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Almwirtschaft
ОглавлениеSkeptische Milchtrinker und Joghurtesser werden sicherlich schon längst den Verdacht haben, dass die auf den Lebensmittelverpackungen abgedruckten Bilder von glücklichen Kühen auf unendlichen, grünen Wiesen wenig mit der tatsächlichen Viehwirtschaft in Deutschland gemein haben – bis man Urlaub im Allgäu macht und sich auf der Terrasse einer urigen Almhütte wiederfindet, umgeben von bunten Blumenwiesen und begleitet vom Glockengeläut einer nebenan genüsslich saftiges Gras mampfenden Viehherde! Manch vermeintlich kitschige Almidylle ist hier Realität, und zwar nicht als Touristenattraktion, sondern als gelebte, bäuerliche Wirklichkeit.
Trotzdem hat sich natürlich auch im Allgäu die Landwirtschaft im Lauf der letzten Jahrzehnte stark verändert, viele Landwirte haben ihren Hof aufgegeben, andere haben aus ihren kleinen Familienbetrieben moderne Unternehmen mit Hunderten von Rindern gemacht. Und die meisten Rinder stehen auch im Allgäu im Stall und nicht auf einem Berggipfel. Tatsache ist allerdings auch, dass die Almwirtschaft noch immer sehr lebendig und aus dem Allgäu nicht wegzudenken ist. Diese Form der Landnutzung hat seit ihren Ursprüngen, die bis weit ins Mittelalter zurückreichen, im Alpenraum eine der ältesten Kulturlandschaften Deutschlands geschaffen. Und vielen Wanderern mag beim Genuss der weiten Ausblicke und freien Wiesen oben auf den Gipfeln und den Höhenwegen gar nicht bewusst sein, dass die meisten Berge bis zur natürlichen Waldgrenze, die mancherorts bis über 1800 Höhenmeter reicht, komplett mit dichtem Wald bedeckt wären, hätten die Bauern nicht in mühevoller Arbeit den Wald in Weideflächen umgewandelt; und quasi nebenbei eine für uns heute so ansprechende offene und abwechslungsreiche Urlaubslandschaft geschaffen.
Gemütliche Einkehr am Sonthofer Hof, TOUR 14
Dabei war ein Überleben der Almwirtschaft im deutschen Alpenraum durchaus nicht gesichert, denn bei allem Klischee handelt es sich um harte Arbeit. Zwar gab es regionale Unterschiede, doch bis in die 1970er-Jahre nahm die Zahl der Almen – bzw. Alpen, wie sie im Allgäu heißen – stetig ab. Und noch immer trifft man gelegentlich beim Wandern auf einsame Lichtungen mit kläglichen Mauerresten ehemaliger, vor langer Zeit aufgegebener Alphütten. Die Wende brachten großzügige finanzielle Unterstützungen für Hirten und Almbauern sowie ein massiver Ausbau des Wegenetzes, sodass heute praktisch jede Hütte – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf einer Fahrstraße erreichbar ist. Zudem ist die Zahl der Sennalpen, also Hütten mit Milchvieh und Käseherstellung, stark zurückgegangen zugunsten von pflegeleichterem Jungvieh. Und ein gesteigertes ökologisches Bewusstsein tat ein Übriges. In den letzten 40 Jahren hat sich der Bestand stabilisiert, sodass es heute im gesamten Allgäu wieder fast 700 Alphütten mit gut 30.000 vierbeinigen Sommergästen gibt. Fast die Hälfte der Allgäuer Gebirgsflächen wird almwirtschaftlich genutzt, im Extremfall bis in Höhen von 2300 Meter wie am Linkerskopf oder Rauheck mit den steilen Wiesenhängen. Das Oberallgäu ist zahlenmäßig bayernweit führend, auch dank der vielen etwas niedrigeren und sehr almfreundlichen Berge am Alpenrand. Allein im Gemeindegebiet von Oberstaufen befinden sich 155 Alpen.
Weit über die Grenzen des Allgäus hinaus bekannt sind auch die Viehscheide, die im September in vielen Orten stattfinden. Nach gut 100 Tagen auf den Bergen werden die herausgeputzten Rinder unter großem Getöse unzähliger Schellen von nicht weniger herausgeputzten Hirten ins Tal gebracht und auf den »Viehscheidplätzen« an ihre Besitzer verteilt. Zwar hat auch hier der (Massen-)Tourismus Einzug gehalten und aus dieser Tradition in einigen Orten ein fast partyähnliches Event gemacht, zu dem Besucher aus großer Entfernung in zahllosen Bussen herangekarrt werden, aber nichtsdestotrotz ist dieser Tag für alle beteiligten Einheimischen seit jeher ein großes Dorffest. Bleibt abschließend festzustellen: Die Almwirtschaft gehört zum Allgäu, und so wie es aussieht, bleibt sie der Region auch auf absehbare Zeit erhalten. Und sorgt weiterhin nicht nur für viele entspannte, freie Bergwiesen genießende Rinder, sondern auch für den Erhalt der Allgäuer Berg- und Erholungslandschaft mit ihrem attraktiven Mosaik aus Alpwiesen und Bergwäldern.
Das Naturfreundehaus am Gschwender Horn, TOUR 7