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Oude Kwaremont

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27. März 2015, Sieg bei E3 Harelbeke

Dauer: 4 Minuten 40 Sekunden

Distanz: 2,21 km

Ø-Geschwindigkeit: 28,2 km/h

Ø-Kadenz: 82 U/min

Wenn es je einen Anstieg gegeben hat, den man im Herzen der Radsporthistorie verorten muss, dann ist es der Kwaremont. Ein Kopfsteinpflasteranstieg in einem Land, das verrückt nach Kopfsteinpflasteranstiegen ist, ein steiles kleines Monster in einem Land ohne große Gipfel, ein Streckenabschnitt aus Stein und Matsch, der die Karrieren einiger der größten Fahrer aller Zeiten entscheidend geprägt hat.

Es geht um die Rennen, die hier hinaufführen – die Flandern-Rundfahrt natürlich, aber auch die anderen Frühjahrsrennen, die ihr vorausgehen, wie der Omloop Het Nieuwsblad, E3 Harelbeke und Kuurne–Brüssel–Kuurne. Es geht um die muskulösen Champions, die hier als Erste über die Kuppe gingen. Aber es geht auch um all das, was passiert, bevor du ihn überhaupt erreichst. Das Rennen an den Fuß des Kwaremont ist so wichtig wie das Rennen den Anstieg hinauf.

Wenn sich das Rennen zum letzten Mal dem Kwaremont nähert, musst du unter den ersten 15 sein, wenn es rund einen Kilometer vor dem Anstieg in eine scharfe Rechtskurve geht, ansonsten ist der Tag für dich gelaufen. Denn ab jetzt ist die Straße so eng und so schwer zu fahren, dass es auf diese simple Regel hinausläuft. Die Fahrer an der Spitze sind fein raus, alle anderen stecken in der Klemme. Der Typ vor dir lässt abreißen? Das war’s für dich. Jetzt oder nie, genau hier. Und so ist die Anfahrt eine größere Herausforderung als der Anstieg selbst und gerät zu einem Rennen im Rennen, das für sich genommen eines der umkämpftesten sein wird, das du während der gesamten Saison bestreiten wirst.

Drei Kilometer vor dem neuralgischen Punkt befindest du dich auf einer gut ausgebauten, dreispurigen Straße und fährst eine kleine Anhöhe hinab. Schöner glatter Asphalt, es geht mehr oder weniger geradeaus, die permanent schaltende Meute rast mit 60 Sachen dahin. Ellenbogen werden ausgestellt, es wird geschrien und geflucht. Selbst die drei Spuren reichen nicht aus, um all die verrückten Antritte und Aktionen in Schach zu halten, und so weichen Fahrer auf den Seitenstreifen und den Radweg aus. Es ist vollkommen irre, aber so ist Belgien. Große Betonblumenkübel ragen auf die Straße, ein paar Spinner hopsen vom Bürgersteig auf die Straße und zurück auf den Bürgersteig, das Peloton nutzt die ganze Breite der Straße aus. Streng genommen darfst du auf dem Bürgersteig nicht fahren, aber das hält manche nicht davon ab, es darauf ankommen zu lassen – in der Hoffnung, dass die Rennkommissäre sie nicht erwischen oder auf einen anderen Burschen achten, der es ein paar Sekunden länger getan hat.

Manchmal bleibt einem keine Wahl, so wie es Luke Rowe einmal erlebte. Ein anderer Fahrer fuhr direkt vor ihm eine Welle, so dass er nach rechts ausweichen musste. Zwei Möglichkeiten: auf den Radweg oder in einen Betonblumenkübel hinein. Er traf die richtige Entscheidung für sich als Fahrer und die falsche aus Sicht der Kommissäre. Das Rennen war für ihn vorbei.

Am Ende dieses rasend schnellen, irrsinnigen Abschnitts stürzt du dich in eine 90-Grad-Rechtskurve – unter den ersten zehn, wenn du alles richtig gemacht hast. Und sofort wird es eng, nur dass du dich jetzt keinen Kilometer mehr vor dem Beginn des Anstiegs befindest. Das, was jetzt abgeht, als fieberhaft zu bezeichnen, wäre eine maßlose Untertreibung. Bürgersteige kommen und gehen, Rinnsteine tauchen auf und schlängeln sich davon, und es gibt Fahrer, die mit Bunnyhops und riskanten Manövern versuchen, sich außen nach vorn zu arbeiten, und dabei teilweise im Slalom durch die Zuschauermenge hindurchkurven. Wahrscheinlich werde ich alt. Früher wäre ich einer dieser Typen gewesen. Ich wäre solche Wagnisse eingegangen. Die Zeiten sind vorbei.

Und das alles, um nach vorne zu kommen. Das alles, um nicht wieder durchgereicht zu werden, wenn du schon dachtest, du hättest es geschafft. Außer natürlich, dass du dich tatsächlich direkt an der Spitze wiederfindest, wo du dich aber auch nicht lange aufhalten willst. Denn dann stehst du im Wind und verschießt dein Pulver, bevor der Anstieg überhaupt losgeht, während deine Konkurrenten es sich an deinem Hinterrad gemütlich machen.

Gut möglich, dass der Zug zu diesem Zeitpunkt längst abgefahren ist. Ich fuhr die Flandern-Rundfahrt, als Niki Terpstra und Alexander Kristoff nach dem Taaienberg attackierten, gut sechs Kilometer vor dem Oude Kwaremont, also noch vor der langen Abfahrt und der erwähnten Rechtskurve. Wir schauten uns alle an und warteten ab. Bis irgendjemand reagierte, hatten sie 15 Sekunden Vorsprung herausgeholt. Das war genug. Du kannst dich nie sicher fühlen. Nicht hier. Nicht in diesem Rennen.

Dabei bist du ja noch nicht mal wirklich im Anstieg. Und dann siehst du vor dir das Kopfsteinpflaster und es ist lächerlich schmal. Es ist ein Feldweg. Es ist eine Schneise, die in einen Acker geschnitten wurde, mit gewaltigen Böschungen auf beiden Seiten, gerade breit genug, dass ein Begleitfahrzeug durchpasst. Es gibt steilere Hellingen. Es gibt ein paar längere. Aber es gibt sonst keine, die sowohl steil als auch lang sind, und das macht den Kwaremont zu einem so gefürchteten Scharfrichter.

In Flandern mögen sie Biere mit ordentlich Wumms. Einige davon sind nach Radsportbergen benannt, unter anderem eins nach dem Oude Kwaremont. Und so ist der Kwaremont wie das blonde Lager, dem er den Namen gibt: nicht vollkommen zerstörerisch, ein kräftiges Bier mit deutlich mehr Alkoholgehalt als der Durchschnitt, aber einzeln genossen nichts, was dich aus der Bahn wirft. Aber das ist es ja: Den Kwaremont kannst du nie einzeln genießen. Du hast schon 200 Kilometer in den Beinen. Du hast schon eins davon intus und unterwegs noch zehn oder zwölf andere Biere getrunken. Allein für dich, wenn du selbst die Schlagzahl bestimmen kannst, würdest du damit schon klarkommen. Du würdest beim Abendessen ein Gläschen mit deiner besseren Hälfte genießen und dich fragen, was der ganze Wirbel eigentlich soll. Aber so ist es ja nicht. Nein, du befindest dich mit deinen Kumpels auf Sauftour und hast schon ordentlich einen im Kahn und das hier gibt dir den Rest. Zuvor wärst du nur mit einem schlimmen Kater aufgewacht, wegen des Kwaremont aber wirst du in der Gosse oder in einer Zelle zu dir kommen und keine Ahnung haben, wie du dahin gekommen bist.

Du hast die Anfahrt überlebt. Du bist unter den ersten fünf Fahrern. Super. Nun musst du den Anstieg in drei Abschnitte einteilen. Der erste wird der schwerste sein. Er hat 11 % und ist besonders holprig. Die Steilheit und das Kopfsteinpflaster drohen dich zum Stillstand zu bringen. Du kannst die Bratwürstchen riechen, die die Fans am Straßenrand futtern, du riechst das Bier und die Hot Dogs in ihrem Atem. Es gibt einen Randstein, bis er plötzlich verschwindet, und dann taucht aus dem Nichts die nächste Bordschwelle auf.

Du musst genau wissen, wo du zu fahren hast. Auf keinen Fall möchtest du in der Mitte fahren. Dort fehlen besonders viele Steine und sie sind groß genug, um beachtliche Krater zu hinterlassen. Gerätst du mit dem Vorderrad in einen davon hinein, büßt du jeglichen Schwung ein – und Schwung ist an einem Kopfsteinpflasteranstieg alles. Du musst die schnellste Linie kennen und deinen Platz in der Kolonne akzeptieren. Es ist sinnlos, ausscheren und den Fahrer vor dir überholen zu wollen. Versuche so was nur, wenn du unbedingt musst. Sofern dein Vordermann nicht abreißen lässt, bleib einfach, wo du bist. Jeder ist aus gutem Grund dort, wo er fährt. Wenn du ausscherst, fährst du nur irgendwo gegen oder rein, verlierst Tempo und wirst im Nu durchgereicht. Deswegen fahren sie in der Spitzengruppe als Einerreihe hintereinander. Ein paar Sekunden lang siehst du vielleicht mal zwei Fahrer nebeneinander, aber länger nicht. Je weiter vorne du bist, desto größer ist die Chance, dass du deine Linie frei wählen kannst; falls du einen Vordermann hast, bleib dran.

Einmal lag ich bei der Flandern-Rundfahrt direkt am Hinterrad von Fabian Cancellara. Perfekt. Ich fühlte mich stark und in der Lage, seine Tempoverschärfungen mitzugehen. Komm schon, G, dies ist ein guter Tag. Und das war es auch, bis er zu einem der früheren Ausreißer auffuhr und ihn überholte. Es war ein perfekt getimtes Überholmanöver, wie in der Formel 1. Und ich? Ich bekam das Timing nicht perfekt hin und kam nicht schnell genug vorbei. Ich musste runter von der Ideallinie, verlor meinen Schwung und plötzlich hatte Cancellara zwei Meter Vorsprung. Und wenn ein Fahrer seines Kalibers den erst mal hat, ist es unheimlich schwer, die Lücke wieder zu schließen. Es ist wie fünf Meter im Flachen. Aus und vorbei.

Cancellara zog unaufhaltsam davon. Ich musste mich mit dem Kampf um die Ehrenplätze begnügen. Und das ist eine der wichtigsten Lektionen am Kwaremont: Du musst stark sein und du brauchst an dem Tag gute Beine, aber kluges Positionsfahren ist genauso wichtig. Wenn du ausscherst, um jemand zu überholen, und es dir nicht gelingt, innerhalb von zwei Sekunden vorbeizugehen, bist du länger von der Ideallinie runter, als gut für dich ist. Du musst dich mehr reinhängen, du wirst müde, du fällst zurück…

Gegessen wird nicht, nicht an diesem Anstieg. Du kannst die Hände nicht vom Lenker nehmen, und selbst wenn dich jemand füttern würde wie ein Küken, könntest du nichts bei dir behalten. Die Anstrengung ist zu groß. Du musst dein letztes Gel gute 20 Minuten vorher zu dir genommen haben: nach dem Kopfsteinpflasteranstieg, der dem Kwaremont vorausgeht, vor dem langen Stück Hauptstraße, das erst leicht bergauf und dann abschüssig auf die scharfe Kurve zuführt, mit der die direkte Anfahrt beginnt. Schluck das Zeug bereits dort, lass es hier am Kwaremont seine Wirkung tun und hau dann die letzten paar Kilometer bis ins Ziel alles raus, was du hast.

Weiter zum zweiten Abschnitt. Hier wird es flacher, was dir natürlich ganz gelegen kommt, aber auch bedeuten kann, dass du zu sehr rausnimmst. In einer Spitzengruppe passiert es schnell, dass du dich in Sicherheit wähnst – so als wäre ein Großteil der Arbeit getan. Und das ist der Moment, in dem der Typ an der Spitze sich absetzen kann und die unsichtbare Kette durchtrennt, die ihn an die Fahrer in seinem Schlepptau bindet. Er tritt an, du merkst es fünf Sekunden lang nicht. Du blickst auf, siehst ihn davonziehen und schaust dich nach jemandem um, der die Verfolgung aufnimmt, damit du dich an sein Hinterrad klemmen kannst. Aber er schaut jemand anderen an, der wiederum dich anschaut. Nun gibt es vor dir nur noch Schlamm und Dreck. Jetzt steckst du in Schwierigkeiten.

In diesem Abschnitt hast du mehrere Optionen. Du kannst auf dem Randstreifen fahren, dem Gras vertrauen, hoffen, dass sich der Matsch in den Ritzen verhärtet hat. Einige Fahrer sind immer dabei, die es riskieren. Aber es ist ein Wagnis, du weißt nie, wo die Huckel sind, ein plötzlicher Fleck lockeren Schotters, ein verborgenes Schlagloch, das dich über den Lenker schickt. Es passiert schnell: Gerade noch glaubst du, dich nach vorne zu arbeiten, nur um dann wegen eines Ausrutschers und eines leichten Wacklers 20 Plätze einzubüßen. Halte dich lieber an die Straße, gehe auf Nummer sicher, bleibe im Spiel.

Das letzte Drittel. Die Steigung zieht wieder an und nun fordern die Anstrengungen ihren Tribut. Du bist zwei Minuten am Limit gefahren und nun schickt sich dieser Anstieg an, dir den Rest zu geben. Die Straße öffnet sich zu einer Seite, die Fans drängen sich hinter den Absperrungen. Ganz zum Schluss wird es noch mal richtig steil werden, dann geht es links ab auf eine größere Straße, und du bist oben. Du kannst hier im letzten Drittel meist den Randstreifen nutzen, im Dreck, im Schotter, und wenn du die Beine hast und dich lösen kannst, kannst du hier einen schönen Vorsprung herausfahren. Wenn deine Beine allerdings schlappmachen, ist es der schlimmste Abschnitt von allen, und selbst wenn es keinen Gegenwind gibt, fühlt es sich trotzdem so an, weil plötzlich alles unheimlich schwer ist.

Einstweilen solltest du nah an den Absperrungen fahren, auch wenn das bedeutet, die eine oder andere Bierfahne ertragen zu müssen, wenn die Zuschauer dich beim Vorbeifahren anbrüllen. Auf deiner letzten Erkundungsfahrt vor zwei Tagen hast du gesehen, wie die großen Bierzelte aufgebaut wurden, und sie entfalten jetzt ihre ganze Wirkung – heizen die Atmosphäre an, versetzen Tausende Radsportfans in einen Taumel der Begeisterung. Du kannst nun auf den Rinnstein ausweichen, wo du eine weniger holprige Linie findest als auf dem Kopfsteinpflaster, während du inständig hoffst, nicht vom Ellenbogen oder der Schulter eines Zuschauers erwischt zu werden, der sich über die Absperrungen lehnt, und dass sich dein Lenker nicht in einer Jackentasche verfängt und du zu Boden gehst wie Peter Sagan bei der Flandern-Rundfahrt 2017.

An der Spitze ist die Geräuschkulisse eine andere als weiter hinten im Feld. Ganz vorne ist es einfach nur wild. Eine schöne Art von Chaos, und dies schlägt sich auch in der Fahrweise nieder: hochtourig, fieberhaft, mitreißend.

Und du musst wissen, wie du auf den Pflastersteinen zu fahren hast. Wenn du es richtig machst, setzt du über sie hinweg wie ein flacher Stein beim Schillern über einen Teich. Das richtige Timing und du gleitest geradezu übers Pflaster. Kriegst du es nicht hin, ist es eher so, als hättest du den Stein im falschen Winkel geworfen. Er wühlt sich ins Wasser, verliert schlagartig allen Schwung, geht unter.

Mir liegt der Kwaremont. Ich liebe Kopfsteinpflaster und ich mag die Länge des Anstiegs. Er ist nicht nur für die reinen Kraftpakete geschaffen. Über kürzere Anstiege, für die man knapp eine Minute braucht, können Fahrer wie Sagan, Tom Boonen und Greg Van Avermaet mit ihrem Punch einfach hinwegbrettern. Bei 2,2 Kilometern Anstieg kommen Fahrer wie ich ins Spiel. Es ist mehr als nur eine kurze Rampe, bei der du einmal Vollgas gibst und dann ist es geschafft. Du brauchst Stehvermögen, musst mit deinen Kräften haushalten können, Reserven haben.

Aufgrund seiner Länge ist der Oude Kwaremont auch der naheliegende Ausgangspunkt für die alles entscheidende letzte Attacke. Als ich 2015 das E3 Harelbeke gewann, trat ich früh am Kwaremont an und hielt dann – mit gesenktem Kopf – den Druck vom steilen Abschnitt zu Beginn bis ganz nach oben aufrecht. Dort schaute ich mich um, um zu sehen, wer noch bei mir war, und nur zwei Fahrer hatten mir folgen können: Zdeněk Štybar und Sagan. Wir behaupteten unseren Vorsprung, vier Kilometer vor dem Ziel attackierte ich erneut und setzte mich ab.

Der Oude Kwaremont war meine Startrampe. Klar war es opportunistisch, aber gleichzeitig war es schon viele Male auf diese Weise gemacht worden. Die Gelegenheit ergibt sich nur, wenn du dich gut fühlst und wenn du dir mit viel Einsatz eine gute Position erarbeitet hast, und zwar über eine gehörige Zeitspanne hinweg, schon seit der Anfahrt an den Fuß des Anstiegs. Wenn du das alles hinbekommen hast, ist dies der richtige Zeitpunkt für den Angriff. Leg alles rein, was du hast, und schau, was passiert, getreu dem Motto: hoffen, beten und treten. Ein bisschen Glück kann nicht schaden: Bei meinem Sieg damals in Harelbeke gewann ich außerdem mein eigenes Gewicht in Kwaremont-Bier, was bei meiner Hochzeit in Wales in jenem Herbst ziemlich gut ankam.

Sonderlich schön ist es hier nicht, am Oude Kwaremont, nicht im herkömmlichen Sinne. In den Rennen früh in der Saison ist die Landschaft trostlos und harsch, als wäre ihr sämtliche Farbe entzogen worden. Es gibt nur wenige Bäume und jede Menge Gehöfte, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg kaum verändert haben. In jeder kleinen Stadt und jedem kleinen Dorf, die du durchquerst, steckt Historie in jedem Pflasterstein und jedem bröckligen Ziegel. Wenn es dann so weit ist, dass die Flandern-Rundfahrt ansteht, sind die Dunkelheit und die Kälte des Winters der Wärme und dem Vogelgezwitscher des Frühlings gewichen. Aber du bist weiter den Elementen preisgegeben, dem tosenden Wind und dem Regen, die über die matschigen Felder hinwegpeitschen.

Wenn du diesen Anstieg als jemand fährst, der an einer Haarnadelkurve in den Alpen gehockt hat, als das Feld der Tour de France vorbeifuhr, kann der Kwaremont ein bisschen enttäuschend wirken. Ähnlich wie der Poggio ist er nicht auf große, schneebedeckte Weise spektakulär. Es gibt kaum Schilder. Du bist vielleicht nicht mal sicher, ob du auf der richtigen Straße bist. Deswegen ist es am besten, dir im Vorfeld ein paar der flämischen Frühjahrsklassiker anzuschauen, dir das Tempo der Fahrer klarzumachen, die Begeisterung der Zuschauer. Wenn du den Oude Kwaremont dann fährst, nimm vorher ein paar der anderen Kopfsteinpflasteranstiege in der Gegend in Angriff. Lass sie deine Beine auslaugen. Und dann wirf dich mit allem, was du noch hast, in den Kwaremont, leg von Beginn an alles an Power hinein, hol dir den Schwung, der so wichtig ist. Du kannst dich erholen, wenn es im Mittelteil flacher wird, aber sobald die Straße sich öffnet und wieder steiler wird, gib noch einmal alles. Für dich wird es keine Absperrungen geben, du kannst daher auf den Rand ausweichen, wenn du magst. Wenn du es aber so erleben möchtest, wie wir es tun, versuche den ganzen Weg nach oben auf dem Kopfsteinpflaster zu bleiben. Das vermittelt dir das wahre, authentische Kwaremont-Feeling. So hast du hinterher das Gefühl, diesen berühmten Kopfsteinpflasterhügel wirklich richtig bezwungen zu haben.

Ich sehne mich immer noch nach diesen Rennen zurück. Ich habe mich zu einem Klassementfahrer entwickelt, aber ich habe die Flandern-Rundfahrt geliebt, seit ich klein war. Ich habe etwas von dem Gewicht verloren, das ich früher als Klassikerjäger hatte, und damit opfert man auch ein wenig Kraft. Dein Tour-Gewicht erreichst du, indem du für die Tour trainierst, und die Vorbereitung für Flandern ist etwas völlig anderes. Es geht nicht darum, 90 Minuten am Tag bergauf zu fahren, sondern darum, 30 Sekunden voll am Anschlag zu fahren oder fünf Minuten lang mit letzter Kraft dranzubleiben. Du gehst nur selten aus dem Sattel. Es geht um die Wattzahlen, die du im Sitzen treten kannst. Mir kommt das entgegen, dank meines früheren Trainings für die Mannschaftsverfolgung.

Ein bisschen leichter zu sein, kann aber auch nicht schaden, und es half mir 2015. Ich spürte, wie ich auf eine Weise über das Kopfsteinpflaster tänzelte, wie ich es noch nicht erlebt hatte. Bei Paris–Roubaix spielt das Gewicht keine so große Rolle. Die Pflastersteine sind groß, aber die Strecke ist komplett flach. In Flandern wären 70 bis 71 Kilogramm demnach perfekt für mich: leicht, aber mit Punch. Brachiale Kraft, aber mit dem Wissen, wie man sie nutzt. Um den Kwaremont zu bezwingen, braucht man Kopf und Beine.

Radsportberge und wie ich sie sah

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