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4. Zur Verschleierung des kompetitiven Charakters der Beratung

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Konsensherstellung durch Beratung ist als Schlüsselbegriff für das Verständnis mittelalterlicher Königsherrschaft inzwischen anerkannt, was mit der Formel von der „konsensualen Herrschaft“ auf den Begriff gebracht worden ist.41 Dagegen ist aber auch zu Recht eingewandt worden, der Begriff verschleiere den „kompetitiven Unterbau“ der Konsensherstellung.42 In der Tat war die Konsensherstellung wohl ein durchaus umkämpfter Vorgang, bei dem mit allen erlaubten und auch vielen unerlaubten Mitteln agiert wurde. Es gibt eine Fülle von Hinweisen auf den agonalen Charakter, den Beratungsvorgänge hatten oder bekommen konnten. Ein frühes Beispiel hierfür bieten zum Jahre 754 fast beiläufige Bemerkungen in Einhards Vita Karoli über die Revolte einiger Franken gegen König Pippins Feldzugsplan, als nämlich einige, „mit denen sich Pippin gewöhnlich zu beraten pflegte, erklärten, sie würden den König verlassen und nach Hause zurückkehren“.43 Solch massiver Widerspruch in Beratungen ist aus allen Jahrhunderten des Mittelalters bezeugt, gehäuft in der Zeit Ludwigs des Frommen, Heinrichs II., Heinrichs IV. und Heinrichs V., und nicht zuletzt Friedrich Barbarossas.44

Dies kann nicht überraschen, denn schließlich sollten in Beratungen und Verhandlungen häufig Fragen gütlich entschieden werden, um die man bewaffnete Konflikte führte, die Konsequenzen für das Ranggefüge hatten oder schlicht die Ehre tangierten, kurz: die existentielle Bedeutung besaßen. Dass die Beratung solcher Fragen höchste Anforderungen an die Selbstbeherrschung stellte und die Gefahr von Eklat und Tumult erzeugte, sollte einsichtig sein. Dieser Befund zwingt wohl dazu zu fragen, ob Begriffe wie „Beratung“ (consilium) oder „Konsens“ (consensus) nicht vorrangig Schlagwörter der politischen Kultur des Mittelalters waren, die die Funktion erfüllten, durch Euphemismen agonale Vorgänge akzeptabler zu machen, deren Ablauf in der Realität nicht zuletzt |26|dadurch gekennzeichnet war, dass die Mächtigsten das Heft in der Hand zu behalten versuchten. Die Begriffe suggerieren ja eine Beteiligung an den Entscheidungen, ein Bemühen um die Herstellung von Einmütigkeit (consensus, unanimitas), sie attestieren dem Herrscher die Befolgung christlicher Herrschaftsmaximen. Sie verschleiern dagegen die agonalen Aspekte bei dieser Konsensherstellung, indem sie die Techniken der Inszenierung wie der Manipulation durch die Mächtigen nicht erkennen lassen.

Ähnliches ist für den Zusammenhang von „demütigem Bitten“ und „gnädigem Gewähren“ kürzlich beobachtet worden, bei dem die Terminologie gleichfalls gute Dienste tut, das Dissimulative, Agonale und Kompetitive des Vorgangs zu bemänteln.45 Die am Rang orientierten Formen demütigen und gnädigen Verhaltens dürften auch bei der Beratung nicht selten als Fassaden gedient haben, die agonale Realitäten gekonnt verschleierten. Auch bei der Konsensherstellung und Beratung ist die Bitte nämlich ein häufig eingesetztes Verhaltensmuster. Angesichts des Stellenwerts von Ehre und Prestige berücksichtigt die Form der Bitte die Notwendigkeit, das Gesicht des Gebetenen zu wahren. Sie lässt ihm die Möglichkeit des großzügigen Gewährens, auch wenn hinter der Bitte eine massive Forderung steht, die den Konsens praktisch erzwingt, diesen Zwang aber mit den benutzten Ausdrucksformen verschleiert.

All diese Erscheinungen müssen bewusst bleiben, weil die Bitte integraler Bestandteil der Konsensherstellung war und hierbei ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen konnte: Wir kennen einerseits den „bittenden“ Herrscher, der sich sogar zum Fußfall oder Fußkuss erniedrigte, um sich damit aber nur umso sicherer durchzusetzen. Wir kennen andererseits die Technik, dass selbst harte Forderungen an den Herrscher in Form demütiger Bitten oder der bittenden Intervention von Fürsprechern vorgebracht wurden. All dies sind auch im Prozess der Konsensherstellung effektvolle performative Aktionen, deren Wirkung gerade darauf beruht, dass sie Realitäten verschleiern, die das Geschehen bestimmen. Sie gehören zum Repertoire einer Kultur, die es verstand, sowohl ihre Interessen durchzusetzen als auch das Gesicht des Gegenübers zu wahren. Beides war auch in Rahmen von Beratungen eine unverzichtbare Grundlage für Erfolg.

Kontrolle der Macht

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