Wochen ab Berlin nach Moskau und Sankt Petersburg geflogen. Und meine Anrufe bei ihr blieben ohne Erfolg.«

Wohlfahrt sah noch einmal auf das Bild in der Zeitung. »Es ist schon eigenartig, eine Freundin plötzlich tot zu wissen.«

»Ja.«

»Du hast sie wirklich nicht gesehen?«

»Nein.«

»Aber du weißt schon, dass es eine Frage der Zeit ist, wann die Polizei hier auftaucht.«

»Denen kann ich auch nichts anderes sagen.«

»Ich besorge uns erst einmal einen Kaffee.« Wohlfahrt stand auf und ging hinaus.

Smirnov nahm sein Handy aus der Tasche, nahm den Chip heraus und legte einen anderen ein, der nicht zu ihm zurückzuverfolgen war. Dann drückte er die Kurzwahltaste.

»Здравствуйте Борис … Анастасия была найдена мертвой в лесу – hallo Boris … Anastasija ist in einem Waldstück tot gefunden worden«, begann Smirnov die kurze Unterhaltung. »Was hast du damit zu tun?«

»Я ничего не сделал – ich, gar nichts!«

»Warum hast du mir nichts gesagt, als wir uns getroffen haben?«

»Weil man es mir verboten hatte.«

»Ich traue dir nicht mehr, Boris Iwanowitsch Wolkow. Du bist ein Wolf, wie dein Name schon sagt. Ich rufe später noch einmal zurück!« Smirnov unterbrach ärgerlich die Leitung, weil Wohlfahrt zurückkam.

Wohlfahrt bugsierte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee. Mit dem Fuß schob er die Türe zu. »Wir bekommen gleich noch eine ganze Kanne.« Er sah, wie sein Kompagnon den Chip aus seinem Handy nahm und in die Jackentasche steckte.

»Du weißt von nichts«, sagte Smirnov. »Nur dass ich im Urlaub zu Hause war.«

Monet und der Tod auf der Insel

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