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Wo kommen die Töne her ?

Natürlich habe ich schnell herausbekommen, dass das Orchester nicht wirklich hinten im Radio sitzt, und dass das schimmernde, rötliche Licht vom Glühen der Röhren stammt. Später habe ich dann die Erklärung bekommen, dass die Töne aus dem Lautsprecher kommen. Aber dann taucht sofort die Frage auf, wie sie denn da hineinkommen. Heute kann ich viele Details nachlesen in Fachbüchern über Radiotechnik. Man findet da Abhandlungen über Radiowellen, die vom Sender ausgestrahlt und über die Antenne des Radios empfangen werden. Die Signale werden vom Verstärker im Radio zum Lautsprecher geleitet, wo dann die Membran des Lautsprechers zum Schwingen gebracht wird. Dann sagen wir, dass die Musik aus dem Lautsprecher kommt. Aber stimmt das wirklich? Ist es vielleicht nur einfach schwingende Luft, die vom Lautsprecher erzeugt wird? Diese Luftschwingungen treffen dann auf mein Ohr, werden in elektrische Impulse umgewandelt und zum Gehirn weitergeleitet. Aber wie kann aus diesen elektrischen Impulsen ein wahrgenommener Ton werden? Da hat die Wissenschaft noch keine wirkliche Erklärung geliefert. Und weil ich dazu auch keine Antwort habe, bleibe ich neugierig und stelle weitere Untersuchungen an. Ich setze mich einfach vor meine Stereoanlage, lege eine CD mit guter Musik ein und lausche. Und wenn ich einfach nur lausche, kann ich feststellen, dass die Töne tatsächlich nicht aus den Lautsprechern kommen. Ich höre das Orchester weiter entfernt von mir, die ersten Geigen von vorne links, die zweiten Geigen von vorne rechts, die Bläser höre ich in der Mitte und die Pauken weiter hinten links. Die ganze Musik spielt irgendwo vor mir, ich erlebe das Orchester wie in einem Konzertsaal mit großartiger Akustik. Ich höre nicht nur die Töne, sondern auch die Stille zwischen den einzelnen Sätzen. Ich erlebe auch den Raum, in dem das Orchester spielt. Diesmal sitzt das Orchester nicht hinten im Radio, sondern direkt vor mir, wie im Konzertsaal. Jetzt könnten Sie einwenden, dass das bloß eine schöne Täuschung ist, nicht wirklich real. Und diese Täuschung ist nur deshalb so wirkungsvoll, weil ich viel Geld für eine gute Stereoanlage ausgegeben habe. Wenn ich im Konzertsaal sitzen würde, wäre das real. Aber auch wenn ich wirklich im Konzertsaal sitzen würde, bleibt die Frage weiterhin offen: Wo entsteht der Ton? Kommt der Ton von der schwingenden Saite der Geige oder macht die schwingende Saite nur Luftschwingungen, die dann erst in meinem Erleben zu einem Ton werden? Zu diesem Thema haben sich schon viele Menschen Gedanken gemacht, z.B. mit folgender Fragestellung: Im Urwald von Brasilien steht ein alter Baum. Stellen wir uns vor, dass sich im Umkreis von vielen Kilometern kein Mensch und kein Tier aufhält. Der Baum ist altersschwach und stürzt plötzlich um. Gibt es da ein Krachen?

Ich lasse diese Frage einfach mal so im Raum stehen und wende mich zunächst mal einer einfacheren Frage zu. Was ist alles nötig, damit ich etwas hören kann? Es soll eine ganz einfache Aufzählung der Voraussetzungen werden, in ungeordneter Reihenfolge und ohne irgendeine Bewertung.

Um Musik von einer CD aus meiner Stereoanlage zu hören, muss ich die Anlage einschalten und die CD einlegen. Vorher brauche ich dann noch Strom aus der Steckdose. Dazu muss irgendwo ein Kraftwerk den Strom erzeugen. Wenn der Strom aus einem Gaskraftwerk kommt, muss das Gas durch eine Pipeline zum Kraftwerk geleitet werden. Zum Betreiben der Pipeline und des Kraftwerks sind jetzt gerade Ingenieure und Arbeiter tätig, und nur deshalb habe ich jetzt den Strom für meine Stereoanlage.

Was brauche ich sonst noch, um Musik zu hören? Natürlich meine Ohren, zwei intakte Trommelfelle, eine gesunde Nervenleitung zum Gehirn, genügend Sauerstoff im Gehirn, damit ich nicht einschlafe. Selbstverständlich muss ich lebendig sein, und das verdanke ich neben vielen anderen Umständen auch der Tatsache, dass sich meine Eltern getroffen haben, eine hoffentlich romantische Nacht verbracht haben und ihre Erbanlagen an mich weitergegeben haben. Ich bin in meiner Jugend an klassische Musik herangeführt worden, und deshalb habe ich eine CD mit einem Klavierkonzert von Mozart eingelegt. Wenn ich jetzt die Starttaste drücke, kann ich das Konzert hören, aber nur dann, wenn alle Voraussetzungen, die ich eben aufgezählt habe, erfüllt sind. Diese Voraussetzungen machen es nicht nur möglich, sondern jede einzelne dieser Voraussetzungen ist zwingend notwendig, damit ich das Konzert hören kann. Ohne Trommelfell kein Hören, ohne Strom kein Hören, ohne Eltern kein Hören... Jede einzelne Bedingung muss erfüllt sein, damit ich jetzt hören kann. Und ich habe hier nur ganz wenige Voraussetzungen aufgezählt. In Wahrheit sind es Tausende und Abertausende von Bedingungen, die alle erfüllt sein müssen, damit ich hier das Konzert hören kann. Die CD muss aufgenommen und verkauft worden sein. Die Musiker müssen ihr Instrument gelernt haben, die Geigen müssen gebaut worden sein. Dazu müssen Bäume gewachsen und gefällt worden sein… Wenn Sie wollen, können Sie hier kurz innehalten und selbst noch ein paar Bedingungen herausfinden, die zwingend nötig sind, damit Sie Musik aus Ihrer Stereoanlage hören können. Sie haben noch keine Stereoanlage? Dann wäre für Sie eine Bedingung zum Hören, dass Sie sich zunächst eine Anlage besorgen. Wenn Sie diese Überlegungen für ein paar Minuten machen, können Sie leicht bei Adam und Eva landen, oder wenn Sie es mehr mit der Wissenschaft halten, beim Urknall. Doch es geht hier nicht um eine historische Betrachtungsweise nach dem Motto: Weil der Urknall stattgefunden hat, existiert diese Welt, und weil diese Welt sich so entwickelt hat, kann ich heute auch Musik von einer CD hören. Diese Betrachtung hier bezieht sich genau auf diesen Augenblick, in dem ich die Musik erlebe. Genau in diesem Moment schwingen meine Trommelfelle, die aus organischen Molekülen bestehen. Diese Moleküle enthalten Kohlenstoffatome, die bei der Explosion von einem Riesenstern im Universum entstanden sein sollen. Ich könnte also sagen, dass meine Trommelfelle jetzt aus diesem Sternenstaub bestehen, und dieser Sternenstaub schwingt jetzt, genau in dem Augenblick, wo ich den Ton höre.

Sie mögen sich jetzt vielleicht fragen, was dieser kleine Denkausflug soll. Ist das nicht nur sinnlose Hirnakrobatik? In der Praxis reichen doch zwei Bedingungen, nämlich die CD einzulegen und zu starten. Das ist eine sehr pragmatische Annäherung, die im Alltag ja auch gut funktioniert. Es ist auch gar nicht die Idee, dass wir ständig über die Vielzahl der Bedingungen nachdenken sollten, denn dann kämen wir vor lauter Denken nicht mehr zum Leben. Es kann jedoch hilfreich sein, es in einer ruhigen Stunde einmal zu tun. Dann merkt man, dass in unserer Welt sehr vieles zusammenhängt, dass unser Leben sehr komplex ist. Manchmal findet man beim Nachdenken auch humorvolle Situationen, wenn man sich z.B. fragt, was wohl dazu geführt haben könnte, dass unsere Eltern gerade in dieser, für uns so entscheidenden Nacht, romantische Gefühle bekommen haben. Vielleicht haben sie sich ja vorher gerade gestritten, und diese Nacht hat sie wieder miteinander versöhnt. Wir können auch sehen, wie viele sogenannte Zufälle dazu geführt haben, dass wir jetzt hier sind und das tun, was wir gerade tun. Zu wissen, dass es immer sehr viele Bedingungen gibt für das, was wir gerade jetzt erleben, kann wirklich hilfreich sein. Wir sehen eine größere Welt, und diese Welt ist auf wundersame Art und Weise vernetzt. Wenn wir uns das vor Augen führen, steigt vielleicht unsere Neugier auf das, was nun als Nächstes kommt. Wir erleben vielleicht das, was wir gerade erleben mit größerer Wertschätzung. Manchmal sehen wir auch, dass viele dieser Bedingungen uns einfach auf wundersame Weise zugefallen sind. Wir sind z.B. vor 33 Jahren gerade an einem Café vorbei gegangen und bekamen Lust auf einen Kaffee. Und wen treffen wir da? Eine alte Schulfreundin, die wir seit Ende der Schulzeit nicht mehr gesehen hatten… Nun sind wir schon seit 30 Jahren mit dieser Frau verheiratet und die Kinder alle schon aus dem Haus. Wenn wir damals, an jenem Tage vor 33 Jahren, in das Café nebenan gegangen wären?

Diese Kontemplation über die vielen Bedingungen, die nötig sind für das, was wir gerade erleben, kann vielleicht auch bei ganz alltäglichen Situationen hilfreich sein. Oft denken und handeln wir so, als ob es nur eine Ursache gäbe. Unser Partner hat schon wieder den Müll nicht runter gebracht, obwohl wir ihn extra darum gebeten haben. Wir werden wütend und haben gleich auch den einen Schuldigen für unsere Wut. Dann poltern wir los und brechen einen handfesten Streit vom Zaun mit dem Resultat, dass wir beide leiden.

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