Читать книгу Kopfsprung ins Herz - Gerald Ehegartner - Страница 8
1 NEBELMEER ALLTAG
ОглавлениеRuhig bleiben, Noah. Du bildest dir das ein. So wie beim Frühstück. Wer sollte auf der Couch geschlürft und geschmatzt haben, als du Kaffee getrunken hast?
Ich beschleunigte meine Schritte, die Tasche fest in der Hand. Die Schule war nicht mehr weit. Hinter mir hechelte etwas. Ich fuhr herum. Nichts. Niemand. Mist, was war mit mir los?
Diese Nacht hatte ich erneut schlecht geschlafen. Ich war vom Balkon in meine Wohnung geflüchtet, nachdem ich wieder diesen Jemand oder dieses Etwas gespürt hatte. Seit Wochen verfolgte es mich.
Nun rannte ich früher als sonst zur Schule. Dort fühlte ich mich zumindest sicher. Draußen nieselte es. Es war noch finster, der Nebel hatte das Tal fest im Griff. Die Lichtoasen der Straßenlampen leuchteten mir den Weg.
„Wer bist du?“, flüsterte ich in das Nebelmeer.
Atemhauch stand vor meinem Gesicht. Was knackste da? Ich erstarrte. Panikwellen breiteten sich wie konzentrische Kreise aus.
Ein buschiger Schwanz verschwand hinter dem Lichtkegel einer Straßenlampe. Ein Hund? Mein Herz schlug laut wie eine Buschtrommel. In der Ferne vernahm ich das Geräusch eines Autos. Hörte ich ein Lachen?
Ich blickte mich um, dann rannte ich los.
Das Schulgebäude schälte sich langsam aus dem Nebel. Im Büro des Hausmeisters und im Lehrerzimmer brannte Licht. Außer Atem stemmte ich die Schultür auf und taumelte in die Aula.
„Guten Morgen. Wer hat’s denn da so eilig, in die Schule zu kommen? Ein richtiges Sauwetter ist das heute wieder.“
Der Hausmeister war wie immer gut gelaunt und sein warmer Bariton beruhigte meine Nerven.
„Morgen Tim!“;
Ich eilte weiter und öffnete die Tür des Lehrerzimmers. Katja, die Direktorin, hängte Informationen zu Fortbildungskursen für das nächste Semester aus.
„Noah! So früh schon? Das passt hervorragend. Ich muss noch mit dir reden. Deine Schneeschuhwanderung mit Übernachtung auf der Adlerhütte ist zwar nett, aber das ist natürlich nicht durchführbar.“
„Warum das denn?“
„Genau an diesem Tag ist unsere interne Fortbildung zur Kompetenzmessung. Außerdem sind wir keine Eventfirma.“
„Und was ist mit der Naturwoche im Juni? Kann ich dann mit meiner Klasse in den Nationalpark fahren?“
„Leider nicht. Seit Jahren findet unsere Landschulwoche im Jugendgästehaus Hinterleitner statt. Johannes hat das zu einer Zeit eingefädelt, als du noch nicht an der Schule warst. Ich will diese bewährte Tradition wegen dir jetzt nicht kippen. Warum willst du überhaupt mit deiner Klasse zelten? Nein, mir ist das auch zu gefährlich.“
Als ich in der Klasse an meinem Schreibtisch saß, stürmte Martin, ein junger Kollege, herein.
„Darf ich mir ein paar Magnete borgen? Meine sind wieder verschwunden.“
„Nimm dir, was du brauchst“, erwiderte ich und schrieb die versäumten Einträge ins Klassenbuch.
„Hast du heute die Nachrichten gehört? Wir haben vielleicht nur mehr zehn Jahre Zeit, um die Welt zu retten und den Karren herumzureißen.“
„Ja, hab ich gehört. Aber hier geht die Welt nur unter, wenn das Klassenbuch nicht korrekt ausgefüllt ist. Was gibt es Wichtigeres?“
Ich wedelte mit dem Zettel, den Katja mir ins Klassenbuch gelegt hatte, weil ich zwei Biologiestunden noch nicht notiert hatte.
Meine Stimmung hob sich, als ich Deutsch unterrichtete und die Kinder über meine Witze lachten. Als es klopfte, stellte Hannah gerade ein Buch vor, dessen Titel und Inhalt sie frei erfunden hatte. Katja trat in die Klasse.
„Mach einfach weiter, Hannah.“
Katja schritt nach hinten und setzte sich auf einen freien Stuhl. Hannah stockte.
„Du scheinst dich nicht sehr gut vorbereitet zu haben. Soll das eine Buchvorstellung werden?“
„Katja, die Kinder stellen Bücher vor, die es nicht gibt. Das macht Spaß und fördert die Kreativität.“
„Wie bitte? Die Kinder sollen Bücher lesen und eine sehr gut vorbereitete Buchvorstellung abliefern. Oder glaubst du ernsthaft, dass diese Kompetenz bei den Bildungsstandards gefragt ist?“
Katja schüttelte den Kopf und verließ die Klasse. Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, meinte Nicole: „Die Frau Direktor versteht auch wenig Spaß. Sie hat keine Fantasie, genauso wie Herr Lehrer Schmidt.“
Die Zeit bis zur Freistunde spulte ich im Standby-Modus ab. Ich freute mich darauf, bald das Schulhaus verlassen zu können