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3. Eigenart

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a) Kein anderer Brief des Neuen Testaments ist in solch großer Nähe zur Gründung einer Gemeinde geschrieben wie der 1Thess. Allenfalls drei Monate seit seiner Abreise waren verstrichen, als Paulus den ältesten christlichen Text, der erhalten ist, diktierte.

b) Der 1Thess hat als Brief eine besondere Form. 1Thess 1,2– 3,13 ist formal eine Einheit und bildet das Briefkorpus. Es besteht aus einer großen Danksagung mit Gebet, in die Paulus seine Korrespondenz mit den Thessalonichern eingelegt hat.60 »Der Fortschritt des Gedankens innerhalb von ›Rede und Gegenrede‹ zwischen dem Absender und Empfänger charakterisiert die Danksagung eindeutig von Anfang bis Ende, d.h. von 1,2 bis 3,13.«61 Den zweiten, abschließenden Teil bildet 1Thess 4,1–5,28.

Die Danksagung als Briefkorpus »hat wichtige Informationen zum Inhalt, die Paulus mitteilen will. Nach Meinung des Autors gibt es im Brief keinen anderen Gegenstand, der so wichtig ist wie die persönliche Beschreibung seines dauernden Verlangens nach der thessalonischen Kirche und seiner Sorge um sie.«62 Demgegenüber enthält der Abschnitt 1Thess 4,13–5,11 keine starre Lehre über die Endzeit, sondern in erster Linie Ermahnung und Zuspruch, wie sie sich in der zweiten Hälfte aller anderen Briefe des Paulus auch finden.63 »Dogmatik« über die Endzeit steht erst im 2Thess.64

c) Die Adresse des 1Thess hat mehrere Auffälligkeiten. Anders als in allen anderen Adressen der Paulusbriefe gebraucht der Apostel für die Christen in Thessalonich den Volksnamen. Es heißt »die Gemeinde der Thessalonicher« und nicht »die Gemeinde in Thessalonich«. Weiter unterscheidet sich der Gruß im 1Thess – »Gnade euch und Friede« – wegen seiner Kürze von dem aller anderen Paulusbriefe, wo es heißt: »Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.«

d) Paulus übt in seinem ältesten Brief Kritik an den »ungläubigen« Juden, deren Schärfe die Kritik anderer Christen in den ersten beiden Jahrhunderten in den Schatten stellt. Der Apostel verbindet Anwürfe, die einen innerjüdischen Ursprung haben, mit Anschuldigungen heidnischer Herkunft.

e) Paulus sagt im 1Thess dem römischen Reich den Kampf an und hofft inständig auf dessen baldige Vernichtung. Er gebraucht die Parole römischer Staatsideologie, »Friede und Sicherheit«65, negativ.

f) Die Gesamtperspektive des 1Thess richtet sich stärker als die der anderen echten Paulusbriefe auf die nahe Zukunft. Wie kein anderes Schreiben des Paulus enthält der 1Thess eine terminierte Naherwartung, der zufolge die meisten Christen aus der ersten Generation die Wiederkunft Jesu erleben.

g) Wichtige Stichworte späterer Briefe fehlen im 1Thess: Gerechtigkeit Gottes bzw. Rechtfertigung, Gesetz, Werke, ferner die Sünde und der Tod als Unheilsmächte sowie die Fleischlichkeit des Menschen. Paulus zitiert nirgends die »Schrift«. »Mit Christus« zielt auf die künftige, nicht auf die gegenwärtige Gemeinschaft mit ihm. Weder leidet der Gläubige mit Christus66, noch wird er mit ihm begraben67, noch wird er mit ihm gekreuzigt.68 Der Geist ist lediglich auf Gott, nicht aber auf Christus bezogen.69

Der älteste christliche Text

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