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Die Achterbahn

Wenn ich die Welt mit Menschen, Häusern, Autos, und Bäumen sehe, müssen viele Bedingungen erfüllt sein. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, erlebe ich meine farbenprächtige Welt. Wenn ich z.B. mein Fahrrad anschaue, das ich gerade vor dem Supermarkt abgestellt habe, dann besteht für mich kein Zweifel, dass es jetzt da steht. Ich bin ja gerade damit hierher geradelt. Dass mein Fahrrad mit solidem Rahmen aus Aluminium, Rädern, Sattel und Lenker dort jetzt vor dem Supermarkt steht, ist eine notwendige Bedingung, dass ich es jetzt sehen kann.

Wenn ich aber nun ein Foto von meinem Fahrrad mache, und dieses Foto zu Hause auf meinem Laptop anschaue, sehe ich auch mein Fahrrad. Aber diesmal brauche ich kein Fahrrad mit einem soliden Alurahmen als Bedingung, um es zu sehen, es reichen eine Menge verschiedenfarbiger Leuchtpunkte auf dem Bildschirm meines Laptops.

Wenn ich nun am Abend ins Bett gehe und im Traum auch wieder mein Fahrrad sehe, brauche ich weder das solide Fahrrad noch die vielen Leuchtpunkte auf dem Bildschirm. Trotzdem erscheint das Bild von meinem Fahrrad in meinem Traum. Es entsteht ohne eine materielle Grundlage, und mein Bild vom Fahrrad ist natürlich ebenfalls nicht materiell. Aber ich sehe es, oder besser gesagt: ich erlebe, dass ich es sehe. In meinem Traum ist das Fahrrad Teil einer Welt mit Straße, Autos und Menschen. Ich kann diese Welt im Traum genauso klar und lebendig erleben wie im wirklichen Leben.

Ich erlebe in diesen drei Beispielen also jedes Mal eine Bilderwelt mit meinem Fahrrad und der Umgebung dazu. Obwohl die Bedingungen für jede der drei gesehenen Welten sehr verschieden sind, ist das Resultat in allen drei Fällen ziemlich gleich. Ich weiß nicht, wie es entsteht, aber ich weiß, dass es entsteht. Ich erlebe es. Das Bild ist ja in allen drei Fällen da. Es ist eine Bilderwelt, die entsteht und vergeht und auch ohne die sogenannte solide Welt da draußen sehr lebhaft und lebendig sein kann, wie z.B. im Traum. Es gibt natürlich neben den Gemeinsamkeiten der drei gesehenen Welten auch Unterschiede. So kann ich z.B. mit dem Fahrrad auf dem Bildschirm nicht zum Supermarkt fahren, während ich mit meinem Fahrrad im Traum eine wunderbare Radtour machen könnte. Ich könnte mich sogar auf meinem Traumfahrrad in die Lüfte erheben und hoch über Wiesen und Felder dahin radeln.

Früher gab es auf dem Dom, dem großen Jahrmarkt in Hamburg, dieses halbkugelförmige 3D-Kino, in dem mit mehreren Projektoren Kurzfilme auf eine gebogene Leinwand projiziert wurden: Flüge mit dem Hubschrauber durch den Grand Canyon oder Fahrten mit der höchsten Achterbahn der Welt. Ich bin da immer gern reingegangen.

Ich stehe in der Mitte des kuppelförmigen Zeltes und schaue auf die halbkugelförmige Leinwand vor mir. Wenn der Wagen der Achterbahn dann langsam hochgezogen wird, sitze ich bereits schon drin. Die Spannung in mir steigt. Am höchsten Punkt angekommen, schaue ich in den Abgrund und schaudere. Und dann geht es beinahe im freien Fall in die Tiefe. Ich höre das Kreischen der Menschen und mein Magen rebelliert. Alles wie in der richtigen Achterbahn. Wenn es mir zu viel wird, schließe ich für einen Moment die Augen, und schlagartig ist auch das flaue Gefühl im Magen weg. Dann öffne ich die Augen und bin schon wieder in der Achterbahn. Wenn ich jetzt während der Fahrt auf die Leute neben mir im Kinozelt schaue, dann sehe ich auch etwas Interessantes. Die Zuschauermenge wogt wie die Ähren eines Kornfeldes im Wind, mal alle nach rechts und mal alle nach links. Ihre Körper folgen jeder Kurve, die die Achterbahn macht.

Die Erfahrung im 3D-Kino oder das Erleben in meinen Träumen zeigt mir, dass ich Bilderwelten und Gefühlswelten lebendig und stark erleben kann, auch wenn keine solide Welt als Grundlage vorliegt. Dieses Erleben fühlt sich für mich dennoch wahr an. Ich habe unbestreitbar im 3D-Kino dieses flaue Gefühl im Magen. Was mich bei solchen Erlebnissen wirklich fasziniert ist, dass ich unter Mithilfe von ein paar Lichtpunkten auf einer Leinwand eine so lebendige Bilder- und Gefühlswelt erleben kann, die sogar meinen Magen zum Mitmachen zwingt. Gleichermaßen faszinierend ist es auch, dass ich intensive Bilder- und Gefühlswelten erleben kann, wenn ich träume. Im Traum wären bei einer tollkühnen Achterbahnfahrt mit flauem Magen nicht einmal flimmernde Lichtpunkte eines 3D-Kinos als Auslöser nötig.

Wenn Steine sprechen - neu denken, frisch wahrnehmen

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