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2. Kapitel

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Axel Brink ging die nächsten Tage nicht in die Firma. Der Tod seines Partners und Freundes hatte ihm die Energie für jedwede Aktivität geraubt. Dabei wären gerade jetzt wichtige Weichen zu stellen gewesen, um den Betrieb am Laufen zu halten. Er hätte die geschäftlichen Dinge regeln müssen, die ihm Stefan in den letzten beiden Jahren abgenommen hatte. Brink war der geniale Entwickler, Stefan der geniale Verkäufer. So hatten sie sich gegenseitig mit ein wenig Ironie gesehen, und, obwohl beide als Geschäftsführer eingetragen waren, war es Stefan gewesen, der die meisten Entscheidungen getroffen und die Kundenkontakte gepflegt hatte.

Nadja hatte recht. Irgendwie musste es weitergehen. Schließlich hingen einige Arbeitsplätze an dem kleinen Unternehmen. Brink fühlte sich für die Angestellten verantwortlich. Außerdem musste er etwas tun. Es gab keinen Sinn, die Hände in den Schoß zu legen. Und vielleicht war die Arbeit genau das Richtige, um der depressiven Stimmung zu entkommen.

Hauptkommissar Graf hatte ihn angerufen und informiert, dass das Labor wieder freigegeben war. Die Gerichtsmediziner hätten keine Anhaltspunkte für einen unnatürlichen Tod feststellen können. Sein Partner sei an Herzversagen gestorben.

Brink beschlich ein ungutes Gefühl, als er das erste Mal nach den Geschehnissen wieder den Raum betrat.

Sein Mitarbeiter Robert Schmitt aus der Werkstatt hatte die Kreidezeichnung auf dem Boden entfernt. Nichts erinnerte mehr an das Unglück. Bildschirm und Drucker verweilten im Stand-by-Modus. Brink öffnete die Haube, nahm das Testobjekt heraus und betrachtete es. In seiner Hand wuchs es, so weit mit bloßem Auge erkennbar, unter Beibehaltung der Form, genau auf die doppelte Größe an. Inwieweit die vorgesehenen Maße für den gewünschten Temperaturbereich exakt eingehalten wurden, mussten die genauen Untersuchungen zeigen. Bei dem Exemplar handelte es sich um ein Objekt, das keine konkrete Anwendung fand. Es diente lediglich als Kalibrierstandard zur Überprüfung des Druckverfahrens.

Brink verbrachte fast den gesamten Arbeitstag im Büro, um einen Überblick über das operative Geschäft zu gewinnen. Ständig musste er dabei an Stefan denken, der das Ganze mit seiner lockeren Art bewältigt hatte. Er selbst hatte Mühe, sich in die Thematik hineinzudenken. Zum Glück kam Daniela, die Halbtagskraft, an vier Tagen in der Woche für mehrere Stunden. Sie kannte sich zumindest mit den Steuersachen und der Materialbeschaffung aus.

Gegen Abend rief Brink das 4-D-Einrichtungsprogramm auf. Er hatte den Druck eines künstlichen Herzens vorbereitet. Nachdem er einige Parameter optimiert hatte, startete er den Druck. Der Job würde am nächsten Morgen fertig sein.

Er verließ die Firma wie gewöhnlich als Letzter. Die Mitarbeiter Schmitt und Backmacher hatten um 16.00 Uhr Feierabend. Aber wenn es erforderlich war, blieben sie länger. Bei Engpässen standen sie ohne Murren auch an Wochenenden zur Verfügung. Doch zurzeit war das nicht erforderlich.

Zu Hause angekommen, schob Brink eine Fertigpizza in den Backofen und setzte sich mit einer Flasche Bier vor den Fernseher. Es gab Fußball: Deutschland gegen Italien. Italien lag mit eins zu null in Führung. Er nahm seinen Tablet-PC auf den Schoß und wählte sich in das Firmennetz ein, um zu kontrollieren, ob der Druck ordnungsgemäß ausgeführt wurde. Es schien alles in Ordnung zu sein.

Das Spiel war langweilig, und die Pizza schmeckte wie Pappe. Immerhin erzielte Deutschland kurz vor Spielende ein Tor, und die Mannschaften gingen mit einem Unentschieden auseinander. Im Grunde war das ein Abend wie jeder andere. Seit Corinna fortgegangen war, angeblich, weil er mit seiner Firma verheiratet war, lebte er alleine. Außer Stefan hatte er keine Freunde. Mit ihm hatte er sich manchmal nach Feierabend getroffen. Auch wenn sie meistens über Firmenangelegenheiten gesprochen hatten, vermisste er die Abende bereits jetzt. Blieb nur Nadja. Mit seiner zehn Jahre älteren Schwester konnte er über alles reden, und er hatte das Gefühl, dass sie nach ihrer Scheidung ein Stück weiter zusammengerückt waren. Als Kind war sie Ersatzmutter gewesen, nachdem die Mutter gestorben war. Irgendwie war sie es bis heute geblieben. Der Vater hatte erst wieder geheiratet, als beide Kinder erwachsen waren, und lebte mit seiner Frau in einem Münchner Vorort. Die Familienmitglieder, unter ihnen auch ein Sohn aus ihrer ersten Ehe, trafen sich einmal im Jahr, meist an Weihnachten. Die Treffen verliefen weitgehend harmonisch, vielleicht auch, weil es keine besonderen Berührungspunkte zwischen ihnen gab und jeder sein eigenes Leben führte.

Am nächsten Morgen suchte Brink das Labor auf, um das Ergebnis des 4-D-Drucks zu begutachten. Obwohl der Computer meldete, dass der Druck erfolgreich verlaufen war, ersetzte die Grafikanimation nicht die Inaugenscheinnahme und den Test des fertigen Modells. Das künstliche Herz war mit verschiedenen Sensoren ausgestattet und sollte induktiv mit Energie versorgt werden. Die komplette Maschine war in einem einzigen Druckvorgang erschaffen worden.

Brink öffnete die Haube und entnahm die knapp ein Kilogramm schwere Pumpe. Das fertige Produkt in der Hand zu halten, war auch nach Jahren noch ein besonderes Erlebnis für ihn. Das medizinische Gerät sowie das Herstellungsverfahren mussten nach den hausinternen Tests von einer unabhängigen Prüfstelle begutachtet werden. Auch darum hatte Stefan sich in der Vergangenheit gekümmert. Langfristig brauchte Brink einen Mitarbeiter oder einen Teilhaber, der ihm diese Arbeiten abnahm.

Er betrachtete das Jobprotokoll auf dem Monitor, der neben dem Drucker stand. Die Fehlerliste zeigte keine Warnungen oder Besonderheiten an. Mit dem künstlichen Herzen in der Hand wandte er sich zum Gehen. Aus einem unerfindlichen Grund drehte er sich an der Tür noch einmal um. Vielleicht hatte er etwas gehört. Vielleicht aber war es ein siebter Sinn. Sein Blick wanderte zu den Fässern, die Chemikalien enthielten. Die Spinne! Er war sich sicher, dass sie gerade zwischen den Behältern verschwunden war. Dieses verdammte Ungeheuer war also immer noch hier! Wieso hatten Polizei und Spurensicherung es nicht entdeckt? In Brink stiegen erneut Angst und Ekel auf. Aber da war noch ein Gefühl, und es war stärker: ein unglaublicher Hass auf das Tier. Er war überzeugt, dass es das Unglück verursacht hatte, und sei es nur dadurch, dass es für Stefans Herzstillstand verantwortlich war.

Brink zog die Schläuche ab, die das Material in den Drucker leiteten. Dann packte er das erste Fass, kippte es und rollte es beiseite. Genauso verfuhr er mit dem zweiten. Er wollte gerade ein weiteres bewegen, als das hässliche Monster zum Vorschein kam. Es floh nicht etwa, sondern krabbelte langsam auf ihn zu. Die roten Augen signalisierten Angriffslust. Brink hob seinen rechten Fuß. Er wollte das Tier mit seiner angesammelten Wut zerquetschen, doch er konnte seine Bewegung nicht zu Ende führen. Die Muskeln seines gesamten Körpers verkrampften sich. Der Atem setzte aus. Es gelang ihm noch, sich mit einer Hand am Tisch abzustützen. Dann sank er röchelnd zu Boden. Die Umgebung verschwamm vor seinen Augen, bis sie ihre Konturen verlor und sich in ein gleichmäßiges Schwarz verwandelte.

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