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|11|I. Einleitung 1. Einstieg in das Problem mittelalterlicher Beratung

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Beratung und Ratgeber hatten nicht nur einen sehr hohen Stellenwert für das Funktionieren mittelalterlicher Königsherrschaft. Auch war die Praxis der Beratung nicht auf den Bereich von Herrschaft beschränkt. Schon seit den antiken Philosophen stellte „Rat“ vielmehr ein häufig behandeltes Thema im Zusammenhang rechter Lebensführung des Menschen dar.1 Man schätzte sowohl das Mit-sich-zu-Rate-Gehen in einem Prozess des Innehaltens und der Sammlung als auch den Rat erfahrener Dritter als wesentliche Vorgänge bei der Vervollkommnung menschlicher Existenz. Der Rat sollte das Produkt des Einsatzes von Wissen und Weisheit sein und durch Sammlung und Überlegung zustande kommen. Insofern galten auch Alter und Erfahrung als Voraussetzungen für guten Rat. Im Unterschied zum Gebot (preceptum) ließ der Rat (consilium) genügend Raum für eine freie Entscheidung und gewann dadurch eine besondere Qualität. Nichtsdestotrotz tendierte ein Rat natürlich zu einem Versuch der Einflussnahme und der Mitsprache vor einer Entscheidung. Die nach einer Entscheidung zu erwartende Hilfe war nicht gänzlich unabhängig davon, ob die Beratung zu einem Konsens aller geführt hatte. Andererseits beeinflussten Machtkonstellationen auch die Möglichkeiten des Ratgebens. Der Rat konnte zu einer Pflicht zur Zustimmung degenerieren.

Schon in der Politik der antiken Welt hatten die Beratung und der Rat einen festen Platz. In Athen und anderen griechischen poleis existierte bereits in der Königszeit ein Adelsrat, dem eine bestimmte Anzahl von Angehörigen der vornehmsten Geschlechter der Stadt auf Lebenszeit angehörte. Er fungierte als „vorberatendes und kontrollierendes Organ im Prozess der politischen Willensbildung“ und bekam eine Ergänzung in der Volksversammlung, die zunächst wohl noch in akklamatorischer Weise Entscheidungen fällte, dann aber auch zu Mehrheitsentscheidungen mit Stimmenzählung überging, wie sie etwa im Ostrakismus praktiziert wurden.2 In Rom verstand sich der Senat als consilium publicum; in der Kaiserzeit etablierte sich ein consilium principis als |12|Gremium, dem ehemalige Konsuln und Prätoren angehörten. Aber auch der pater familias rief für Kapitalstrafen in der Familie ein consilium ein, dessen Entscheidung er beitrat.3

Die Wertschätzung des Rates als Entscheidungshilfe führte zu allen Zeiten zu einer Vielzahl von Versammlungen mit Teilnehmern verwandtschaftlicher, genossenschaftlicher oder herrschaftlicher Bindung, die durch Beratung Konsens zu erzeugen und diesen in Entscheidungen und praktisches Handeln umzusetzen versuchten. Auch im Alten Testament ist die Vorstellung bezeugt, dass Herrschaft über Menschen des Rates bedurfte und Herrscher weise Ratgeber haben sollten. Oft kommunizierte Gott über Propheten mit den Königen, dessen Ratschläge dann allerdings mit dem Anspruch auf Gehorsam ausgestattet waren.4 Unter den vielen schlechten Herrschaftsformen galt die Tyrannis nicht zuletzt deshalb als eine besonders schlechte, weil der Tyrann keiner Beratung zugänglich war, sondern aus eigener Willkür regierte. Insofern bildet das Mittelalter keineswegs eine Ausnahme, wenn es der Beratung allgemein und der von Herrschern im Besonderen einen hohen Stellenwert beimaß. Könige regierten ihre Eliten nicht mit dem Mittel von Befehl und Gehorsam, sie erhielten „Rat und Hilfe“ (consilium und auxilium). Es war aber keineswegs explizit festgelegt, was davon als Recht und was als Pflicht der Eliten aufgefasst werden musste.

Aber auch der Blick in andere Kulturen lehrt schnell, dass Rat und Ratgeben dort gleichfalls eine geschätzte Praxis war und ist. Ethnologen stoßen gerade bei der Untersuchung vorstaatlicher Verhältnisse immer wieder auf die Beratung in unterschiedlichsten Kontexten, deren Stellenwert mit dem eingedeutschten Wort „Palaver“ und seinem pejorativen Beigeschmack kaum adäquat wiedergegeben wird.5 Die pejorative Bedeutung des Wortes in der Moderne bringt vielmehr zum Ausdruck, dass Beratung als eine zeitaufwendige und nicht notwendig effektive Form der Entscheidungsfindung angesehen wird, weil zu viele Köche den Brei verderben, wie das Sprichwort sagt. Dagegen bezeugen viele vorstaatliche Herrschafts- und Sozialformen die hohe Wertschätzung, die den Beratungen anstehender Probleme eingeräumt wurde. Es scheint also geraten, diese Wertschätzung ernster zu nehmen, als man dies bisher getan hat, und nach ihren Gründen zu fragen.

Angesichts der epochen- und kulturübergreifenden Dimension des Themas „Beratung“ ist es nämlich erstaunlich, wie wenig man sich gerade für die Zeiten des Früh- und Hochmittelalters um die Formen und Inhalte der Beratung, die |13|Möglichkeiten und Grenzen des Ratgebens und um deren Bedeutung für das Funktionieren der mittelalterlichen Herrschaft wie der gesellschaftlichen Ordnung gekümmert hat. Im Vordergrund des Interesses an „Reichsversammlungen“ und „Hoftagen“ als den vorrangigen Anlässen der Beratung des Königs mit seinen Getreuen standen formale Fragen wie die nach dem Kreis der berechtigten bzw. unverzichtbaren Teilnehmer, nach der Dauer und Regelmäßigkeit der Treffen, nach den Modi der Einberufung; nicht hingegen Fragen nach der politischen Qualität der Beratung selbst als einer Form von Teilhabe an und Einflussnahme auf Herrschaft.

Dieses Desinteresse hatte seine Ursachen zum Teil in einer schwierigen Überlieferungslage, die den Einblick in Formen und vor allem Inhalte der Beratung verwehrt. Es wurzelt aber wohl auch in einer gewissen Unfähigkeit der modernen Betrachter, die Bedeutung des Aufkommens von Beratung im Bereich der mittelalterlichen Herrschafts- und Gesellschaftsordnung adäquat zu würdigen. Dabei liegt doch eigentlich auf der Hand, dass die Beratung anstehender Probleme ein Indiz dafür ist, dass sich der Kreis derjenigen vergrößert, die an der Entscheidungsfindung beteiligt werden wollen.

In der Tat macht aber die Überlieferung ein Eindringen in die Prozeduren der Beratung und ihre Spielregeln nicht eben leicht. Man lüftete selten den Schleier der Vertraulichkeit, der über den Beratungen gewöhnlich lag, sondern akzeptierte, dass im Bereich von Herrschaft der Prozess des Zustandekommens von Beschlüssen und Entscheidungen nicht transparent gemacht wurde. Andererseits ist aber die moderne Öffentlichkeit gewohnt, eben diese Transparenz zu fordern, so dass moderne Menschen vertraulichen und verdeckten Formen der Willensbildung mit Misstrauen und Unverständnis begegnen.

Mit der Bewertung „freiwillige Selbstbindung durch Zustimmung“ hat man der mittelalterlichen Beratung der Herrschaftsverbände um den König in der Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zudem ein Etikett gegeben, das verrät, wie voreingenommen man der Sache gegenüberstand.6 Nur eine selbstbindende Wirkung des Rates hatte diese Formel im Auge, nicht seine etwaige Beeinflussung und Begrenzung der herrscherlichen Entscheidungswillkür. Dass die Beratung auch der Königsherrschaft Grenzen setzen sollte und konnte, lag wohl noch außerhalb der Vorstellungskraft einer Mediävistik, die auf ein machtvolles deutsches Königtum im Hochmittelalter fixiert war. Diese Fixierung auf die Königsmacht, die als unbegrenzt und willkürlich gedacht wurde, stand aber in unbemerktem Gegensatz zu |14|mittelalterlichen Einschätzungen.7 Sie konnte sich Beratung lediglich als eine Form der Akklamation vorstellen. Der Anspruch auf Partizipation, den Beratung implizit oder explizit erhebt, blieb dagegen mehr oder weniger unbeachtet. Daher lag es nahe, diese Frage bereits im Titel des Buches zu stellen: Inwieweit war mit der Beratung des Herrschers eine Kontrolle seiner Macht intendiert und verbunden?

Bisher suchte man, wenn überhaupt, nach den Wurzeln der mittelalterlichen Beratung in den Thingversammlungen der germanischen Stämme, wie sie etwa Tacitus zu schildern schien, und im germanischen Gefolgschaftswesen.8 Die Vorstellung von freier Rede freier Männer in einer germanischen Urdemokratie hat sich aber als Mythos erwiesen.9 Selbst wenn dort Anknüpfungspunkte existiert haben sollten, bedeutete der Rekurs auf germanische Wurzeln der Beratung eine Engführung, schon weil er die Rolle der christlichen Kirche bei der Beratung des Königs nicht genügend in Rechnung stellte.

Diese beanspruchte nämlich spätestens seit der Karolingerzeit ein besonderes Gewicht ihres Rates, weil sie sich dafür verantwortlich fühlte, auch die Könige auf dem „rechten Weg“ zu halten.10 Auch in den folgenden Jahrhunderten nahmen die Versuche der Kirche, durch Beratung Einfluss auf die Herrschaft der Könige zu nehmen, keineswegs ab, so dass die Rolle der geistlichen Berater des Königs und ihr spezifischer Beitrag notwendig ins Zentrum der folgenden Ausführungen rücken müssen. Überdies wurden im Früh- und Hochmittelalter große Konflikte um das wechselseitige Verhältnis von Kirche und Königtum geführt, die sich nicht zuletzt an der Frage entzündeten, ob der Rat der Priester nicht Gebotsqualität habe und sie nicht auch von Königen Gehorsam verlangen dürften.11 Diese Konflikte machten unzählige Beratungen nötig, in denen die Argumente ausgetauscht wurden, die die jeweiligen Positionen stützten. Die Kirche, aber auch die „Hofkleriker“ brachten hier in erster Linie die Bibel als normative Grundlage ihrer Positionen ins Spiel, was durch die Jahrhunderte zu durchaus neuen Begründungen und Herleitungen verschiedener |15|Ansprüche führte. Diese Langzeitauseinandersetzung ist daher in ihren unterschiedlichen Phasen zu verfolgen.

Im vorliegenden Buch geht es folglich darum, durch die Analyse besonders aussagekräftiger Fälle das Wissen um die Formen und Inhalte von Beratung im Früh- und Hochmittelalter zu verbessern und vor allem auch ihre politischen Dimensionen zu verstehen. Diese bestehen ja ohne Zweifel darin, dass mit dem Ratgeben eine Form von Partizipation an der Herrschaft eröffnet wurde, die eine Begrenzung der Willkür dieser Herrschaft ermöglichte. Mit dem Rat wurde eine Art von Mitsprache institutionalisiert, die Entscheidungen beeinflussen konnte. Ob dies wirklich gelang, ist aber alles andere als sicher, da die Entscheidung weiter dem vorbehalten blieb, dem geraten wurde.

Intendiert war am Ende der Beratung nämlich ein allgemeiner Konsens, der die Entscheidung, wie man heute zu sagen pflegt, alternativlos machte, obgleich eine alternativlose Entscheidung ein Widerspruch in sich selbst ist. Dennoch wurde die Entscheidung bekanntlich nicht von den Ratgebern, sondern vom Herrn oder König getroffen, der selbst seine Konsequenzen aus der Beratung und den gegebenen Ratschlägen zog. Wie eng diese Konsequenzen sich an den gegebenen Rat anzulehnen hatten, ist eine wichtige Frage. Das Problem sei einleitend nur mit einem anekdotischen Beispiel verdeutlicht, das geeignet erscheint, Ähnlichkeiten wie Unterschiede moderner und mittelalterlicher Vorstellungen über die Funktion von Beratung sichtbar zu machen.

Im 12. Jahrhundert konstruierten Lorscher Mönche die Geschichte einer Beratungsrunde unter Karl dem Großen, die mit einiger Sicherheit nicht auf geschichtlichen Ereignissen beruht.12 Nichtsdestotrotz macht sie Vorstellungen von den Verfahren und Formen, von den Möglichkeiten und Grenzen von Beratung sichtbar. Der Herrscher informierte nach dieser Geschichte seine Ratgeber über ein schwieriges Problem und bat um ihren Rat: Er hatte gesehen, dass Einhard, der berühmte Geschichtsschreiber, eine Nacht bei Karls Tochter Imma verbracht hatte. Während dieser Nacht hatte es geschneit, so dass Imma sich genötigt sah, Einhard auf ihrem Rücken zurück zu seiner Behausung zu tragen, damit sich der nächtliche Besucher nicht durch seine Fußspuren verriet. Dies beobachtete der Kaiser von seinem Fenster aus, rief seine Ratgeber zusammen, stellte ihnen die Majestätsverletzung vor und forderte von ihnen Rat und Entscheidungsvorschläge. Die Ratgeber waren unterschiedlicher Meinung und machten verschiedene Vorschläge von der Todesstrafe bis zum Exil. Karl hörte sich den Rat an, präferierte jedoch eine ganz andere Lösung, „die ihm besser geeignet schien, zum Ruhme seiner Herrschaft beizutragen: Er wolle ihrer Jugend Rechnung tragen und sie in |16|gesetzlicher Ehe verbinden, damit eine so unschöne Sache mit der Farbe der Ehrenhaftigkeit überdeckt würde.“13

Die Anekdote spielt so ironisch mit den Stereotypen der beflissenen Ratgeber und des souveränen Herrschers, der seinen eigenen Vorstellungen folgt – und sie markiert keinen Einzelfall, sondern eine häufiger zu beobachtende ironische Charakterisierung mittelalterlicher Beratungen.14 Deshalb erlaubt sie zumindest eine Hypothese: Wesentliche Rahmenbedingungen und Verhaltensmuster bei mittelalterlicher Beratung sind unseren Vorstellungen von Beratung nicht fremd: Die Suche nach dem einleuchtenden Argument zur Lösung eines Problems prägte auch die Vorstellungen der mittelalterlichen Zeitgenossen von angemessener Beratung ebenso wie die Überzeugungskraft origineller Lösungen. Durch Rang und Stand, Ehre und Stellung, Macht und Beziehungen wurden jedoch die Möglichkeiten freier Argumentation in realen Beratungen beeinträchtigt, gänzlich entmachten ließen sich die Wirkungen des geschliffenen Wortes und der problemlösenden Idee jedoch wohl nicht. Sie konnte aber auch der Herrscher für sich reklamieren.

Wie diese Spannung in konkreten Beratungen zum Austrag kam und wer sich im Einzelfall mit seinen Vorstellungen durchsetzte, soll an Beispielen behandelt werden. Aus diesen Beobachtungen lassen sich mit einiger Gewissheit vertiefte Einschätzungen in die Spielregeln und Verhaltensstrategien gewinnen, die die Akteure im politischen Beratungsgeschäft befolgten oder auch brachen und manipulierten. Denn dass die Situation der Beratung der Ort war, an dem immer wieder die Alternative von Konsens oder Konflikt zur Debatte stand, sollte bewusst bleiben.

Die unbezweifelbare Nähe der Beratung zum Konflikt lässt auch eine Erweiterung des Themas sinnvoll erscheinen. Neben den Beratungen innerhalb eines Verbandes sollen auch die Verhandlungen zweier Verbände, die der gütlichen Beilegung von Konflikten dienten, in die Untersuchungen einbezogen werden. Dies scheint aus folgendem Grund gerechtfertigt: Verhandlungen standen häufig in einem engen Verhältnis zu Beratungen, weil sie deren direkte Fortsetzung waren. Gelang nämlich die Konsensherstellung in der Beratung eines Verbandes nicht, folgte daraus häufig ein Konflikt, der durch Verhandlungen der Parteien, die sich nun gebildet hatten, beigelegt werden konnte. Diese Verhandlungen unterlagen zwar anderen Regeln als die internen Beratungen, dienten aber gleicherweise der Herstellung von Konsens.15 Wir gewinnen also durch die Einbeziehung von Verhandlungen |17|in Konflikten Anschauungsmaterial, das das Feld einvernehmlicher Willensbildung erweitert.

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