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5. Kapitel

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Sonntag, 22. Januar 2006


In dem kleinen Haus Loddin wurde es wieder kalt.

»Die Heizung ist schon wieder ausgefallen«, sagte Larsson ärgerlich. »Versuch noch einmal, den Notdienst anzurufen, Monika.« Er stand auf und ging in den Heizungsraum. Dort stellte er fest, dass die Düse abermals verstopft war. Er machte sie zum zweiten Mal sauber, und wenig später arbeitete der Kessel wieder. Aber wie lange?

»Ich habe nur die Frau erreicht«, sagte Monika, als Larsson wieder ins Wohnzimmer kam. »Sie sagte, ihr Mann sei schon seit dem frühen Morgen unterwegs, um defekte Anlagen wieder in Gang zu bringen. Ganz schlimm hätte es eins der großen Hotels in den Kaiserbädern getroffen.«

»Das Einzige, was mich interessiert, ist, dass es bei uns warm ist«, maulte Larsson.

Monika Larsson deckte den Tisch. Dieses Mal hatte sie ein Ossobuco mit Rosinen gemacht. Es war ein Rezept, das sie von einer Freundin übernommen hatte, die es von einer Romreise mitgebracht hatte.

»Nun komm schon, mein großer Held«, sagte sie, »sonst wird das Essen noch kalt.«

»Wie das riecht! Da läuft mir schon das Wasser im Munde zusammen.« Larsson setzte sich, Monika legte vor und stellte den Teller vor ihm auf den Tisch. »Guten Appetit!«

»Habe du auch einen guten Appetit!« Larsson führte die erste Gabel mit einem der Fleischstücke in den Mund, die sich wunderbar leicht von dem Knochen ablösten. »Wundervoll«, schwärmte er.

Das Telefon läutete im Flur.

»Lass es läuten. Wir essen erst einmal.«

Als das Telefon keine Ruhe gab, schob Larsson den Stuhl zurück und ging hinaus in den Flur.

Es klang nicht übermäßig begeistert, als er zurückkam und sagte: »Der Kriminaldauerdienst … ich soll nach Ahlbeck fahren. Man hat eine tote Frau im Landesforst gefunden. Die Spurensicherung ist schon unterwegs.« Er setzte sich und aß schnell seinen Teller leer. Noch während des Essens telefonierte er mit Andresen, der versprach, sofort zu kommen. Simons konnte er nicht erreichen.

Wenig später machte er sich auf den Weg.

Der Staatsforst von Ahlbeck reicht bis unmittelbar an die Grenze zu Polen. Im Norden Wald, der nach weniger als 950 Metern an die Ostsee grenzt, rechts ebenfalls dichter Wald, der etwa zweieinhalb Kilometer südwestlich den Wolgastsee an der Grenze zu Polen umgeht, um dann, bis auf die Höhe der kleinen Gemeinde Garz, hin und wieder von leichter Sumpflandschaft durchzogen zu werden. Es ist ein Gebiet, das von Schwarzwild sehr geliebt wird.

Larsson suchte die letzte Einfahrt rechts vor der Grenze nach Świnoujście, die in den Landesforst führte und für den Individualverkehr gesperrt war.

In den letzten zwei Wochen hatte es so oft und viel gescheit, dass man manchmal meinte, die Luft selbst würde aus kleinen Eiskristallen bestehen. Die Menge des Schnees war so ungeheuer, der Schnee so schwer, dass selbst Äste großer Bäume abbrachen, auch Telegrafendrähte und Überlandstromverbindungen dem Gewicht nicht mehr standhielten.

An diesem Tag parkten eine Menge Autos auf der Waldstrecke; von diesem Weg machten normalerweise nur zwei Gruppen Gebrauch – die Forstleute und der private Jäger, der die Bejagung des Waldes angepachtet hatte und Waidgruppen aus ganz Deutschland an das bejagbare Wild heranführte. Zu diesem Zweck legte er tagelang kleine Futterstrecken an, die dann vom Schwarz- oder Rehwild genutzt wurden, sodass sie den Jägern vor die Flinte liefen. Manchmal veranstaltete er auch Drückjagden, so wie in diesem Winter. Da das mit anderen Jagdpächtern in deren Revieren ebenso gehandhabt wurde, waren an diesem Jagdtag auch Jäger aus der Region Usedom mit von der Partie.

Langsam schob sich der Dienst-Passat Larssons in den Wald hinein. Er folgte den Reifenspuren, die reichlich vorhanden waren. Kurz hinter einer leichten Biegung fand Larsson eine weitere große Ansammlung von Fahrzeugen, Geländewagen meist, die zwar die Schneise befahrbar gemacht hatten, an denen er sich aber nur mühsam vorbeidrücken konnte. Am Ende, in der Mitte des Weges, stand auch der alte T4 der Spurensicherung.

Linksseitig hatten die Jäger einige geschossene Tiere aufgereiht. In den Mäulern sah Larsson abgebrochene Zweige, als Zeichen der Ehrung für die getöteten Tiere. Um die Tiere standen eine Gruppe von Männern und eine Frau, die sich lebhaft unterhielten. An verschiedenen Bäumen waren Jagdhunde angebunden. Eine große, grau-braune Hündin stand neben ihrem Herrn, einem großen Mann um die sechzig. Die Strecke bestand aus sieben Stück Rehwild, zwei Stück Rotwild, darunter ein Hirsch, und 14 Schweinen mit einem kapitalen Keiler. Ganz am Ende der Strecke lag ein Fuchs.

Larsson stieg aus dem Wagen und ging an die Gruppe heran. »Das hat sich ja richtig gelohnt«, sagte er mit dem Blick auf die Jagdstrecke. Er erkannte zwei Hoteliers aus den Kaiserbädern. Auch einen Kleinunternehmer, der mehr oder weniger erfolgreich in der Logistikbranche tätig war, und den Larsson in einer anderen Sache befragt hatte, konnte er unter der Gruppe erkennen, und zwei, drei andere bekannte Gesichter.

Die Leute hatten in einer kleinen Mulde ein Feuer gemacht, an dem sie sich wärmten, und einen Grill aufgebaut, auf dem Fleisch zubereitet wurde. Der Geruch stieg Larsson in die Nase. Aus einem Thermokessel wurde ein heißes Getränk ausgeschenkt.

Die Männer der Spurensicherung waren noch dabei, ihre Ausrüstungen aus dem T4 auszuladen.

»Hallo«, sagte Larsson aufgeräumt. »Ist der Kollege Maier heute mit von der Partie?«

»Der Chef ist mit dem Kollegen Andresen und drei der Jäger schon vorausgegangen, um sich den Fundort anzusehen«, sagte Oberkommissar Bremer. Er deutete auf einen alleinstehenden Mann, der zwischen dem Nachfolgewagen des T4 und einem schweren Isuzu-Bighorn stand und sie beobachtete. »Der Mann wird uns hinbringen.«

Larsson ging zurück zu dem Jäger, der sie in den Wald bringen sollte. »Hallo«, sagte er. »Mein Name ist Larsson von der Kriminalpolizei Heringsdorf. Ist der Fundort weit von hier?«

»Gut zweihundert Meter ins Moorgebiet rein. Der Boden ist zwar gefroren, die Schneise dahin dennoch zu eng, um mit den Fahrzeugen hinzukommen.«

Larsson fiel die Streckenführung des Waldlehrpfades nahe Pudagla ein, den er mit Monika im Herbst bewandert hatte. Dort waren die seltenen Baumarten wie Riesenlebensbaum, Bankskiefer, Weymouthskiefer, Sitkafichte oder Weißtanne mit zum Teil starken Umfängen immer wieder beeindruckend für sie gewesen. Hier gab es nur einen Teil davon.

»Die Herren von der Spurensicherung sind gleich fertig. Aber wenn Sie mir die Richtung sagen …«

Der Mann zeigte auf einen engen Schlauch, der in den Wald hineinführte. »Es gibt aber viele Spuren dort, die wir hinterlassen haben. Es ist eben eine Drückjagd, da gehen überall Spuren hin.«

Vom T4 rief Bremer: »Wir sind gleich so weit!«

»Na dann«, sagte Larsson. »Vertrauen wir darauf, dass Sie uns gut hinbringen.«

Zum ersten Mal zeigte der Mann, der um die fünfzig zu sein schien, ein Lächeln. Dann stapften sie los.

Nach gut hundert Metern verließen sie die Schneise und gingen in den Waldschlag hinein. Trotz der Wintervegetation des Gestrüpps wurde der Weg beschwerlich, als sie eine Lichtung überqueren mussten.

»Hier ist es im Sommer verdammt sumpfig«, sagte der Begleiter. »Wir bewegen uns zu dieser Zeit dann nur sehr ungern hier, obwohl es ein gutes Gebiet für die Wildschweine ist. Die fühlen sich wohl, wenn sie eine Suhle haben.«

Die Jäger standen um Hauptkommissar Paul Maier und diskutierten eifrig mit ihm, als die Gruppe um Larsson auf sie stieß. Andresen kniete neben der Leiche.

»Ich weiß nicht, was wir hier noch finden sollen«, maulte Maier grußlos. »Es gibt kaum noch Spuren, weil hier eine Gruppenbesichtigung der Leiche stattgefunden hat.«

Larsson trat näher heran, sah, dass man etwas Schnee hatte beseitigen müssen, um die Leiche der Frau ganz freizulegen. »Ist sie bewegt worden?« , fragte er Andresen.

»Bestimmt nicht«, sagte einer der Jäger.

»Sicher?« , fragte Andresen.

Der Mann nickte, ohne etwas zu sagen.

Maier begann Fotos zu machen. »Können wir sie etwas umdrehen?«

Die Frau war ordentlich bekleidet, trug einen sehr auffälligen Chinchilla-Mantel, der an der Innenkante ein Etikett in kyrillischer Schrift eingenäht hatte.

»Krylow«, sagte Andresen. »14 – Krasnopresnenskaya naberezhnaya – Moscow.«

»Da werden wir eine Anfrage an die Moskauer Kollegen mit dem Foto der Frau und des Mantels starten. Vielleicht kann man sie ja identifizieren.«

»Glaubst du?« , fragte Andresen.

Larsson verdrehte die Augen. »In einem Überwachungsstaat wie Russland muss sie nur irgendwo auffällig geworden sein. Schon existiert eine Zuordnungsmöglichkeit.«

»Es wäre gut, wenn das BKA über eine solche totale Möglichkeit verfügen würde«, stellte Andresen nüchtern fest.

»Da stellen sich verschiedene Parteien quer«, erwiderte Larsson. »Kannst du dir vorstellen, dass die FDP dem zustimmen würde? Oder die Grünen? Und doch bin ich manchmal überrascht.«

»Wovon?« Andresen grinste Larsson herausfordernd an.

»Von der Möglichkeit so mancher Überwachung, die genutzt wird.«

Andresen ging mit der Kamera ganz dicht an das Gesicht der Toten heran. »Die einen würden fürchten, dass einer der Ihren ermittelt würde, der erfolgreich durch die Lappen geschlüpft ist, die anderen wiederum, dass ein roter Teppich für einen Islamisten wieder zusammengerollt werden müsste, bevor der tätig werden konnte.«

Das Gesicht der Toten ist sehr bleich, dachte Larsson. Aber das ist es bei nahezu allen Toten. »Mach auch Bilder von der Borte des Kleids«, sagte er, ohne auf Andresens Feststellung einzugehen. »Vielleicht bringt uns das auf ihre Spur. Ist denn keiner bereit, die Augen der Toten zu schließen?«

Paul Maier hatte sich Latexhandschuhe übergezogen und kam nun der Aufforderung Larssons nach.

Andresen machte erst ein Bild von der Vorderseite des Kleides, dann kniete er sich hin und fotografierte explizit die golddurchbrochene Borte.

»Kommt die Rechtsmedizinerin?« , fragte Larsson.

»Negativ.«

»Sie friert wahrscheinlich zu sehr«, frotzelte Maier, »unsere Rechtsmedizinerin.«

»Sie meint, wenn die Frau schon länger liege und steifgefroren sei, könne sie hier ohnehin nichts mehr ausrichten. Sie braucht die Leiche auf dem Tisch! Aufgetaut«, sagte Andresen und machte nun noch einige Aufnahmen des steifgefrorenen Leichnams von allen Seiten auch von dem Mantel-Etikett. Plötzlich hielt er inne. »Sie ist nicht hier getötet, sondern nur abgelegt worden. Schau hier«, er zeigte auf ein kleines rundes Loch. Als er den Mantel beiseiteschob, sahen sie das nur leicht blutverkrustete Einschussloch. »Kaum Blut.«

»Es ist nicht durch den Mantel geschossen worden«, stellte Larsson fest. »Man hat ihr möglicherweise den Mantel angezogen, als sie schon tot war.«

»So könnte es sein.«

»Aber wie soll sie jemand hier hergebracht haben?« , fragte Larsson.

Andresen versuchte, sie noch weiter zu drehen. Einer seiner Mitarbeiter half ihm dabei. »Was mich wundert, ist, dass es keinen Wildfraß gab. Die Wildschweine habe doch immer Hunger.«

Maier nahm den Satz auf. »Schaut euch mal um, ob ihr Schwarzwildspuren hier in der Nähe seht, Kollegen.«

Es würde nicht mehr allzu lange dauern, da würde die Dunkelheit über das Land hereinfallen. Dann könnte man aller Wahrscheinlichkeit nach keine drei Meter mehr ohne Zusatzbeleuchtung sehen.

»Ich weiß nicht«, sagte einer der Jäger, »warum die Schweine gerade diesen Teil des Waldes gemieden haben. Aber wir haben auch keine Spuren von ihnen hier in der Nähe gefunden.«

»Weil sie sich näher an der Futterstelle eingerichtet hatten«, sagte ein anderer der Jäger.

»Das wäre eine Möglichkeit. Immer zu solchen Anlässen wird besonders gut gefüttert.«

»Wildschweine fressen alles, also auch Fleisch. Sie sind aber keine Raubtiere, sondern Aasfresser. Das heißt, sie würden auf Futtersuche niemals einen Menschen anfallen. Liegt allerdings eine Leiche im Wald, kann es schon sein, dass Wildschweine sie anknabbern«, antwortete wieder ein anderer Jäger.

Nun haben sie gleich alle ihren Senf dazugegeben, dachte Larsson. »Hast du einen Leichenwagen bestellt?« , fragte er Andresen.

Dieser nickte. Er schaute zur Uhr. »Erst zwei und schon wird es leicht dunkel.«

Larsson lächelte. Das waren nur Sekunden vorher seine Überlegungen gewesen. »Geht jemand von Ihnen zurück zu dem Platz, an dem die Strecke liegt?«

»Wenn Sie allein zurechtkommen, werden wir alle zurückgehen«, sagte ein massiger Mann aus der kleinen Gruppe der Jäger.

»Ein Leichenwagen wird kommen. Vielleicht ist er schon da, wenn Sie zurückkommen. Es wäre sehr nett, wenn Sie die Männer hier herführen könnten. Sie sollen mit einer Trage kommen. Wir brauchen noch ein Protokoll. Wer hat eigentlich den Fund gemacht?«

»Mein Freund Hellmann– er ist einer der Durchgehschützen, der auch Hundeführer einer wundervollen, sehr talentierten Hündin ist, außerdem der Veranstalter der Jagd – und ich«, sagte einer der Männer. »Die Hündin war die eigentliche Finderin. Sie hat uns erst aufmerksam gemacht.« Er reichte Larsson eine Visitenkarte eines Jagdvereins.

»Wir brauchen Ihre Aussage schriftlich«, sagte Larsson. Er erinnerte sich an den großen grau-braunen Hund, der als Einziger nicht angebunden war, als er an der Strecke angekommen war.

»Wir sind durchgefroren und haben lange auf Sie gewartet«, protestierte der Mann.

»Herr Hellmann möchte bitte morgen um zehn zu uns ins Kommissariat nach Heringsdorf kommen.«

»Ich sage es ihm.«

»Seestraße zwölf.«

»Er kennt das Polizeirevier.«

»Wir brauchen eine Liste aller Teilnehmer«, bohrte Larsson noch einmal nach.

»Ich werde Hellmann sagen, er soll Ihnen eine mitbringen.«

Die Männer gingen, sich laut unterhaltend, zu ihrem Lager zurück. Larsson sah das mit einer gewissen Befriedigung.

Monet und der Tod auf der Insel

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